Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Der Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand, der am 3. November 1918 begann, entwickelte sich in den folgenden Tagen zur Novemberrevolution, die zum Ende des Kaiserreiches und zur Einführung der ersten Demokratie in Deutschland führte.

Vorgeschichte

Seit 1914 war Deutschland im Ersten Weltkrieg. Über die unterschiedliche Haltung dazu war die SPD 1917 in die Mehrheits-SPD (MSPD) und die Unabhängige SPD (USPD) zerbrochen.

Hunderttausende starben im Krieg und die Versorgung mit Lebensmitteln in der Heimat wurde immer schlechter. Ab 1916 wurde immer wieder gegen den Krieg gestreikt. Ende 1917 kam es zur sozialistischen Revolution in Russland. Im September 1918 erkannte die deutsche Militärführung die Lage aus aussichtslos. Die Regierung ersuchte Anfang Oktober 1918 die Alliierten um einen Waffenstillstand. Eigenmächtig plante die Marineführung eine Selbstmordschlacht gegen die britische Marine. Als sich diese Pläne Ende Oktober bei den Matrosen in Wilhelmshaven herumsprachen, meuterten sie. Um die Meuterei unter Kontrolle zu bringen, wurde der Teil der Flotte von Wilhelmshaven am 31. Oktober nach Kiel verlegt, in dem die Meuterei am stärksten gewesen ist. Damit wurde die Revolte nach Kiel importiert.[1]

Kiel war seit 1871 Reichskriegshafen und innerhalb von knapp 50 Jahren von 30.000 auf 243.000 EinwohnerInnen angewachsen. 50.000 davon waren Militär. Die Hälfte der unter dem Drei-Klassen-Wahlrecht Wahlberechtigten wählte SPD. Tausende waren als Arbeiter in Gewerkschaften organisiert. Bereits bei den Streiks 1917 waren zwischen 17.000 und 26.000 Menschen in Kiel auf die Straße gegangen. Im Januar 1918 hatten unter Führung der USPD 30.000 Arbeiter für Friedensverhandlungen in Kiel demonstriert. Der Boden für einen Aufstand war bereitet.[2]

1. November

Freitag: In Kiel angekommen, kontaktierten die Matrosen aus Wilhelmshaven andere Truppenteile, Gewerkschaften und Politiker der MSPD und der USPD. Gut 250 Matrosen des III. Geschwaders trafen sich im Gewerkschaftshaus. Sie wollten die Freilassung der bei der Ankunft in Kiel gefangen genommenen Kameraden erreichen. Gemeinsam riefen sie zu einer Demonstration am 3. November auf. In den folgenden Tagen wurde das Gewerkschaftshaus, in dem auch die SPD ihre Geschäftsstelle hatte, zum Zentrum des Aufstands. Der Kieler Sozialdemokrat und Chefredakteur der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung, Bernhard Rausch, schrieb 1918:

"Das große Kieler Gewerkschaftshaus war im Nu zu einer lauten Kaserne geworden, in der es von fröhlichen Blaujacken wimmelte. In den stillen Räumen und Versammlungssälen, in denen früher nur die Waffen des Geistes geschärft worden waren, rasselten jetzt Gewehre, Karabiner, Pistolen, Maschinengewehre und Munition, womit die Matrosen ausgerüstet wurden, die noch nicht bewaffnet waren. Und in den Bureauräumen, in denen jahrelang ein stiller Bienenfleiß fein säuberlich gebaut hatte, und in denen sich jetzt vorübergehend allerhand Kommitees einnisteten, herrschte bald ein geniales Durcheinander von Zetteln, Kaffeetassen, Schreibmaschinen, Waffen, so daß sich manch alter ehrlicher Klassenkämpfer bedenklich hinter den Ohren kraulte."[3]

2. November

Sonnabend: Eine weitere Versammlung am 2. November wird durch die Polizei verhindert, die das Gewerkschaftshaus absperrt. Stattdessen treffen sich 500-600 Aufständische um 19 Uhr auf dem Großen Exerzierplatz im Vieburger Gehölz. Im Vergleich zum Vortag hat sich die Zahl der Anwesenden bereits verdoppelt.

3. November

Gedenk-Relief am Haus Feldstr. 5

Sonntag: An der Demonstration auf dem Exerzierplatz im Vieburger Gehölz nahmen 5000 bis 6000 Menschen teil, hauptsächlich Matrosen. Redner war unter anderem der Oberheizer Karl Artelt und der Kieler Gewerkschafter Gustav Garbe.[4] Der Protestmarsch setzte sich in Bewegung in Richtung auf das Arrestgefängnis an der Karlstraße (heute Feldstraße), Ecke Brunswiker Straße. Die Militärführung wollte den Marsch stoppen und stationierte dort einen Zug Rekruten; ihr Kommandant, ein Leutnant, hatte Anweisung, "rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen"[5]. Sieben Tote und 19 Verletzte waren das Ergebnis. Dies habe "in ganz Kiel eine ungeheure Empörung" hervorgerufen, die "zu einer breiten Solidarisierungswelle" und am nächsten Tag zu Arbeitsniederlegungen führte. [6]

Gustav Garbe

Gertrud Völcker erinnerte sich 1974 nicht an die Toten oder an revolutionäres Chaos, sondern an die Begeisterung der Sozialistischen Arbeiterjugend und an die Ordnung, mit der alles abgelaufen sei:

"Die Matrosen [...] zogen mit wehenden roten Fahnen durch die Straßen der Stadt. Die politisch bewußte Bevölkerung schloß sich ihnen an. Die Jugend war in ihrer Mitte, rote Fahnen schwingend und sozialistische Kampflieder singend. [...] Es wurden sehr schnell Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die die Machtausübung in ihre Hände nahmen und ordnend tätig wurden. Das Arbeitersekretariat [Völckers Arbeitsplatz im Gewerkschaftshaus] wurde Hauptquartier der Revolutions- oder Nachkriegsführer. Hier trafen sich zu Besprechungen der alte Gewerkschaftsführer Gustav Garbe, der Arbeitersekretär Albert Billian, der Parteiführer Wilhelm Poller, Professor Gustav Radbruch und einige andere [...]. Eines Tages mußten Else Riechers, später Else Kuklinski und ich mit unseren Schreibmaschinen aus dem Arbeitersekretariat in die Schiffs- und Maschinenbauschule umziehen, ins neu geschaffene Büro der Arbeiter- und Soldatenräte. Hier trafen wir verantwortungsbewußte aktive nette junge Soldaten an [...]."[7]

Der Bezirksvorsitzende der MSPD, Heinrich Kürbis, reist auf eigene Initiative nach Berlin und berichtet Philipp Scheidemann über die Lage in Kiel.[8] Philipp Scheidemann ist zu dieser Zeit Staatssekretär in der Regierung von Max von Baden.

Erste Matrosen verlassen Kiel, um von den Ereignissen zu berichten und in weiteren Städten Arbeiter- und Soldatenräte zu gründen.

4. November

Montag: Als Reaktion auf die Toten vom Vortag rebellierten weitere Teile von Marine und Heer, Werftarbeiter legten die Arbeit nieder. Die Matrosen bewaffneten sich und bildeten einen Soldatenrat, als dessen Sprecher Karl Artelt auftrat. Die Arbeiter beschlossen zur Unterstützung für den nächsten Tag den Generalstreik. Gouverneur Wilhelm Souchon, militärisches und zivilies Oberhaupt von Kiel, forderte Hilfe aus Berlin an - unter anderem durch einen "hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten", weil er und sein Stab die Hauptgefahr in der bewussten, gut organisierten und solidarischen Kieler Arbeiterschaft sahen.[9]

Bis zum Mittag standen alle Schiffe, der Hafen und die große Marine-Garnison unter dem Einfluss des Soldatenrats.[10]

Gustav Noske, 1907

Am Abend traf daraufhin der MSPD-Militärexperte Gustav Noske in Kiel ein und wurde von den Aufständischen jubelnd am Bahnhof empfangen - ein Hinweis darauf, dass sie nicht gegen die Regierung revoltierten, sondern sich mit ihr im Einverständnis gegen die Marineführung sahen.[11]

"14 Kieler Punkte"

Der Soldatenrat beschloss einen Forderungskatalog, der am nächsten Tag auch in der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung veröffentlich wurde[12]:

  1. Freilassung sämtlicher Inhaftierten und politischen Gefangenen.
  2. Vollständige Rede und Pressefreiheit.
  3. Aufhebung der Briefzensur.
  4. Sachgemäße Behandlung der Mannschaften durch Vorgesetzte.
  5. Straffreie Rückkehr sämtlicher Kameraden an Bord und in die Kasernen.
  6. Die Ausfahrt der Flotte hat unter allen Umständen zu unterbleiben.
  7. Jegliche Schutzmaßnahmen mit Blutvergießen haben zu unterbleiben.
  8. Zurückziehung sämtlicher nicht zur Garnison gehöriger Truppen.
  9. Alle Maßnahmen zum Schutze des Privateigentums werden sofort vom Soldatenrat festgesetzt.
  10. Es gibt außer Dienst keine Vorgesetzte mehr.
  11. Unbeschränkte persönliche Freiheit jedes Mannes von Beendigung des Dienstes bis zum Beginn des nächsten Dienstes.
  12. Offiziere, die sich mit den Maßnahmen des jetzt bestehenden Soldatenrates einverstanden erklären, begrüßen wir in unserer Mitte. Alles Übrige hat ohne Anspruch auf Versorgung den Dienst zu quittieren.
  13. Jeder Angehörige des Soldatenrates ist von jeglichem Dienste zu befreien.
  14. Sämtliche in Zukunft zu treffenden Maßnahmen sind nur mit Zustimmung des Soldatenrates zu treffen.

"Die 14 Punkte des Forderungskatalogs, den die Kieler Soldatendeputierten für verbindlich erklärten, waren gerade in ihrer Unklarheit und in ihrer Beschränkung auf die Sphäre des Militärischen ein authentischer Ausdruck der spontanen Massenbewegung."[13]

5. November

Dienstag: Die gesamte Kieler Arbeiterschaft tritt in den Generalstreik. Am frühen Morgen des 5. November bildete sich ein erster Arbeiterrat, dessen Vorsitz Gustav Garbe übertragen wurde.[14]. Zwischen Soldatenrat und Arbeiterrat gab es keine formale Zusammenarbeit.[15] Die Kriegsschiffe im Hafen hissen statt der kaiserlichen Kriegsfahne rote Fahnen. Die Soldaten verbreiten ein Flugblatt, das besagt:

"Kameraden! Der gestrige Tag wird in der Geschichte Deutschlands ewig denkwürdig sein. Zum ersten Male ist die politische Macht in die Hände der Soldaten gelangt. Ein Zurück gibt es nicht mehr! Große Aufgaben liegen vor uns. Aber damit sie erfüllt werden können, ist Einigkeit und Geschlossenheit der Bewegung notwendig!"[16]

Bei planlosen Schießereien werden 10 Menschen getötet und 21 verletzt. Die Matrosen vermute, dass Offiziere aus den Häusern heraus auf die Aufständischen schießen. Gouverneur Admiral Souchon versucht das Töten per Flugblatt zu unterbinden. Es verpflichtet Offiziere "Gewaltmaßregeln zu unterlassen".[17] Prinz Heinrich, Bruder des Kaiser, flieht aus Kiel. Auch der Soldatenrat ruft erneut dazu auf, unbedingt Ruhe und Ordnung zu bewahren.[18] Per Akklamation auf dem Wilhelmplatz hatte sich zuvor Gustav Noske zum Vorsitzenden des Soldatenrats wählen lassen.[19]

6. November

Mittwoch:

7. November

Donnerstag: Gustav Noske wird vom Soldatenrat zum Gouverneur gewählt. Der bisherige Gouverneur Wilhelm Souchon übergab das Amt und teilte dem Reichsmarineamt in einem Telegramm mit, dass dieser Zug die einzige Möglichkeit sei, Ruhe in den Aufstand zu bringen. Damit übergab der letzte Repräsentant des Kaisers das Kommando an einen Repräsentanten der Reichstagsmehrheit. "Zum erstenmal wohl in der Weltgeschichte war damit einem Mann der nie Soldat gewesen war, das Kommando über rund 80000 Soldaten übertragen worden[20]," schrieb Gustav Noske in seinen Erinnerungen. Lothar Popp übernimmt von Gustav Noske den Vorsitz des Soldatenrates.[21] Damit ist die Lage in Kiel soweit stabilisiert, dass der Fokus nach Berlin rückt.[22]

8. November

Freitag:

Matrosen, die seit dem 3. November die revolutionäre Botschaft ins Land tragen, erreichen zum Beispiel Neustadt in Holstein. Am 8. November wird dort ein Arbeiter- und Soldatenrat gegründet, nachdem am Nachmittag um 15:30 Uhr Abgesandte des Kieler Arbeiter und Soldatenrates auf einem Pferdewagen eingetroffen waren. Diese Abordnung bestand nur aus vier Personen. Da niemand Widerstand leistete, übernahmen sie Wache und Rathaus und schickten die Mannschaften der in der Stadt liegenden Landsturm-Kompanie vorläufig für 14 Tage nach Hause. Am Abend, in einer Arbeiterversammlung im Tivoli, wurde dann der Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Die Abgesandten des Kieler Arbeiter und Soldatenrats sollen die Kriegskasse der Landsturmkompanie mitgenommen und nach Oldenburg weitergezogen sein.[23]

9. November

Sonnabend: In Berlin erklärt Reichskanzler Max von Baden die Abdankung des Kaisers. Um 14 Uhr ruft Philipp Scheidemann die Republik aus: "Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!". Der Kaiser geht am 10. November in Holland ins Exil. Das ist das Ende des Kaiserreichs und der Beginn der Demokratie in Deutschland.

Die Matrosen, die bereits seit dem 3. November Kiel verlassen haben, um von die Kunde von den Ereignissen ins Land zu tragen, gründen in den Folgetagen Arbeiter- und Soldatenräte in norddeutschen Küstenstädten ab dem 7. November auch im Binnenland. Die SPD Neumünster erinnerte sich 1927 beispielsweise daran, wie die Revolution ihre Stadt erreichte:

"Mit dem Ausbruch der Revolution in Kiel schlugen die Wellen derselben sofort nach hier über, trotzdem blieb die hiesige Garnison fest, und war es möglich, zur Unterdrückung resp. Eindämmung des Herdes, von hier Militär nach Kiel zu entsenden. Die Lorbeeren dieses Feldzuges waren aber deprimierend und die Entsendung ein vollständiger Fehlschlag. Erst mit dem Umsturz in Berlin am 9. November kam auch die Sache hier in Neumünster ins Rollen. Am Abend diese Tages wurden die Mannschaften in verschiedenen Lokalen zur Bildung eines Soldatenrates zusammengerufen. Die gewählten Mitglieder des Soldatenrates traten gleich darauf zusammen, um sich zu konstituieren. Als Vorsitzender wurde einstimmig der Unteroffizier Katz vom Ersatz-Batl. 163 gewählt. Ein Marineoberfeuerwerker aus Kiel gab einen eingehenden Bericht über die Ursache und Entstehung der Bewegung am 5.6 und 6. November in Kiel. Zur gleichen Zeit tagten die am Orte noch ansässigen Genossen im Gewerkschaftshaus. Nach einer kurzen Darlegung der augenblicklichen Lage wurde von den den Genossen ein Arbeiterrat von 16 Personen gewählt. Gewählt wurden ausschließlich Mitglieder der SPD, obgleich die USPD schon den ganzen Tag ihre aus Kiel gesandten Agitatoren hatte arbeiten lassen. Zum Vorsitzenden des Arbeiterrats wurde Genosse M. Richter gewählt. Der A.- und S.-Rat trat sofort in Tätigkeit und übernahm die ausführende Macht. Eine nach der Wahl des A.- und S.-Rats von diesem erlassene Proklamation setze die Bevölkerung von den gegebenen Tatsachen in Kenntnis. Die Geschäftsführung des A.- und S.-Rats war eingeteilt in die zentrale Militärverwaltung, Gerichtsangelegenheiten, Kommunalverwaltung, Verkehr und Ernährung sowie die Presse. Die Stadtverwaltung suchte sich bald den neuen Verhältnissen anzupassen."[24]

Gedenken

Das "Breuste-Denkmal"

Revolutionsdenkmal im Kieler Ratsdienergarten von Hans-Jürgen Breuste (1978-82)

Seit 1982 steht im Ratsdienergarten am Jensendamm das Denkmal "Wik" oder "Feuer aus den Kesseln", eine Skulptur aus Granit und Cor-Ten-Stahl von Hans-Jürgen Breuste.

"Für den Künstler sind die Granitsäulen ein Symbol der Macht, während die scheinbar im Boden versinkenden Stahlkörper die Auflösung des alten Staatsgefüges darstellen. Die alte Macht wird aus ihrer Verankerung gerissen, das Untere nach oben gekehrt."[25]

Sie wurde zur Erinnerung an die Ereignisse vom November 1918 von der Stadt auf Beschluss der Ratsversammlung 1978 in Auftrag gegeben. Vorangegangen waren grundsätzliche Auseinandersetzungen über den Charakter des Arbeiter- und Matrosenaufstandes. 1982 weihte einer der Initiatoren, Stadtpräsident Rolf Johanning, sie ein - unter Beteiligung eines(!) Ratsherrn der CDU-Fraktion, die dieses Denkmal bis zuletzt bekämpfte. Damit begann ein allmählicher Wandel hin zu einer positiveren Bewertung der Ereignisse.

Seitdem legen die Kieler SPD und der DGB jedes Jahr zum Jahrestag im November am Breuste-Denkmal einen Kranz nieder. 2017 lasen Mitglieder des AK Geschichte der Kieler SPD dazu zeitgenössische Texte.[26]

SPD-Veranstaltungen

Nach Rolf Johanning war es etwa ab 2008 vor allem Rolf Fischer, der die positivere Sichtweise auf die Novemberrevolution als Geburtsstunde der ersten Demokratie in Deutschland in Reden, Fachveranstaltungen und Stadtführungen vertritt. Zum 90. Jahrestag organisierte er mit der Juso-Hochschulgruppe einen gut besuchten Kongress zum Thema mit dem Historiker Prof. Dr. Peter Brandt.

Platz der Kieler Matrosen

Am 1. November 2013 enthüllte Kulturdezernent Wolfgang Röttgers für die Landeshauptstadt Kiel auf dem Platz der Kieler Matrosen vor dem Kieler Hauptbahnhof eine Stele zur Erinnerung an die Revolution. Der Text lautet:

2013 errichtete Stele auf dem Platz der Kieler Matrosen
"Das Ende des Deutschen Kaiserreiches im November 1918 nahm seinen Anfang in Kiel. Obwohl Deutschland den Ersten Weltkrieg bereits verloren hatte, sollte die Hochseeflotte im Oktober noch einmal in einen aussichtslosen Kampf geschickt werden. Teile der Besatzungen leisteten dagegen Widerstand. Was in Wilhelmshaven als Meuterei begann, wurde in Kiel zu einem breiten Aufstand. Hier verbündeten sich die aufständischen Matrosen mit der organisierten Arbeiterschaft.
Am 3. November marschierte ein bewaffneter Zug mit mehr als 5.000 Demonstranten durch Kiel. Am Bahnhof gab es ein erstes Todesopfer. An der Brunswiker Straße kam es zu einer Schießerei mit sieben Toten und 29 Verletzten. Das Blutvergießen führte zu einer breiten politischen Massenbewegung. Es wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat gegründet, der revolutionäre Forderungen formulierte. Am 9. November erfasste die Revolution Berlin. Kaiser Wilhelm II. musste abdanken und der SPD-Politiker Philipp Scheidemann proklamierte die Geburt der Deutschen Republik, allgemein bekannt als die 'Weimarer Republik'."

Das dazu gezeigte Foto hat sich mittlerweile als aus Berlin stammend herausgestellt, wenn darauf auch aus Kiel angereiste Einheiten zu sehen sind.

Bei der deutschen Bezeichnung wurde säuberlich vermieden, anzudeuten, welche Kieler Matrosen gemeint waren. Die englische Übertragung des Textes benennt den Platz dagegen klar als Kiel Mutiny Memorial Square. Weiter heißt es im englischen Text:

"The fall of the German Empire in November 1918 began in Kiel. Although Germany had effectively lost World War I, the High Seas Fleet was still ordered once more into a hopeless battle. Some of the sailors resisted. What began as a mutiny in Wilhelmshaven became a broad rebellion in Kiel, where the mutinying sailors were joined by organized trade unions.
On the 3rd of November 1918, more than 5,000 demonstrators marched through Kiel. Fighting at the central station led to the movement's first victims. A shootout on Brunswiker Straße left seven dead and 29 injured. The bloodshed gave birth to a broad political mass movement. A workers and solidarity council was founded, which formulated revolutionary demands. On the 9th of November, the revolution reached Berlin. Emperor Wilhelm II was forced to abdicate and Philipp Scheidemann proclaimed the birth of the 'German Republic', commonly known as the 'Weimar Republic'."

Es ist sicher nicht einfach, ein so komplexes Geschehen angemessen und korrekt in 150 Wörter zu fassen ...

Weitere Gedenkorte

Die zivilen Opfer des Arbeiter- und Matrosenaufstandes wurden auf dem Parkfriedhof Eichhof bestattet, die militärischen auf dem Nordfriedhof. Die Anlage auf dem Eichhof mit ihrem zentralen Gedenkstein überlebte auf geradezu kuriose Weise die NS-Zeit; allerdings wurden im November 1934 SPD-Mitglieder verhaftet, während sie die Schrift des Gedenksteins erneuerten.[27] Ab 1945 versammelte sich die SPD dort viele Jahre lang zu Gedenkveranstaltungen am Jahrestag.

Eine Gedenktafel von 1978 am Kieler Gewerkschaftshaus informiert: "In diesem Haus tagte Anfang November 1918 der Kieler Arbeiter- und Soldatenrat. Er gab den entscheidenden Anstoss zur Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 in Berlin."

Die AWO Kiel ließ am Haus Feldstr. 5 (früher Karlstraße) das oben rechts abgebildete Messingrelief mit dem Text anbringen: "Am 3. November 1918 demonstrierten Matrosen und Arbeiter in Kiel gegen den Krieg, für Freiheit und Frieden und Brot. Gegen 19.00 Uhr erreichten sie diese Straßenecke. Eine Kompanie kaisertreuer Soldaten schoß in die Menge. Zurück blieben 7 Tote und 29 Verletzte. [...]"

Literatur

  • Auge, Oliver: Problemfall Matrosenaufstand. Kiels Schwierigkeiten im Umgang mit einem Schlüsseldatum seiner und der deutschen Geschichte, in: Demokratische Geschichte 25(2014), S. 307-328
  • Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 241-258
  • Dähnhardt, Dirk: Revolution in Kiel. Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik 1918/19. (Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 64, Neumünster, 1978) ISBN 3-529-02636-0. (Zugleich: Kiel, Univ., Diss., 1977).
  • Danker, Uwe: Revolutionsstadt Kiel. Ausgangsort für die erste deutsche Demokratie, in: Demokratische Geschichte 25(2014), S. 285-306
  • Beier, Gerhard: Carl Legien, die Gewerkschaften und die Kieler Revolution, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 67 (1980), S. 189-210
  • Erdmann, Karl Dietrich: Rätestaat oder parlamentarische Demokratie? Neuere Forschungen zur Novemberrevolution 1918 in Deutschland, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 68 (1981-1983), S. 182-200
  • Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution. Beiträge zum Kongress der Kieler SPD zum 90. Jahrestag der Revolution 1918 (Kiel 2009)
  • Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution und Revolutionsforschung. Beiträge aus dem Kieler Initiativkreis 1918/19 (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 67, Kiel 2011) ISBN 978-3-86935-059-2
  • Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band II: 1900 - 1920) (Kiel 2013) ISBN 987-3-86935-196-4
  • Hoop, Edward: November 1918 – Die Revolution in Rendsburg, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 269-275
  • Pohl, Karl Heinrich: Die Revolution von 1918/19 in Deutschland, in: Demokratische Geschichte 11(1998), S. 73-86
  • Popp, Lothar/Artelt, Karl: Ursprung und Entwicklung der November-Revolution 1918 (Kiel 1918, Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983, S. III-3 - III-30)
  • Prinz, Ernst: Erinnerungen eines Kieler Architekten und Die Revolution in Kiel 1918 nach Tagebucheintragungen vom 6. November 1918, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 57 (1970), S. 109-134
  • Rausch, Bernhard: Am Springquell der Revolution. Die Kieler Matrosenerhebung, (Kiel 1918, Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983, S. II-3 - II-31)
  • Schulte, Rolf: Revolution in der Provinz: Eckernförde 1918, in: Demokratische Geschichte 2(1987), S. 93-114
  • Siegfried, Detlef: Das radikale Milieu. Kieler Novemberrevolution, Sozialwissenschaft und Linksradikalismus 1917 - 1922 (Wiesbaden 2004)
  • Völcker, Gertrud: Erinnerungen. 50 Jahre Öffentlichkeitsarbeit. Teil I: Bis 1945 (Unveröff. Typoskript, Kiel 1974) [Stadtarchiv Kiel]
  • Wette, Wolfram: Gustav Noske und die Revolution in Kiel 1918 (Heide 2010) ISBN 978-3-8042-1322-7

Links

Ereignisse anderswo in Schleswig-Holstein

Quellen

  1. Wette: Gustav Noske, S. 14
  2. Colmorgen / Liesching: Denkmal, S. 249
  3. Rausch: Springquell, S. II-19
  4. Wette: Gustav Noske, S. 15
  5. Wette: Gustav Noske, S. 15
  6. Wette: Gustav Noske, S. 15 f.
  7. Völcker: Erinnerungen, S. 11 f.
  8. Wette: Gustav Noske, S. 18
  9. Wette: Gustav Noske, S. 17
  10. Brandt, Peter in: Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution und Revolutionsforschung. Beiträge aus dem Kieler Initiativkreis 1918/19 (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 67, Kiel 2011) ISBN 978-3-86935-059-2
  11. Wette: Gustav Noske, S. 21 f.
  12. Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 5. November 1918
  13. Brandt, Peter in: Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution und Revolutionsforschung. Beiträge aus dem Kieler Initiativkreis 1918/19 (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 67, Kiel 2011) ISBN 978-3-86935-059-2
  14. Dähnhardt: Revolution, S. 91 f.
  15. Geckeler, Christa: "Matrosenaufstand in Kiel: Beginn der deutschen Revolution"
  16. Jensen, Jürgen in: Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution und Revolutionsforschung. Beiträge aus dem Kieler Initiativkreis 1918/19 (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 67, Kiel 2011) ISBN 978-3-86935-059-2
  17. Wette: Gustav Noske, S. 50
  18. Wette: Gustav Noske, S. 51
  19. Jensen, Jürgen in: Fischer, Rolf (Hrsg.): Revolution und Revolutionsforschung. Beiträge aus dem Kieler Initiativkreis 1918/19 (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 67, Kiel 2011) ISBN 978-3-86935-059-2
  20. Noske, Gustav: "Von Kiel bis Kapp", Verlag Der Wissenschaften Dez 2015 ISBN 9783957006103
  21. Colmorgen / Liesching: Denkmal, S. 250
  22. Wette: Gustav Noske, S. 49
  23. SPD Neustadt: "1902-2003 100 Jahre SPD Neustadt in Holstein" (Neustadt, 2003)
  24. SPD Neumünster: "Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der Sozialdemokratischen Parteiorganisation Neumünster" von 1927. Nachdruck im Jahre 1987 durch den SPD-Kreisverband Neumünster anläßlich des 120jährigen Bestehens der SPD Neumünster.
  25. Kulturspuren Matrosenaufstand: Denkmal Wik auf den Seiten der Landeshauptstadt Kiel, abgerufen 11.11.2017
  26. Udo Carstens: Appell zu Frieden und Freiheit am Denkmal für die Matrosen von 1918, sh.z, 9.11.2017, abgerufen 10.11.2017
  27. Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 244