Bildungspolitik

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Die Bildungspolitik ist einer der Grundpfeiler sozialdemokratischer Politik. Die SPD selbst ist aus Arbeiterbildungsvereinen hervorgegangen. Die Schule wird bei der SPD als einer der Orte benannt, an denen Zukunftschancen verteilt werden. Die Sozialdemokratie will dadurch Ungleichheiten, die durch Geburt, Geld und Zufall geschaffen werden beseitigen. Jeder soll so viel wie möglich aus dem eigenen Leben machen können. Deswegen fordert die SPD seit jeher eine Schule, die für alle gut ist.

"Die Sozialdemokratie ist im eminentesten Sinne die Partei der Bildung." -- Wilhelm Liebknecht, 1872

Anfänge

Die deutsche Einheitsschule geht historisch unter anderem auf Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Lehrervereins zurück, der schon in der Revolution von 1848/49 wichtige Grundzüge eines künftigen Schulwesens entwickelte. In diesem Sinne versteht man unter der Einheitsschule den Schulaufbau von Kindergarten bis zur Universität für alle Kinder.

Damit steht die Einheitsschule dem dreigliedrigen bzw. gegliederten Schulsystem in Deutschland gegenüber.

Mit der Odenwaldschule in Heppenheim ist in Deutschland 1910 die erste Gesamtschule durch die Reformpädagogik gegründet worden. Durch die Novemberrevolution 1918 war die Möglichkeit einer Umgestaltung des Schulsystems gegeben. 1919 wurde der Bund Entschiedener Schulreformer gegründet, der u. a. die Ideen und Modelle einer "elastischen" und "differenzierten" Einheitsschule propagierte und in dem die Einheitsschule als beste Voraussetzung für die Erneuerung des Erziehungs- und Bildungswesens anerkannt wurde.

Weimarer Republik

Eine Chance für die grundlegende Neuorganisation des Schulsystems bot sich 1918 nach Ende des Kaiserreichs. So traten die MSPD und die USPD 1919 zwar für die Einheitsschule ein, doch der Weimarer Schulkompromiss ließ in der Weimarer Verfassung davon nur noch wenig übrig:

"Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten." (Art. 145).

Zum Wortführer der Einheitsschule wurde neben den Vertretern des Bundes Entschiedener Schulreformer auch Johannes Tews, der für den Deutschen Lehrerverein (DLV) arbeitete, der große Teile der Volksschullehrer vereinigte. Auch der SPD-Bildungspolitiker Heinrich Schulz setzte sich für eine öffentliche, kostenfreie, weltliche, koedukative Schule mit einheitlichen Lehrplänen ein - und blieb damit angesichts der Koalitionszwänge erfolglos.

Da die SPD ein neues Schulsystem gegen die konservativen Kräfte nicht durchsetzen konnte, sahen zum Beispiel die "Kinderfreunde" die Kinderrepubliken als Möglichkeit zur Verbreitung ihrer Ziele. Die Kinderrepublik als Konzept der Reformpädagogik umfasst verschiedene Ansätze von gemeinschaftlichem Leben von Kindern und Erwachsenen. Kinder üben dabei Demokratie, die Funktionsweise von Staaten und gesellschaftliches Zusammenleben praktisch ein. Der Aufbau von Kinderrepubliken sollte Kindern außerhalb der Schule eine Entwicklungsmöglichkeit im demokratisch-sozialistischen Sinne bieten und nationalistischen oder kirchlichen Einflüssen entgegenwirken.[1]

Bundesrepublik

Neben der Zerstörung von Schulen im Krieg, machte die durch den Zustrom von Flüchtlingen fast verdoppelte Bevölkerung in Schleswig-Holstein den Neubau von Schulräumen nötig. Zu dieser Zeit wurde oft im Schichtbetrieb unterrichtet. Auf Anordnung der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg sollte in Deutschland die achtjährige Einheitsschule eingeführt werden (Kontrollratsdirektive Nr. 53 von 1947). Dennoch wurde mit dem Verweis auf die strittige Diskussion über Begabung das mehrgliedrige Schulsystem beibehalten.

Landesregierung Lüdemann/Diekmann

Die erste SPD-Landesregierung in Schleswig-Holstein hat in einem ersten Schritt die Grundschule auf 6 Jahre verlängert und wollte das sogar in der Landessatzung verankern. Im SPD-Jahrbuch 1947 heißt es zur Bildungspolitik:

"Seit Beginn des laufenden Schuljahres wird die Schulgeldfreiheit für die beiden unteren Klassen der höheren Schulen eingeführt. In einer Sitzung vom 2. Februar 1948 wurden dem Landtag das Gesetz über die Änderung der Grundschulpflicht und das Lehrerausbildungsgesetz vorgelegt. Beide Gesetze leiten die notwendige Schulreform ein.
Durch das erste Gesetz wird die Grundschulpflicht auf 6 Jahre erhöht. Die Schulreform beseitigt damit eine frühzeitige Trennung der Jugend, die psychologisch und pädagogisch nicht gerechtfertigt ist und gesellschaftlich und nationalpolitisch gefährlich ist. Sie verbessert die sichere Auslese aller Begabungen. Durch diese Maßnahme werden die letzten Reste einer Standesschule beseitigt. Zugleich hebt die Schulreform mit der Einführung einer Fremdsprache vom 5. Schuljahr an das Niveau der Grundschule.
Die Ausbildungszeit der höheren Schule wird zwar um 2 Jahre verkürzt, Das(sic!) wird jedoch dadurch ausgeglichen, daß das 5. und 6. Grundschuljahr durch fremdsprachlichen Unterricht, Verringerungen der Klassenfrequenz und strenge Auswahl der Lehrer besonders gefördert wird.
Die Hebung unseres gesamten Schulwesens erfordert zugleich die Reform der Lehrerausbildung. Das dem Landtag vorliegende Gesetz sieht eine zeitlich beschränkte gemeinsame praktische und pädagogische Ausbildung aller Lehrer der allgemeinbildenden Schulen vor.
Mit diesen Schulgesetz-Entwürfen vollstrecken wir die Ziele aller modernen Pädagogen, die in Deutschland seit langem für die Einheitsschule, die Schulgeldbefreiung und den einheitlichen Lehrerstand kämpften."[2]

Nach der Landtagswahl 1950 hat die CDU-geführte Regierung diese Modernisierung des Schulwesens wieder rückgängig gemacht.

Opposition

In der Opposition konnte die SPD die Schulpolitik der CDU-Regierung nur kritisieren. Wilhelm Käber beklagte 1962, dass die Regierung "aus einer überholten gesellschafts- und standespolitischen Einstellung unserem Drängen, den Hauptproblemen der schulischen Entwicklungsstärke Aufmerksamkeit zu widmen, nur zögernd und zum Teil überhaupt nicht gefolgt ist."

"In keinem anderen Gebiet der Politik - nicht einmal in dem der Landwirtschaft - tummeln sich ideologisch verbrämte Standesinteressen so ungeniert, wird so provinziell argumentiert und die Entwicklung im Ausland so sträflich ignoriert wie in der Bildungspolitik. In meiner Partei, für die traditionell und aus gutem Grund Bildung und Ausbildung als die wichtigste Investition gelten, die ein Staat überhaupt vornehmen kann, sollte das mehr Beunruhigung auslösen, als für mich sichtbar ist." – Wilhelm Käber[3]

Die Regierung kümmerte sich hauptsächlich um die Universität und die Gymnasien, während die Statistiken zeigten, in kaum einem westlichen Land der Anteil der Arbeiterkinder in den Universitäten so niedrig war, wie in Deutschland. Ein weiterer Schwerpunkt sozialdemokratischer Forderungen zu dieser Zeit war die Lehrerausbildung, um den Mangel an Lehrkräften zu bekämpfen.[4]

In den 1970er Jahren gab es in einigen sozialdemokratisch regierten Bundesländern Bestrebungen, das mehrgliedrige Schulsystem durch Gesamtschulen zu ersetzen, die dem Konzept einer Einheitsschule nahekamen. Allerdings mussten diese Gesamtschulen mit den anderen Schulen konkurrieren. Außerdem waren sie insofern keine Einheitsschulen, als sie intern eingeteilt waren in Kurssysteme, die das mehrgliedrige Schulsystem intern abbildeten. Es kam nur vereinzelt zur Etablierung von wirklichen Einheitsschulen, wie beispielsweise der Laborschule Bielefeld.

1968 beantragte die SPD-Landtagsfraktion die Einrichtung von zwei Versuchs-Gesamtschulen - eine im ländlichen Bereich, eine in einer Stadt. Gleichzeitig sollten je eine Volksschule, eine Realschule und ein Gymnasium testweise in Ganztagsschulen umgewandelt werden. CDU und NPD lehnten den Vorschlag ab, die FDP präsentierte einen Kompromissvorschlag, der ebenfalls in den Bildungsausschuss verwiesen wurde. Während es zu Ganztagsschulen bereits eine Empfehlung des Deutschen Bildungsrates gab, fehlte eine solche für Gesamtschulen. An diesen Empfehlungen wollte sich die Regierung aus CDU und FDP orientieren.[5]

1973 berichtet der Kieler Landtagsabgeordnete Karl Heinz Luckhardt über die Einrichtung der Versuchsschule in Kiel-Friedrichsort:

IGS Kiel-Friedrichsort, 1975
"Die [Kieler] Ratsversammlung beschloss am 27. August 1970 auf der Grundlage der SPD-Vorstellungen zur Reform der Bildungspolitik die Errichtung der ersten 'integrierten Gesamtschule' in Kiel-Friedrichsort als Ganztagsschule. In mühseligen Verhandlungen mußte die Genehmigung des Schulversuchs der CDU-Landesregierung buchstäblich abgetrotzt werden. Mit dem Schuljahresbeginn 1972/1973 konnte der Unterricht in dem 20-Millionen-Projekt aufgenommen werden. Landesweit war dies der zweite genehmigte Schulversuch (eine weitere Schule arbeitete seit 1971 in Neumünster).
Nach den Vorstellungen der Kieler Sozialdemokraten ist die 'integrierte Gesamtschule' Kiel-Friedrichsort Modell für die Neugliederung des Schulwesens in der Landeshauptstadt. Wir halten diese Schulform für das System, das Freiheit, Gleichheit und Solidarität - und damit gleiche Lebenschancen - verwirklichen kann. Die ersten sehr guten Erfahrungen in der Friedrichsorter Versuchsschule haben gezeigt, wie man aus der bildungspolitischen Sackgasse des dreigliedrigen Schulsystems herauskommen kann."[6]

Nach 1988

Bis 1988 hatte die CDU-Regierung nur zwei integrierte Gesamtschulen (in Kiel und Neumünster) versuchsweise zugelassen.[7] Daneben gab es z. B. in Elmshorn eine sogenannte "Kooperative Gesamtschule", eine stärker der Dreigliedrigkeit verpflichtete Zwischenform. Nach dem Wahlsieg war die Stimmung in der SPD und bei anderen Befürwortern der Gesamtschule euphorisch. Doch diejenigen, die die Schulreform umsetzen sollten, drückten auf die Bremse.

In seiner Regierungserklärung hatte Björn Engholm versprochen, das dreigliedrige Schulsystem durch ein Gesamtschulangebot zu ergänzen:

"[...] Investitionen in Bildung und Ausbildung sind unverzichtbare Investitionen in die individuelle und die gesellschaftliche Zukunft. Wir wollen deshalb ein Bildungssystem in Schleswig-Holstein, in dem alle hochwertige Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, in dem zugleich aber das Lernen auch Freude macht, in dem persönliche Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden, in dem auch soziales Verhalten erlernt werden kann. Ein Bildungssystem, das den Neigungen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Kinder und jungen Menschen mehr Raum läßt, ein Bildungssystem, das auch die immer noch vorhandenen geschlechterspezifischen Rollenmuster aufheben hilft, wird nicht nur freiere und zufriedenere Menschen, es wird auch Menschen hervorbringen, die besser und optimaler in der Lage sind, den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.
Meine Damen und Herren, das gegliederte Schulsystem in Schleswig-Holstein bleibt, wie es von uns über Jahre so versprochen worden ist, auch unter der neuen Regierungsägide erhalten. Es wird zugleich für die Belange der Zukunft weiterentwickelt werden. Hauptschule, Realschule und Gymnasium stehen auch künftig allen Schülern und Eltern offen, die diese Schulen schätzen. Das Elternrecht auf freie Schulwahl wird von uns uneingeschränkt, also voll geachtet. Freies Elternrecht heißt jedoch auch: Eltern, die für ihre Kinder eine Gesamtschule vorziehen, müssen im Lande Schleswig-Holstein endlich eine Chance erhalten.
Die Gesamtschule wird nicht von oben verordnet werden. 'Gesamtschule' heißt für uns im besten Sinne des Wortes 'Schule vor Ort'. Und 'vor Ort' heißt: Entscheidend ist der Wille der Eltern und die Zustimmung des Schulträgers.
Wir werden das Schulgesetz in diesem Sinne ändern. Dazu werden die Schulträger, die Landeselternbeiräte, die kommunalen Spitzenverbände, die Lehrerverbände und die Gewerkschaften selbstverständlich gehört werden. Am Ende dieses Verfahrens wird ein Gesetzentwurf vorgelegt und dem Parlament zugeleitet werden. Sollten bis dahin Anträge von Schulträgern auf Einrichtung einer Gesamtschule kommen, reichen die Möglichkeiten des geltenden Schulgesetzes dafür aus.
Der Gesetzentwurf soll auch die Voraussetzungen für eine innere Schulreform schaffen, und zwar zur Erweiterung der pädagogischen Freiräume - Schule soll wieder mehr von Lehrern als von Ministerialbeamten gemacht werden - für eine verbesserte Kooperation von Schülern, Eltern und Lehrern und zur Reform der Lehrpläne nach fortschrittlich-humanistischen Leitbildern. Schulreform wird von dieser Regierung nicht, wie es in der Vergangenheit der Fall war, verordnet oder in kleinen Zirkeln besprochen werden; alle Betroffenen und Beteiligten werden in einem offenen Dialog in diese Schulreform von uns einbezogen werden."[8]

Im Juni 1988 beschäftigte sich der Landesausschuss mit dem Thema Gesamtschule. Der Landesvorsitzende Gerd Walter riet zur Geduld:

"Es ist kein Kunststück, die Entwicklung einer Gesamtschule einfach mit Mehrheit zu beschließen. Das Kunststück besteht darin, sie so durchzusetzen, daß die Menschen hinterher eine zweite Gesamtschule fordern."[9]

Am 25. August 1988 begann die neue Landtagsfraktion eine sechstägige Anhörung von Vertreterinnen und Vertretern der Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Gewerkschaften, Lehrervereinigungen und anderer Organisationen zum neuen Schulgesetz.[10]

Auch beim ersten Landesparteitag nach der Wahl stand das Thema Gesamtschule auf der Tagesordnung.

In einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung fragte 1990 der CDU-Abgeordnete Dr. Peter Bendixen nach der Entwicklung der Gesamtschule in Schleswig-Holstein seit dem Schuljahresbeginn 1987/88. Aus der Antwort geht hervor:[11]

Kommune vorgesehene bestehende Schule genehmigt
Kiel Toni-Jensen-Schule Hauptschulteil der Grund- u. Hauptschule + Toni-Jensen-Realschule ja
Lübeck Fröbelschule ja
Bad Oldesloe Dietrich-Buxtehude-Realschule ja
Bargteheide Emil-Nolde-Grund- und Hauptschule ja
Bornhöved ? nein
Eckernförde ? ja
Geesthacht Hauptschule Butenskamp ja
Husum ? nein
Norderstedt Grund- und Hauptschule Lütjensmoor ja
Pinneberg Realschule Thesdorf ja
Trappenkamp Dr.-Gerlich-Hauptschule ja
Uetersen ? ja

Auf die Frage, wie der Wunsch der Eltern zum Erhalt der betroffenen Schulen berücksichtigt worden sei, antwortete das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur:

"Die Entscheidung über den Standort einer zu errichtenden Gesamtschule wird vom Schulträger getroffen. Bei dieser Entscheidung ist nicht nur der Wunsch der Eltern zu berücksichtigen, die ihre bisherige Schule erhalten sehen möchten, sondern auch das Interesse der Eltern, die bislang ihre Kinder nicht auf eine Gesamtschule schicken konnten."

In einem umfassenden Beschluss zur Bildungspolitik formulierte die SPD Schleswig-Holstein auf dem Landesparteitag im Jahr 1995:

"Wir haben eine Reihe neuer Gesamtschulen ermöglicht und damit den Elternwillen erfüllt. [...] Mit der Errichtung von sechzehn zusätzlichen Gesamtschulen sind Wahlmöglichkeiten von Eltern und Schülern für eine integrierte Form der weiterführenden Schule geschaffen worden. Die Ge­samtschulen bieten unter einem Dach alle Bildungsabschlüsse in durchlässiger Form. Ziel ist es, allen Eltern und SchülerInnen die Wahlmöglichkeit für diese Schulform zu bieten. [...] Die Gesamtschule ist für die SPD die zukunftsweisende Schulform, die flächendeckend einzuführen ist, damit alle Eltern, die dies wünschen, ihr Kind an einer Gesamtschule anmelden können. Damit wird der unterschiedlichen Nachfrage der Eltern nach den verschiedenen Schulformen für ihre Kinder Rechnung getragen."[12]

Im Beschluss zur Bildungspolitik auf dem Landesparteitag 2002 formulierte die SPD Schleswig-Holstein:

"Schon heute lässt sich jedoch feststellen, dass das nur noch in Deutschland, Österreich und einigen Schweizer Kantonen bestehende Modell eines dreigliedrigen Schulsystems mit homogenen Lerngruppen keine besseren Schüler/innen-Leistungen hervorbringt. Im Gegenteil: Die bildungspolitische Zielsetzung der SPD, die Integrierte Gesamtschule mit heterogenen Lerngruppen auszubauen, bestätigt sich als richtig. Die meisten Länder mit besseren Ergebnissen haben ein effizienteres Vorschulsystem, mehr integrierte Angebote und Ganztagsunterricht oder Ganztagsangebote. Auf diesen Feldern hat Deutschland zweifellos einen Nachholbedarf."[13]

Auf dem Landesparteitag 2003 forderte die SPD Schleswig-Holstein in ihrem Bildungskonzept unter dem Stichwort "Bedarfsgerechte Gesamtschulplanung":

"Die SPD SH fordert die Kommunalpolitiker in SH auf, wenn der Bedarf vorhanden ist, in ihren Kreisen Integrierte Gesamtschulen zu bauen. "[14]

PISA Schock

Erst mit den international vergleichenden Bildungsstudien (TIMSS, PISA, IGLU) ab 2000, in denen deutsche Schüler sehr schlecht abschnitten, gleichzeitig aber einer extrem hohen sozialen Selektion ausgesetzt waren, wird auch bundesweit wieder ernsthaft über die Etablierung von Einheitsschulen ("Schulen für alle") nachgedacht.

Um vom mehrgliedrigen in ein eingliedriges Schulsystem überzugehen, wird von Bildungsforschern um Klaus Hurrelmann auch das zweigliedrige Modell propagiert: Hauptschulen, Realschulen und - falls vorhanden - Gesamtschulen werden fusioniert, erhalten eine eigene Oberstufe und bieten wie das Gymnasium, das zunächst bestehen bleibt, alle Schulabschlüsse an.

Ute Erdsiek-Rave

In der Großen Koalition gelang es der SPD mit ihrer Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave Haupt- und Realschulen generell zu Regionalschulen zusammenzulegen und sie teilweise mit einer gymnasialen Oberstufe zur Gemeinschaftsschule zu erweitern. Dem "Vorwärts" sagt sie 2006:

"Mit der Einführung der Gemeinschaftsschulen und der Regionalschulen ist der Großen Koalition ein großer Wurf gelungen. Schleswig-Holstein hat sich damit an die Spitze der Länder gesetzt, die den Schülerinnen und Schüler ein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht."[15]

Schulfrieden

Die Küstenkoalition vereinheitlichte das System noch einmal und führte ein zweigliedriges System ein: Neben der Gesamtschule gibt es nur noch das Gymnasium. Auf beiden Schultypen können Schülerinnen und Schüler das Abitur erreichen - Auf Gesamtschulen nach 9 Jahren, auf Gymnasien nach 8 Jahren ("Turbo-Abi"). Alle Regionalschulen wurden dadurch zu Gesamtschulen.

Das Problem dabei ist, die beiden Schultypen im sogenannten "Zwei-Wege-Model" (Hurrelmann) wirklich gleichwertig zu gestalten. So sind sich die existierenden Gesamtschulen häufig dem Vorwurf des leistungsmäßig schlechten Abschneidens ausgesetzt, dabei wird allerdings der sog. "Creaming-Effekt" übersehen. Dieser besagt, dass die Schülerschaft einer Gesamtschule nicht - wie vorgesehen - aus gleichmäßigen Anteilen von starken und schwachen Schülern besteht, sondern zum großen Teil aus den schwächeren, da die Eltern der stärkeren Schüler ihre Kinder bevorzugt aufs Gymnasium schicken. Somit ist die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Schulformen sehr schwierig.

In einigen Bundesländern gibt es im bildungspolitischen Spektrum nun Konzepte, das mehrgliedrige Schulsystem langfristig abzuschaffen. Als Gründe für diese neue Politik werden angeführt

  • die demografische Veränderung: Viele kleine Gemeinden können sich aufgrund des Bevölkerungsrückgangs verschiedene Schultypen nicht mehr leisten, und es wird für die Zeit ab 2010 ein dramatischer Rückgang der Studierendenzahlen prognostiziert, wenn die Bildungspolitik so fortgesetzt wird wie bisher.
  • die Kritik der frühen Selektion im mehrgliedrigen System durch internationale Organisationen wie die OECD, die UNICEF, die UNESCO, die Europäische Kommission und zuletzt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit seiner Bildungsstudie über Deutschland
  • die Kritik durch einige Wirtschaftsverbände und Denkfabriken an der frühen Selektion
  • die "Abstimmung mit den Füßen": in NRW fanden 2006 14.000 Eltern keinen Platz für ihre Kinder in Gesamtschulen und 2007 waren es 16.000 Eltern, die ihre Kinder in Gesamtschulen einschulen wollten und keinen Platz bekamen; in Schleswig-Holstein schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf die privaten Einheitsschulen der dänischen Minderheit.[16]

Literatur

Quellen

  1. Schulte: Von Kindern, S. 419
  2. SPD Parteivorstand (Hrsg.) SPD Jahrbuch 1947 (Hannover 1948)
  3. Lubowitz, Frank (1986) "Wilhelm Käber - Regierung und Opposition" Neuer Malik Verlag Kiel ISBN: 3-89029-906-7
  4. Lubowitz, Frank (1986) "Wilhelm Käber - Regierung und Opposition" Neuer Malik Verlag Kiel ISBN: 3-89029-906-7
  5. Mehrheit ist gegen die Gesamtschule, Kieler Nachrichten, 11. Juli 1968
  6. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): 1863-1978. 115 Jahre Sozialdemokratie. Festschrift der Kieler Sozialdemokraten (Kiel 1978)
  7. DER SPIEGEL 51/1988 Tango mit Eva: Heftiger Streit um die Gesamtschule
  8. Landtagsinformationssystem Schleswig-Holstein: Plenarprotokoll 12/2 28.06.1988, S. 13-82
  9. SPD-Chef rät Engholm zu behutsamer Reformpolitik, Kieler Nachrichten, 11.6.1988
  10. SPD startet Anhörung zum neuen Schulgesetz, Kieler Nachrichten, ??.8.1988
  11. Drucksache 12/939: Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Peter Bendixen (CDU), 16. Juli 1990
  12. Landesparteitag Bad Segeberg 1995 Bildungspolitik in schwieriger Zeit - Neue Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Erwartung und Machbarkeit
  13. Landesparteitag Kiel 2002 B1: Aufbruch zu einer neuen Bildungspolitik
  14. Landesparteitag Bad Segeberg 2003: B1: 'Unser Bildungskonzept für die Zukunft'
  15. Gemeinschaftsschule kommt In: Vorwärts: Wir in Schleswig-Holstein 10/2006
  16. WDR-Beitrag 17. Februar 2007