Erklärung von Sozialdemokraten und Kommunisten Kiels vom 1. Sept. 1945: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Vorgeschichte dieser Erklärung ist in einem Papier mit dem Titel ''Die Bemühungen zur Schaffung einer Einheitsfront'' vom [[11. August]] [[1945]] zusammengefasst.<ref>Ebenfalls aus dem Archiv von Karl Altewolf. Der Autor ist nicht vermerkt. Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechend der vorliegenden Kopie.</ref> Hier der Wortlaut:
Die Vorgeschichte dieser Erklärung ist in einem Papier mit dem Titel ''Die Bemühungen zur Schaffung einer Einheitsfront'' vom [[11. August]] [[1945]] zusammengefasst.<ref>Ebenfalls aus dem Archiv von Karl Altewolf. Der Autor ist nicht vermerkt. Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechend der vorliegenden Kopie.</ref> Hier der Wortlaut:


:"Am Sonntag den [[5. August]] [[1945]] kamen folgend Genossen von der SPD zusammen um den Vortrag des Genossen [[Karl Meitmann|Karl (Jack) Meitmann]] zu hören, der von Hamburg mit dem Auftrag kam, in Kiel eine Einheitsfront beider Arbeiterparteien, der KPD und der SPD, ins Leben zu rufen nach dem Hamburger Muster.
:"Am Sonntag den [[5. August]] [[1945]] kamen folgend[e] Genossen von der SPD zusammen um den Vortrag des Genossen [[Karl Meitmann|Karl (Jack) Meitmann]] zu hören, der von Hamburg mit dem Auftrag kam, in Kiel eine Einheitsfront beider Arbeiterparteien, der KPD und der SPD, ins Leben zu rufen nach dem Hamburger Muster.


:Anwesend: [[Albert Witte|Alb. Witte]] - [[Hans Schröder]] - [[Hans Stade]] - [[Erich Lüneburg]] - [[Ernst Lethi]] - [[Otto Engel|Otto]] + [[Willi Engel]] - [[Kurt Fritsche]] - [[Emil Bandholz]] - [[Theodor Werner|Theo. Werner]] - [[Ludwig Staal|Lud. Staal]] - [[Bruno Diekmann]] - [[Wilhelm Kuklinski|Wilh. Kuklinski]] - [[Rudolf Grube|Rud. Grube]] - [[Ernst Tessloff]] - [[Heinrich Kähler|Hein. Kähler]] - [[Walter Kowalewski]] - [[Genosse Gehrke|Gehrke]] - [[Karl Ratz]] - [[Genosse Meier-Grieben|Meier-Grieben]] - [[Hans Adam]] + [[Anton Meitmann|Anton]], [[Bill Meitmann|Bill]] und [[Wilhelm Meitmann|Wilh. Meitmann]]
:Anwesend: [[Albert Witte|Alb. Witte]] - [[Hans Schröder]] - [[Hans Stade]] - [[Erich Lüneburg]] - [[Ernst Lethi]] - [[Otto Engel|Otto]] + [[Willi Engel]] - [[Kurt Fritsche]] - [[Emil Bandholz]] - [[Theodor Werner|Theo. Werner]] - [[Ludwig Staal|Lud. Staal]] - [[Bruno Diekmann]] - [[Wilhelm Kuklinski|Wilh. Kuklinski]] - [[Rudolf Grube|Rud. Grube]] - [[Ernst Tessloff]] - [[Heinrich Kähler|Hein. Kähler]] - [[Walter Kowalewski]] - [[Genosse Gehrke|Gehrke]] - [[Karl Ratz]] - [[Genosse Meier-Grieben|Meier-Grieben]] - [[Hans Adam]] + [[Anton Meitmann|Anton]], [[Bill Meitmann|Bill]] und [[Wilhelm Meitmann|Wilh. Meitmann]]

Version vom 30. März 2016, 13:13 Uhr

Kopf der Erklärung

Die Erklärung von Sozialdemokraten u. Kommunisten Kiels vom 1. Sept. 1945 wurde, wie der Titel sagt, im September veröffentlicht. Sie lautete[1]:


S o z i a l d e m o k r a t e n und K o m m u n i s t e n Kiels!

Mit der Aufhebung des Verbotes der Neubildung von Parteien sind die

Sozialdemokratische Partei und die Kommunistische Partei

als politische Parteien zugelassen. Beide befinden sich jetzt im Besitz der formellen Genehmigung ihrer Neugründung. Der Übergang von der Illegalität in den gesetzmäßigen Zustand stellt uns vor die Aufgabe, die Organisationen auf breiter Grundlage wieder aufzubauen.

Wir rufen daher unsere Funktionäre und Anhänger auf, mit dieser Arbeit unverzüglich zu beginnen. Nähere Anweisungen hierfür erfolgen durch die provisorischen Organisationsleitungen, die den Antinazi-Kampf bereits während des Hitler-Terrors durchzuführen begonnen haben.

Es kommt darauf an, die beiden großen Arbeiterparteien in kürzester Frist beschluß- und aktionsfähig zu machen. Mit dieser Arbeit treten die beiden Parteien in einen friedlichen Wettbewerb, von dem es abhängt, daß ein großes erstes Ziel schnellstens erreicht wird.

Die beiden provisorischen Leitungen sind sich darin einig, daß als erste und dringlichste Aufgabe erreicht werden muß, der Zusammenschluß beider Richtungen, in einer einzigen

Sozialistischen Partei!

Beide Leitungen, zusammengefaßt in einem sechsköpfigen Aktions-Ausschuß, sind fest entschlossen und legen sich nachdrücklichst darauf fest, in ihren Organisationen für den baldigsten Zusammenschluß mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und ihrem ganzen Einfluß einzutreten. Der Zusammenschluß selber soll erfolgen durch freie Abstimmung der beschlußfähigen Mitgliedschaften.

Er erhält seine Massenbasis in der innerparteilichen Demokratie. Seine letzte Reife soll dieser Beschluß finden in der gemeinsamen Aktion für die Lösung der Tagesaufgaben, die uns für die nächste Zeit gestellt sind. Wir stimmen darin überein, daß wir mit dieser Einigung Vollstrecker des eindeutigen Massenwillens des klassenbewußten Proletariats sind und damit auch organisatorisch und formell einen Zustand verwirklichen, der im persönlichen Verhältnis unserer Anhänger zueinander und in ihrer gemeinsamen Zielsetzung bereits Tatsache geworden ist.

Beide Parteien verpflichten sich:

  1. Bis zum vollzogenen Zusammenschluß keinerlei feindliche und gehässige Handlungen gegeneinander zu begehen und zu dulden. Beide Parteien werden vielmehr in kameradschaftlichem Geiste und auf der Grundlage gegenseitiger persönlicher Achtung alle Kraft einträchtig auf die gemeinsame Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben verwenden und den Gegnern der Arbeiterklasse eine geschlossene Phalanx des Füreinander-Eintretens entgegenstellen.
  2. Das innerorganisatorische Leben ihrer Partei so zu gestalten, als wenn die Vereinigung bereits vollzogen wäre. Insbesondere soll nach einer ersten kurzen Aufbauzeit, die Zusammenführung ihrer Mitglieder gefördert und jede Agitation untereinander schon jetzt unterlassen werden.
  3. In der Werbung Sicherungen und Vorkehrungen zu treffen, die es Nazi-Elementen und Reaktionären, sowie noch näher zu vereinbarenden Kreisen unmöglich machen, in einer der beiden Parteien Tarnung und Unterschlupf zu finden.
  4. Im Hinblick auf ihre politische Wirksamkeit, die Möglichkeit einer gesetzmäßigen Existenz nicht zu gefährden und alles zu unterlassen, was sie in einen krisenhaften Konflikt zu den Besatzungs-Behörden bringen könnte.

Beide Parteien werden gemeinsam auf der Grundlage eines Aktionsprogramms, dessen Gültigkeit zeitlich begrenzt und nur für das Kieler Gebiet gedacht ist, eine Reihe vordringlicher Aufgaben auf folgenden Gebieten durchführen:

  1. Maßnahmen gegen Hunger, Kälte und Seuchen.
  2. Maßnahmen gegen das Wohnungselend.
  3. Maßnahmen in der Wirtschaft und in der Sozialpolitik.
  4. Antinazi-Aktionen.
  5. Maßnahmen auf dem Gebiete des kulturellen Lebens.

Auf der Grundlage gemeinsamen Handelns der sozialdemokratischen und kommunistischen Genossen soll die

eine Sozialistische Partei

entstehen.

Die blutige Lehre der zwölfjährigen Hitler-Diktatur im Innern, des Hitler-Krieges nach außen und seiner großen sozialen Umwälzungen heißt für alle schaffenden Männer und Frauen eindeutig:

Einigkeit, Einheit und nie wieder Bruderkampf!


Die Unterschriften unter der Erklärung

Die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei:

(Unterschriften: Karl Ratz, Ludwig Staal, Otto Engel)

Die Vertreter der Kommunistischen Partei:

(Unterschriften: Preßler[2], Schlarbaum, Oertel)

Kiel, den 1. September 1945

Vorgeschichte

Die Vorgeschichte dieser Erklärung ist in einem Papier mit dem Titel Die Bemühungen zur Schaffung einer Einheitsfront vom 11. August 1945 zusammengefasst.[3] Hier der Wortlaut:

"Am Sonntag den 5. August 1945 kamen folgend[e] Genossen von der SPD zusammen um den Vortrag des Genossen Karl (Jack) Meitmann zu hören, der von Hamburg mit dem Auftrag kam, in Kiel eine Einheitsfront beider Arbeiterparteien, der KPD und der SPD, ins Leben zu rufen nach dem Hamburger Muster.
Anwesend: Alb. Witte - Hans Schröder - Hans Stade - Erich Lüneburg - Ernst Lethi - Otto + Willi Engel - Kurt Fritsche - Emil Bandholz - Theo. Werner - Lud. Staal - Bruno Diekmann - Wilh. Kuklinski - Rud. Grube - Ernst Tessloff - Hein. Kähler - Walter Kowalewski - Gehrke - Karl Ratz - Meier-Grieben - Hans Adam + Anton, Bill und Wilh. Meitmann
Die Sitzung eröffnete Karl Ratz indem er darauf hinwies, daß wir mit dem größten Interesse der Saffung einer Einheitsfront entgegensehen, daß wir aber auch skeptisch sind, da wir wissen, daß die KPD bereits seit dem 6.Mai besteht und ihre Organisation aufbaut. Es scheint so, daß die KPD bereits vom Zentralausschuß ihr Aktionsprogramm mit gebundener Marschroute bekommen hat. Umsomehr würden wir es aber begrüssen, wenn die Einheitspartei aller Schaffenden doch Wirklichkeit wird.
Und nun sprach Jack Meitmann. 1 1/2 Std. lang, mit einer Beredsamkeit, als ob es gelte, Nazis zur Einheitsfront zu bekehren. Er erwähnte zunächst seine Person und die Gerüchte die über ihn im Umlauf sind. Ausser der DAF [Deutsche Arbeitsfront der Nationalsozialisten] gehörte er nur dem Grenzschutz an, eine Äusserung, die ohne Widerspruch nur stillschweigend zur Kenntnis genommen wurde. Dann sprach er weiter davon, daß er sowie der Gen. Dettmann von der KP in Hamburg am Grab eines Genossen , wo die Hamburger Arbeiterschaft mit 3000 Mann aufmarschiert war, um gleichzeitig damit eine politische Kundgebung zu veranstalten, verhaftet wurden und 24 Std, zusammen mit Gestapoagenten eingesperrt waren, wie also in Hamburg gearbeitet wird, und wenn es nicht geht mit dem Tommy [der britischen Besatzungsmacht], dann eben ohne ihn, und sogar gegen ihn.
Im einzelnen führte er aus : Eine Revulotion ist vollzogen, zwar noch nicht politisch, und auch noch nicht im Bewusstsein der Massen, aber wirtschaftlich tatsächlich. Der Wille ist vorhanden, zur Einheitsfront zu kommen innerhalb der vergrösserten Arbeiterschaft. Für uns alle erhebt sich die grosse Frage ? Ist das nun echt von Seiten der KP oder ist dies auch nur eine Taktik ? 12 Jahre Hitlerherrschaft haben einen revulotionären Schwung nach vorwärts gemacht. Heute noch nicht erkennbar, aber in wirtschaftlicher Hinsicht tatsächlich.
Millionen von Kleinbürgern sind soziologisch und ökonomisch verproletarisiert. Sie stehen schlechter da, wie der gelernte Facharbeiter, da sie bezahlt und verwendet werden als Hilfsarbeiter. Eine vollkommene Desorganisation des ganzen geistigen Lebens ist erkennbar. Ein kurzer historischer Rückblick : Was war die Aufgabe der SPD bis 1933 ? Nach 1918 hatte sie eine Chance, durch die Wirtschaftsdemokratie,der Prozeß der täglichen kleinen Erfolge im Parlament zum Sozialismus zu kommen. Die Absicht war gut, aber der evulotionäre Weg ist nicht gangbar. Die Aufgabe der KP bis 1933: Den Aufbau Russlands zu sichern, Deutschland auszubauen als Vorfestung für Russland. Mit dem Wegfall der Schwäche Russlands kann dieser Staat jetzt eine ganz andere Politik treiben. Die Sowjetunion hat einen Machtzuwachs erhalten der unerhört ist. Die Dinge sind im Laufen, die Weltgeschichte hat Siebenmeilenstiefel an. Die KPD hat eine Schwenkung vorgenommen von genau 180 Grad. Das neue Russland braucht nicht mehr zu fürchten einen neuen Angriff der vereinigten westlichen Länder. Je grösser die Macht, umsomehr entfällt der administrative Druck, der uns allen unsympatisch war. Russland ist auf dem Wege zur Demokratie, das erste Mal in der Geschichte, daß eine Diktatur nicht gestürzt wird, sondern sich langsam entwickelt zur Demokratie. Nicht mehr allein können wir nun unser Leben bestimmen, sondern sind abhängig von dem, was die Besatzungsmächte von uns verlangen.
Tessloff : Russland ist national, der russische Soldat ist nicht marschiert gegen den Faschismus, sondern nur für den Erhalt der russischen Nation. Auch unsere besten Geister haben sich geirrt, in der Erreichung des sozialistischen Zieles. August Bebel meinte, in 10 Jahren ist es soweit. Die neue Bewegung darf nur die aktiven Elemente erfassen. Es muss eine Ehre sein, der Partei anzugehören. Er erinnert an Kiel vor 33 , wir hatten 12000 Mitglieder, aber nur 10 Prozent waren aktiv. Der Kampf, die idiologische Auseinandersetzung mit dem Faschismus steht noch bevor. Ideen kann man nicht mit Ideen bekämpfen, man muß sie gegenstandslos machen. In allen kapitalistischen Länder herscht ein starkes Streben, die Demokratie abzuwürgen. Der Faschismus ist eine internationale Angelegenheit. Der letzte konservative Kurs in England war auch faschistisch, mit demokratischen Vorzeichen. Im gleichen Augenblick, wo England und Amerika nicht mehr rüsten können, entsteht eine grosse Krise. Die Krise ist jetzt ein Dauerzustand im kapitalistischen Ländern. Dann schnitt er die Kardinalfrage an : Wie stehst Du zu Russland ? Wir müssen die russische Politik nur fördern. Unsere Aufgaben aber sind deutsche und westeuropäische Probleme. Im Gegensatz zu Meitmann : Russland ist nicht so stark, ist nicht als der grosse Sieger aus diesem Krieg hervorgegangen. Es könnte immer noch zu einem Krieg zwischen Angloamerikanern und Russland kommen, denn Russlands Streben ging seit dem Betsehen seiner Geschichte danach, einen warmen Hafen zu bekommen. Und diesen warmen, eisfreien Hafen hat es auch jetzt nicht erhalten. Er begründet das:
  • 1. In Griechenland. Die Elasverbände, wenn auch nicht kommunistisch, aber stark kommunistisch durchsetzt, wollten Griechenland zur Sowjetunion schlagen,um dadurch für Russland den Zugang zum Mittelmeer zu bekommen. Dieser Versuch wurde von England mit Waffengewalt blutig unterdrückt, und Russland mußte sich zurück ziehen.
  • 2. In Triest hat Marschall Tito es versucht,Triest für Russland zu gewinnen. Wir haben es in Deutschland nicht so bemerken können, aber wie uns Genossen aus Schweden berichten, hielt seinerzeit die Welt den Atem an, ob es wirklich Tito, und damit Moskau wagen würde, den Kampf aufzunehmen gegen die Truppen des inzwischen gelandeten englischen Heeres unter [Feldmarschall Harold] Alexander. Tito zog sich zurück.
  • 3. Als die russischen Truppen die Insel Bornholm besetzten und Dänemark benachrichtigten, daß sie kommen würden und ihr Land von den deutschen Eindringlingen zu befreien, benachrichtigten die Dänen sofort England, welche darauf bei Lauenburg über die Elbe setzten, und vorstiessen bis Wismar, um den Russen
  • 4. den Weg abzuschneiden, um das Gebiet rechts der Elbe unter Einschluss Hamburgs und nördlich mindestens bis zum Nord-Ostseekanal nicht in die Hände der Sowjets fallen zu lassen. Ein Gebiet, auf das die Russen auf allen Konferenzen Anspruch erhoben haben.
  • 5. Die Dardanellen, immer eine strittige Frage, sind jetzt wohl den Russen überlassen, zur freien Durchfahrt, aber die Befestigungsanlagen die diese Durchfahrt beherrschen wurden nicht geschleift, obwohl Russland das verlangte, sondern befinden sich unter Englands Herrschaft, welche damit jederzeit die Durchfahrt wieder unterbinden können.
Bandholz : Russland ist kein sozialistischer Staat, sondern ein staatskapitalistisches Gebilde mit sozialistischer Färbung. Wir dürfen Russland nicht aus dem Glauben beurteilen, sondern ganz nüchtern und sachlich. Er zitiert Lenin : Bevor Einigung - erst richtige Abgrenzung. Deutschland wird nie wieder eine Grossmacht, wir sind abgemeldet für immer. Ich würdige voll und ganz den volkswirtschaftlichen Aufbau Russlands, muß aber sagen, daß kein Anhaltspunkt zur sozialistischen Gestaltung vorhanden ist. Die grosse Frage : Wie verhält sich die Sowjetunion zur deutschen Arbeiterschaft, und meint, daß die Russen nicht das mindeste Interesse an einer sozialistischen deutschen Arbeiterschaft hat.
Anton Meitmann : Wir müssen einen Blick in die Zukunft tuen. Wir werden ganz traurige ökonomische Verhältnisse bekommen. Unsere tatsächliche praktische Arbeit liegt in der Organisation. In der Org. liegt die Stärke. Wir als organisierte Arbeiter haben ein Verantwortungsbewusstsein der Gesamtarbeiterschaft gegenüber.
Bruno Diekmann : Er steht mit Tessloff auf dem Standpunkt, daß nicht die KP Russlands einen großen Machtzuwachs bekommen habe, sondern das die Stärkeren aus diesem Kriege die Angloamerikaner sind. Eine allgemeine politische Müdigkeit ist eingetreten. Wenn wir uns nicht einig werden können, dann werden die Liberalen bei der nächsten Wahl das Rennen machen. Es ist jetzt die höchste Zeit, die Einheitsfront Wirklichkeit werden zu lassen, und nicht erst am 1.Januar.
Tessloff : Der jetzige Zustand,der Grenzziehung Deutschlands ist unhaltbar, und trägt den Keim für künftige Kriege in sich. Der Leidtragende im nächsten Krieg wird in erster Linie die deutsche Arbeiterschaft sein. Die Probleme um Deutschland sind unlösbar. Es handelt sich um einfache Machtkämpfe in Deutschland zwischen Russland und England.
Wilhelm Kuklinski : Der Krieg hat eine ganz rasende Entwicklung zum Sozialismus gemacht. Die Wirtschaft geht voran, die Politik hinkt hinterher. Er sprach über östliche und westliche Kultur, und meinte in allem was wir sind, sind wir es geworden durch die westliche Kultur. Die neue Partei darf keine paritätische Zusammensetzung als Voraussetzung haben, sondern die Kieler Arbeiterschaft muß sich ihre Führer selbst wählen. Man muß fortlaufend seine politischen Erkenntnisse erweitern, die Kommunisten haben eine abgeschlossene Bildung. Der Weg ist schwerer nach eigener Welterkenntnis zu streben, als ein blosses Nachbeten der komm. Parolen. Wir können jetzt eine Machtposition erobern bei dem proletarisierten Mittelstand. Millionen entwurzelter Existenzen sind für uns zu gewinnen.
Zwischenruf Staal : Das wäre ein Verwässern der soz. Kampfkraft.
Jack Meitmann im Schlusswort :
Wir wollen nicht den Einheitsblock, sondern die tatsächliche Einheitspartei. Ich rede nicht von einer Einigung, sondern ich will die neue Bewegung. Grundverkehrt ist es, eine KPD und eine SPD ins Leben zu rufen. Die spätere Einigung hat nicht die Werbekraft wie eine sofortige Arbeiterpartei. Die Abrechnung mit der Naziidiologie steht uns noch bevor. Überalles steht für uns die Einheitsfront. Auch wenn von Aussenseitern die eigene KP + SP ins Leben gerufen wird, wir vertreten immer die Einheitspartei. Wir dulden grundsätzlich keine Auseinandersetzung mehr in der Bewegung. Über alles steht die Pareidisziplin. Die Ämterbesetzung ist von untergeordneter Bedeutung, wer hineingeht, geht in die Ämter durch den Auftrag der organisierten Arbeiterschaft. Von heute müssen wir anfangen etwas grundsätzlich Neues aufzubauen. Sinnlos ist es über die Schuldfrage zu diskutieren. Jetzt heisst es nur Organisation, denn Organisation ist Macht. Nie wieder Spaltung, nie wieder Bruderkampf, ein lebendiges Werden von Dingen. Wer die Bewegung verrät, ist unmöglich.
Soweit die erste Besprechung für das zustandekommen einer Einheitspartei. Da nun gleichzeitig der Genosse Dettmann von der KP Hamburgs zu den Kieler Kommunisten sprach, wurde eine Gruppe von der SPD zu diesen geschickt, um gemeinsam mit diesen die neugegründete EINHEITSPARTEI aus der Taufe zu heben. Diese Genossen wurden von dem Gen. Dettmann empfangen mit den Worten : Darf ich vorstellen, der Genosse Pressler, der Vorsitzende der Kieler KP - Gen. Schlarbaum, der Organisationsleiter und Genosse Kossak, der Agitationsleiter der Kommunistischen Partei.
Mit dieser neuen veränderten Situtaion hatte sich am Montag 6. Aug 45 der Funktionärkörper der SPD zu befassen.
Es herrschte eine starke Verstimmung gegenüber unsere Genossen von der KP vor, die schon vom ersten Tag an einen neuen Keim des Misstrauens in die Arbeiterschaft hineingetragen haben, da sie darauf bestanden, ihre neu gegründete Partei nicht im Interesse einer Partei fallen zu lassen.
Es wurde viel und lebhaft darüber diskutiert, Was nun.
Genosse Ratz trat dafür ein, jetzt erst recht die Einheitsfront anzustreben, nicht den Namen Sozialdemokratie zu wählen, sondern mit einem vollständig neuen Namen an die Öffentlichkeit zu treten.
Es wurde beschlossen, am Mittwoch noch einmal mit den Genossen der KP zusammen zu kommen, um noch einmal zu versuchen, ob es nicht doch möglich ist, vom ersten Tag der Neugründung der Parteien eine einige Arbeiterpartei ins Leben zu rufen.
Der Mittwoch der 8. August 1945
Anwesend waren die gleichen Genossen der SPD vom Sonntag,als Vertreter der KPD KIELS Pressler - Schlarbaum - Kossak + Örtel, + Seemann.
Ratz eröffnete die Sitzung mit den Worten des Gen. Dettmann : Es sieht so aus, als ob die KP die Schuld an dem Nichtzustandekommen der Einheitspartei ist. Wenn dem so ist, dann wollen wir die ganze Verantwortung dafür auf uns nehmen, weil wir wissen, das der Tag kommt, an dem die Arbeiterschaft erkennt, daß dieser Weg der einzig Richtige war,. Er sprach weiter davon, daß die SPD im Interesse einer Einheitspartei eine möglichst starke Sozialdemokratie ins Leben rufen möge.
Pressler: Begrüsst die Zusammenarbeit, aber noch wäre es nicht soweit. In den Jahren 33 - 45 hätte sich eine bestimmte Gruppe von Menschen immer eisern gehalten, wenn auch in loser Zusammenfassung, aber sie waren zusammengefasst, diese Menschen denken jetzt nicht daran, ihre Organisation aufzugeben. Die Einheitspartei ist notwendig, aber wie kommen wir dahin ? Wir sind der Meinung, das die Partei, die die Führung hat, auch idiologisch fest sein muß. Wir müssen selbst die Org.-formen und damit die Grundlagen schaffen, möglichst starke Kräfte in der KPD und möglichst starke Kräfte in der SPD zusammenzufassen und damit alle Voraussetzungen zu schaffen für die Einheitspartei. Unsere Sitzung am Sonntag war ein Mißverständnis.
Kuklinski : Wir stehen vor einer weltpolitisch einmaligen Situtation. Aber erst müssen wir uns ausrichten, denn alles liegt im Unklaren. Wir wissen nicht, wieviel Macht wird uns zugebilligt und darum - abwarten. Lieber jetzt noch einige Monate warten und Klarheit schaffen, es ist besser, als mit unklaren Gedanken in die Arbeit steigen. Wir müssen unsere Redner erst prüfen, denn viele könnten den Gedanken der Einheitsfront nur schädigen. Wir müssen bereit sein, zu gemeinsamen Aktionen, gemeinsam arbeiten an Weihnachtsfeiern, an Maifeiern, zusammen in der Presse, auch in der Gewerkschaft arbeiten. Die Frage an die KP : Seid Ihr bereit zu einem gemeinsamen Aktionsausschuss ?
Schlarbaum : Wir haben dem Offizier des 8. Korps [der britischen Besatzungsmacht] gegenüber immer wieder unseren Willen zu Einheitspartei betont. Für uns lautet jetzt die Frage, auf welchem Wege führen wir unsere beiden Parteien zur Einheitspartei ? Gen. Dettmann hat uns verboten, keinerlei Angriffe zu führen gegen die SPD . Wir treten ein ohne jede Hemmung für die Einheitspartei, müssen aber erst den Boden idiologisch vorbereiten.
Anton Meitmann : Ich habe beide Ausführungen gehört und bin tief erschüttert. Der Wille zur Einheitspartei liegt bei der Gesamtarbeiterschaft, jetzt darf es keine SP + keine KP geben, denn der Wille der Gesamtarbeiterschaft steht über dem Willen einer kleinen intelligenten Führerschicht.
Werner : Nachdem der Beschluß zur Gründung einer SPD fest steht, ist nach seiner Meinung nicht mehr viel daran zu ändern, aber es dauert nur kurze Zeit, daß die beiden Parteien getrennt marschieren, denn als Stichtag ist der 31. Januar 1946 vorgessehen als der Tag,an dem die Vereinigung beider Parteien vollzogen wird.
Ratz : Erinnert noch einmal an den Beschluß von Hamburg : " Wer von der KPD abgelehnt wird, der wird auch bei uns keine Aufnahme finden, und wen die SPD ablehnt, der wird auch nicht von der KP aufgenommen werden. Ferner erwähnr er, daß der bisherige Aktionsausschuß in Personalfragen nicht mehr ganz zuständig ist.
Adam : Wendet sich nocheinmal an Pressler mit der Frage, warum keine Einheitspartei zustande gekommen ist, und bittet, die Gründe noch einmal ausführlicher dar zu legen.
Pressler : Wir wollen keine Partei gründen um der Partei wegen, sondern um die Dinge in Wirtschaft und Politik zu meistern. Die Voraussetzung der Einheit aber müssen wir erst bei uns selbst schaffen bevor wir in die Massen damit steigen. Es darf vor allen Dingen kein Mißtrauen herschen. Erste Voraussetzung aller Arbeit ist vollkommene Offenheit untereinander. Nur wetterfeste Männer müssen in der Partei die Dinge meistern. Er begrüsst den gemeinsamen Aktionsausschuss für die grossen Probleme, wie Reinigung der Betriebe von den Faschisten, - Raus mit den Nazis aus ihren Wohnungen usw.
Trude Völker : erinnert an die faschistische Zeit der letzten 12 Jahre und ist tieftraurig über die Entwickelung der zwei Arbeiterparteien. Die KP stellt uns vor der vollendeten Tatsache und wir haben keine Möglichkeit, die Dinge zu ändern, denn Schuld an der ganzen Entwickelung haben nicht die Kieler KP - Männer sondern der Apparat.
Meier-Grieben : versucht die Dinge ganz real zu sehen, und glaubt, daß nur eine bestimmte Anzahl von Parteien gegründet werden dürfen , wenn dann die Arbeiterschaft zwei davon in ihrer Hand hat, wäreder Vorteil ohne Frage dann bei uns.Keine der neugegründeten Parteien wird sich mit den faschistischen Elementen befassen und belasten wollen. Also werden sie in keiner Partei zugelassen werden, aber auf der anderen Seite aber wählen dürfen. Dazu kämen noch die vielen Jugendlichen, die zwar wählen dürfen, aber nicht die geringste Ahnung von dem Wollen der Parteien haben.
Otto Engel : Parteien, wenn sie einmal gegründet sind, wenn sie einmal leben, bekommen zu leicht ein eigenes Gesicht. Es stimmt nicht ganz was Kuki sagt, der Wille der sozialistischen Jugend ist nach wie vor die Einheitspartei. Mit dem besten Willen und dem heissesten Herzen haben wir die Einheitsfront aller Schaffenden ersehnt. Sollte nun nach dem 31. Januar die KP wieder andere Parolen bekommen, wie stehen wir dann da ? Darum keine Rücksichten der KP gegenüber sondern jetzt ran an die Arbeit, und die eigene Organisation aufgebaut.
Gottschalk : Zwei Parteien für Deutschland ist ein grosser Fehler. Keiner kann die Gründe begreifen, wir müssen jetzt alles daran setzen, die Situtation zu retten.
Wilh. Meitmann : Tritt ein für die Einheitsfront, da aber scheinbar keine Möglichkeit besteht, die einige Arbeiterpartei zu gründen, verlangt er zumindest, mit der Jugendarbeit nichteher zu beginnen, bis die Parteien verschmolzen sind.
Pressler : Nimmt Stellung zur Jugendfrage und erklärt, die Voraussetzungen sind bei der Jugendarbeit ganz andere, und darum können wir bei der Jugend gleich damit beginnen, die einheitliche deutsche Jugendorganisation zu schaffen.
H. Kähler : Tritt ein und fordert die Einheitspartei. Die Masse hat keinen ideologischen Überbau, aber gefühlsmässig verlangen sie die Einheitspartei.
Adam : Alles was wir bis jetzt gehört haben , mag schön und gut sein , aber überzeugt hat es nicht einen von uns. Was aber sollen wir den Massen sagen, wenn uns der kleine Mann in den Betrieben und auf der Strasse fragt : Warum keine Einheitspartei ?
Hans Schröder : Tritt voll und ganz ohne jeden Hintergedanken für die Einheitspartei ein. Wir alle, die wir im Lager oder im Bewährungsbattallion waren, wir alle, die wir von den Faschisten verfolgt wurden, für uns war die Frage der Parteien nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes kein Problem, denn für uns, ganz gleich ob KP oder SPD, wir alle wollten die Einheitspartei.
Pressler : Die Auseinandersetzung in der KPD ist wesentlich schwerer wie hier, denn Ihr müsst bedenken, daß es manchem Kommunisten nicht ganz leicht fällt, die Schwenkung von der Diktaur des Proletariats zur Demokratie so ohne Weiteres mitzumachen.
Kuklinski : erinnert daran, daß die Auseinandersetzung auch sehr schön ist, denn ein historischer Rückblick auf Görlitz - Gotha - Erfurt usw. beweist, daß nur in der Auseinandersetzung Neues geschaffen werden kann.
Bruno Kossak : Die Kommunistische Partei ist eine zentral geleitete Partei. Was die Zentrale bestimmt, wird ausgeführt. Ein einmal gefasster Beschluss wird ausgeführt, und ist für die einzelnen Ortsgruppen unabänderlich. Die Parteidisziplin steht über alles.
Karl Ratz : in seinem Schlusswort bedauert noch einmal, daß es der heutigen Zusammenkunft nicht gelungen ist, die Gegensätze zu überbrücken. Die breite Masse wird kein Verständniß haben, für die Gründung der beiden Arbeiterparteien wie sie vor 1933 bestanden. Sie verlangt die Einheitspartei.

Anmerkungen

Es scheinen vor dem 1. September noch weitere Treffen stattgefunden zu haben, in denen man sich auf die vorliegende Erklärung einigte. Offenbar war sie der kleinste gemeinsame Nenner, den beide Seiten akzeptieren konnten. Bemerkenswert ist, dass die Erklärung von führenden SPD-Leuten unterzeichnet wurde, die vier Wochen später völlig umgeschwenkt waren und dann z. T. an führender Stelle Politik gestalteten.

Die immer wiederkehrenden Beschwörungen der Gemeinsamkeit und der Ablehnung von gegeneinander gerichteten Akten machen deutlich, dass das Vertrauen in die jeweils andere Seite nicht ausgeprägt war, auch wenn - oder vielleicht gerade weil - man sich kannte. Der gewaltsame Kampf und gegenseitige Vorwürfe ("Sozialfaschisten") aus der Endzeit der Weimarer Republik waren offenbar keineswegs vergessen.

Letztlich scheint das gegenseitige Misstrauen stärker gewesen zu sein, denn der Erklärung folgten, so weit bisher feststellbar, keine weiteren Gemeinsamkeiten. Spätestens ab Oktober 1945 gingen beide Parteien wieder ihre eigenen Wege.

Quellen

  1. Text nach einem Flugblatt, das Karl Altewolf aus seinem Archiv zur Verfügung stellte. Alle Unterstreichungen im Original.
  2. Otto Preßler war ein Werftarbeiter und ehemaliger SPD-Genosse, der nach 1945 auf Howaldt Betriebsratsvorsitzender wurde. Er war als junger Mann an der Novemberrevolution beteiligt.
  3. Ebenfalls aus dem Archiv von Karl Altewolf. Der Autor ist nicht vermerkt. Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechend der vorliegenden Kopie.