Bundestagswahl 1969: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Bundestagswahl 1969''' fand am [[28. September]] [[1969]] statt. Die SPD kann mit [[Willy Brandt]], der zum dritten Mal als Spitzenkandidat antritt, und der FDP als Koalitionspartner, eine Mehrheit erringen und eine sozialliberale Regierung zu bilden.
Die '''Bundestagswahl 1969''' fand am [[28. September]] [[1969]] statt. Die SPD konnte mit [[Willy Brandt]], der zum dritten Mal als Spitzenkandidat antrat, und der FDP als Koalitionspartner eine Mehrheit erringen und eine sozialliberale Regierung zu bilden.


== Kandidaturen ==
== Kandidaturen ==
Der SPIEGEL berichtet [[1969]] über eine Welle von jungen Politikern in SPD, CDU und FDP, die sich um Mandate bewerben:  
Seit der [[Bundestagswahl 1953]] war die Landesliste der SPD Schleswig-Holstein praktisch unverändert geblieben. Nur im Falle des Todes eines Abgeordneten, übernahm sein Wahlkreis-Nachfolger die Position.<ref>Kaack, Heino: ''Wahlkreisgeographie und Kandidatenauslese: Regionale Stimmenverteilung, Chancen der Kandidaten und Ausleseverfahren, dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1965.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2013.</ref> Der SPIEGEL berichtete [[1969]] über eine Welle von jungen Politikern in SPD, CDU und FDP, die sich um Mandate bewarben:  


"Sogar Schleswig-Holstein, das seine SPD-Kandidaten [[Bundestagswahl 1965|1965]] noch kampflos benannt hatte, erlebte diesmal in einem Viertel der Wahlkreise Kampfabstimmungen."<ref>DER SPIEGEL: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'' 7.7.1969</ref>
"Sogar Schleswig-Holstein, das seine SPD-Kandidaten [[Bundestagswahl 1965|1965]] noch kampflos benannt hatte, erlebte diesmal in einem Viertel der Wahlkreise Kampfabstimmungen."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref>


In Lübeck traute sich der Kandidat der [[Jusos]] den etablierten Abgeordneten herauszufordern. Am [[2. Dezember]] [[1968]] meldeten die Kieler Nachrichten:
Aus Altersgründen verzichteten [[Bruno Diekmann]] und [[Fritz Sänger]] auf erneute Kandidaturen.
: "Auf ihrem außerordentlichen Kreisparteitag nominierte am Sonntag die Lübecker SPD als Bundestagskandidaten für den Wahlkreis 11 (Lübeck) bei den [[Bundestagswahl 1969|Bundestagswahlen 1969]]" den 29jährigen Studenten Björn Engholm. Engholm erhielt 108 von 160 Stimmen, der bisherige Bundestagsabgeordnete [[Karl Regling]] nur 49 Stimmen."<ref>''SPD: Student kandidiert'', ''Kieler Nachrichten'', 2.12.1968</ref>
 
In [[Kreisverband Lübeck|Lübeck]] traute sich der Kandidat der [[Jusos]], den etablierten Abgeordneten herauszufordern. Am [[2. Dezember]] [[1968]] kam die Meldung:
: "Auf ihrem außerordentlichen Kreisparteitag nominierte am Sonntag die Lübecker SPD als Bundestagskandidaten für den Wahlkreis 11 (Lübeck) bei den Bundestagswahlen 1969" den 29jährigen Studenten [[Björn Engholm]]. Engholm erhielt 108 von 160 Stimmen, der bisherige Bundestagsabgeordnete [[Karl Regling]] nur 49 Stimmen."<ref>''SPD: Student kandidiert'', ''Kieler Nachrichten'', 2.12.1968</ref>


[[Datei:Fotos 5414.jpg|thumb|280px|right|Wahlkampfauftakt in Kiel mit Norbert Gansel und Hans Müthling]]
[[Datei:Fotos 5414.jpg|thumb|280px|right|Wahlkampfauftakt in Kiel mit Norbert Gansel und Hans Müthling]]
Im [[Kreisverband Kiel|Kiel]] spielten die [[Jusos]] dagegen auf Zeit:
Im [[Kreisverband Kiel|Kiel]] spielten die [[Jusos]] dagegen auf Zeit:
: "Die Jüngsten der Jusos fanden es daher ratsam, sich zuweilen mit den Großvätern zu verbünden und die Altherren so lange amtieren zu lassen, bis sie selbst stark genug sein würden, Ansprüche auf die Nachfolge anzumelden. Im Wahlkreis 6 Kiel verhalfen die Jusos zum Beispiel dem bisherigen Abgeordneten [[Hans Müthling|Dr. Hans Müthling]], 67, zum Sieg über [[Emil Bandholz|Dr. Emil Bandholz]], 57. Der Erbstreit wurde zugunsten der Jüngsten vertagt."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref>


: "Die Jüngsten der Jusos fanden es daher ratsam, sich zuweilen mit den Großvätern zu verbünden und die Altherren so lange amtieren zu lassen, bis sie selbst stark genug sein würden, Ansprüche auf die Nachfolge anzumelden. Im Wahlkreis 6 Kiel verhalfen die Jusos zum Beispiel dem bisherigen Abgeordneten [[Hans Müthling|Dr. Hans Müthling]], 67, zum Sieg über [[Emil Bandholz|Dr. Emil Bandholz]], 57. Der Erbstreit wurde zugunsten der Jüngsten vertagt. "<ref>DER SPIEGEL: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'' 7.7.1969</ref>
Bei der [[Bundestagswahl 1972]] kandidierte dann der 32-jährige Juso [[Norbert Gansel]] für die Kieler SPD.


Bei der [[Bundestagswahl 1972]] kandidierte der 32-jährige [[Norbert Gansel]] für die Kieler SPD.
In Rendsburg-Neumünster gab es ein besonderes Problem:
: "Die Genossen in Rendsburg-Neumünster weigerten sich, den national-konservativen Chef des Bundes der Vertriebenen, [[Reinhold Rehs]], fürderhin in ihrem Wahlkreis zu dulden."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref>


: "Die Genossen in Rendsburg-Neumünster weigerten sich, den national-konservativen Chef des Bundes der Vertriebenen, [[Reinhold Rehs]], fürderhin in ihrem Wahlkreis zu dulden."<ref>DER SPIEGEL: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'' 7.7.1969</ref>  
Als Präsident des Bundes der Vertriebenen kritisierte [[Reinhold Rehs]] [[1968]] die Beschlüsse der SPD zur Oder-Neiße-Grenze. Damit stellte er sich offen gegen die [[Deutschlandpolitik|Ostpolitik]] [[Willy Brandt]]s. Die schleswig-holsteinischen [[Jusos]] forderten ihn daraufhin auf, sein Mandat niederzulegen, und kündigten an, sie würden seine erneute Kandidatur zur Bundestagswahl 1969 verhindern. Der Juso-Landesvorsitzende [[Günther Jansen]] schrieb ihm einen offenen Brief: Der SPD werde im Stil eines NPD-Manifests "Wortbruch, Verzichtbereitschaft, Kapitulation und Zwielichtigkeit" unterstellt. In dem Loyalitätskonflikt zwischen Vertriebenenverband und SPD habe sich Rehs für den Verband entschieden.<ref>''Krach um Reinhold Rehs'', ''Kieler Nachrichten'', 5.4.1968</ref> Am [[10. Mai]] [[1969]] trat [[Reinhold Rehs]] zur CDU über. Um trotzdem Vertriebenen-Stimmen für die SPD zu sichern, setzte der Parteivorstand ungewöhnlicherweise den Sprecher der Schlesischen Landsmannschaft, [[Herbert Hupka]], auf einen aussichtsreichen Listenplatz, obwohl er nicht in einem Wahlkreis antrat.<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref> [[1972]] wechselte allerdings auch [[Herbert Hupka]] zur CDU und wurde damit einer der Auslöser für das Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler [[Willy Brandt]].


Als Präsident des Bundes der Vertriebenen kritisierte Reinhold Rehs [[1968]] die Beschlüsse der SPD zur Oder-Neiße-Grenze. Damit stellte er sich offen gegen die Ostpolitik [[Willy Brandt|Willy Brandts]]. Die schleswig-holsteinischen [[Jusos]] forderten ihn daraufhin auf, sein Mandat niederzulegen, und kündigten an, sie würden seine erneute Kandidatur zur [[Bundestagswahl 1969]] verhindern. Der damalige Juso-Landesvorsitzende [[Günther Jansen]] schrieb ihm einen offenen Brief: Der SPD werde im Stil eines NPD-Manifests "Wortbruch, Verzichtbereitschaft, Kapitulation und Zwielichtigkeit" unterstellt. In dem Loyalitätskonflikt zwischen Vertriebenenverband und SPD habe sich Rehs für den Verband entschieden.<ref>''Krach um Reinhold Rehs'', ''Kieler Nachrichten'', 5.4.1968</ref> Am [[13. Mai]] [[1969]] trat [[Reinhold Rehs]] zur CDU über. Um trotzdem Vertriebenen-Stimmen für die SPD einzufangen, setzt der Parteivorstand den Sprecher der Schlesier, [[Herbert Hupka]] auf einen aussichtsreichen Listenplatz, obwohl er keinen Wahlkreis vertritt.<ref>''SPD: Student kandidiert'', ''Kieler Nachrichten'', 2.12.1968</ref>
Auf einem Unterbezirksparteitag im Juni [[1968]] stellten sich vier Bewerber für das Direktmandat im Wahlkreis 10 (Stormarn/Lauenburg) vor. Die Delegierten hatten ausgiebig Gelegenheit, sie zu befragen. [[Friedrich Beermann]] (56) lag bei der anschließenden Abstimmung klar vor seinen Mitbewerbern [[Heinz Lund]], [[Friedrich-Wilhelm Witt]] und [[Genosse Baare-Schmidt|Dr. Baare-Schmidt]]. Auf der Wahlkreiskonferenz am [[23. November]] [[1968]] wurde er mit 91 Stimmen gegen 55 Stimmen für [[Heinz Lund]] (43) zum Bundestagskandidaten gewählt.<ref>Siehe Rechenschaftsbericht 1967-1968</ref>


Auf einem Unterbezirksparteitag im Juni dieses Jahres stellten sich vier Bewerber für das Direktmandat im Wahlkreis 10 vor. Nach einer kurzen Selbstvorstellung der Kandidaten hatten die Delegierten ausgiebig Gelegenheit, die Bewerber zu befragen. [[Friedrich Beermann|Dr. Friedrich Beermann]] (56) lag bei der anschließenden Wahl klar vor seinen Mitbewerbern [[Heinz Lund]], [[Friedrich-Wilhelm Witt]] und Dr. Baare-Schmidt. Auf der Wahlkreiskonferenz wurde [[Friedrich Beermann|Dr. Friedrich Beermann]] schließlich am [[23. November]] [[1968]] mit 91 Stimmen gegen 55 Stimmen für [[Heinz Lund]] (43) zum Bundestagskandidaten gewählt.<ref>Rechenschaftsbericht 1967-1968</ref>
Der [[Kreisverband Pinneberg]] nominierte [[Hans-Ulrich Brand]] (39).  
: "Die Genossen in [[Kreisverband Pinneberg|Pinneberg]] waren sich rasch einig, es im Wahljahr [[1969]] ohne ihre alte Abgeordnete und frühere Sekretärin von [[Kurt Schumacher]], [[Annemarie Renger]], 49, zu versuchen."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref>


: "Die Genossen in [[Kreisverband Pinneberg|Pinneberg]] waren sich rasch einig, es im Wahljahr [[1969]] ohne ihre alte Abgeordnete und frühere Sekretärin von [[Kurt Schumacher]], [[Annemarie Renger]], 49, zu versuchen."<ref>DER SPIEGEL: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'' 7.7.1969</ref>
Bei der [[Bundestagswahl 1961]] hatte sie knapp gegen den Alteingesessenen CDU-Abgeordneten verloren. [[Bundestagswahl 1965|1965]] hatte sie dann aber 10-Prozentpunkte hinter einem CDU-Neuling gelegen und die Pinneberger SPD damit enttäuscht. Sie wollten einen anderen Kandidaten.<ref>Kaack, Heino: ''Wahlkreisgeographie und Kandidatenauslese: Regionale Stimmenverteilung, Chancen der Kandidaten und Ausleseverfahren, dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1965.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2013.</ref>


Der [[Kreisverband Pinneberg]] nominierte stattdessen [[Hans-Ulrich Brand]]. Für die "Sekretärin von [[Kurt Schumacher]]" war die Karriere mit 49 allerdings noch nicht zuende: "Interventionen des Parteivorstands zugunsten von Renger, Rehs und Blachstein blieben ohne Erfolg. Die SPD-Dame holte sich noch eine zweite Abfuhr von den Delegierten im Wahlkreis Bonn-Bad Godesberg, ehe sie in letzter Stunde noch einen Platz im Wahlkreis 77 Neuß-Grevenbroich ergatterte."<ref>DER SPIEGEL: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'' 7.7.1969</ref> [[Annemarie Renger]] wurde [[1972]] als erste Frau und als erste SPD-Abgeordnete Präsidentin des Deutschen Bundestages.<ref>Grunenberg, Nina: ''[http://www.zeit.de/1972/48/vier-frauen-fuer-ein-halleluja/komplettansicht Wahl des Bundestagspräsidenten: Vier Frauen für ein Halleluja]'', DIE ZEIT, 1.12.1972</ref>
Für die "Sekretärin von [[Kurt Schumacher]]" war die Karriere mit 49 Jahren allerdings noch nicht zuende: "Interventionen des Parteivorstands zugunsten von Renger, Rehs und Blachstein blieben ohne Erfolg. Die SPD-Dame holte sich noch eine zweite Abfuhr von den Delegierten im Wahlkreis Bonn-Bad Godesberg, ehe sie in letzter Stunde noch einen Platz im Wahlkreis 77 Neuß-Grevenbroich ergatterte."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45702036.html Die Vatermörder]'', DER SPIEGEL, 7.7.1969</ref> [[Annemarie Renger]] kam wieder in den Bundestag und wurde [[1972]] als erste Frau und als erste SPD-Abgeordnete Präsidentin des Deutschen Bundestages.<ref>Grunenberg, Nina: ''[http://www.zeit.de/1972/48/vier-frauen-fuer-ein-halleluja/komplettansicht Wahl des Bundestagspräsidenten: Vier Frauen für ein Halleluja]'', DIE ZEIT, 1.12.1972</ref>
 
Die Landesliste wurde dann im März auf dem [[Landesparteitag 1969, Tönning|Landesparteitag in Tönning]] gewählt und sah tatsächlich anders aus, als in den Wahlen davor.


== Wahlergebnis in Schleswig-Holstein ==
== Wahlergebnis in Schleswig-Holstein ==
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! Bundesergebnis
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! Änderung zu 1965
! Änderung zu 1965
! Landesergebnis<ref>Bundeswahlleiter [http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/downloads/bundestagswahlergebnisse/btw_ab49_gesamt.pdf Ergebnisse früherer Bundestagswahlen] Stand: 5. Juni 2014</ref>
! Landesergebnis<ref>Bundeswahlleiter [http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/downloads/bundestagswahlergebnisse/btw_ab49_gesamt.pdf Ergebnisse früherer Bundestagswahlen] Stand: 5.6.2014</ref>
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Über die Liste kommen [[Friedrich Beermann]], [[Klaus Konrad]] und [[Elisabeth Orth]] in den Bundestag.


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== Wahlwerbespots ==
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== Quellen ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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Aktuelle Version vom 6. Dezember 2022, 04:30 Uhr

Die Bundestagswahl 1969 fand am 28. September 1969 statt. Die SPD konnte mit Willy Brandt, der zum dritten Mal als Spitzenkandidat antrat, und der FDP als Koalitionspartner eine Mehrheit erringen und eine sozialliberale Regierung zu bilden.

Kandidaturen

Seit der Bundestagswahl 1953 war die Landesliste der SPD Schleswig-Holstein praktisch unverändert geblieben. Nur im Falle des Todes eines Abgeordneten, übernahm sein Wahlkreis-Nachfolger die Position.[1] Der SPIEGEL berichtete 1969 über eine Welle von jungen Politikern in SPD, CDU und FDP, die sich um Mandate bewarben:

"Sogar Schleswig-Holstein, das seine SPD-Kandidaten 1965 noch kampflos benannt hatte, erlebte diesmal in einem Viertel der Wahlkreise Kampfabstimmungen."[2]

Aus Altersgründen verzichteten Bruno Diekmann und Fritz Sänger auf erneute Kandidaturen.

In Lübeck traute sich der Kandidat der Jusos, den etablierten Abgeordneten herauszufordern. Am 2. Dezember 1968 kam die Meldung:

"Auf ihrem außerordentlichen Kreisparteitag nominierte am Sonntag die Lübecker SPD als Bundestagskandidaten für den Wahlkreis 11 (Lübeck) bei den Bundestagswahlen 1969" den 29jährigen Studenten Björn Engholm. Engholm erhielt 108 von 160 Stimmen, der bisherige Bundestagsabgeordnete Karl Regling nur 49 Stimmen."[3]
Wahlkampfauftakt in Kiel mit Norbert Gansel und Hans Müthling

Im Kiel spielten die Jusos dagegen auf Zeit:

"Die Jüngsten der Jusos fanden es daher ratsam, sich zuweilen mit den Großvätern zu verbünden und die Altherren so lange amtieren zu lassen, bis sie selbst stark genug sein würden, Ansprüche auf die Nachfolge anzumelden. Im Wahlkreis 6 Kiel verhalfen die Jusos zum Beispiel dem bisherigen Abgeordneten Dr. Hans Müthling, 67, zum Sieg über Dr. Emil Bandholz, 57. Der Erbstreit wurde zugunsten der Jüngsten vertagt."[4]

Bei der Bundestagswahl 1972 kandidierte dann der 32-jährige Juso Norbert Gansel für die Kieler SPD.

In Rendsburg-Neumünster gab es ein besonderes Problem:

"Die Genossen in Rendsburg-Neumünster weigerten sich, den national-konservativen Chef des Bundes der Vertriebenen, Reinhold Rehs, fürderhin in ihrem Wahlkreis zu dulden."[5]

Als Präsident des Bundes der Vertriebenen kritisierte Reinhold Rehs 1968 die Beschlüsse der SPD zur Oder-Neiße-Grenze. Damit stellte er sich offen gegen die Ostpolitik Willy Brandts. Die schleswig-holsteinischen Jusos forderten ihn daraufhin auf, sein Mandat niederzulegen, und kündigten an, sie würden seine erneute Kandidatur zur Bundestagswahl 1969 verhindern. Der Juso-Landesvorsitzende Günther Jansen schrieb ihm einen offenen Brief: Der SPD werde im Stil eines NPD-Manifests "Wortbruch, Verzichtbereitschaft, Kapitulation und Zwielichtigkeit" unterstellt. In dem Loyalitätskonflikt zwischen Vertriebenenverband und SPD habe sich Rehs für den Verband entschieden.[6] Am 10. Mai 1969 trat Reinhold Rehs zur CDU über. Um trotzdem Vertriebenen-Stimmen für die SPD zu sichern, setzte der Parteivorstand ungewöhnlicherweise den Sprecher der Schlesischen Landsmannschaft, Herbert Hupka, auf einen aussichtsreichen Listenplatz, obwohl er nicht in einem Wahlkreis antrat.[7] 1972 wechselte allerdings auch Herbert Hupka zur CDU und wurde damit einer der Auslöser für das Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt.

Auf einem Unterbezirksparteitag im Juni 1968 stellten sich vier Bewerber für das Direktmandat im Wahlkreis 10 (Stormarn/Lauenburg) vor. Die Delegierten hatten ausgiebig Gelegenheit, sie zu befragen. Friedrich Beermann (56) lag bei der anschließenden Abstimmung klar vor seinen Mitbewerbern Heinz Lund, Friedrich-Wilhelm Witt und Dr. Baare-Schmidt. Auf der Wahlkreiskonferenz am 23. November 1968 wurde er mit 91 Stimmen gegen 55 Stimmen für Heinz Lund (43) zum Bundestagskandidaten gewählt.[8]

Der Kreisverband Pinneberg nominierte Hans-Ulrich Brand (39).

"Die Genossen in Pinneberg waren sich rasch einig, es im Wahljahr 1969 ohne ihre alte Abgeordnete und frühere Sekretärin von Kurt Schumacher, Annemarie Renger, 49, zu versuchen."[9]

Bei der Bundestagswahl 1961 hatte sie knapp gegen den Alteingesessenen CDU-Abgeordneten verloren. 1965 hatte sie dann aber 10-Prozentpunkte hinter einem CDU-Neuling gelegen und die Pinneberger SPD damit enttäuscht. Sie wollten einen anderen Kandidaten.[10]

Für die "Sekretärin von Kurt Schumacher" war die Karriere mit 49 Jahren allerdings noch nicht zuende: "Interventionen des Parteivorstands zugunsten von Renger, Rehs und Blachstein blieben ohne Erfolg. Die SPD-Dame holte sich noch eine zweite Abfuhr von den Delegierten im Wahlkreis Bonn-Bad Godesberg, ehe sie in letzter Stunde noch einen Platz im Wahlkreis 77 Neuß-Grevenbroich ergatterte."[11] Annemarie Renger kam wieder in den Bundestag und wurde 1972 als erste Frau und als erste SPD-Abgeordnete Präsidentin des Deutschen Bundestages.[12]

Die Landesliste wurde dann im März auf dem Landesparteitag in Tönning gewählt und sah tatsächlich anders aus, als in den Wahlen davor.

Wahlergebnis in Schleswig-Holstein

Zweitstimmen:

Bundesergebnis Änderung zu 1965 Landesergebnis[13] Differenz Land/Bund
SPD 42,7 % +3,4 43,5 % +0,8
CDU 46,1 % -1,5 46,2 % +0,1
FDP 5,8 % -3,7 5,2 % -0,6
Sonstige 5,4 % 5,1 %

Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein: 86,0 %

Wahlkreisergebnisse

Wahlkreis SPD CDU FDP Gewählt
1 Flensburg 46,3 % 44,1 % 4,7 % Walter Suck
2 Schleswig/Eckernförde 40,8 % 49,3 % 4,9 % Gerhard Stoltenberg (CDU)
3 Nordfriesland/Dithmarschen-Nord 36,7 % 51,9 % 6,1 % Hermann Glüsing (CDU)
4 Steinburg/Dithmarschen-Süd 38,7 % 49,9 % 5,2 Kai-Uwe von Hassel (CDU)
5 Rendsburg/Neumünster 42,1 % 48,1 % 4,8 % Detlef Struve (CDU)
6 Kiel 52,0 % 38,2 % 5,0 % Hans Müthling
7 Plön 43,1 % 46,8 % 4,5 % Friedrich-Karl Storm (CDU)
8 Segeberg/Eutin 40,6 % 48,2 % 5,9 % Hans-Jürgen Klinker (CDU)
9 Pinneberg 45,1 % 44,9 % 5,7 % Hans-Ulrich Brand
10 Stormarn/Lauenburg 43,1 % 46,2 % 5,6 % Olaf Baron von Wrangel (CDU)
11 Lübeck 47,9 % 42,8 % 4,5 % Björn Engholm

Über die Liste kommen Friedrich Beermann, Klaus Konrad und Elisabeth Orth in den Bundestag.

Wahlwerbespots

Einzelnachweise

  1. Kaack, Heino: Wahlkreisgeographie und Kandidatenauslese: Regionale Stimmenverteilung, Chancen der Kandidaten und Ausleseverfahren, dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1965. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2013.
  2. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  3. SPD: Student kandidiert, Kieler Nachrichten, 2.12.1968
  4. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  5. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  6. Krach um Reinhold Rehs, Kieler Nachrichten, 5.4.1968
  7. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  8. Siehe Rechenschaftsbericht 1967-1968
  9. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  10. Kaack, Heino: Wahlkreisgeographie und Kandidatenauslese: Regionale Stimmenverteilung, Chancen der Kandidaten und Ausleseverfahren, dargestellt am Beispiel der Bundestagswahl 1965. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2013.
  11. Die Vatermörder, DER SPIEGEL, 7.7.1969
  12. Grunenberg, Nina: Wahl des Bundestagspräsidenten: Vier Frauen für ein Halleluja, DIE ZEIT, 1.12.1972
  13. Bundeswahlleiter Ergebnisse früherer Bundestagswahlen Stand: 5.6.2014