Kreisverband Lübeck

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Der Kreisverein, später Kreisverband Lübeck wurde im September 1945 wiedergegründet. Er umfasst aktuell 17 Ortsvereine mit über 1.000 Mitgliedern.

Kaiserreich

Gebiet der Freien und Hansestadt Lübeck bis 1937
Die Freie und Hansestadt Lübeck war ein eigenständiger Gliedstaat des Deutschen Reiches und gehörte nicht zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Lübeck bestand damals aus Lübeck, Travemünde sowie 49 Dörfern und 34 Höfen, die teilweise Exklaven waren. Die Stadt grenzte im Norden an das Fürstentum Lübeck, welches Teil des Großherzogtums Oldenburg war.

Seit 1866 gibt es in Lübeck eine sozialdemokratische Parteiorganisation. Die Anfänge waren noch klein und Lübeck noch weitestgehend eine Stadt des Handels mit 40.000 Einwohnern. Im selben Jahr lösten die neu eingeführte Gewerbefreiheit in der Stadt und der Anschluss an den Norddeutschen Bund eine neue Dynamik aus. Die traditionelle Handelsstadt wandelte sich zur Industriestadt.

Auch in Lübeck verbot das Sozialistengesetz ab 1878 die Arbeit der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Sie suchten sich unauffällige andere Vereine und öffentliche Veranstaltungen als Tarnung. Die Genossinnen und Genossen trafen sich in umliegenden Wäldern zu Besprechungen, bei denen Posten vor Polizeispitzeln warnten.[1]

Die Organisationen der Sozialdemokratie waren verboten, aber als Einzelkandidaten durften Sozialdemokraten weiterhin an Wahlen teilnehmen und taten dies trotz des Verbots mit wachsendem Erfolg. Ab 1884 wurden die Ergebnisse der sozialdemokratischen Kandidaten bei Reichstagswahlen immer besser. 1890 gewann Theodor Schwartz erstmals den Reichstagswahlkreis für die Lübecker Sozialdemokratie.

1889 gründete die Arbeiterbewegung die Lübecker Vereinsbäckerei, die zu ihrem wirtschaftlichen Standbein wurde.[1]
Theodor Schwartz
Das Ende des Sozialistengesetzes und die Industrialisierung der Stadt sorgten für ein starkes Wachstum der Sozialdemokratie in Lübeck. Die Bespitzelung durch die Polizei ging jedoch weiter. In einem Polizeibericht vom 1893 heißt es:

"Handwerksgesellen, die kleinen Wirthe, Gewerbetreibenden und Krämer, die Unterbeamten, zum nicht kleinen Theil auch die Subalternbeamten im Staats- und Gemeindedienst, die unteren Eisenbahnbeamten, namentlich untere Post- und Telegraphenbeamte gehören mit geringen Ausnahmen der Sozialdemokratie an … Das Gruppenbild der sozialdemokratischen Reichstagsmitglieder findet sich in unendlich vielen Wohnungen … Kinder von 7-8 Jahren hört man die Arbeitermarseillaise singen oder pfeifen".[2]

1894, als die SPD in Lübeck ca. 500 Mitglieder hatte, begann die Arbeiterbewegung mit dem Lübecker Volksboten eine eigene Zeitung zu organisieren. Geschäftsführer wurde ebenfalls Theodor Schwartz, der zu dieser Zeit eine der prägendsten Persönlichkeiten der Lübecker SPD war.

Auslöser für die Gründung der Zeitung war der Verlust des Reichstagsmandats. Aber schon in der nächsten Wahl konnte die SPD das Mandat wieder gewinnen. Ab der Reichstagswahl 1898 durchgängig bis 1933 wurde Lübeck im Reichstag von einem sozialdemokratischen Abgeordneten repräsentiert. Theodor Schwartz übte das Mandat 20 Jahre lang aus, bis 1918.

Die Vereinsbäckerei versorgte die Arbeiterbewegung mittlerweile nicht mehr nur mit günstigem Brot. Sie warf so viel Geld ab, dass sich die Lübecker 1896 ein "Vereinshaus" bauen konnten. Dort hatten sie Platz für Versammlungen von SPD und Gewerkschaften. Es gab einen Festsaal, ein Café, eine Bibliothek und den Lübecker Volksboten.[3] SPD und Gewerkschaften teilten sich nicht nur das Haus, sie hatten zahlreiche personelle Überschneidungen und arbeiteten eng zusammen.[1]

Durch das "Verbindungsverbot" im Vereinsgesetz durften sich bis 1899 politische Vereine nicht überregional zusammenschließen. Aber natürlich wirkten Angehörige der Lübecker Arbeiterbewegung auch in der Umgebung. So berichtete der Lübecker Volksbote beispielsweise über Auftritte des Lübeckers Theodor Bartels im Fürstentum Lübeck.[4] Theodor Schwartz kandidierte dort für den Reichstag.

1900 wurde in Lübeck ein Arbeitersekretariat ins Leben gerufen, das nicht nur zur Rechtsberatung, sondern auch zur Bildung der Arbeiterschaft dienen sollte. Dafür wurde ein siebenköpfiges Gremium gegründet und ein Mitgliedsbeitrag erhoben. Bald gab es eine juristische Bibliothek, in der auch Zeitungen, Belletristik und Arbeiterbildungstexte zur Verfügung standen.

Rudolf Wissell
Rudolf Wissell, 1900
Rudolf Wissell wurde als Arbeitersekretär angestellt. Er verfasste Zeitungsartikel und Jahresberichte über die immer umfangreichere Arbeit der Rechtsberatung, die an Behörden, Bürgerschaftsmitglieder, Arbeitgeber, Ärzte und viele Einzelpersonen verschickt wurden und dabei halfen, Vorurteile gegen die moderne Arbeiterbewegung in diesen Kreisen abzubauen. Das Lübecker Arbeitersekretariat hatte reichsweite Strahlkraft.[1]

Untergebracht war es, wie SPD und Gewerkschaften, im "Vereinshaus" in der Johannisstraße (heute Julius-Leber-Straße).[1]

1901 fand der reichsweite SPD-Parteitag in Lübeck statt.[5]

1904 gründeten SPD und Gewerkschaften den Lübecker Konsumverein. 1905 zogen erstmals Sozialdemokraten in die Bürgerschaft ein.

Immer wieder versuchten bürgerliche Kreise die Arbeiterbewegung zu unterdrücken. So gründeten sie eine eigene, kostenlose Rechtsberatung in Konkurrenz zum Arbeitersekretaritat oder verboten Streikposten. Und man manipulierte das Wahlrecht, damit die SPD schlechter abschnitt.[1]

Nach der Reform des Reichsvereinsgesetzes 1908 und der Abschaffung des "Verbindungsverbots" schlossen sich die Sozialdemokraten in Lübeck dem Bezirk Mecklenburg-Lübeck an.

Bis 1914 wuchs die Stadt auf 115.000 Einwohner und die SPD auf über 8.000 Mitglieder[6].

Eine USPD hat es in Lübeck nie gegeben. Theodor Schwartz trat zwar der USPD-Reichstagsfraktion bei, blieb aber in der SPD und legte großen Wert auf die Einheit der Partei. Nur wenige Lübecker Arbeiter sympathisierten mit der USPD.[1]

Weimarer Republik

Lübeck war die erste deutsche Großstadt, auf die der Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand 1918 übergriff. Am 6. November 1918 hatte die Reichsregierung noch die Hoffnung, den lokalen Aufstand in Kiel einzudämmen, indem der Bahnverkehr eingestellt wurde. Allerdings hatten die ersten "roten Matrosen" bereits am 5. November Lübeck erreicht; sofort waren die dort stationierten Garnisonen übergelaufen und hatten gemeinsam mit den Matrosen am Abend bereits die Hauptpost, das Telegrafenamt und den Bahnhof besetzt. Am nächsten Tag folgte der Generalstreik.

Dennoch war Lübeck das einzige Land des Deutschen Reiches, in dem die Regierung, hier also der Senat und mit ihm der Lübecker Bürgermeister, im Amt blieb, die Novemberrevolution also nicht zu einem Sturz der Regierung führte. Es kam in der Folge jedoch zu den gewünschten Verfassungsreformen.[7]

Trauerzug von Senator Paul Hoff, 1928
Der junge Herbert Frahm (später: Willy Brandt) wurde Anfang 1930 Vorsitzender des fünfköpfigen Kreisvorstandes der Sozialistischen Arbei­terjugend (SAJ), die in Lübeck 200 Mitglieder hatte. Als "Roter Pionier" brachte der junge Mann großes Selbstbewusstsein mit.

Weil Julius Leber ein Wort für ihn einlegte, durfte er bereits mit 16 Jahren in die SPD eintreten. In einem Artikel für den Lübecker Volksboten richtete er im September 1930 Ein Wort der Jugend an die Alten und rief dazu auf, gemeinsam "den Sozia­lismus zu erkämpfen". Die Jugend sei bereit dazu und hoffe auf Mitkämp­fer. Zu Hause bleiben sollten aber die Genossen mit den "ewigen Erfah­rungen und Abgeklärtheiten" und anderen "Alterserscheinungen".[8]

Die Genossin Bürgermeisterin während der Kinderrepublik Lübecker Bucht, 1930
Vom 5. Juli bis 1. August 1930 fand in Brodten am Theodor-Schwartz-Erholungsheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Kinderrepublik Lübecker Bucht statt. Zwischen 2000 und 2500 Kinder aus dem gesamten Reich, der Tschechoslowakei und Österreich kamen nach Lübeck, um vier Wochen lang Demokratie und Sozialismus zu leben.

Die Arbeiterschaft war zu dieser Zeit in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, weil viele Arbeiterinnen und Arbeiter erwerbslos waren. Trotzdem wurde die gesamte Arbeiterbewegung mobilisiert, um die Kinder unterzubringen und im Zeltlager zu versorgen.

Andererseits gab es schwere Differenzen zwischen der Lübecker SPD und ihrer Jugendorganisation. Die SAJ kritisierte unter anderem, dass die SPD seit Herbst 1930 das Präsidial­kabinett des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning duldete, dessen Regie­rung im Reichstag keine Mehrheit hatte. Sie bestritt den Führungsanspruch der Partei. Auch Herbert Frahm betonte die Unabhängigkeit der Jugendorganisation, die der Sozialdemo­kratie zwar verbunden sei, ihr jedoch keine Rechenschaft schulde.[8]

Um diese Differenzen zu klären, lud Julius Leber die leitenden Funktionäre der SAJ für den 20. Oktober 1931 zu einer Aussprache ein.[8] Doch Herbert Frahm und drei weitere SAJ-Führer verweigerten Julius Leber das Ge­spräch. Gemeinsam mit 180 enttäuschten Sozialdemokraten und SAJ-Mitgliedern traten sie aus der SPD aus und schlossen sich der neuen linksrevolutionären Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) an. Herbert Frahm übernahm die Leitung der örtlichen Parteijugend der SAPD.[8]

Von 1931 bis 1933 war Willy Jesse (Jg. 1897) der zuständige Parteisekretär für den Bezirk Mecklenburg-Lübeck.[9] Er starb 1971 in Eutin.

Immer offensiver - auch gewalttätig - traten die Nazis in Lübeck auf; sie bedrohten offen Julius Leber. Auch in Lübeck hatten Mitglieder von SPD, DDP und Zentrum das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet, um die Republik zu schützen. Otto Passarge war dessen Leiter in Lübeck und dessen technischer Leiter im Gau Mecklenburg-Lübeck.

1932 hatten die Reichsbanner-Angehörigen Karl Kaehding und Johannes Fick alkoholisiert eine tätliche Auseinandersetzung mit einem SA-Mann, bei der sie ihn verfolgten und auf ihn einstachen. Der Mann verblutete auf der Straße. Ein Ereignis, das nach der Übergabe der Macht an die Nazis ein schlimmes Nachspiel haben sollte.

NS-Diktatur

Noch in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar - dem Tag, an dem Adolf Hitler Kanzler wurde - überfielen Nazis Julius Leber. Sein Leibwächter, der Jungbanner-Mann Willi Rath, erstach in Notwehr einen der Angreifer. Statt der Nazis wurden der schwer verletzte Julius Leber und Willi Rath verhaftet.

"Wie oft haben die Nationalsozialisten öffentlich und geheim geschworen: 'An dem Tage, wo Hitler Kanzler wird, hat Dr. Lebers letzte Stunde geschlagen.' Ganz Lübeck hat es gehört, nur der Herr Staatsanwalt nicht. Jetzt war es so weit."[10]

Aufruf zur Solidaritätskundgebung für Julius Leber
Der Lübecker Volksbote beschrieb die Lage in der Stadt in den Tagen nach der Machtübergabe an Hitler:

"In Lübeck haben sich inzwischen absolut gesetzlose Zustände entwicklet. Einzeln gehende Sozialdemokraten und Kommunisten wurden bei hellichtem Tage, und vermehrt in der Nacht überfallen und niedergeschlagen. Wo die braunen Banditen in der Mehrzahl waren, schlugen sie blindlings zu - oft zwanzig auf einen. Die Polizei sah in vielen Fällen untätig zu oder ließ die Verbrecher verduften und begnügte sich mit der Feststellung des Ueberfallenen. Die Lübecker Arbeiterschaft läßt sich auch durch die bestialischen Methoden nicht einschüchtern. Sie steht zu ihrer Sache, sie trägt ihre Freiheitszeichen, sie wird weiterkämpfen, erbitterter als je zuvor. Aber absehbares Unglück ist zu befürchten, wenn nicht sofort mit fester Hand Ordnung geschaffen wird. Heute abend treffen sich alle Kämpfer der Eisernen Front im Gewerkschaftshaus. Dort wird alles Weitere bekannt gegeben."[10]

Am 19. Februar 1933 kam es in Lübeck wegen der Verhaftung von Julius Leber zu einer letzten großen Protestaktion gegen die Nazis mit fast 15.000 Teilnehmenden.[11] Danach wählten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Exil, begaben sich in den Widerstand oder in die innere Emigration. So floh der junge Willy Brandt am 1. April 1933 mit einem Kutter von Travemünde nach Dänemark.

Am 6. März 1933 wurden den Senatoren August Haut, Albert Henze, Fritz Mehrlein und dem Bürgermeister Paul Löwigt durch die Nazis ihre Ämter genommen.

Durch das "Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" der Nazis wurde zum 1. Juli die Zahl der Sitze in der Bürgerschaft von 80 auf 50 reduziert; auf die SPD entfielen 20 Sitze. Da sie am 22. Juni verboten worden war, spielte dies für sie keine Rolle mehr.

Jetzt verhafteten die Nazis Karl Kaehding und Johannes Fick unter dem Tatverdacht des "Mordes mit Vorsatz und Überlegung" an dem SA-Mann von 1932 und inszenierten einen Schauprozess. Karl Kaehding erhängte sich nach der Urteilsverkündung am 18. September 1933 im Untersuchungsgefängnis Lübeck in seiner Zelle. Johannes Fick wurde am 8. März 1934 im Hof des Burgklosters hingerichtet. Nach heutiger Rechtsaufassung hätte es sich um einen Totschlag gehandelt, die Zuchthausstrafe wäre wohl aufgrund des angetrunkenen Zustands der Täter gemildert worden.[12]

Fritz Solmitz wurde 1933 verhaftet. Er war Redakteur beim Lübecker Volksboten, Politiker und zudem Jude. In der Haft wurde er schwer misshandelt und am 19. September 1933 in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Ob er in den Suizid getrieben oder von der SS ermordet wurde, ist ungeklärt.[12]

Julius Leber vor dem Volksgerichtshof, 1944
Ende 1934 organisierten sich sozialdemokratische Jugendliche unter der Führung des Seemanns Edmund Fülscher, eines jungen KPD-Mannes, der Verbindung auch zum Reichsbanner hielt. Mit verschiedenen Aktionen leistete die "Revolutionäre Arbeiterjugend" Widerstand gegen die Nazis.

Paul Hattenbach wurde im März 1940 verhaftet und starb nach fünf Tagen in der Untersuchungshaft.[12]

In der Aktion Gewitter wurden 1944 unter anderem Karl Fick und Fritz Weber[12] verhaftet. Julius Leber, den die Nazis schon kurz vorher gefangen genommen hatten, wurde in einem Schauprozess vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 5. Januar 1945 ermordet. Annedore Leber und die Kinder wurden in "Sippenhaft" genommen, aber Ende September 1944 wieder freigelassen.[13]

Seit 1933 wurde Lübeck gemeinsam mit Mecklenburg von einem nationalsozialistischen "Reichsstatthalter" regiert. 1937 entzogen die Nazis durch das Groß-Hamburg-Gesetz der Stadt die Reichsfreiheit und gliederten sie in die preußische Provinz Schleswig-Holstein ein. Damit verlor Lübeck seine 711 Jahre lang gewahrte territoriale Eigenständigkeit.

Bundesrepublik Deutschland

Bereits vor dem Ende der Nazi-Herrschaft begannen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sich in Stubenzirkeln zu treffen und darüber zu sprechen, wie es nach der NS-Herrschaft weitergehen könnte.

Wiederaufbau nach 1945

Anfang September 1945 gründeten sie zunächst gemeinsam mit den Kommunisten die kurzlebige "Arbeiterpartei Lübeck". Da sich aber der Bezirksvorstand für eine eigenständige SPD aussprach (und auch die Kommunisten die KPD bereits wiedergegründet hatten), wurde die SPD auch in Lübeck neu gegründet. Am 3. Januar 1946 genehmigte die britische Militärregierung die Gründung.[14] Auch der Lübecker Volksbote wurde als Lübecker Freie Presse neu belebt.

Die Lübecker Sozialdemokratie wurde nun Teil der SPD Schleswig-Holstein. Mit Karl Albrecht als stellvertretendem Vorsitzenden war Lübeck seit dem Bezirksparteitag in Neumünster am 10. März 1946 im Landesvorstand vertreten. Trotzdem kam es durch die fehlende gemeinsame Tradition in der Anfangszeit zu Schwierigkeiten.

Am ersten Reichsparteitag nach dem Ende der NS-Diktatur, der vom 9.-11. Mai 1946 in Hannover tagte und Kurt Schumacher zum Vorsitzenden wählte, nahmen für Lübeck Karl Albrecht, Heinz Kock, Hans Oldorf und Berta Wirthel teil. Als Gast aus Schweden war Willy Brandt dabei, entschied sich aber gegen eine angebotene Rückkehr nach Lübeck, weder als Chefredakteur der Lübecker Freien Presse noch als Bürgermeister.

Die Lübecker SPD war in zunächst acht Distrikte gegliedert. Durch die Neuaufteilung der Kreisgebiete erhöhte sich 1951 diese Zahl auf 23.[15][16]

Richtungsstreit und Generationenkampf

Die 68er-Zeit und die Linkswende der Jusos gingen auch an der Lübecker SPD nicht vorbei. Viele junge Menschen drängten in die SPD, starteten den "Marsch durch die Institutionen" und gingen dabei nicht besonders rücksichtsvoll mit der älteren Generation um:

"Auf ihrem außerordentlichen Kreisparteitag nominierte am Sonntag die Lübecker SPD als Bundestagskandidaten für den Wahlkreis 11 (Lübeck) bei den Bundestagswahlen 1969 den 29jährigen Studenten Björn Engholm. Engholm erhielt 108 von 160 Stimmen, der bisherige Bundestagsabgeordnete Karl Regling nur 49 Stimmen."[17]

Karl Regling hatte im Juso-Alter unter den Nazis von Lübeck aus den Kontakt zu Julius Leber in Berlin gehalten.[11] Den Lübecker Jusos galt er jetzt als "konservativer Flügelmann". Sie hatten ihren Vorsitzenden Björn Engholm gebeten zu kandidieren, so wie überall in Deutschland Jusos gegen alteingesessene Kandidaten antraten. Vor allem Karl Reglings mangelhafte Wahlkreisarbeit nutzte Björn Engholm als Argument für seine Kandidatur.[18]

Einige Genossen um den ehemaligen Wirtschaftssenator Paul Bromme sahen die Gefahr, dass unter ihrem Vorsitzenden Jochen Steffen die Landes-SPD zur Klassenkampf-Organisation werden würde. Paul Bromme war als Redakteur des Lübecker Volksboten 1933 nach Schweden geflohen und hatte sich von dort aus am Widerstand beteiligt. Jetzt, Anfang der 1970er, schalteten er und seine Mitstreiter eine Zeitungsanzeige, die dazu aufrief, nicht die SPD zu wählen.[19]

"Ausgangspunkt ihrer Attacke war ein Kreisparteitagsbeschluß der Lübecker SPD zum imperativen Mandat. 1971 hatten die Hanseaten beschlossen, daß Bürgerschaftsmitglieder an die Beschlüsse der Partei gebunden seien. Die Gruppe um Bromme machte daraufhin in der neugegründeten "Julius-Leber-Gesellschaft" öffentlich Stimmung gegen die Mutterpartei. Im übrigen wurde sie auch nicht müde, auf ihre ehemals innige Freundschaft mit Willy Brandt hinzuweisen. Das alles führte bei den Kommunalwahlen zu einem Desaster für die SPD; die CDU errang in Lübeck die absolute Mehrheit."[19]

Daraufhin schloss die Lübecker SPD Paul Bromme und Horst Göldner aus und erteilte Heinrich Bruhn eine Rüge. Zwei Tage vor der Kommunalwahl 1974 trat Senator Werner Lewerenz aus der SPD aus.[20]

1973 trat Marga Krüger aus der Partei und der Bürgerschaftsfraktion aus und brachte die SPD um ihre Mehrheit. Sie war 1931 in die SPD eingetreten. Sie kannte Willy Brandt aus Kindertagen und gehörte der Bürgerschaft seit 1960 an. Ihr pragmatische Kommunalpolitik verschaffte ihr einen Platz auf einer Juso-internen Abschussliste. Die Jusos sorgten dafür, das sie bei sämtlichen Nominierungen durchfiel - sogar als Delegierte zum Kreisparteitag und zum Landesparteitag.

"Marga Krügers Schritt war nicht etwa eine Kurzschlußreaktion. Schon seit einigen Jahren tobt in der Lübecker SPD ein Machtkampf, in dem die Jusos eine entscheidende Rolle spielen. Im Sturm gegen das Establishment haben sie in den Parteigremien ganz erheblich an Gewicht gewonnen, während der Einbruch in die Phalanx der Bürgerschaftsfraktion – bisher jedenfalls – nur zögernd vor sich ging. Diesen Nachteil versuchten die Jusos auszugleichen, indem sie einmal das Prinzip des imperativen Mandats (die Fraktion ist an die Weisungen der Partei gebunden) durchsetzten und zum andern denjenigen, die die Gewissensfreiheit des Abgeordneten höher bewerteten als den Primat der Partei, zu verstehen gaben, daß "Partei-Rebellen" nicht wieder für die Bürgerschaft als Kandidaten aufgestellt würden."[21]

Paul Bromme starb 1975. Der neu gewählte Landesvorsitzende Günther Jansen suchte das Gespräch mit der "Julius-Leber-Gesellschaft" und glätteten die Wogen.

"Für die Zukunft ist vereinbart worden, künftig stärkeren internen Meinungsaustausch zu pflegen. Einigkeit besteht auch darin, daß man unterschiedliche Auffassungen zu politischen Einzelfragen und kontroversen Meinungen nicht mehr öffentlich austrägt, sondern untereinander in kritischer Solidarität Verständigung suchen wird."[22]

Heinrich Bruhn und Horst Göldner entschuldigten sich dafür, "die Grenzen sozialdemokratischer Solidarität" verletzt zu haben.[19]

Bürgermeisterdirektwahl

Bernd Saxe vor dem Holstentor
Bernd Saxe, 2012
Ende der 1990er Jahre führte Schleswig-Holstein die Direktwahl für hauptamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ein. Michael Bouteiller war der letzte Bürgermeister, der noch von der Mehrheit der Bürgerschaft gewählt worden war. Um seine Nachfolge bewarb sich 1999 der Landtagsabgeordnete Bernd Saxe. 2005 und 2011 wurde er wiedergewählt.

Gegen Ende seiner Amtszeit war er mit einem Novum konfrontiert: Im Jahr 2016 musste die Stadt zur geplanten Sanierung des Traveufers, für die Fördermittel eingeworben worden waren, einen Bürgerentscheid durchführen. Die Planung sah vor, die alten Linden am Traveufer zu fällen und durch neue Bäume zu ersetzen. Dagegen formierte sich Widerstand.

Das Thema schlug hohe Wellen in der Bevölkerung; Befürworter und Kritiker der Sanierung standen sich unversöhnlich gegenüber. Am Tag des Bürgerentscheids kündigte Bernd Saxe an, nicht erneut für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Ob dies einen Einfluss auf das Ergebnis hatte, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls erlitt die Stadt eine knappe Niederlage: 50,6 Prozent der abgegebenen Stimmen waren für die Erhaltung der alten Linden. Damit war der Sanierungsplan nicht durchführbar und auch die Fördermittel waren verloren.
Jan Lindenau, 2019
Nach 18 Jahren im Amt trat Bernd Saxe, wie angekündigt, 2017 nicht noch einmal an. Zu seinem Nachfolger wurde Jan Lindenau gewählt, der das Amt am 1. Mai 2018 übernahm.

Parteijubiläum

Zum 150jährigen Bestehen der Lübecker SPD im Jahr 2016 gab es von diversen Lübecker Arbeitsgemeinschaften und dem Kreisvorstand viele Veranstaltungen und Aktionen zur geschichtlichen Aufarbeitung. Dabei wurde ein besonderer Schwerpunkt auf die Frage gelegt, "woher wir kommen und wohin wir noch gehen können". An vielen Veranstaltungen wirkten Kulturschaffende der Lübecker Szene mit - ein Sinnbild für die historisch enge Verbundenheit der Sozialdemokratie mit Kultur- und Bildungsschaffenden.

Aktuelles

Sophia Schiebe auf der Landeswahlkonferenz 2021
Sophia Schiebe, 2021
Im Februar 2020 war der Kreisverband Lübeck der erste in Schleswig-Holstein, der sich mit Sophia Schiebe und Jörn Puhle eine Doppelspitze wählte.[11]

Am 16. November 2020 trat Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer überraschend aus persönlichen Gründen von ihrem Amt zurück. Die als Nachfolgerin vorgeschlagene Sabine Haltern aus Travemünde konnte sich in der Wahl am 26. November 2020 nicht gegen den Bewerber der CDU durchsetzen.

Im Landtagswahlkampf kam Olaf Scholz am 9. April 2022 zu einer Kundgebung nach Lübeck auf den Kohberg.

Mitgliederentwicklung

Die Lübecker SPD ist eine Mitgliederpartei. In den letzten Jahrzehnten war sie - wie die Gesamtpartei und wie andere Parteien - mit großen Mitgliederverlusten konfrontiert. Der Anteil der weiblichen Mitglieder liegt ungeachtet aller Maßnahmen für Geschlechtergerechtigkeit weiterhin bei einem guten Drittel.

  • 1894 - ca. 500 Mitglieder[6]
  • 1914 - 8034 Mitglieder[6]
  • 1968 - 3594 Mitglieder (1085 w = 30,2%, 2509 m = 69,8%) [23]
  • 1978 - 3120 Mitglieder (966 w = 31%, 2154 m = 69%)
  • 1983 - 2478 Mitglieder
  • 1988 - 2578 Mitglieder
  • 1993 - 2324 Mitglieder (807 w = 34,7%, 1517 m = 65,3%)
  • 1998 - 1817 Mitglieder (629 w = 34,6%, 1188 m = 65,4%)
  • 2003 - 1505 Mitglieder
  • 2020 - 1070 Mitglieder[11][24]

Archive

Links

Kreisverband Lübeck
Kreisverband Lübeck
Kreisverband Lübeck
Gegründet: 1866 als ADAV
Wiedergegründet: 1945
Vorsitzende/r: Sophia Schiebe / Jörn Puhle
Homepage: http://spdluebeck.de
Beschlussdatenbank: https://hl.beschluesse.spd-schleswig-holstein.de


Überblick

Gremien

Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreise, Foren

Ortsvereine

Wahlen & Abgeordnete

Weimarer Republik

Kaiserreich

Arbeiterbewegung

Presse & Medien

Personen

Weimarer Republik

Orte


Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Boettcher, Holger: Rechtsauskunft für Minderbemittelte. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung am Beispiel des Lübecker Arbeitersekretariats. In: Demokratische Geschichte, Band 3 (1988), S. 135-160
  2. zitiert nach: Boettcher, Holger: Rechtsauskunft für Minderbemittelte. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung am Beispiel des Lübecker Arbeitersekretariats. In: Demokratische Geschichte, Band 3 (1988), S. 135-160
  3. Bickelmann, Hartmut: Konsumverein und Konsumgenossenschaft Lübeck. Vom Lebensmittelversorger der Arbeiterbewegung zur regionalen Einzelhandelskette, Zeitschrift für Lübeckische Geschichte, Band 98 (2018), S. ?
  4. Lübecker Volksbote Erste Probenummer, 1. Jahrgang, Sonntag, den 18. März 1894, S. 9
  5. Siehe Sozialdemokratische Parteitage (1900 - 1909)
  6. 6,0 6,1 6,2 Stegmann, Dirk: Radikalisierung des Lübecker Bürgertums nach rechts. Alldeutscher Verband und Deutsche Vaterlands-Partei 1912-1918. In: Demokratische Geschichte 24 (2013), S. 39
  7. Lübeckische Landesverfassung vom 23. Mai 1920
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 Schmidt, Wolfgang: Arbeiterjunge in Lübeck, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung
  9. Wein, Martin: Willy Brandt. Das Werden eines Staatsmannes (Berlin 2003), S. 272
  10. 10,0 10,1 Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 2.2.1933
  11. 11,0 11,1 11,2 11,3 Nissen, Hans Christian: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung. In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „:3“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  12. 12,0 12,1 12,2 12,3 Fiebig, Sebastian: Feier für die Opfer des Faschismus 1945 Online-Anmerkungen zum Artikel aus der Lübecker Post vom 19.9.1945
  13. Wikipedia: Annedore Leber, abgerufen 13.3.2021
  14. Martens, Holger: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 - 1959 (Malente 1998), ISBN 3-933862-24-8, S. 79
  15. Martens, Holger: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 - 1959 (Malente 1998), ISBN 3-933862-24-8, S. 190
  16. Youtube: 150 Jahre SPD Schleswig-Holstein, 7.3.2013, Erinnerung Charlotte Harnack
  17. SPD: Student kandidiert, Kieler Nachrichten, 2.12.1968
  18. Micus, Matthias: Die "Enkel" Willy Brandts: Aufstieg und Politikstil einer SPD-Generation (Campus, 2005), S. ?
  19. 19,0 19,1 19,2 Burchardt, Rainer: Alte Marschrichtung, DIE ZEIT, 14.2.1975
  20. Burchardt, Rainer: Angeln nach einem Kandidaten, DIE ZEIT, 19.4.1974
  21. Trillewipp verließ Urian, DIE ZEIT, 19.1.1973
  22. Einigung mit Leber-Gesellschaft, WIR, Heft 10/1975
  23. Alle Angaben 1968-2003 aus Meyenborg, Ulrich: Die Lübecker SPD von 1968 bis 2003 (Lübeck 2005)
  24. Premiere: Lübecker SPD wählt Doppelspitze, Lübecker Nachrichten, 15.2.2020