Fürstentum Lübeck

Aus SPD Geschichtswerkstatt

[[Datei:{{#setmainimage:Fürstentum Lübeck.png}}|alternativtext=Karte des Fürstentums Lübeck mit Exklaven der Hansestadt Lübeck|mini|Das Fürstentum Lübeck mit Exklaven der Hansestadt Lübeck]] Das Fürstentum Lübeck (auch: "Landesteil Lübeck" und "Landesteil Eutin") war bis 1937 Teil des Großherzogtums Oldenburg und nicht von Schleswig-Holstein. Die SPD in dieser Region aber, schloss sich dem Bezirksverband Schleswig-Holstein an.

Das Fürstentum Lübeck bestand aus neun Gemeinden[1]: Malente, Eutin, Bosau, Süsel, Ahrensbök, Stockelsdorf, Schwartau, Gleschendorf und Ratekau. Diese umfassten auch die heutigen Ostseebäder Haffkrug, Scharbeutz, Timmendorfer Strand und Niendorf. Die Stadt Lübeck selbst war niemals Teil des Fürstentums. Sie war ein eigenständiger Gliedstaat innerhalb des Deutschen Reiches.

Kaiserreich

Der Großherzog von Oldenburg hatte schon 1855 die Gründung von Arbeitervereinen verboten. Auch wenn sich dann in den 1860er Jahren der ADAV gründen durfte - bspw. 1869 in Eutin - es herrschte in der Region eine Tradition der Unterdrückung der Arbeiterbewegung. Paul Hug, der Parteivorsitzende aus Ostfriesland, erinnerte sich:

„Der Verkehr oder die Verbindung der Parteiorganisation der drei Landesteile [des Großherzogtums Oldenburg] untereinander war vor dem Sozialistengesetz kein reger und die Verbindung keine enge gewesen. Daran hinderte schon die geographische Entfernung und Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen Struktur der Bezirke."[2]

Eher tauschten sich die frühen Genossen mit denen in der Umgebung, in Schleswig-Holstein, Lübeck und Hamburg aus.

1878 trat im ganzen Deutschen Reich das Sozialistengesetz in Kraft, mit dem Otto von Bismarck die Sozialdemokratie in Deutschland zerschlagen wollte. Die politische Arbeit der Sozialdemokraten auch im Fürstentum Lübeck stand unter Strafe.

Schwarz-Weiß-Foto von Paul Hug
Paul Hug

Seit dem 1. April 1888 erschien in Bant (heute Teil von Wilhelmshaven) im Großherzogtum Oldenburg die sozialdemokratische Zeitung Nordwacht. Herausgeber war Paul Hug. Da Oldenburg nicht zu Preußen gehörte, wurde das Sozialistengesetz dort laxer verfolgt. Die Nordwacht hatte allein in Kiel 1500 Abonnenten.[3]

Oldenburgischer Landtag

1890 lief das Sozialistengesetz aus. Danach versuchte die Obrigkeit, sich bei der Verfolgung der Sozialdemokratie wieder auf das alte Oldenburger Verbot zu berufen, und machte ihr auch weiterhin das Leben schwer. Trotzdem lebte das Vereinsleben der Arbeiterbewegung wieder auf. 1892 gründete sich der Ortsverein Stockelsdorf.

Trotz der gesellschaftlichen Unterdrückung war das Wahlrecht im Großherzogtum Oldenburg viel günstiger für die Sozialdemokratie als das preußische Dreiklassenwahlrecht in Schleswig-Holstein. So schrieben die Sozialistischen Monatshefte 1906: "Oldenburg und Coburg-Gotha bilden die einzigen Lichtpünktchen in der gähnenden politischen Finsternis Nordeutschlands"[4] und in der Neuen Zeit stand 1908, dass man "das oldenburgische Wahlrecht mit zu den besten unter den Wahlsystemen aller deutschen Bundesstaaten rechnen" könne.[5] Vier Abgeordnete gab es für das Fürstentum Lübeck.

Es gab keine Privilegierten, keine Klassenunterschiede und keinen Steuerzensus. Man musste Mann sein, über 25, nicht von Armenunterstützung leben und man durfte nicht "ohne eigene Kochstelle bei anderen in Kost und Lohn stehen." Diese Ausschlusskriterien galten beispielsweise für Dienstboten, Handwerksgesellen und Arbeiter.[5] Darüber hinaus musste man oldenburgischer Staatsbürger sein. Wenn die Behörden witterten, dass es sich bei einem Antragsteller um einen Sozialdemokraten handeln könne, wurde hohe bürokratische Hürden aufgebaut. Allerlei Dokumente waren dann vorzulegen, berichtete Richard Wagner aus Bant/Oldenburg in der Neue Zeit 1906. "Die Wahlkreisgeometrie funktioniert in Oldenburg fast ebenso gut, wie in Preußen das Dreiklassensystem; denn obwohl wir fast ebenso viele Stimmen aufgebracht haben als unsere Gegner, verfügung wir nur über den neunten Teil der diesen zufallenen Mandaten"[6]

Gleichzeitig hatte der Landtag spätestens mit der Reichsgründung wenig zu sagen und die Wahl war indirekt: Pro 500 Wahlberechtigte gab es einen Wahlmann. Die Wahlbeteiligung war äußert gering - 1884 nur 4%. Erst durch die Beteiligung der SPD an den Wahlen, stieg die Wahlbeteiligung: 1896 14%, 1905 39%[5]

Ab 1899 dürfen sich politische Vereine auch überörtlich zusammschließen - das "Verbindungsverbot" wurde aufgehoben. Die Sozialdemokraten im Fürstentum Lübeck schlossen sich der Einfachheit halber dem Bezirk Schleswig-Holstein an - auch aus Kostengründen. Die SPD Oldenburg schloss sich dem Bezirk Weser-Ems an. Das schwächte die sozialdemokratischen Kontakte im Großherzogtum Oldenburg.[7] Das war auch das Jahr, in dem mit Paul Hug der erste Sozialdemokrat in den Landtag von Oldenburg gewählt wurde - noch nicht für das Fürstentum Lübeck.

Bei der Wahl zu Oldenburgischen Landtag im Jahr 1902 konnte die Sozialdemokraten im Fürstentum Lübeck 20 der 72 Wahlmänner bekommen. Für die Mehrheit reichte das noch nicht. Bei der Landtagswahl 1904 einigten sich die Genossen mit den Nationalsozialen darauf, auf einen der vier Sitze des Fürstentums Lübeck einen Sozialdemokratischen Kandidaten zu wählen. In der Eile wurde das wieder Paul Hug, der in seinem Wahlkreis dafür verzichtete.

Fraktion der SPD im oldenburgischen Landtag 1916.
Fraktion der SPD im oldenburgischen Landtag 1916. U.a. mit Johann Bull und Heinrich Fick

1905 gibt es im Fürstentum Lübeck „571 organisierte Genossen“, in fünf Orten sind Sozialdemokraten im Gemeinderat vertreten. Eine sozialdemokratische Mehrheit gibt es im Gemeinderat von Schwartau. Vor der Landtagswahl im gleichen Jahr nehmen sich die Genossen vor, zwei regionale Kandidaten, den Dreher Emil Zeidler aus Schwartau und Gärtner Johannes Bull aus Ravensbusch (heute: Stockelsdorf) zu nominieren. Es hielten sich dann nach der Wahl aber nicht alle Wahlmänner der Nationalsozialen an die Abmachung, so dass nur Emil Zeidler gewählt wurde. Richard Wagner kommentierte: "Hoffentlich ziehen sie aus dem ganzen Vorfall die heilsame Lehre, daß das Kompromisseln überhaupt nichts taugt.[6]" Für die Wahl 1908 stellte die SPD deswegen vier Kandidaten auf und nahm sich vor, mit eigener Mehrheit alle vier wählen zu lassen. Das klappte allerdings nicht - dadurch bekam sie keine Abgeordneten.[8]

Für die nächste Landtagswahl 1911 wurde dann das Wahlrecht geändert: Die Wahlmänner wurden abgeschafft und die Kandidaten direkt gewählt. Weil die Konservativen Angst vor dem Durchmarsch der SPD hatte, bekamen Männer über 40 Jahre zwei Stimmen - in der Hoffnung, dass die konservativer wählen. Das Wahlrecht trage deswegen des "Kainszeichen reaktionärer Klassenpolitik". Die Konservativen hätten das "Doppelstimmrecht des des Schwabenalters in das Wahlgesetz eingeschmuggelt und eine Wahlkreiseinteilung durchgesetzt, die ein Hohn auf Gerechtigkeit ist."[9] Außerdem gab es jetzt im Fürstentum Lübeck zwei Wahlkreise: Im Norden den Wahlkreis Eutin-Süsel und im Süden den Wahlkreis Ratekau-Schwartau. Die SPD lehnte die Wahlrechtsreform ab - und profitierte von ihr.[10]

Der Lübecker Volksbote beklagt eine Diffamierungskampagne der Konservativen: "Daß man uns der Antireligiosität, des Antimonarchismus und der Vaterlandslosigkeit zeiht, kann de 'Politikern', die ja mit ernsten Argumenten nicht arbeiten können, weiter nicht übel nehmen. So etwas ist man ja schon gewohnt. Daß aber selbst von liberaler Seite die Wähler damit gruselig gemacht werden, daß man ihnen sagt die Sozialdemokratie wolle die Selbstständigkeit des Fürstentums Lübeck aufheben, ist schon ziemlich stark. Die Sozialdemokratie lehnt es ab, die Frage der Selbstständigkeit zur Wahlparole zu machen. Sie wird das Für und Wider eingehend profen und dernach ihre Entscheidung fällen. Die Interessen der Bevölkerung des Fürstentums werden ausschließlich bei der Prüfung dieser Frage ausschlaggebend sein für die Entschließung der Sozialdemokratie.[11]

Im Südkreis gewannen direkt der Maurer Heinrich Fick und Johann Bull. Im Nordkreis bekam kein Kandidat im ersten Wahlgang die Mehrheit. Man einigte sich mit den liberalen Fortschrittlichen, der Maurer Gloe aus Nenndorf zog seine Kandidatur zurück, dafür wurde der sozialdemokratische Fabrikant Johannes Rebenstorf aus Eutin gewählt. Drei der vier Abgeordneten waren nun von der SPD.[5]

Die Landtagswahl 1916 stand im Schatten des Ersten Weltkriegs. Die Parteien einigten sich darauf, dass die bisherigen Abgeordneten wiedergewählt werden sollten. Es gab keine Gegenkandidaten. Wahlkampf fand nicht statt.[5]

Reichstag

Das Fürstentum Lübeck gehörte zum Reichstagswahlkreis Großherzogtum Oldenburg 1 (Oldenburg-Eutin-Birkenfeld). Hier kandidierte für die SPD Paul Hug und zur Reichstagswahl 1907 Johannes Stelling, der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg. Trotz sehr guter Ergebnisse für die SPD im Landesteil Lübeck (teilweise über 50%) wurde jedoch keiner von ihnen gewählt. Zu groß war die liberal-konservative Mehrheit in Ostfriesland.[7]

Weimarer Republik

Am 9. November 1918 beginnt die Novemberrevolution mit dem Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand, der sich schnell über das ganze Reich ausbreitet. Der Lübecker Volksbote berichtet am 12. November, dass für das Fürstentum Lübeck, in Eutin, ein Arbeiter- und Soldatenrat eingerichtet wurde. "Die Behörden arbeiten weiter wie bisher. Der Regierung sind drei Parteigenossen beigegeben worden. Auch in Stockelsdorf hatte sich bereits am 9. November ein Arbeiterrat gegründet.[12]

Wie das Fürstentum Lübeck gehörte auch der Reichskriegshafen Wilhelmshafen zum Großherzogtums Oldenburg. Dort bilden ab 6. November die "roten Matrosen" zusammen mit den Arbeitern einen gemeinsamen Arbeiter- und Soldatenrat, setzten am 10. November den Großherzog von Oldenburg ab und riefen die "sozialistische Republik Oldenburg" aus.

"Nach der Novemberrevolution 1918 begann dann die Diskussion darüber, ob das zersplitterte Oldenburg insgesamt als Freistaat erhalten oder nun eine Neuordnung der Landesteile angestrebt werden sollte. Weil sich die Sozialdemokraten aber nicht darauf einigen konnten, wem das ehemalige Fürstentum Lübeck zugeordnet werden sollte (der Norden war für einen Anschluss an die preußische Provinz Schleswig-Holstein, während der Süden für ein Zusammengehen mit der Freien und Hansestadt Lübeck war) und man den Landesteil auf keinen Fall teilen wollte, setzten sich die bürgerlichen Kräfte mit Hilfe der SPD im Oldenburger Kernland durch. Das zersplitterte Oldenburg-Lübeck-Birkenfeld blieb ein eigenständiges Land der Weimarer Republik."[7]

Ab 1919 gehörte der Landesteil Lübeck dann zum schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis 13 und die SPD hier zum Bezirksverband Schleswig-Holstein. Der gesamte Landesteil Lübeck bei den Wahlen zum Oldenburgischen Landtag ein einziger Wahlkreis. Gewählt wurde nach dem Verhältniswahlrecht. Das bedeutet, dass die Parteien Listen aufstellten und Sitze entsprechend ihres Wahlanteils bekamen.

"Bei den Landtagswahlen 1919 und 1920 konnten die Sozialdemokraten zwei Abgeordnete durchbringen. Das gelang schon 1923 nicht mehr. Die Deutsch-nationale Volkspartei (DNVP) war stärkste Partei im Landesteil geworden. Nur noch dem Spitzenkandidaten der SPD, Karl Fick aus Stockelsdorf (jüngerer Bruder von Heinrich Fick), gelang es in den Landtag einzuziehen."[7]

Ein Reichspräsident in Badehose!

Als der gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert im Mai 1919 nach Haffkrug reist, um ein Kinderheim der Hamburger "Pro"-Stiftung zu besichtigen, entsteht dabei ein Foto von ihm und Minister Gustav Noske in Badehose, das einen Skandal darstellte und der Beginn einer "gigantischen Verleumdungskampagne" ab August 1919 war.[13]

Bei den Landtagswahlen 1925 und 1928 konnte die SPD wieder zwei Mandate sichern, die Lage wurde aber immer schwieriger. Die Nationalsozialisten (NSDAP) hatten im Landesteil Lübeck eine Hochburg. Sie erhielten bereits 1932 50,4 % der Stimmen, während die SPD nur noch auf 31,9 % kam.[7] 1932 war Oldenburg das erste Land im Deutschen Reich, das eine nationalsozialistische Regierung bekam. Regierungspräsident für den Landesteil Lübeck wurde der Eutiner SA-Standartenführer Heinrich Böhmcker (wegen seiner rohen Brutalität intern auch "Latten-Böhmker" genannt).

"So begann schon vor 1933 eine schwere Zeit für die Kommunisten und Sozialdemokaten im Landesteil, insbesondere für Karl Fick, der in massiver Auseinandersetzung mit Böhmcker gestanden hatte. Sie wurden verhaftet und in schnell eingerichtete frühe Konzentrationslager im Landesteil gebracht: Erst nach Schwartau und Eutin und dann nach Ahrensbök."[7]

Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wurde der Landesteil Lübeck 1937 als Kreis Eutin vom Freistaat Oldenburg in die preußische Provinz Schleswig-Holstein umgegliedert. Das Gebiet ist heute Teil des Kreises Ostholstein.

Literatur

Siehe auch

Links

Einzelnachweise

  1. Anmerkung: Neun Gemeinden waren es ab 1934. Vorher hießen die Untergliederungen anders und waren verwaltungsmäßig anders zugeordnet. Auch hat sich das Gebiet mehrfach leicht geändert. Genauer ist das in der Wikipedia nachzulesen.
  2. Hug, Paul: "Mein Dienst in der Parteibewegung des ehemaligen Fürstentums Lübeck", in: Rathkamp/Broscho, Geschichtlicher Überblick über die Vereins- und Organisationsbewegung der Eutiner Arbeiterschaft, Eutin, o.J. (vermutlich 1929), 5.47.
  3. Vgl. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 25
  4. Bruhns, Julius: Wahlrechtsfragen in Süd und Nord [Electronic ed.]. In: Sozialistische Monatshefte. - 10 = 12(1906), H. 3190603, S. 198 - 208
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 Vahlenkamp, Werner: "Die sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aus dem oldenburgischen Landesteil Lübeck", Fn. 6, in: Demokratische Geschichte, Band 6, 1991
  6. 6,0 6,1 Wagner, R.: Die oldenburgischen Landtagswahlen [Electronic ed.] In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 24.1905-1906, 1. Bd.(1906), H. 5, S. 149 - 152 Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2008
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 7,5 Meyenborg, Ulrich: "125 Jahre Sozialdemokratische Partei Deutschlands Ortsverein Stockelsdorf" (2017)
  8. Hug, Paul: Die Notwendigkeit einer Wahlkoalition in Oldenburg [Electronic ed.]. In: Sozialistische Monatshefte. - 14 = 16(1910), H. 19/20, S. 1234 - 1238 Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006
  9. Lübecker Volksbote, Sonnabend, den 22. April 1911, S.3
  10. Wikipedia: Oldenburgischer Landtag abgerufen 4. Dezember 2021, 00:53 Uhr.
  11. Lübecker Volksbote, Sonnabend, den 22. April 1911, S.3
  12. Lübecker Volksbote, Ausgabe 266 vom 12.11.1918
  13. Morell, Thomas / Gehm, Eckard: "Der Reichsminister in der Badehose" bei SHZ.de 24. August 2009