Kabinett Lüdemann I

Aus SPD Geschichtswerkstatt
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Hermann Lüdemann, Bruno Diekmann und Wilhelm Käber

In der ersten Landtagswahl nach dem Ende des Nationalsozialismus am 20. April 1947 erhielten die Sozialdemokraten mit 43,8 % die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und doppelt so viele Sitze wie die CDU. Als dritter Gruppierung war dem Südschleswigschen Verein (SSV) der Einzug in den Landtag gelungen. Die SPD bildete unter Hermann Lüdemann die erste von einem frei gewählten Landtag gewählte Landesregierung in Nachkriegsdeutschland.

Bis zur Landtagswahl 1947 hatten Regierungen gearbeitet, die von der britischen Militärregierung ernannt wurden. Sie bestanden aus Mitgliedern von SPD, CDU und KPD. Die SPD beschloss auf Grund des deutlichen Wahlergebnisses, eine Alleinregierung zu bilden und den Vorsitzenden der CDU-Fraktion mit Oppositionsrechten nach britischem Vorbild auszustatten. Außerdem wurde das Kabinett von 10 auf 6 Personen verkleinert. Hermann Lüdemann, der schon im Kabinett von Theodor Steltzer stellvertretender Ministerpräsident gewesen war wurde Ministerpräsident, Bruno Diekmann wurde stellvertretender Ministerpräsident.[1]

Die Staatssekretäre (damals noch "Landesdirektor") wurden größtenteils aus dem vorigen Kabinett übernommen und dienten teilweise noch über die SPD-Regierungszeit hinaus. Der parteilose Fritz Sureth bspw. hat noch bis 1965 unter insgesamt sieben Ministerpräsidenten als Staatssekretär im Wirtschafts- und Verkehrsministerium gearbeitet.

Neubeginn und Wiederaufbau

Mit dem Motto "Heraus aus dem Elend" hatte die SPD die Landtagswahl gewonnen. Die Aufgaben der Regierung waren riesig, wie sie selbst in ihrem Rechenschaftsbericht schreibt:

"[…] was wir im April 1947 vorgefunden haben. Überbevölkerung, Demontagen, zerstörte und stillgelegte Werften und industrielle Betriebe, Hunger, niedrige Arbeitsleistungen, Energie-, und Rohstoffmangel, durch Inflation verschleierte Arbeitslosigkeit, Auflösung der sozialen Ordnung, Desorganisation der Verwaltung, durch die Besatzungsmacht lahmgelegte Initiative der Deutschen zum Wiederaufbau […] Damals gehörte nicht nur Verantwortungsbewußtsein, sondern auch Mut zur Unpopularität dazu, die Regierungsgeschäfte in die Hand zu nehmen in einem Land, daß von allen Ländern Westdeutschlands die größten sozialen Gegensätze in sich barg, in einem Land, dessen Bevölkerung sich nahezu verdoppelt hatte, ohne daß auch nur die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für die Sicherung einer neuen Lebensexistenz für die Heimatlosen und Entrechteten geschaffen wurden, das auch selbst nicht lebensfähig war […]"[2]

Es gab eine Arbeitslosigkeit von 28 %! Die größte in Westdeutschland. Die Versorgung der Bevölkerung war so schlecht, dass in der ersten Hälfte 1947 immer wieder zu Hungerdemonstration in den größeren Städten kam. Hinzu kam, dass es die Bundesrepublik, das Grundgesetz und den übergeordneten Gesetzgeber noch nicht gab.

Darüber hinaus hielt Hermann Lüdemann Schleswig-Holstein nicht für dauerhaft wirtschaftlich überlebensfähig. 1937 hatten die Nazis die Hansestadt Lübeck und das Fürstentum Lübeck der preußischen Provinz Schleswig-Holstein zugeschlagen, dafür aber die Industriestädte wie Altona, Wandsbek und Ottensen an Hamburg verschoben. Durch die Zone-Aufteilung hatte Lübeck einen Teil seines wirtschaftlichen Hinterlands verloren. Gleichzeitig hatten die Briten Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gegründet, wo sich praktisch die gesamte deutsche Industrie befand. Hermann Lüdemann plädierte für eine anderen gleichmäßigere Aufteilung der Bundesländer. Er sagte: "Wirtschaftlich gesehen ist das Land nichts weiter als ein Wurmfortsatz der Hamburger Lombardsbrücke."[3] Hermann Lüdemann forderte einen Finanzausgleich zwischen den Bundesländern und eine Nothilfe konkret für Schleswig-Holstein.[4]

Die Verkleinerung des Kabinetts funktionierte nicht gut. Da die Arbeit aber nicht weniger geworden war, erweiterte Hermann Lüdemann am 6. November 1947 das Kabinett um das Innen- und das Justizministerium und das Ministerium für Umsiedlung und Aufbau.[1]

Als Erich Arp am 2. Februar 1948 aus der Regierung ausschied, wechselte Bruno Diekmann ins Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und Ludwig Preller wurde Minister für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr.

Um die Verwaltung weiter zu demokratisieren und zu modernisieren, richtete die Regierung 1948 eine Höhere Schule für Wirtschaft und Verwaltung ein. Im gleichen Jahr wurden auch wieder Schöffen- und Geschworenengerichte gebildet, um das Vertrauen in die Justiz mit diesem Laienelement zu stärken.[5]

Auch in der Bildungspolitik setzte die Landesregierung neue Standards: Sie baute neue Schulen, schaffte das Schulgeld ab und sorgte für Lehrmittelfreiheit. In Preetz richtete sie 1948 eine "Versuchsschule" eine, an der alle Kinder gemeinschaftlich unterrichtet und nicht in Haupt-, Realschule und Gymnasium aufgeteilt wurden.

Am 24. Januar 1949 schieden Kurt Pohle und Wilhelm Kuklinski aus der Regierung aus und das Volksbildungsministerium wurde von anderen Ministerien mitgeführt, während Walter Damm das Sozialministerium übernahm.

Das "Gesetz über den Aufbau in den schleswig-holsteinischen Gemeinden"[6], beschlossen am 9. Februar 1949, legte die rechtliche und organisatorische Grundlage für den Neuaufbau der Gemeinden. Das Polizeigesetz[7], beschlossen in der gleichen Landtagssitzung, sollte für ein engeres Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung sorgen. Die Regierung kümmert sich weiterhin um die Entnazifizierung in Schleswig-Holstein - Wilhelm Käber wird ab 1948 auch Minister für Entnazifizierung. Der Landtag beschließt das "Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung"[8].

Trotz der wirtschaftlich schlechten Voraussetzungen schaffte die Landesregierung 200.000 neue Arbeitsplätze. Die Regierung gründete das Jugendaufbauwerk, das sich um 5000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz kümmerte - bundesweit vorbildlich damals. Als vorbildlich galt auch das Urlaubsgesetz, das mindestens 12 Tage Urlaub für Arbeitnehmer vorsah. Die Vergemeinschaftung der Grundindustrie scheiterte an der britischen Militärregierung.[4] Die Energieversorgung wurde verbessert und der Militärregierung das Recht abgerungen, wieder Schiffe zu bauen. Demontagen und Sprengungen wurden mit der Unterstützung durch Demonstrationen - in Kiel angeführt von Oberbürgermeister Andreas Gayk - beendet.

Durch die Zerstörungen des Krieges und die Zahl mehr als 1 Millionen Flüchtlingen im Land fehlten 300.000 Wohnungen; 75000 waren zerstört worden. Die Landesregierung modernisierte das Bauen und schaffte es in den drei Jahren ihrer Arbeit 35000 Wohnungen bauen zu lassen. Um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, beschloss der Landtag ein neues Kleingartengesetz[9] und schuf dadurch 200.000 Kleingärten. Um die Flüchtlinge zu integrieren beschloss der Landtag das "Gesetz zur Behebung der Flüchtlingsnot"[10], das für Gleichberechtigung mit den Einheimischen sorgte und ihnen Beratung und politische Vertretung verschaffte.

Obwohl ohnehin schon so viele Flüchtlinge im Land waren, nahm Schleswig-Holstein noch einmal 70000 Menschen auf, um Familien zusammenzuführen. Gleichzeitig kümmerte sich die Regierung um eine Umverteilung der Geflüchteten auf andere Länder. 1950 beschloss der Bundestags die Umverteilung von 900000 Geflüchteten aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern auf die anderen Länder.[11]

Auch die versprochene Agrarreform packte die Landesregierung an[12]. Flächen der ehemaligen Wehrmacht und der Nazi-Organisationen, sowie Großgrundbesitz über 100ha sollte gegen Entschädigung enteignet werden können, wenn das Land bspw. für den Bau von Häusern und Wohnungen oder die Ansiedlung neuer Betriebe genutzt würde.

Das schlechte Ergebnis der Kommunalwahl 1948 zeigte einen Wandel in der Stimmung der Bevölkerung, bestimmt einerseits durch die entnazifizierten, die zur Rechten abwanderte und mit Verleumdungen Stimmung gegen die SPD macht, andererseits durch die Geflüchteten, die eigene Listen aufstellten.[13]

In der Bundestagswahl am 14. August 1949 war die SPD dann auf nur noch 29,6 % gefallen. Bezirksvorsitzender Andreas Gayk kündigte Kurskorrekturen an. Bereits Ende August stand die Analyse fest: Ministerpräsident Hermann Lüdemann sei aufgrund der Affäre um das "Möwenhaus" eine Belastung für den Wahlkampf gewesen. Was jedoch auch als Vorwand gesehen werden kann, über den Andreas Gayk die Ablösung Hermann Lüdemanns betrieb, mit dessen Politik er insgesamt nicht einverstanden war. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der im Oktober 1949 berichtete, stellte kein Fehlverhalten des Ministerpräsidenten fest.[14]

Die SPD-Gremien beschlossen, Hermann Lüdemann zum Rücktritt aufzufordern und schlugen Bruno Diekmann als Nachfolger vor. Am 29. August 1949 - nur zwei Wochen nach der Bundestagswahl trat Hermann Lüdemann zurück.[15]

Zusammensetzung

Staatskanzlei

Innenministerium

Ab 9. Januar 1948 verantwortlich für Entnazifizierung.

Finanzministerium

Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Ministerium für Wirtschaft und Verkehr

(ab 6. August 1948 "Ministerium für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr")

Ministerium für Volksbildung

Ministerium für Wohlfahrt, Arbeit und Gesundheitswesen

(ab 6. August 1948 "Ministerium für Wohlfahrt und Gesundheitswesen")

Justizministerium

Ministerium für Umsiedlung und Aufbau

(ab 24. Januar 1949 Sozialministerium)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 128
  2. zitiert nach: Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 128
  3. zitiert nach: Ungefähres Gegenteil, DER SPIEGEL, 19.4.1971
  4. 4,0 4,1 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 130
  5. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 129
  6. Gesetz über den Aufbau in den schleswig-holsteinischen Gemeinden, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 15 (1949), Seite 93
  7. Polizeigesetz, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 10 (1949), Seite 61
  8. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 20 (1948), Seite 199
  9. Kleingartengesetz, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 9 (1948), Seite 59
  10. Gesetz zur Behebung der Flüchtlingsnot, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 1 (1948), Seite 1
  11. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 131
  12. Gesetz zur Einleitung der Agrarreform in Schleswig-Holstein, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, Nr. 11 (1948), Seite 81
  13. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 133
  14. Rolf Fischer: Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie (Neumünster 2006), S. 177 f.
  15. DIE WELT: Lüdemann vor Rücktritt?, 29. August 1949
  16. Personalamt Kiel: Beruflicher Werdegang Oberbürgermeister Dr. Müthling (auf der Grundlage der Personalakte beim Landes-Innenministerium), 25. Oktober 1965, Stadtarchiv Kiel-ZAS