Kommunales Wahlrecht für AusländerInnen: Unterschied zwischen den Versionen

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: "Die SPD wird das kommunale Wahlrecht ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Schleswig-Holstein einführen."<ref>Beschlussdatenbank: [http://beschluesse.spd-schleswig-holstein.de/wiki/Aufbruch_im_Norden._Programm_der_SPD_Schleswig-Holstein_(1987) ''Aufbruch im Norden. Programm der SPD Schleswig-Holstein'' (1987)]</ref>
: "Die SPD wird das kommunale Wahlrecht ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Schleswig-Holstein einführen."<ref>Beschlussdatenbank: [http://beschluesse.spd-schleswig-holstein.de/wiki/Aufbruch_im_Norden._Programm_der_SPD_Schleswig-Holstein_(1987) ''Aufbruch im Norden. Programm der SPD Schleswig-Holstein'' (1987)]</ref>


Direkt nach der Wahl setzte die Regierung von [[Björn Engholm]] dieses Versprechen um - Schleswig-Holstein sollte das erste Bundesland mit Wahlrecht für hier lebende AusländerInnen werden: Im Februar [[1989]] beschloss der Landtag mit den Stimmen von SPD und SSW das ''Gesetz zu Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes'' ([http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-194.pdf Drucksache 12/194]). Das kommunale Wahlrecht sollten Menschen aus Staaten erhalten, die ihrerseits Deutschen das Wahlrecht gaben. Zu dieser Zeit waren das die Schweiz, Irland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Dänemark. Dazu mussten sie seit 5 Jahren legal in Deutschland wohnen. 5.500 der 80.000 in Schleswig-Holstein lebenden AusländerInnen wären damals wahlberechtigt geworden.<ref>[[Cai-Uwe Lindner]]: ''Der [[Ortsverein Hasseldieksdamm/Mettenhof|SPD-Ortsverein Hasseldieksdamm/Mettenhof]] – Geschichte und politisches Wirken'' (Kiel 1991)</ref>
Direkt nach der Wahl setzte die Regierung von [[Björn Engholm]] dieses Versprechen um - Schleswig-Holstein sollte das erste Bundesland mit Wahlrecht für hier lebende AusländerInnen werden: Im Februar [[1989]] beschloss der Landtag mit den Stimmen von SPD und SSW das ''Gesetz zu Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes'' ([http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-194.pdf Drucksache 12/194]). Das kommunale Wahlrecht sollten Menschen aus Staaten erhalten, die ihrerseits Deutschen das Wahlrecht gaben. Zu dieser Zeit waren das die Schweiz, Irland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Dänemark. Dazu mussten sie seit 5 Jahren legal in Deutschland wohnen. 5.500 der 80.000 in Schleswig-Holstein lebenden AusländerInnen wären damals wahlberechtigt geworden.<ref>[[Cai-Uwe Lindner]]: ''Der [[Ortsverein Mettenhof/Hasseldieksdamm|SPD-Ortsverein Hasseldieksdamm/Mettenhof]] – Geschichte und politisches Wirken'' (Kiel 1991)</ref>


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Version vom 24. September 2017, 12:29 Uhr

Für ein Kommunales Wahlrecht für AusländerInnen setzt sich die SPD Schleswig-Holstein seit mindestens Mitte der 1970er Jahre ein. Ausländerinnen und Ausländer, die schon längere Zeit in Schleswig-Holstein leben, sollen sich auch mit einem Mandat an der Kommunalpolitik beteiligen dürfen. Für EU-Bürgerinnen und -Bürger gilt dieses Recht seit der Kommunalwahl 1998. Bis dahin konnten nur deutsche Staatsbürger bei Kommunalwahlen wählen und für öffentliche Mandate kandidieren.

Ausländerpolitik wird Gesellschaftspolitik

Türkische Gastarbeiter am "Tag des Kindes" in Kiel, 1975

Seit 1955, verstärkt seit 1960 hatte die Bundesrepublik Deutschland vor allem in Mittelmeerländern sogenannte "Gastarbeiter" angeworben, Männer und Frauen, die die gut laufende Wirtschaft um zusätzliche Arbeitskräfte ergänzten. In der Ölkrise ab 1974 kam die Konjunktur ins Stocken. Die Anwerbeabkommen für "Gastarbeiter" wurden ausgesetzt, die vorhandenen Zugewanderten wurden aber auf absehbare Zeit gebraucht.

Die Frage nach Integration und Teilhabe der Neubürger stellte sich erst nach und nach. Bereits der Landesparteitag 1977 stellte im Rahmen eines umfangreichen Beschlusses zur Kommunalpolitik auch die Forderung auf,

"... Ausländern, die aus der Europäischen Gemeinschaft stammen und fünf Jahre in der Bundesrepublik wohnhaft sind, das Kommunalwahlrecht einzuräumen."[1]
Heinz Kühn, 1966

1978 richtete die sozial-liberalen Bundesregierung von Helmut Schmidt das Amt des Ausländerbeauftragten ein. Der erste Amtsinhaber, Nordrhein-Westfalens ehemaliger Ministerpräsident Heinz Kühn, legte ein Memorandum[2] vor, nach dem Ausländerpolitik nicht länger reine Arbeitsmarktpolitik, sondern in erster Linie Gesellschaftspolitik sein sollte. Es warf die Frage nach der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis hin zum Kommunalwahlrecht auf.

1981 bekräftigte die SPD Schleswig-Holstein ihren Beschluss von 1977 mit den Kommunalpolitischen Schwerpunkten und forderte für den Übergang die Schaffung kommunaler Ausländerbeiräte:

"Solange das von uns angestrebte kommunale Wahlrecht der Ausländer nicht verwirklicht ist, sollen Ausländerbeiräte zur Beratung der kommunalen Vertretungskörperschaften eingerichtet werden."[3]

Die Kieler SPD zum Beispiel nahm eine solche Forderung auch in ihr Programm zur Kommunalwahl 1982 auf:

"Für ausländische Mitbürger mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis ist das aktive und passive Kommunalwahlrecht einzuführen."[4]

Auf dem Kreisparteitag am 31. März 1984 zog sie nach und legte Kommunalpolitische Perspektiven der Ausländerpolitik in Kiel vor.

Wahlrecht bei Gegenseitigkeit

Im Wahlprogramm zu den Landtagswahlen 1987 und 1988 setzte die SPD sich das Ziel:

"Die SPD wird das kommunale Wahlrecht ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Schleswig-Holstein einführen."[5]

Direkt nach der Wahl setzte die Regierung von Björn Engholm dieses Versprechen um - Schleswig-Holstein sollte das erste Bundesland mit Wahlrecht für hier lebende AusländerInnen werden: Im Februar 1989 beschloss der Landtag mit den Stimmen von SPD und SSW das Gesetz zu Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes (Drucksache 12/194). Das kommunale Wahlrecht sollten Menschen aus Staaten erhalten, die ihrerseits Deutschen das Wahlrecht gaben. Zu dieser Zeit waren das die Schweiz, Irland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Dänemark. Dazu mussten sie seit 5 Jahren legal in Deutschland wohnen. 5.500 der 80.000 in Schleswig-Holstein lebenden AusländerInnen wären damals wahlberechtigt geworden.[6]

[[Datei:{{#setmainimage:Cathy_Kietzer.jpg}}|thumb|180px|right|Cathy Kietzer, 2007]] Als eine der ersten bewarb sich die Kielerin Cathy Kietzer um ein Mandat bei der Kommunalwahl 1990 - sie lebte da bereits seit 20 Jahren in Deutschland, war seit vier Jahren Vorsitzende der SPD Mettenhof/Hasseldieksdamm.

Allerdings beantragte die CDU-Bundestagsfraktion die Übrtprüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht. Der SPIEGEL fasste die Positionen in der Debatte so zusammen:

"Das Rechtsproblem, das in Karlsruhe verhandelt wird, läßt sich auf die Interpretation einer einzigen Zeile des Grundgesetzes reduzieren: 'Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.' Nach Ansicht der Konservativen können damit natürlich nur deutsche Volksgenossen gemeint sein. Isensee: 'Ein Wahlrecht für Ausländer wäre demokratiewidrige Fremdbestimmung. Es hinderte das deutsche Volk, in der Wahl seine demokratische Identität zu finden. Andere Experten, wie der Frankfurter Staatsrechtler Hans Meyer, haben eine weniger bombastische Erklärung: Die schlichte Forderung der Verfassung bedeute nur, daß die Staatsgewalt 'nicht von Gott, einer Dynastie oder einer Partei' ausgehe, sondern eben vom Volk. Nach Ansicht des Frankfurter Rechtsprofessors Manfred Zuleeg, Richter am Europäischen Gerichtshof, ist es "eine Frage des politischen Willens', wie diese Verfassungsvorschrift interpretiert wird. Zuleeg hält eine nationalistische Definition des Volksbegriffs für falsch. 'Volk' sei die 'Lebens- und Schicksalsgemeinschaft auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland', also inklusive der Ausländer. Laut Grundgesetz hätten die Gemeinden das Recht, meint der Nestor des deutschen Verfassungsrechts, Helmut Simon, 67, 'alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln'. Simon: 'Zur örtlichen Gemeinschaft gehören auch Ausländer. Es ist wichtig, daß diese Menschen über Dinge mitentscheiden können, die auch sie etwas angehen.'"[7]

Das Bundesverfassungsgericht kassierte das kommunale Wahlrecht am 12. Oktober 1989: Das "Volk" sei nur das deutsche Volk, das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Das schließe die Gewährung eines Kommunalwahlrechts an Ausländer aus.[8]

Damit konnte Cathy Kietzer nicht mehr antreten. Den Kieler Nachrichten sagte sie: "Ich finde es allerdings unbegreiflich, daß hier in Deutschland ein Gesetz abgeschlagen wird, das in alten Demokratien wie Dänemark, Norwegen oder Schweden schon jahrelang praktiziert wird."[9]

Wahlrecht für EU-BürgerInnen

Das kommunale Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger der EU kam im November 1993 mit dem Vertrag von Maastricht. Dass es dann nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundes- und EU-weit eingeführt wurde, war für die SPD Schleswig-Holstein eine späte Genugtuung. Der Vertrag von Maastricht legte fest:

"Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaates."[10]

Um das umzusetzen, wurde Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes am 21. Dezember 1992 um einen Satz 3 ergänzt:

"Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar."

Die SPD Schleswig-Holstein forderte mit einem Beschluss auf dem Landesparteitag 1995 die Umsetzung für die Kommunalwahl 1998:

"Die SPD fordert die Übernahme der EU-Richtlinie zur Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts für EU-Ausländer. Durch Landesrecht muß sichergestellt werden, daß diese Richtlinie zur Kommunalwahl 1998 auch in Schleswig-Holstein wirksam wird. Darüber hinaus muß sichergestellt werden, daß Ausländerinnen und Ausländer, die von dieser Richtlinie nicht erfaßt werden und seit längerer Zeit ihren Lebensmittelpunkt in Schleswig-Holstein haben, Rechte erhalten, die ihnen ermöglichen, an kommunalen Entscheidungsprozessen unterhalb der Ebene des Wahlrechts mitzuwirken."[11]

1995 beschloss die SPD-geführte Landesregierung eine Reform des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes - dort war auch das Wahlrecht für EU-Bürger vorgesehen.[12]

Zur Kommunalwahl 1998 trat dann auch Cathy Kietzer ganz regulär an und wurde gewählt. Sie blieb in der Ratsversammlung bis 2013 und wurde sogar zweimal zur Stadtpräsidentin gewählt.

Wahlrecht für AusländerInnen

Die SPD befürwortete weiterhin das kommunale Wahlrecht auch für Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland. Im Grundsatzprogramm, das die Partei auf dem Bundesparteitag am 28. Oktober 2007 in Hamburg beschloss, heißt es:

"Denen, die noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber schon längere Zeit hier leben, wollen wir das kommunale Wahlrecht geben, auch wenn sie nicht aus EU-Staaten kommen."[13]

Es sei nicht einzusehen, dass Menschen anderer Nationalität, die lange hier lebten, ihre Pflichten z.B. beim Zahlen von Steuern erfüllten und sich an Recht und Gesetz hielten, das Wahlrecht verwehrt werde, schrieb Ralf Stegner 2008 in einer Pressemitteilung. Dieses eröffne, gerade auf kommunaler Ebene, die Chance der Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am Geschehen und an der Gestaltung ihrer Gemeinde."[14]

2013 beschloss die Küstenkoalition gemeinsam mit Piraten und FDP eine Bundesratsinitiative für eine Grundgesetzänderung, die ein Wahlrecht auch für Nicht-EU Bürgerinnen und Bürger ermöglichen sollte.

"Der Schleswig-Holsteinische Landtag fordert die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu starten, das bereits bestehende aktive und passive Wahlrecht für Unionsbürger zu Kommunal- und Europawahlen auf den Bereich der Landtagswahlen auszuweiten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob eine Ausweitung mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder ob es möglicherweise grundgesetzlicher Anpassungen bedarf. "[15]

Links

Quellen

  1. Beschlussdatenbank: III: Kommunalpolitik (1977)
  2. Kühn, Heinz: Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland, September 1979
  3. Beschlussdatenbank: Schwerpunkte der Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein zur Kommunalpolitik (1981)
  4. SPD Kiel (Hrsg.) Perspektiven: Kommunalpolitisches Programm der Kieler SPD, beschlossen vom Kreisparteitag am 1. November 1981
  5. Beschlussdatenbank: Aufbruch im Norden. Programm der SPD Schleswig-Holstein (1987)
  6. Cai-Uwe Lindner: Der SPD-Ortsverein Hasseldieksdamm/Mettenhof – Geschichte und politisches Wirken (Kiel 1991)
  7. Bohrung und Durchstich, DER SPIEGEL, 9.10.1989
  8. BVerfG, Urteil vom 31.10.1990, Az. 2 BvF 2, 6/89; BVerfGE 83, 37 - Ausländerwahlrecht I.
  9. Cathy Kietzer nimmt's gelassen, Kieler Nachrichten , Oktober 1989, zit. in: Cai-Uwe Lindner: Der SPD-Ortsverein Hasseldieksdamm/Mettenhof – Geschichte und politisches Wirken (Kiel 1991)
  10. Kommunalwahlrecht für Ausländer: Vor 20 Jahren war SH Vorreiter, Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Nr. 044/2008
  11. Beschlussdatenbank: A2.1: III. Stufe Kommunalverfassungsreform (1995)
  12. Landtagsinformationssystem: Gesetz- und Verordnungsblatt 1997 Nr. 6, S. 147-166
  13. SPD: Hamburger Programm, 2007
  14. Kommunalwahlrecht für Ausländer: Vor 20 Jahren war SH Vorreiter, Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Nr. 044/2008
  15. Drucksache 18/737 (neu)