Frauen- und Gleichstellungspolitik

Aus SPD Geschichtswerkstatt

[[Datei:{{#setmainimage:August Bebel - Die Frau und der Sozialismus 50. Auflage.jpg}}|thumb|right|220px|"Die Frau und der Sozialismus", Jubiläumsaufgabe 1910]] Frauen- und Gleichstellungspolitik ist in der SPD seit "Bebels Frau" von 1879 immer ein Thema gewesen, in der Gesamtpartei ebenso wie in Schleswig-Holstein. Die proletarische Frauenbewegung entwickelte sich notwendigerweise später als die bürgerliche, die in Deutschland im Vorfeld der Revolution von 1848 begann. Sie hielt jedoch immer mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung insgesamt Schritt; in jedem Stadium waren herausragende Frauen zu finden, die die Arbeit an führender Stelle voranbrachten und entsprechend wahrgenommen wurden.

Die nachfolgende kleine Chronik von SPD und Frauen- bzw. Gleichstellungspolitik zeigt einerseits, dass der Fortschritt - auch in den Köpfen der SPD - häufig eine Schnecke ist. Andererseits belegt sie, dass es ihn gab, dass die SPD neue Ideen aufgriff und dass Deutschlands älteste Partei oft auch die fortschrittlichste war und ist. Nicht zuletzt wird sichtbar, dass Schleswig-Holstein mehr als einmal an der Spitze dieses Fortschritts gestanden hat und die Veränderung vorantreibt.

Anfänge

Zunächst allerdings kommt der Fortschritt von außen. Schon 1867, noch vor dem Sozialistengesetz, versucht die Leiterin des Hamburger Frauenvereins, Genossin Hetzel, auch in Schleswig-Holstein Frauen an die politische Arbeit heranzuführen. Es bildet sich jedoch nur in Preetz eine Frauengruppe unter der Leitung von Adamina Quisdorf.[1][2]

In ihrem Eisenacher Programm von 1869 fordert die SDAP zum ersten Mal die Einschränkung der Frauenarbeit, eine Forderung, die sich seitdem in der einen oder anderen Form durch alle Parteiprogramme vor 1933 zieht.

Kaiserreich

  • 1875 - Im Gothaer Programm fordert die Partei schon das Verbot aller die "Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit".
  • 1879 - August Bebel veröffentlicht sein bekanntestes Werk Die Frau und der Sozialismus. Er fordert darin: "Die Frau muß ökonomisch unabhängig sein, um es körperlich und geistig zu sein, damit sie nicht mehr von der Gnade und dem Wohlwollen des anderen Geschlechtes abhängig ist."
"Bebel beschäftigte sich darin mit der Stellung der Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und legte ein flammendes Bekenntnis zur ökonomischen und politischen Gleichberechtigung der Geschlechter ab. Seine Schilderungen verband er mit der Kritik an der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und zog daraus den Schluss, dass erst eine sozialistische Gesellschaft das Ende der Frauendiskriminierung bringe. Die Vision einer solchen Zukunftsgesellschaft skizzierte er am Ende des Buches. Nach dieser Realutopie sollte nicht nur die Arbeit in der Industrie, sondern auch die Haus- und Sorgearbeit, Kunst und Literatur neu gestaltet und verteilt werden. An die Stelle von Privatküchen sollten kollektive, mit den neuen technischen Errungenschaften ausgestattete Großküchen treten. Alle Arbeitsmittel sollten in Gemeineigentum überführt werden. Männer und Frauen teilten sich die gleichen Rechte und Pflichten und das gleiche Vergnügen."[3]
  • 1882 - Aus den "Vertrauensmännern" in der SPD werden Vertrauenspersonen - so wird es Frauen ermöglicht, sich trotz des Verbots der politischen Betätigung infolge des Sozialistengesetzes zu organisieren.
  • 1891 - In ihrem Erfurter Programm fordert die SPD die "Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen".
  • 1892 - Im Januar verfügt der Regierungspräsident von Schleswig-Holstein, "... daß nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 1890 den Zusammenkünften der dem §8 des Vereinsgesetzes vom 11. Mai 1850 unterliegenden Vereine Frauen auch dann nicht beiwohnen dürfen, wenn die Zusammenkünfte anderen Zwecken als den politischen Erörterungen dienen sollen. Die Abhaltung von Bällen und anderen Vergnügungen mit Frauen kommt daher für diese Vereine überhaupt nicht in Frage." Feiern von politischen Vereinen, an denen auch Frauen teilnähmen, seien polizeilich aufzulösen. Als der Arbeiterbildungsverein Ellerbek Anfang 1892 sein Stiftungsfest feiern will, droht das Verbot. Der Vorstand meldet daraufhin ein "Männerkränzchen" an. Die Frauen sitzen während der Feier im Saal nebenan. Zunächst will die Polizei sie auch dort vertreiben, unterläßt dies aber.[4]
  • 1892 - Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen erscheint erstmals. Chefredakteurin ist zunächst Clara Zetkin, ab 1917 Marie Juchacz. Die Zeitschrift besteht bis 1923.
  • 1893 - Gründung des Bildungsvereins der Frauen und Mädchen Kiels. Nach einem ersten Aufschwung versanden die Aktivitäten aber bald, da sich die Frauen nicht mit politischen Themen befassen dürfen, die sie eigentlich interessierten.[5]
  • 1896 - Der SPD-Parteitag empfiehlt nach einem Referat von Clara Zetkin, in allen Orten, wo es möglich sei, weibliche Vertrauenspersonen zu wählen.[6]
  • 1899 - Der SPD-Parteitag fordert die SPD-Mitglieder auf, "in tatkräftiger Weise eine in nächster Zeit zu entfaltende Agitation der weiblichen Parteimitglieder für den weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und der Rechte der Arbeiterinnen zu unterstützen."[7]
  • 1900 - Zwei Tage vor dem SPD-Parteitag findet in Mainz die erste Frauenkonferenz statt. Ihr Ziel ist, der "sozialdemokratischen Frauenbewegung größere Einheitlichkeit und Stärke zu geben, um sie in den Stand zu setzen, alle ihr zufallenden Aufgaben im Dienst des weiblichen Proletariats und der Sozialdemokratie zu lösen", sagt Ottilie Baader bei der Eröffnung. Gemeinsam mit Clara Zetkin, der Chefredakteurin der "Gleichheit", leitet sie die Konferenz.[8]
  • 1902 - Frauen wird es gestattet, an Versammlungen politischer Vereine teilzunehmen - allerdings nur als Zuhörerinnen und nur in einem abgetrennten Raum. Die Polizei hat gelegentlich Mühe, sich an das neue Recht zu halten: Bei einer Versammlung im Kieler "Elysium" sitzen die Frauen auf der Galerie. Sie wird daraufhin polizeilich aufgelöst. Erst nach einer Beschwerde über das Verhalten der Polizei dürfen auch in Kiel Genossinnen an Versammlungen teilnehmen.[9]
  • 1905 - Helene Grünig wird zur ersten Vertrauensperson der Gaardener Frauenversammlung gewählt und beruft alle vier bis sechs Wochen eine öffentliche Versammlung ein. Diese Versammlungen müssen zwei Tage vorher bei der Polizei angemeldet werden; ihr Ablauf wird durch Beamte überwacht. Die Vertrauensfrau hält den Kontakt zur SPD und nimmt an reichsweiten Treffen der Vertrauensfrauen in Berlin teil.[10]
  • 1908 - Frauen erhalten endlich das Recht, Mitglieder in Vereinen zu werden und sich politisch zu engagieren. Am 1. Oktober 1908 treten allein in Kiel 700 Frauen, die sich bisher nur durch freiwillige Zahlungen zur Sozialdemokratie bekennen konnten, in die SPD ein.[11] Im selben Jahr wird Luise Zietz als erste Frau in den SPD-Parteivorstand gewählt.
  • 1909 - Der Bezirksparteitag 1909, Wandsbek beschließt, dass mindestens eine Frau Beisitzerin im Landesvorstand sein müsse:

    "Die Agitationskommission besteht aus einem besoldeten Beamten, der auch die Kassengeschäfte zu führen hat, einem Vertreter der Parteizeitung und 5 Beisitzern, unter welchen mindestens eine Genossin sein muss."[12]

  • 1910 - Der 2. Internationalen Frauenkongress der Sozialistinnen in Kopenhagen findet statt. Helene Grünig aus Kiel nimmt dort teil.[13] Auf Initiative von Clara Zetkin beschließt der Kongress, einen jährlich stattfindenden Internationalen Sozialistischen Frauentag für die Interessen der Frauen gegen Ausbeutung und Unterdrückung auszurufen.[14]
  • 1911 - 1. Internationaler Frauentag: 45 000 Frauen treffen sich in Berlin. Ihr Motto: "Her mit dem Frauenwahlrecht!" Sie forderten nicht nur das Frauenwahlrecht, sondern auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Verbesserungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
Plakat zum Frauenwahlrecht, 1914
  • 1912 - Am 12. Mai verabschiedete die SPD Elmshorn folgende Resolution:

    "Die Forderung des Frauenrechts findet ihre beste Begründung in der Revolutionierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse durch den Kapitalismus. Die Leistungen der Frauen in Industrie und Landwirtschaft, im Handel und Verkehrswesen, die Pflichten, die sie erfüllen als Mütter und Hausfrauen, geben ihnen einen berechtigten Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung. Die Frauen fordern das Wahlrecht, um ihre Interessen selbst schützen zu können. Die am 12. Mai in Elmshorn Versammelten erklären deshalb, daß sie sich zur Erringung des Frauenwahlrechts in die Reihen der Sozialdemokratie stellen wollen und mit Energie und Ausdauer für die Erringung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zu allen öffentlichen, rechtlichen und politischen Vertretungskörpern für die über 20 Jahre alten Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts zu kämpfen. Die Sozialdemokratische Partei ist die einzige politische Partei, die als konsequente Vorkämpferin für das volle Bürgerrecht des Weibes anzusprechen ist."[15]

Weimarer Republik

  • 12. November 1918 - Der revolutionäre Rat der Volksbeauftragten verkündet das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht in Deutschland für alle Personen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten. Damit ist das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Am 30. November tritt das Reichswahlgesetz in Kraft. Frauen dürfen jetzt auch Staatsexamina ablegen und zum Beispiel Juristinnen werden.
Plakat "Frauen! Gleiche Rechte - Gleiche Pflichten - Wählt sozialdemokratisch!", 19. Januar 1919
  • 19. Januar 1919 - 37 Frauen wurden neben 386 Männern in die Weimarer Nationalversammlung gewählt, darunter 19 Sozialdemokratinnen, für Schleswig-Holstein Louise Schroeder. Wilhelmine Kähler trat in Ostpreußen an, Luise Zietz, die noch der USPD angehörte, in Berlin.
  • 1921 - Ins Görlitzer Programm werden die Forderung nach dem Verbot der Nachtarbeit für Frauen und dem Verbot der Arbeit von Frauen in besonders gesundheitsschädlichen Betrieben sowie an Maschinen mit besonderer Unfallgefahr aufgenommen. Es betont das allgemeine Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit und fordert die "Mitwirkung der Frauen in allen Justizämtern".
Alma Wartenberg
  • 1925 - Alma Wartenberg gehört als einzige Frau dem schleswig-holsteinischen Provinziallandtag an. Das Heidelberger Programm enthält die Forderungen "Gleichstellung der Frau mit dem Manne" und "gleiches Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit".
  • 1927 - Reichsparteitag 1927 in Kiel. In seiner Eröffnungsrede sagt Otto Eggerstedt: "Unsere Bewegung, die die Gleichberechtigung aller Menschen erstrebt, ist nie einseitig eine Bewegung der Männer gewesen; sie hat immer im gleichen Maße auch die Frauen erfaßt. Gerade bei uns wird die Bewegung getragen von der ganzen Familie. Die Frauen sind erfaßt, und durch die Frauen die Kinder. In den Frauen haben wir erfaßt die Mütter, die Bildner der Jugend."[16] Im Anschluss an den Parteitag findet vom 27.-29. Mai die Frauenkonferenz statt.

Nationalsozialismus

Die Nazis haben 1933 die SPD verboten und versucht das Rad der Gleichstellung wieder zurück zu drehen. Die Frau sollte sich um Familie und Haushalt kümmern. Die SPD-Frauen litten gleichzeitig unter der Unterdrückung der Sozialdemokratie durch die Nazis. Einige Frauen gerieten in die Fänge der Nazi-Schergen - Gertrud Völcker aus Kiel oder Auguste Ebeling aus Heide zum Beispiel wurden in der Aktion Gewitter verhaftet. Andere, wie Lisa Hansen, flohen ins Exil. Einige leisteten Widerstand. Als Beispiel sei hier Sophie Lützen genannt, die sich an einem Fluchtnetzwerk an der Dänischen Grenze beteiligte.

Bundesrepublik Deutschland

1940er Jahre

  • 1945 - In der ersten Landessatzung nach dem Krieg wird festgelegt, dass mindesten eine Frau im Landesvorstand vertreten sein muss.[17]
  • 1947 - Auf dem Bezirksparteitag 1947 in Bad Segeberg bewirbt sich Anni Krahnstöver um den Vorsitz. Sie erzielt unter insgesamt vier Bewerbungen nach Heinrich Fischer das zweitbeste Ergebnis und wird zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
  • 1949 - Um den Frauenanteil in der SPD zu steigern, sollen Kreisvereine mit einem Frauenanteil über 25% ein zusätzliches weiblichen Mitglied in den Bezirksausschuss entsenden können. So wird es in der Landessatzung festgelegt. Der Hinweis auf das eine weibliche Mitglied wird wieder entfernt - seither sind immer mindestens drei Frauen im Landesvorstand vertreten.[18]
  • 1949 - Elisabeth Selbert gelingt es nahezu im Alleingang, Gleichberechtigung in Artikel 3 des Grundgesetzes zu verankern. Schnörkellos heißt es dort: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Ohne jede Einschränkung, ohne Gesetzesvorbehalt. Einige Verfassungsjuristen vermuten, dass dieser Artikel weitreichende Wirkungen auslösen wird. "Wenn das sofort gilt, dann können wir unser BGB in die Tonne kloppen", raunte man unter den Familienrechtlern; im Familienrecht des BGB existierten die deutlichsten Beschränkungen der Frauenrechte.[19]

"Die eindeutige Formulierung von Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz - Männer und Frauen sind gleichberechtigt - stieß anfangs, auch bei den Frauen im Rat, auf eine Ablehnung, wie sie sich Elisabeth Selbert absolut nicht hatte vorstellen können. Für sie war klar: 'Wir müssen weiter gehen als Weimar!' Weiter gehen also als die den Frauen in der Weimarer Republik lediglich zugestandenen "gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten". [..] Elisabeth Selbert mobilisierte die Öffentlichkeit. Unter den extrem schwierigen Bedingungen des kriegszerstörten und in Zonen aufgeteilten Deutschlands reiste sie 'wie ein Wanderprediger von Versammlung zu Versammlung und erzählte den Frauen, was für eine Art Ausnahmegesetz sie zu erwarten hätten'. Schließlich kamen waschkörbeweise Protestschreiben gegen jegliche Formulierung, die vieldeutige Auslegungen zuließe. [..] Auf die Initiative von Elisabeth Selbert geht auch die Übergangsregelung in Artikel 177 Grundgesetz zurück, nach der alle dem Gleichheitsprinzip entgegenstehenden Gesetze bis Ende März 1953 angepaßt sein mußten. Damit sollte das während der Ratssitzungen immer wieder herbeidiskutierte "Rechtschaos" vermieden werden. Daß der erste deutsche Bundestag diese Frist tatenlos verstreichen ließ, beurteilte Elisabeth Selbert erstaunlicherweise mit Nachsicht. Als der Gesetzgeber schließlich die Gesetzesanpassung aufnahm, beobachtete sie allerdings 'mit Schmerz, wie manche versucht haben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen'. [..][20]

1950er Jahre

  • 1953 - Die 1949 in der Landessatzung festgelegte Quote für weibliche Mitglieder im Bezirksauschuss stellt sich als unpraktikabel heraus. Der Frauenanteil läßt sich nicht so einfach steigern, konzentriert sich auf einige wenige Kreisverbände. In anderen Kreisverbänden sinkt der Frauenanteil sogar. Die Quote in der Satzung wird auf 15 % gesenkt, so dass fast alle Kreisverbände weibliche Mitglieder in den Bezirksauschuss entsenden können.[21]
  • 1959 - Das Godesberger Programm bekräftigt die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen:

    "Die Gleichberechtigung der Frau muß rechtlich, sozial und wirtschaftlich verwirklicht werden. Der Frau müssen die gleichen Möglichkeiten für Erziehung und Ausbildung, für Berufswahl, Berufsausübung und Entlohnung geboten werden wie dem Mann. Gleichberechtigung soll die Beachtung der psychologischen und biologischen Eigenarten der Frau nicht aufheben. Hausfrauenarbeit muß als Berufsarbeit anerkannt werden. Hausfrauen und Mütter bedürfen besonderer Hilfe. Mütter von vorschulpflichtigen und schulpflichtigen Kindern dürfen nicht genötigt sein, aus wirtschaftlichen Gründen einem Erwerb nachzugehen."[22]

1960er Jahre

  • 1965 - Laut Rechenschaftsbericht der SPD Schleswig-Holstein für die Jahre 1965/66 liegt der Frauenanteil im Landesverband zur dieser Zeit bei 25% und damit nach Berlin und Hamburg an dritter Stelle. Rosa Wallbaum, Referentin für Frauenarbeit, analysierte:

"Wenn aber der Überschuss von 134.200 wahlberechtigten Frauen in Betracht gezogen wird, so erhebt sich die begründete Frage, warum die SPD, die seit ihrem Bestehen für eine Gesellschaftsordnung eingetreten ist, in der Frauen gleichberechtigt sind, nicht eigentlich eine "Frauenpartei" ist. Liegt es nur daran, daß auch heute noch die meisten Frauen eine Scheu besitzen, sich politisch zu engagieren, oder wurde bisher nicht verstanden, allen Staatsbürgern, auch den Frauen, bewußt zu machen, daß politisches Interesse und parteipolitische Betätigung zu den wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft zählen?
Sicher wirkt sich auch hier die Vergangenheit negativ aus. Die Hoffnung muß auf die jüngere Generation gesetzt werden. Hier liegen die Ansatzpunkte für die Arbeit in den Frauengruppen, die nicht einem Selbstzweck dienen. Es ist festzustellen, daß viele jüngere Frauen der Partei beitreten, um im Ortsverein mitzuarbeiten, es aber ablehnen, sich ebenfalls in der Frauengruppe zu betätigen. In mehreren aktiven Ortsvereinen bestehen keine Frauengruppen, weil die Frauen in die allgemeine Arbeit des Ortsvereins integriert sind.
Das ist seit jeher das Ziel der Frauengruppenarbeit gewesen!
Es haben verschiedene Gründe zur Bildung besonderer Frauengruppen geführt und sicher haben einige auch heute noch Gültigkeit. Es gibt sowohl im familiären wie im gesellschaftlichen Bereich kaum Probleme, die ausschließlich Frauen betreffen, sondern lediglich Differenzierungen. Im allgemeinen gehen die Frauen auch an 'die Politik' anders heran als die Männer es seit Generationen zu tun gewohnt sind. Frauen sind eher bereit, im internen Kreis von Frauen ihre Meinung zu äußern. Hier erwerben sie die Sicherheit, sich auch in einer Versammlung des Ortsvereins an der Diskussion zu beteiligen.
Wenn wir heute, wie vor 60 Jahren, für den Bestand der Frauengruppen eintreten, wenn wir sie pflegen und nach Bedarf neue gründen, dann geschieht es in der Überzeugung, daß auch heute noch viele weibliche Parteimitglieder die Unterstützung durch die Frauengruppen brauchen.
Wie auch immer sich die Frauen künftig politisch entscheiden und engagieren, wird von der Umwelt - sprich: Männer, beeinflußt werden. Es ist leider nicht so, daß alle Frauen sich der Gleichberechtigung voll bewußt sind. In der SPD sind Männer und Frauen gleichermaßen verpflichtet, vorbildlich zu handeln und aufklärend zu wirken."[23]

Anni Trapp
  • 1969 - Anny Trapp wird Kreispräsidentin des Kreises Eutin - die einzige Frau und die einzige Sozialdemokratin in Schleswig-Holstein zu dieser Zeit.
Ida Hinz

1970er Jahre

Annemarie Renger
  • 1972 - Annemarie Renger wird Bundestagspräsidentin - die erste Frau an der Spitze des Parlaments. Sie ist bis 1969 über die schleswig-holsteinische Landesliste in den Bundestag eingezogen. Im selben Jahr wird die Gründung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) auf Bundesebene beschlossen.[26]
  • 1973 - 1. AsF-Bundeskonferenz[27]
  • 1974 - Die SPD-geführte Bundesregierung schafft für Mütter und Väter einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung für 5 Arbeitstage im Jahr zur Betreuung eines Kindes unter 8 Jahren.
  • Sie reformiert den Abtreibungsparagraphen 218 und führt eine Fristenregelung ein. Diese verwirft das Bundesverfassungsgericht 1975 nach einer Verfassungsbeschwerde der CDU. 1976 tritt das neue Recht in geänderter Form in Kraft.
  • 1976 - Die SPD-geführte Bundesregierung führt ein neues Ehe- und Namensrecht ein: Bei Scheidungen muss es keinen "Schuldigen" mehr geben. Stattdessen gilt das Zerrüttungsprinzip. Es wird lediglich das Scheitern der Ehe festgestellt. Außerdem muss bei der Eheschließung die Frau nicht mehr den Nachnamen des Mannes annehmen. Sie kann sich für einen Doppelnamen entscheiden oder ihren Geburtsnamen behalten.
  • 1977 - Die SPD-Bundesregierung schafft das Leitbild der Hausfrauenehe ab. Von nun an tragen offiziell beide Partner die Verantwortung für Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit.
  • 1979 - Die SPD stellte mit Annemarie Renger zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine weibliche Kandidatin für das höchste Staatsamt auf. Zum Bundespräsidenten gewählt wird ihr Mitbewerber Karl Carstens (CDU).

1980er Jahre

  • 1980 - Das Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wird vom Bundestag verabschiedet. Der Anspruch von Frauen auf Gleichbehandlung am Arbeitsplatz sowie das Recht auf gleiches Entgelt wird hierin festgeschrieben; außerdem müssen Stellenausschreibungen von nun an geschlechtsneutral formuliert werden.
  • 1981 - Der Landesparteitag 1981, Bad Segeberg beschließt Politische Leitsätze zur Gleichstellung von Männern und Frauen.
  • 1983 - Björn Engholm präsentiert zur Landtagswahl 1983 ein Team aus vier Männern und vier Frauen. Die Frauen sind unter anderem Ursula Engelen-Kefer und die Journalistin Sophie Behr[28]. Lianne Paulina-Mürl übernimmt als erste Frau den stellvertretenden Landesvorsitz.
  • 1984 - Auf Initiative von Lianne Paulina-Mürl wird das SPD-Frauenbüro Schleswig-Holstein eingerichtet, weil die CDU-Landesregierung keine Notwendigkeit für eine Frauenministerin oder auch nur Frauenbeauftragte sieht.
  • Zur Europawahl 1984 wird mit Katharina Focke das erste Mal eine Frau als Spitzenkandidatin aufgestellt.[29]
  • 1985 - Die SPD Schleswig-Holstein beschließt die Geschlechterquote.
  • 1988 - Nach 38 Jahren Opposition wird die SPD wieder zur Regierungspartei gewählt. Ministerpräsident Björn Engholm quotiert sein Kabinett. Vier Ministerien werden - bundesweit einmalig - von Frauen geführt. Neu ist auch das Frauenministerium, das Gisela Böhrk übernimmt, weil Lianne Paulina-Mürl Landtagspräsidentin wird.[30] In seiner Regierungserklärung sagt Björn Engholm: "Die Gleichstellung der Frauen ist kein politisches Entgegenkommen der Politik an die Frauen, sondern eine historisch überfällige Selbstverständlichkeit." Auf Bundesebene wird Herta Däubler-Gmelin die erste stellvertretende Parteivorsitzende.
  • 1989 - Das Berliner Programm ist das erste Grundsatzprogramm der SPD, in dem der Gleichstellung ein ganzes Kapitel gewidmet ist und das Thema nicht mit Familie, Kindern oder Jugendlichen verknüpft wird:

    "Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleich, frei und solidarisch miteinander leben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer nach eigener Wahl in allen Bereichen der Gesellschaft wirken, ihnen nach Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit Zeit und Kraft bleibt für Bildung, Kunst, Sport oder gesellschaftliches Engagement. Wir wollen eine Gesellschaft, die nicht mehr gespalten ist in Menschen mit angeblich weiblichen und angeblich männlichen Denk- und Verhaltensweisen, in der nicht mehr hochbewertete Erwerbsarbeit Männern zugeordnet, unterbewertete Haus- und Familienarbeit Frauen überlassen wird, in der nicht mehr eine Hälfte der Menschen dazu erzogen wird, über die andere zu dominieren, die andere dazu, sich unterzuordnen. Immer noch ist die herrschende Kultur männlich geprägt, ist das Verfassungsgebot der gesellschaftlichen Gleichheit von Mann und Frau nicht verwirklicht, sind Frauen stärker von Armut betroffen, werden Frauen in Ausbildung und Beruf benachteiligt, werden sie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, in Politik und Medien zurückgesetzt, wird ihnen der private Bereich, Hausarbeit und Kindererziehung zugewiesen, wird die Rolle, die Frauen in der Geschichte spielten, unterschlagen oder verfälscht, werden Zeitabläufe und Organisationsformen von Erwerbsarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit durch männliche Bedürfnisse bestimmt, werden Frauen Opfer männlicher Gewalt, wird ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mißachtet. Doch das Bewußtsein der Frauen ändert sich rasch. Schmerzhafter als die meisten Männer erfahren sie, daß beide, Frau und Mann, ständig einen Teil ihrer Wünsche, Möglichkeiten und Fähigkeiten unterdrücken. Viele Frauen gehen an gegen eine von Männern gestaltete Welt und gegen Männer, die diese erhalten wollen. Auch bei Männern wächst die Einsicht, daß die angeblich männliche Unterordnung von Gefühl und Phantasie unter Rationalität und Durchsetzungskraft sie ärmer oder gar krank macht. Unter der Spaltung zwischen männlicher und weiblicher Welt leiden beide, Frauen und Männer. Sie deformiert beide, entfremdet beide einander. Diese Spaltung wollen wir überwinden. Wir fangen bei uns selbst an."

Daraus werden weitreichende Forderungen abgeleitet:

    • Der rechtlichen Gleichstellung muß die gesellschaftliche folgen, d.h. die Umgestaltung der Gesellschaft durch Erziehung der Jugend;
    • Durchbrechen starrer geschlechtlicher Rollenmuster;
    • Neubewertung und andere Verteilung aller Arbeit - Erwerbsarbeit, Haus-, Familien- und Eigenarbeit;
    • Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, zunächst auf sechs Stunden, in der Fünf-Tage-Woche, damit Frauen und Männer Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit und kulturelle Teilhabe besser miteinander verbinden können;
    • ein Gleichstellungsgesetz und Förderpläne für Frauen im Beruf;
    • ein Ende der Lohndiskriminierung;
    • Gleichstellung im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht durch eigenständige Ansprüche;
    • Finanzierung von Mutterschutz, Ausfallzeiten für Elternurlaub und Krankenpflege über einen Familienlastenausgleich;
    • Gleichstellung als Vorbedingung für öffentliche Finanzhilfen und Aufträge an Privatfirmen;
    • Kindertagesstätten und Ganztagsschulen als Voraussetzung für Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit für Männer und Frauen;
    • Entlastung der Frauen von der Familienarbeit durch neue Wohnformen und dezentrale soziale Dienste für Kinder und Alte, Kranke und Behinderte;
    • gleiche Beteiligungsmöglichkeiten für beide Geschlechter bei allen ehrenamtlichen Tätigkeiten;
    • Besetzung aller Gremien durch Frauen und Männer je zur Hälfte, ggf. durch gesetzliche Vorschriften;
    • ggf. Veränderung von Wahlsystemen in Bund, Ländern und Gemeinden.
"Die Zukunft verlangt von uns allen, Frauen und Männern, vieles, was lange als weiblich galt; wir müssen uns in andere einfühlen, auf sie eingehen, unerwartete Schwierigkeiten mit Phantasie meistern, vor allem aber partnerschaftlich mit anderen arbeiten. Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden."

1990er Jahre

  • 1990 - Im Rechenschaftsbericht heißt es: "Erfreulich ist, daß der Anteil der Frauen an der Mitgliedschaft weiter gesteigert werden konnte. Betrug der Frauenanteil zum 01.01.1988 30,68 Prozent (absolut: 11 627), stieg er auf 31,21 Prozent zum 01.01.1989 (absolut: 12 038) und beträgt nunmehr zum 01.01.1991 32,33 Prozent (absolut: 12 541)."[31]
Heide Simonis

2000er Jahre

Fotos

Literatur

Quelle

  1. Osterroth: 100 Jahre, S. ?
  2. Döll-Krämer u.a.: Frauens- und Vertrauenspersonen, S. ?
  3. Notz: Sozialdemokratie, S. ?
  4. Brecour: Partei, S. ?
  5. Brecour: Partei, S. ?
  6. Osterroth, Franz / Schuster, Dieter: Stichtag 11./16. Okt. 1896. in: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975. Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
  7. Osterroth, Franz / Schuster, Dieter: Stichtag 9./17. Okt. 1899. in: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975. Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
  8. Horsmann, Thomas: Erste sozialdemokratische Frauenkonferenz - Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten. bei: vorwaerts.de, 15. September 2020
  9. Brecour: Partei, S. ?
  10. Schultheiß: Portraits, S. ?
  11. Brecour: Partei, S. ?
  12. SPD-Ortsverein Elmshorn: 120 Jahre SPD Elmshorn. Eine Chronik (Elmshorn 1983)
  13. Dies ist ungeklärt; ihre Urenkelin widerspricht dieser mehrfach zu lesenden Feststellung.
  14. Schultheiß: Portraits, S. ?
  15. SPD-Ortsverein Elmshorn: 120 Jahre SPD Elmshorn. Eine Chronik (Elmshorn 1983)
  16. Protokoll des Parteitags
  17. Martens: SPD, S. 192
  18. Martens: SPD, S. 192
  19. Wettig-Danielmeier: Vor 40 Jahren
  20. Dertinger, Antje: Leitbild der neuen Frauenbewegung - Zum 100. Geburtstag und zum zehnten Todestag von Elisabeth Selbert, informationen für die frau 6/96, S. 10 f
  21. Martens: SPD, S. 192
  22. Godesberger Programm, beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bad Godesberg vom 13. bis 15. November 1959
  23. Rechenschaftsbericht 1965-1966
  24. Rechenschaftsbericht 1969-1971
  25. Faerber-Husemann, Renate: Von August Bebel bis heute: Die SPD ist die Partei der Frauenrechte, Vorwärts, 17.12.2018
  26. Wettig-Danielmeier: Vor 40 Jahren
  27. Wettig-Danielmeier: Vor 40 Jahren
  28. DER SPIEGEL 10/1983: Quer zum Kurs
  29. Grunenberg, Nina: Die Dame ist fürs Feuer, DIE ZEIT 28/1983
  30. Engholms Viererbande, DIE ZEIT, 20.5.1988
  31. SPD Schleswig-Holstein - Rechenschaftsbericht 1989-1990
  32. SPD-Landesverband: Claus Möller zur SPD-Landesliste, Medieninformation, 12.8.2005