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'''Blick in die Zeit''' war eine regimekritische sozialdemokratische Wochenzeitschrift, die vom 16. Juni 1933 bis Ende August 1935 in Berlin erscheinen konnte.  
[[Datei:Blick in die Zeit 27-1934.jpg|right|thread|300px|''Blick in die Zeit'', Ausgabe 27 vom 7.7.1934]]
'''Blick in die Zeit''' war eine regimekritische, von Angehörigen der verbotenen SPD gemachte Wochenzeitschrift, die vom [[16. Juni]] [[1933]] bis Ende August [[1935]]<ref>Entweder 24. oder 31.8.1935</ref> jeweils am Sonnabend in Berlin erschien und in ganz Deutschland vertrieben wurde. Viele, die an ihr mitwirkten, kamen aus [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kiel]].


== Geschichte ==
== Entstehung ==
Die Wochenzeitschrift ''Blick in die Zeit'' erschien im Zeitschriftverlag Dr. A. Ristow mit dem Geschäftssitz in Berlin-Halensee. [[Alfred Ristow]], ehemals Nachrichtenoffizier im Deutschen Heer, war Inhaber eines Betriebes für Fernmeldetechnik, und er ließ bei Kurt Hermann Mendel (1900-1983) das Mitteilungsblatt eines Offiziersbundes drucken. Der Werbefachmann Mendel hatte eine Beteiligung an der Berolina-Druckerei und von ihm ging die Initiative zur Gründung der Zeitschrift ''Blick in die Zeit'' aus. Im Außenverhältnis trat Ristow als Herausgeber und Verleger auf, im Innenverhältnis beteiligte sich Mendel mit 50 Prozent der Einlage als stiller Teilhaber am Verlag Dr. A. Ristow. <ref>A. Rathmann: Gegen den Nationalsozialismus. S. 65f.</ref>
Die Initiative zur Gründung von ''Blick in die Zeit'' ging von dem Werbefachmann Kurt Hermann Mendel ([[1900]]-[[1983]]) aus. Er hatte das journalistische Konzept entwickelt und beim kleinen Verlag Dr. A. Ristow in Berlin-Halensee untergebracht. Alfred Ristow, ehemals Nachrichtenoffizier im Deutschen Heer und weiterhin gut vernetzt in militärischen Kreisen, war Inhaber eines Betriebes für Fernmeldetechnik; er ließ bei Kurt Hermann Mendel, der an der Berolina-Druckerei beteiligt war, das Mitteilungsblatt eines Offiziersbundes drucken.


Mendel hatte das journalistische Konzept entwickelt, das der Untertitel ''Pressestimmen des In- und Auslandes für Wirtschaft, Politik und Kultur'' deutlich machte: Es kamen also keine eigenen Artikel, sondern bereits in anderen Presseerzeugnissen publizierte Textausschnitte zum Abdruck. Die Kritik am Regime entstand durch die Auswahl und Zusammenstellung der Textausschnitte. Hauptberuflich tätig waren für die Zeitschrift:
Über ''Blick in die Zeit'' gab es zwischen Ristow und Mendel aus Sicherheitsgründen nur eine mündliche Vereinbarung: Ristow trat als Herausgeber und Verleger auf, Mendel beteiligte sich mit 50 Prozent der Einlage als stiller Teilhaber am Verlag.<ref>Rathmann: ''Nationalsozialismus'', S. 65 f.</ref> Er übernahm auch die Finanzierung des Projekts einschließlich einer Haftung für mögliche Verluste. Diese Konstruktion diente dem persönlichen Schutz aller Beteiligten, die sich - abgesehen von Ristow - durchweg aus sozialdemokratischen Netzwerken vor der NS-Herrschaft kannten und daher Beobachtung durch die "Sicherheitsorgane" befürchten mussten.


* Geschäftsleitung: [[Kurt Exner]], vor [[1933]] Gewerkschaftssekretär beim [[ADGB]] in Berlin
Die Auflage betrug etwa 100.000 Exemplare zum Einzelpreis von 0,15 Reichsmark. Die Zahl derer, die sie lasen, soll bei etwa 400.000 bis 500.000 gelegen haben. Diese relativ hohe Verbreitung wurde erreicht durch persönliche Verteilung (vor allem durch alte Funktionäre und Funktionärinnen der "Kinderfreunde"<ref>Rathmann: ''Arbeiterleben'' S. 189</ref>) innerhalb der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Organisationen, die von den Machthabern verboten waren.  
* Schriftleitung: [[Andreas Gayk]], vor [[1933]] Redakteur bei der [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung]] in Kiel
* Vertrieb: [[Hans Weinberger]], vor [[1933]] Geschäftsführer der [[Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde]].


Zwischen Ristow und Mendel gab es zur Gründung und zum Betrieb des Verlages keine schriftliche, sondern nur eine mündliche Vereinbarung, nach der sie sich die Beteiligung und Geschäftsführung im Verhältnis 50:50 teilten. Ristow zeichnete allein verantwortlich für die Herausgabe der Zeitschrift, den Inhalt, die Schriftleitung und den Verlag. Mendel war zuständig für die Finanzierung des Projektes einschließlich einer Haftung für mögliche Verluste. Diese Konstruktion diente dem persönlichen Schutz der beteiligten Akteure vor einer möglichen Verfolgung durch die Gestapo.  
=== Konzept ===
Mit ''Blick in die Zeit'' wurde "der Versuch gemacht, im Rahmen der gleichgeschalteten Presse eine Wochenzeitung zu veröffentlichen, die den monotonen Blätterwald auflockern sollte."<ref>Rathmann: ''Arbeiterleben'', S. 188</ref> Der Untertitel ''Pressestimmen des In- und Auslandes für Wirtschaft, Politik und Kultur'' machte das Konzept deutlich: Man brachte keine eigenen Artikel, sondern bereits in anderen öffentlich verkauften in- oder ausländischen Presseorganen erschienene Textausschnitte. Kurt Hermann Mendel erläutert:
: "Es ging [...] nicht darum, eigene Stellungnahmen zu den behandelten Themen abzugeben, sondern durch die Vielfalt der gedruckten Nachrichten, Meinungen und Auffassungen anderer Publikationen es dem Leser selbst zu überlassen, Rückschlüsse zu ziehen."<ref>Mendel: ''Aktion'', S. 5</ref>


Die Auflage betrug 100.000 Exemplare zum Einzelpreis von 0,15 Reichsmark. Die Zahl der Leser soll ca. 400.000 bis 500.000 betragen haben. Diese relativ hohe Verbreitung ergab sich aus der persönlichen Verteilung innerhalb der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Organisationen, die von den Machthabern verboten waren. Die Pflege eines Netzwerkes im Untergrund schuf eine Basis, auf der nach dem Zweiten Weltkrieg die Wiedergründung der SPD und der Gewerkschaften, aber auch ein Aufbau der Verfassungsorgane geschehen konnte. So übernahmen Personen, die in der Redaktion mitgearbeitet hatten, nach 1945 politische, ökonomische oder kulturelle Positionen:
=== Beilage ===
[[Karl Rickers]] redigierte die parallel erscheinende, nicht einzeln verkäufliche Beilage ''Kurze Pause!'', kurz ''KP!'' und gewann dadurch umfassenden Einblick in die Arbeitsweise des Herausgebers, der Redaktion und des Vertriebes.<ref>Rathmann: ''Nationalsozialismus'', S. 67</ref> Für die Beilage lieferte neben Karl Rickers der Kieler [[Hans Adam]] Textbeiträge. Auch sie wurde im August [[1935]] verboten.


* [[Michael Freund]]: Professor an der Universität Kiel
== Beteiligte ==
* [[Rudolf Küstermeier]]: Chefredakteur der Zeitung Die Welt bis [[1953]] und seit [[1957]] Israel-Korrespondent der Deutsche Presse-Agentur
Der Kreis der Beteiligten war aus nachvollziehbaren Gründen überschaubar.
* [[Friedrich Mandelkow]]: Dezernent in der Stadtverwaltung Kiel bis [[1952]]
* Hauptberuflicher, aber inoffizieller Schriftleiter wurde [[Andreas Gayk]], vor [[1933]] Redakteur bei der [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung]] in [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kiel]]; er ging nach Berlin, weil er in seiner Heimatstadt unter Beobachtung durch die Gestapo stand. Er holte seine Familie nach und wurde in der Redaktionsarbeit sehr von seiner Ehefrau [[Andreas Gayk|Frieda Gayk]] unterstützt.
* [[Ludwig Preller]]: Wirtschaftsminister im 1. Kabinett [[Hermann Lüdemann]] in Schleswig-Holstein
* Die hauptberufliche Geschäftsleitung lag bei [[Kurt Exner]], vor [[1933]] Gewerkschaftssekretär beim [[ADGB]] in Berlin, nach Ende der NS-Herrschaft Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und Berliner Senator für Arbeit und Soziales.
* [[August Rathmann]]: Tätigkeiten in der Stahltreuhändervereinigung und in der Gesellschaft für soziale Betriebspraxis, Düsseldorf
* Den Vertrieb übernahm [[Hans Weinberger]], der aus seiner Zeit als Geschäftsführer der [[Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde]] über ein weitgespanntes Netz von Kontakten verfügte, die jetzt für die Verteilung des - legalen - Blattes eingesetzt wurden und dadurch gleichzeitig die Möglichkeit erhielten, unauffällig miteinander in Kontakt zu bleiben.
* [[Otto Suhr]]: Regierender Bürgermeister von Berlin ([[1955]]-[[1957]]).
Andreas Gayk zog weitere Gleichgesinnte zur Mitarbeit heran:
* den Maler [[Gottfried Brockmann]], die Kieler Grafiker [[Niels Brodersen]] und [[Richard Grune]]<ref>Vgl. Eintrag von 2016 in {{Wikipedia}}</ref> sowie den satirischen Zeichner [[Karl Holtz]] für die grafische Gestaltung;
* den Historiker und Politologen [[Michael Freund]];
* den Journalisten [[Rudolf Küstermeier]];
* den Kieler Sozialarbeiter [[Friedrich Mandelkow]], der als "Redaktionssekretär" fungierte<ref>Jensen/Rickers: ''Andreas Gayk'', S. 262</ref> und später Dezernent in der [[Kreisverband Kiel|Kieler Stadtverwaltung]] wurde;
* den Wirtschaftswissenschaftler [[Ludwig Preller]];
* den Kieler Juristen und Parteitheoretiker [[August Rathmann]] und seine Frau [[Maria Rathmann]], die für den Kulturteil schrieb;
* den Kieler Journalisten [[Karl Rickers]];
* den Historiker und Volkswirt [[Otto Suhr]].
Mehrere von ihnen übernahmen ab [[1945]] herausragende Positionen in Politik, Wirtschaft oder Kultur.  


Der Journalist [[Karl Rickers]] ([[1905]]-[[1999]]) konnte in einem Rückblick feststellen, dass die Wochenzeitschrift ohne größere Einflüsse der Zensurbehörden geblieben war. Erst ein Artikel zum Thema ''Die Zukunft des Krieges'' führte im August [[1935]] zum Verbot der Zeitschrift.
Karl Rickers konnte in einem Rückblick feststellen, dass der ''Blick in die Zeit'' in den zwei Jahren seines Erscheinens ohne größere Einflüsse der Zensurbehörden geblieben war. Erst ein Artikel zum Thema ''Die Zukunft des Krieges'' führte im August [[1935]] zum Verbot der Zeitschrift.


== Beilage ==
Die Pflege eines Netzwerks im Untergrund schuf eine Basis, auf der nach dem Ende der NS-Herrschaft die Wiedergründung der SPD und der Gewerkschaften, aber auch ein Aufbau der Verfassungsorgane möglich war.  
[[Karl Rickers]] gewann seinen umfassenden Gesamteinblick in die Arbeitsweise des Herausgebers, der Redaktion und des Vertriebes, weil er  die parallel erscheinende Beilage ''Kurze Pause!'' redigierte. <ref>A. Rathmann: Gegen den Nationalsozialismus. S. 67.</ref> Das einzeln nicht verkäufliche Unterhaltungs-Blatt erschien jeden Sonnabend zum ''Blick in die Zeit''. An der grafischen Gestaltung wirkten mit:
* Grafiker [[Niels Brodersen]],
* Maler [[Gottfried Brockmann]],
* satirischerZeichner [[Karl Holtz]].
 
Textbeiträge lieferte [[Hans Adam]], der spätere Direktor der Kieler Ingenieurschule. Die Beilage ''Kurze Pause!'', auch ''KP!'' genannt, wurde ebenfalls im August 1935 verboten.


== Dokumentation ==
== Dokumentation ==
Nach [[1945]] hat es bislang  einen nur geringen Dokumentationsumfang der Aktion ''Blick in die Zeit'' gegeben. Erste Darstellungen gab es [[1974]] von den Autoren [[Michael Freund]], [[August Rathmann]] und [[Ludwig Preller]] in dem Erinnerungsbuch über [[Andreas Gayk]]. Sie berichteten als mitwirkende Redakteure über ihre eigenen Tätigkeiten sowie über das gesamte Konzept. [[1980]] folgte ein Bericht von [[Henning Harmsen]] in der Badischen Zeitung unter dem Titel ''Widerstand mit Schere und Klebstoff''. In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung [[1980]] herausgegebenen Begleitband zur Ausstellung ''Widerstand [[1933]] bis [[1945]] - Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegen Hitler'' heißt es zur Wochenzeitschrift ''Blick in die Zeit'':  
Die Aktion ''Blick in die Zeit'' wurde nach dem Ende der NS-Herrschaft nur wenig dokumentiert. Erste Darstellungen gab es [[1974]] von den Autoren [[Michael Freund]], [[August Rathmann]] und [[Ludwig Preller]] in dem Erinnerungsbuch über [[Andreas Gayk]]. Sie berichteten als mitwirkende Redakteure über ihre eigenen Tätigkeiten sowie über das gesamte Konzept. [[1980]] folgte ein Bericht in der ''Badischen Zeitung''.<ref>Henning Harmsen: ''Widerstand mit Schere und Klebstoff'', ''Badische Zeitung'', 15.5.1980</ref> In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung [[1980]] herausgegebenen Begleitband zur Ausstellung ''Widerstand [[1933]] bis [[1945]] - Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegen Hitler'' heißt es zur Wochenzeitschrift ''Blick in die Zeit'': "Eine der eigenartigsten Erscheinungen des deutschen Widerstandes". <ref>Zit. nach Mendel: ''Aktion'', S. 18</ref> Und für [[August Rathmann]] war sie "ein überaus erfolgreicher Versuch, über zwei Jahre hin [...] den inneren Widerstand gegen das System durch eine geschickt getarnte Kritik wachzuhalten und zu nähren."<ref>Rathmann: ''Arbeiterleben'' S. 226</ref>
 
: ''"Eine der eigenartigsten Erscheinungen des deutschen Widerstandes"''. <ref>Zitiert nach K.H. Mendel: Die Aktion Blick in die Zeit. S. 18.</ref>
 
== Literatur ==
* Michael Freund: ''Der Journalist''. In: Jürgen Jensen und Karl Rickers (Hrsg.): ''Andreas Gayk und seine Zeit. 1893-1954. Erinnerungen an den Kieler Oberbürgermeister''. Wachholtz, Neumünster 1974, S. 51-64.
* Ludwig Preller: ''Ein entlarvender Pressespiegel. Beispiele aus "Blick in die Zeit" von 1934.'' Ebenda, S. 69-74.
* August Rathmann: ''Gegen den Nationalsozialismus. Die Berliner Wochenzeitschrift "Blick in die Zeit" 1933 bis 1935.'' Ebenda, S. 65-68.


== Links ==
== Literatur & Links ==
* Kurt Hermann Mendel: ''Die Aktion Blick in die Zeit''. [http://www.gdw-berlin.de/fileadmin/bilder/publ/beitraege/B24.pdf Onlinefassung] (PDF; 3,4&nbsp;MB)
* [[Jürgen Jensen]] / [[Karl Rickers]] (Hrsg.): ''Andreas Gayk und seine Zeit. 1893-1954. Erinnerungen an den Kieler Oberbürgermeister'' (Neumünster 1974) ISBN 3-529-06147-6. Darin:
** [[Michael Freund]]: ''Der Journalist'', S. 51-64
** [[Ludwig Preller]]: ''Ein entlarvender Pressespiegel. Beispiele aus "Blick in die Zeit" von 1934'', S. 69-74
** [[August Rathmann]]: ''Gegen den Nationalsozialismus. Die Berliner Wochenzeitschrift "Blick in die Zeit" 1933 bis 1935'', S. 65-68
* Kurt Hermann Mendel: ''Die Aktion Blick in die Zeit''. [https://www.gdw-berlin.de/fileadmin/bilder/publikationen/beitraege/B24.pdf Onlinefassung] (PDF; 3,3&nbsp;MB)
* [[August Rathmann]]: ''Ein Arbeiterleben. Erinnerungen an Weimar und danach'' (Wuppertal 1983) ISBN 3-87294-213-1


== Quellen ==
== Einzelnachweise ==
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[[Kategorie:Zeitung|Blick in die Zeit]]
[[Kategorie:Zeitung]]
[[Kategorie:Widerstand]]

Version vom 30. September 2020, 21:12 Uhr

Blick in die Zeit, Ausgabe 27 vom 7.7.1934
Blick in die Zeit, Ausgabe 27 vom 7.7.1934

Blick in die Zeit war eine regimekritische, von Angehörigen der verbotenen SPD gemachte Wochenzeitschrift, die vom 16. Juni 1933 bis Ende August 1935[1] jeweils am Sonnabend in Berlin erschien und in ganz Deutschland vertrieben wurde. Viele, die an ihr mitwirkten, kamen aus Kiel.

Entstehung

Die Initiative zur Gründung von Blick in die Zeit ging von dem Werbefachmann Kurt Hermann Mendel (1900-1983) aus. Er hatte das journalistische Konzept entwickelt und beim kleinen Verlag Dr. A. Ristow in Berlin-Halensee untergebracht. Alfred Ristow, ehemals Nachrichtenoffizier im Deutschen Heer und weiterhin gut vernetzt in militärischen Kreisen, war Inhaber eines Betriebes für Fernmeldetechnik; er ließ bei Kurt Hermann Mendel, der an der Berolina-Druckerei beteiligt war, das Mitteilungsblatt eines Offiziersbundes drucken.

Über Blick in die Zeit gab es zwischen Ristow und Mendel aus Sicherheitsgründen nur eine mündliche Vereinbarung: Ristow trat als Herausgeber und Verleger auf, Mendel beteiligte sich mit 50 Prozent der Einlage als stiller Teilhaber am Verlag.[2] Er übernahm auch die Finanzierung des Projekts einschließlich einer Haftung für mögliche Verluste. Diese Konstruktion diente dem persönlichen Schutz aller Beteiligten, die sich - abgesehen von Ristow - durchweg aus sozialdemokratischen Netzwerken vor der NS-Herrschaft kannten und daher Beobachtung durch die "Sicherheitsorgane" befürchten mussten.

Die Auflage betrug etwa 100.000 Exemplare zum Einzelpreis von 0,15 Reichsmark. Die Zahl derer, die sie lasen, soll bei etwa 400.000 bis 500.000 gelegen haben. Diese relativ hohe Verbreitung wurde erreicht durch persönliche Verteilung (vor allem durch alte Funktionäre und Funktionärinnen der "Kinderfreunde"[3]) innerhalb der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Organisationen, die von den Machthabern verboten waren.

Konzept

Mit Blick in die Zeit wurde "der Versuch gemacht, im Rahmen der gleichgeschalteten Presse eine Wochenzeitung zu veröffentlichen, die den monotonen Blätterwald auflockern sollte."[4] Der Untertitel Pressestimmen des In- und Auslandes für Wirtschaft, Politik und Kultur machte das Konzept deutlich: Man brachte keine eigenen Artikel, sondern bereits in anderen öffentlich verkauften in- oder ausländischen Presseorganen erschienene Textausschnitte. Kurt Hermann Mendel erläutert:

"Es ging [...] nicht darum, eigene Stellungnahmen zu den behandelten Themen abzugeben, sondern durch die Vielfalt der gedruckten Nachrichten, Meinungen und Auffassungen anderer Publikationen es dem Leser selbst zu überlassen, Rückschlüsse zu ziehen."[5]

Beilage

Karl Rickers redigierte die parallel erscheinende, nicht einzeln verkäufliche Beilage Kurze Pause!, kurz KP! und gewann dadurch umfassenden Einblick in die Arbeitsweise des Herausgebers, der Redaktion und des Vertriebes.[6] Für die Beilage lieferte neben Karl Rickers der Kieler Hans Adam Textbeiträge. Auch sie wurde im August 1935 verboten.

Beteiligte

Der Kreis der Beteiligten war aus nachvollziehbaren Gründen überschaubar.

  • Hauptberuflicher, aber inoffizieller Schriftleiter wurde Andreas Gayk, vor 1933 Redakteur bei der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung in Kiel; er ging nach Berlin, weil er in seiner Heimatstadt unter Beobachtung durch die Gestapo stand. Er holte seine Familie nach und wurde in der Redaktionsarbeit sehr von seiner Ehefrau Frieda Gayk unterstützt.
  • Die hauptberufliche Geschäftsleitung lag bei Kurt Exner, vor 1933 Gewerkschaftssekretär beim ADGB in Berlin, nach Ende der NS-Herrschaft Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und Berliner Senator für Arbeit und Soziales.
  • Den Vertrieb übernahm Hans Weinberger, der aus seiner Zeit als Geschäftsführer der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde über ein weitgespanntes Netz von Kontakten verfügte, die jetzt für die Verteilung des - legalen - Blattes eingesetzt wurden und dadurch gleichzeitig die Möglichkeit erhielten, unauffällig miteinander in Kontakt zu bleiben.

Andreas Gayk zog weitere Gleichgesinnte zur Mitarbeit heran:

Mehrere von ihnen übernahmen ab 1945 herausragende Positionen in Politik, Wirtschaft oder Kultur.

Karl Rickers konnte in einem Rückblick feststellen, dass der Blick in die Zeit in den zwei Jahren seines Erscheinens ohne größere Einflüsse der Zensurbehörden geblieben war. Erst ein Artikel zum Thema Die Zukunft des Krieges führte im August 1935 zum Verbot der Zeitschrift.

Die Pflege eines Netzwerks im Untergrund schuf eine Basis, auf der nach dem Ende der NS-Herrschaft die Wiedergründung der SPD und der Gewerkschaften, aber auch ein Aufbau der Verfassungsorgane möglich war.

Dokumentation

Die Aktion Blick in die Zeit wurde nach dem Ende der NS-Herrschaft nur wenig dokumentiert. Erste Darstellungen gab es 1974 von den Autoren Michael Freund, August Rathmann und Ludwig Preller in dem Erinnerungsbuch über Andreas Gayk. Sie berichteten als mitwirkende Redakteure über ihre eigenen Tätigkeiten sowie über das gesamte Konzept. 1980 folgte ein Bericht in der Badischen Zeitung.[9] In dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung 1980 herausgegebenen Begleitband zur Ausstellung Widerstand 1933 bis 1945 - Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegen Hitler heißt es zur Wochenzeitschrift Blick in die Zeit: "Eine der eigenartigsten Erscheinungen des deutschen Widerstandes". [10] Und für August Rathmann war sie "ein überaus erfolgreicher Versuch, über zwei Jahre hin [...] den inneren Widerstand gegen das System durch eine geschickt getarnte Kritik wachzuhalten und zu nähren."[11]

Literatur & Links

Einzelnachweise

  1. Entweder 24. oder 31.8.1935
  2. Rathmann: Nationalsozialismus, S. 65 f.
  3. Rathmann: Arbeiterleben S. 189
  4. Rathmann: Arbeiterleben, S. 188
  5. Mendel: Aktion, S. 5
  6. Rathmann: Nationalsozialismus, S. 67
  7. Vgl. Eintrag von 2016 in Wikipedia: Blick in die Zeit
  8. Jensen/Rickers: Andreas Gayk, S. 262
  9. Henning Harmsen: Widerstand mit Schere und Klebstoff, Badische Zeitung, 15.5.1980
  10. Zit. nach Mendel: Aktion, S. 18
  11. Rathmann: Arbeiterleben S. 226


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