Landtagswahl 1996: Unterschied zwischen den Versionen

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung
Zeile 4: Zeile 4:
== Ausgangssituation ==
== Ausgangssituation ==
Die Jahre zwischen [[1990]] und [[1996]] waren für die SPD dramatisch: Der Rücktritt von [[Björn Engholm]] und die anschließende Schubladenaffäre stürzten die Partei in eine nachhaltige Depression. Es war [[Heide Simonis]] zu verdanken, dass die SPD langsam wieder Fuß fasste. [[Heide Simonis]] erinnerte sich:
Die Jahre zwischen [[1990]] und [[1996]] waren für die SPD dramatisch: Der Rücktritt von [[Björn Engholm]] und die anschließende Schubladenaffäre stürzten die Partei in eine nachhaltige Depression. Es war [[Heide Simonis]] zu verdanken, dass die SPD langsam wieder Fuß fasste. [[Heide Simonis]] erinnerte sich:
 
<blockquote>"Bis zum März [[1996]] verdankte ich mein Amt noch dem Rücktritt [[Björn Engholm|Engholms]]. Dann aber standen die nächsten Landtagswahlen an. Nun würde sich zeigen, ob es mir gelungen war, die Bevölkerung Schleswig-Holsteins von mir und meiner Arbeit zu überzeugen. Die SPD war immer noch ziemlich zerstritten; wir kämpften natürlich für die absolute Mehrheit. Aber mir war klar, dass wir eins auf die Finger bekommen würden, zumal gerade erst der Untersuchungsausschuss zur '[[Günther Jansen#Landesregierung|Schubladenaffäre]]' seine Arbeit beendet hatte, bei der die Partei nicht gut wegkam."<ref>Simonis, Heide: "Unter Männern" C.H.Beck (2003) ISBN 9783406509599</ref></blockquote>
: "Bis zum März [[1996]] verdankte ich mein Amt noch dem Rücktritt [[Björn Engholm|Engholms]]. Dann aber standen die nächsten Landtagswahlen an. Nun würde sich zeigen, ob es mir gelungen war, die Bevölkerung Schleswig-Holsteins von mir und meiner Arbeit zu überzeugen. Die SPD war immer noch ziemlich zerstritten; wir kämpften natürlich für die absolute Mehrheit. Aber mir war klar, dass wir eins auf die Finger bekommen würden, zumal gerade erst der Untersuchungsausschuss zur '[[Günther Jansen#Landesregierung|Schubladenaffäre]]' seine Arbeit beendet hatte, bei der die Partei nicht gut wegkam."<ref>Simonis, Heide: "Unter Männern" C.H.Beck (2003) ISBN 9783406509599</ref>


Für die CDU trat wie bei der [[Landtagswahl 1992]] der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Ottfried Hennig, als Spitzenkandidat an. FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki spielte in dieser Wahl ein doppeltes Spiel:  
Für die CDU trat wie bei der [[Landtagswahl 1992]] der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Ottfried Hennig, als Spitzenkandidat an. FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki spielte in dieser Wahl ein doppeltes Spiel:  
: "Der Anwalt erweckt zwar gern den Eindruck, der CDU näherzustehen als den Sozialdemokraten. Einen förmlichen Beschluß zugunsten der Union verhinderte er jedoch auf dem letzten Parteitag der Landes-FDP. Kubickis Kalkül: Nur eine flexible FDP, die notfalls auch mit der SPD koaliert, kann Stimmen auf beiden Seiten kassieren."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8892669.html Ministerles spielen]'', DER SPIEGEL, 18.3.1996</ref>
<blockquote>"Der Anwalt erweckt zwar gern den Eindruck, der CDU näherzustehen als den Sozialdemokraten. Einen förmlichen Beschluß zugunsten der Union verhinderte er jedoch auf dem letzten Parteitag der Landes-FDP. Kubickis Kalkül: Nur eine flexible FDP, die notfalls auch mit der SPD koaliert, kann Stimmen auf beiden Seiten kassieren."<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8892669.html Ministerles spielen]'', DER SPIEGEL, 18.3.1996</ref></blockquote>


Im Wahlkampf zu dieser Landtagswahl setzte der [[Kreisverband Kiel]] zum ersten Mal eine [[Kreisverband Kiel - Internetauftritt|Internetseite]] ein, registriert noch privat unter dem Namen von [[Hartmut Hambach]].
Im Wahlkampf zu dieser Landtagswahl setzte der [[Kreisverband Kiel]] zum ersten Mal eine [[Kreisverband Kiel - Internetauftritt|Internetseite]] ein, registriert noch privat unter dem Namen von [[Hartmut Hambach]].
Zeile 16: Zeile 15:


Der SPD mit [[Heide Simonis]] gelang es, trotz des bekannten CDU-Gegenkandidaten, mit 39,8 % Wahlsiegerin zu bleiben. Sie brauchte aber einen Koalitionspartner.
Der SPD mit [[Heide Simonis]] gelang es, trotz des bekannten CDU-Gegenkandidaten, mit 39,8 % Wahlsiegerin zu bleiben. Sie brauchte aber einen Koalitionspartner.
== Koalitionsverhandlungen ==
[[Datei:Rotkielchen Nr.4-5 1996 25.Jahrgang.jpg|thumb|250px|left|Das ''[[Rotkielchen]]'' nimmt den Wirbel um die rot-grüne Koalition auf die Schippe]]
Die FDP hatte sich Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung gemacht. Wolfgang Kubicki spekulierte laut SPIEGEL darauf, dass die angeblich "bekennende Grünen-Hasserin" [[Heide Simonis]] die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen an die Wand fahren und dann eine Koalition mit der FDP eingehen werde.<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8892669.html Ministerles spielen]'', DER SPIEGEL, 18.3.1996</ref> Da schätzte er [[Heide Simonis]] falsch ein. [[1997]] beschrieb sie die Kieler FDP als "nett gescheitelte Schmuckstücke" eines "neozynischen Männerclubs". Die "Anbetung des Marktes" habe "bei einigen Jüngern dieser Couleur geradezu religiöse Züge angenommen".<ref>Simonis, Heide: ''Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft'' (Hamburg 1997)</ref>
: "Deswegen habe ich nach den letzten Wahlen in Schleswig-Holstein auch keinen Moment daran gedacht, eine (vom Südschleswigschen Wählerverband tolerierte) Koalition mit der FDP zu bilden. Die politische Schnittmenge zwischen SPD und FDP - auch auf Landesebene - ist einfach zu klein."<ref>Simonis, Heide: ''Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft'' (Hamburg 1997)</ref>
Es folgte statt dessen die erste rot-grüne Koalition in Schleswig-Holstein. Die Koalitionsverhandlungen waren erstmals von Frauen dominiert: Auf Seiten der SPD Ministerpräsidentin [[Heide Simonis]] und Fraktionsvorsitzende [[Ute Erdsiek-Rave]], auf Seiten der GRÜNEN Angelika Beer und Irene Fröhlich. [[Heide Simonis]] schrieb [[2003]]:
: "[Die Koalition mit den Grünen] erwies sich erst einmal als recht schwierig, da die Grünen direkt von der Position der außerparlamentarischen Opposition an den Kabinettstisch wechselten. Sie hatten noch all die typischen Kinderkrankheiten einer Partei, die bisher nie in der Regierungsverantwortung gestanden hat."<ref>Simonis, Heide: ''Unter Männern'' (München 2003)</ref>
Auch [[Eckart Kuhlwein]] erinnert sich an die Koalitionsverhandlungen:
: "Die Grünen waren eine bunte Truppe: vor allem am Anfang gab es Rangeleien über die Sitzordnung. [[Klaus Gärtner]], der die Staatskanzlei für Heide Simonis leitete, nachdem sie ihn schon im Haushaltsausschuss in Bonn gut kennengelernt hatte, sollte am Katzentisch sitzen, weil er Mitglied der FDP war. Schließlich einigten wir uns mit den Grünen, dass Gärtner seinen Tisch ein bisschen zurückschieben musste. Heide Simonis wäre ohne ihn wohl nicht ausreichend und umfassend in allen Fragen informiert gewesen.
: Dann gab es aber andere strittige Punkte: die A 20, die quer durch Schleswig Holstein von Lübeck über Bad Segeberg nach Glückstadt führen sollte, war von den Grünen in ihrem Parteiprogramm und in ihren Wahlkampfaussagen ausgeschlossen worden. Als dafür ein Kompromiss gefunden wurde, nachdem das Land ja nur die Auftragsverwaltung für ein Bundesprojekt übernehmen würde, rebellierte die grüne Basis vor allem in Lübeck und Segeberg. Die Schlagzeilen in den Zeitungen prophezeiten bereits das Ende der Verhandlungen.<ref>Vgl. ''[https://www.welt.de/print-welt/article648077/Koalitionspoker-wird-zur-Zitterpartie.html Koalitionspoker wird zur Zitterpartie]'', DIE WELT, 8.5.1996</ref> Außerdem ging es den Grünen um einen möglichst schnellen Ausstieg aus der [[Atomkraft|Atomenergie]]. Aber für die A 20 wurde dann doch ein Kompromiss gefunden, den auch die Grünen auf ihrem Parteitag akzeptierten.
: An den Koalitionsverhandlungen nahmen von jeder Seite 12 Funktionäre teil. Die einzelnen Kapitel wurden dann in Unter-Arbeitsgruppen ausgehandelt und formuliert.
: Heide Simonis machte besonderen Eindruck, weil sie gelegentlich heftig pokerte. Als der Grüne Steenblock einmal den Verhandlungsraum verließ, sagte sie uns, der werde schon wieder hereinkommen. Heide war Nächte lange Verhandlungen gewöhnt, weil sie mit den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst häufig nächtelang über Lohnerhöhungen und Tarife zu verhandeln hatte."<ref>Kuhlwein, Eckart: ''Die Koalition mit den Grünen 1996 in Kiel'', unveröffentlicht</ref>
== Koalitionsvertrag ==
Der ausgehandelte Vertrag wurde für die SPD vom [[Landesparteitag 1996, Neumünster|außerordentlichen Landesparteitag in Neumünster]] angenommen:
* Beschlussdatenbank: [http://beschluesse.spd-schleswig-holstein.de/wiki/Koalitionsvertrag_zwischen_der_Sozialdemokratischen_Partei_Deutschlands_Landesverband_Schleswig-Holstein_und_B%C3%9CNDNIS_90/DIE_GR%C3%9CNEN_Landesverband_Schleswig-Holstein_%281996%29 Koalitionsvertrag zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Landesverband Schleswig-Holstein und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landesverband Schleswig-Holstein]
Zum strittigen Punkt der A 20 steht dort als Einleitung:
: "In der Beurteilung konkreter Straßenbauvorhaben besteht bei den Koalitionspartnern häufig keine Deckungsgleichheit bei der Bewertung. Dies gilt insbesondere für das Vorhaben einer A 20 einschließlich einer Elbquerung. Unbeschadet dessen besteht für die Straßenbauverwaltung des Landes Schleswig-Holstein für die im vordringlichen Bedarf befindlichen Maßnahmen des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen ein durch den Bund erteilter gesetzlicher Planungsauftrag. Bündnis 90/DIE GRÜNEN erkennt die primäre Zuständigkeit des Bundes und die besondere Rolle der Landesverwaltung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung an. Dem durch den Bund erteilten gesetzlichen Planungsauftrag wird nach einer angemessenen Prioritätensetzung nachgekommen, die die Dringlichkeit der Projekte, ihre Finanzierbarkeit und den wirtschaftlichen Einsatz der Planungskapazität berücksichtigt. Die Stellungnahmen des Landes zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes und des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen sowie die Beantragung von zusätzlichen Mitteln für Neubaumaßnahmen beim Bund erfolgen im Einvernehmen der Koalitionspartner."
[[Heide Simonis]] bewertete später:
: "Ein großer Fehler dieser ersten Regierung mit den Grünen bestand darin, dass wir einen viel zu detaillierten Koalitionsvetrag ausgehandelt hatten (er umfasste genau 84 Seiten; im Jahr [[2000]] zu Beginn der zweiten gemeinsamen Legislaturperiode schafften wir es dann mit nur 39 Seiten). Nicht nur, dass uns dieser Vertrag selbst unendlich viel Zeit gekostet hat, er machte auch die politischen Alltagsgeschäfte äußerst schwierig und umständlich, da man im Einzelnen immer wieder nachschauen musste, wie in welchem Fall genau vorzugehen sei, was wir - laut Vertrag - durften und wo uns die Hände gebunden waren."<ref>Simonis, Heide: "Unter Männern" (München 2003)</ref>


== Ergebnis ==
== Ergebnis ==
Zeile 82: Zeile 57:
* SSW = Südschleswigscher Wählerverband, von der 5%-Klausel befreit.
* SSW = Südschleswigscher Wählerverband, von der 5%-Klausel befreit.


[[Renate Gröpel]], [[Klaus-Dieter Müller]], [[Bernd Schröder]] und [[Jürgen Weber]] wurden neu in den Landtag gewählt.  
[[Uwe Döring]], [[Renate Gröpel]], [[Ulf von Hielmcrone]], [[Helmut Jacobs]], [[Birgit Küstner]], [[Klaus-Dieter Müller]], [[Bernd Schröder]] und [[Jürgen Weber]] wurden neu in den Landtag gewählt.  
 
== Koalitionsverhandlungen ==
[[Datei:Rotkielchen Nr.4-5 1996 25.Jahrgang.jpg|thumb|250px|right|Das ''[[Rotkielchen]]'' nimmt den Wirbel um die rot-grüne Koalition auf die Schippe]]
Die FDP hatte sich Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung gemacht. Wolfgang Kubicki spekulierte laut SPIEGEL darauf, dass die angeblich "bekennende Grünen-Hasserin" [[Heide Simonis]] die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen an die Wand fahren und dann eine Koalition mit der FDP eingehen werde.<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8892669.html Ministerles spielen]'', DER SPIEGEL, 18.3.1996</ref> Da schätzte er [[Heide Simonis]] falsch ein. [[1997]] beschrieb sie die Kieler FDP als "nett gescheitelte Schmuckstücke" eines "neozynischen Männerclubs". Die "Anbetung des Marktes" habe "bei einigen Jüngern dieser Couleur geradezu religiöse Züge angenommen".<ref>Simonis, Heide: ''Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft'' (Hamburg 1997)</ref>
<blockquote>"Deswegen habe ich nach den letzten Wahlen in Schleswig-Holstein auch keinen Moment daran gedacht, eine (vom Südschleswigschen Wählerverband tolerierte) Koalition mit der FDP zu bilden. Die politische Schnittmenge zwischen SPD und FDP - auch auf Landesebene - ist einfach zu klein."<ref>Simonis, Heide: ''Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft'' (Hamburg 1997)</ref></blockquote>
 
Es folgte statt dessen die erste rot-grüne Koalition in Schleswig-Holstein. Die Koalitionsverhandlungen waren erstmals von Frauen dominiert: Auf Seiten der SPD Ministerpräsidentin [[Heide Simonis]] und Fraktionsvorsitzende [[Ute Erdsiek-Rave]], auf Seiten der GRÜNEN Angelika Beer und Irene Fröhlich. [[Heide Simonis]] schrieb [[2003]]:
<blockquote>"[Die Koalition mit den Grünen] erwies sich erst einmal als recht schwierig, da die Grünen direkt von der Position der außerparlamentarischen Opposition an den Kabinettstisch wechselten. Sie hatten noch all die typischen Kinderkrankheiten einer Partei, die bisher nie in der Regierungsverantwortung gestanden hat."<ref>Simonis, Heide: ''Unter Männern'' (München 2003)</ref></blockquote>
 
Auch [[Eckart Kuhlwein]] erinnert sich an die Koalitionsverhandlungen:
<blockquote>"Die Grünen waren eine bunte Truppe: vor allem am Anfang gab es Rangeleien über die Sitzordnung. [[Klaus Gärtner]], der die Staatskanzlei für Heide Simonis leitete, nachdem sie ihn schon im Haushaltsausschuss in Bonn gut kennengelernt hatte, sollte am Katzentisch sitzen, weil er Mitglied der FDP war. Schließlich einigten wir uns mit den Grünen, dass Gärtner seinen Tisch ein bisschen zurückschieben musste. Heide Simonis wäre ohne ihn wohl nicht ausreichend und umfassend in allen Fragen informiert gewesen.
 
Dann gab es aber andere strittige Punkte: die A 20, die quer durch Schleswig Holstein von Lübeck über Bad Segeberg nach Glückstadt führen sollte, war von den Grünen in ihrem Parteiprogramm und in ihren Wahlkampfaussagen ausgeschlossen worden. Als dafür ein Kompromiss gefunden wurde, nachdem das Land ja nur die Auftragsverwaltung für ein Bundesprojekt übernehmen würde, rebellierte die grüne Basis vor allem in Lübeck und Segeberg. Die Schlagzeilen in den Zeitungen prophezeiten bereits das Ende der Verhandlungen.<ref>Vgl. ''[https://www.welt.de/print-welt/article648077/Koalitionspoker-wird-zur-Zitterpartie.html Koalitionspoker wird zur Zitterpartie]'', DIE WELT, 8.5.1996</ref> Außerdem ging es den Grünen um einen möglichst schnellen Ausstieg aus der [[Atomkraft|Atomenergie]]. Aber für die A 20 wurde dann doch ein Kompromiss gefunden, den auch die Grünen auf ihrem Parteitag akzeptierten.
 
An den Koalitionsverhandlungen nahmen von jeder Seite 12 Funktionäre teil. Die einzelnen Kapitel wurden dann in Unter-Arbeitsgruppen ausgehandelt und formuliert.
 
Heide Simonis machte besonderen Eindruck, weil sie gelegentlich heftig pokerte. Als der Grüne Steenblock einmal den Verhandlungsraum verließ, sagte sie uns, der werde schon wieder hereinkommen. Heide war Nächte lange Verhandlungen gewöhnt, weil sie mit den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst häufig nächtelang über Lohnerhöhungen und Tarife zu verhandeln hatte."<ref>Kuhlwein, Eckart: ''Die Koalition mit den Grünen 1996 in Kiel'', unveröffentlicht</ref></blockquote>
 
== Koalitionsvertrag ==
Der ausgehandelte Vertrag wurde für die SPD vom [[Landesparteitag 1996, Neumünster|außerordentlichen Landesparteitag in Neumünster]] angenommen:
* Beschlussdatenbank: [http://beschluesse.spd-schleswig-holstein.de/wiki/Koalitionsvertrag_zwischen_der_Sozialdemokratischen_Partei_Deutschlands_Landesverband_Schleswig-Holstein_und_B%C3%9CNDNIS_90/DIE_GR%C3%9CNEN_Landesverband_Schleswig-Holstein_%281996%29 Koalitionsvertrag zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Landesverband Schleswig-Holstein und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landesverband Schleswig-Holstein]
 
Zum strittigen Punkt der A 20 steht dort als Einleitung:
<blockquote>"In der Beurteilung konkreter Straßenbauvorhaben besteht bei den Koalitionspartnern häufig keine Deckungsgleichheit bei der Bewertung. Dies gilt insbesondere für das Vorhaben einer A 20 einschließlich einer Elbquerung. Unbeschadet dessen besteht für die Straßenbauverwaltung des Landes Schleswig-Holstein für die im vordringlichen Bedarf befindlichen Maßnahmen des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen ein durch den Bund erteilter gesetzlicher Planungsauftrag. Bündnis 90/DIE GRÜNEN erkennt die primäre Zuständigkeit des Bundes und die besondere Rolle der Landesverwaltung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung an. Dem durch den Bund erteilten gesetzlichen Planungsauftrag wird nach einer angemessenen Prioritätensetzung nachgekommen, die die Dringlichkeit der Projekte, ihre Finanzierbarkeit und den wirtschaftlichen Einsatz der Planungskapazität berücksichtigt. Die Stellungnahmen des Landes zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes und des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen sowie die Beantragung von zusätzlichen Mitteln für Neubaumaßnahmen beim Bund erfolgen im Einvernehmen der Koalitionspartner."
</blockquote>
[[Heide Simonis]] bewertete später:
<blockquote>"Ein großer Fehler dieser ersten Regierung mit den Grünen bestand darin, dass wir einen viel zu detaillierten Koalitionsvetrag ausgehandelt hatten (er umfasste genau 84 Seiten; im Jahr [[2000]] zu Beginn der zweiten gemeinsamen Legislaturperiode schafften wir es dann mit nur 39 Seiten). Nicht nur, dass uns dieser Vertrag selbst unendlich viel Zeit gekostet hat, er machte auch die politischen Alltagsgeschäfte äußerst schwierig und umständlich, da man im Einzelnen immer wieder nachschauen musste, wie in welchem Fall genau vorzugehen sei, was wir - laut Vertrag - durften und wo uns die Hände gebunden waren."<ref>Simonis, Heide: "Unter Männern" (München 2003)</ref>
</blockquote>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Version vom 7. August 2020, 11:16 Uhr

[[Datei:{{#setmainimage:KA001496.jpg}}|thumb|250px|right|"Echt stark" - Plakat zur Landtagswahl 1996]] Die Landtagswahl 1996 fand am 24. März 1996 statt. Die SPD verlor die absolute Mehrheit, die sie seit der Landtagswahl 1988 im Landtag gehabt hatte. Heide Simonis blieb Ministerpräsidentin und führte die erste rot-grüne Koalition in Schleswig-Holstein an.

Ausgangssituation

Die Jahre zwischen 1990 und 1996 waren für die SPD dramatisch: Der Rücktritt von Björn Engholm und die anschließende Schubladenaffäre stürzten die Partei in eine nachhaltige Depression. Es war Heide Simonis zu verdanken, dass die SPD langsam wieder Fuß fasste. Heide Simonis erinnerte sich:

"Bis zum März 1996 verdankte ich mein Amt noch dem Rücktritt Engholms. Dann aber standen die nächsten Landtagswahlen an. Nun würde sich zeigen, ob es mir gelungen war, die Bevölkerung Schleswig-Holsteins von mir und meiner Arbeit zu überzeugen. Die SPD war immer noch ziemlich zerstritten; wir kämpften natürlich für die absolute Mehrheit. Aber mir war klar, dass wir eins auf die Finger bekommen würden, zumal gerade erst der Untersuchungsausschuss zur 'Schubladenaffäre' seine Arbeit beendet hatte, bei der die Partei nicht gut wegkam."[1]

Für die CDU trat wie bei der Landtagswahl 1992 der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Ottfried Hennig, als Spitzenkandidat an. FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki spielte in dieser Wahl ein doppeltes Spiel:

"Der Anwalt erweckt zwar gern den Eindruck, der CDU näherzustehen als den Sozialdemokraten. Einen förmlichen Beschluß zugunsten der Union verhinderte er jedoch auf dem letzten Parteitag der Landes-FDP. Kubickis Kalkül: Nur eine flexible FDP, die notfalls auch mit der SPD koaliert, kann Stimmen auf beiden Seiten kassieren."[2]

Im Wahlkampf zu dieser Landtagswahl setzte der Kreisverband Kiel zum ersten Mal eine Internetseite ein, registriert noch privat unter dem Namen von Hartmut Hambach.

Regierungsprogramm & Spitzenkandidatur

Auf dem Landesparteitag 1995 in Neumünster wurde das Regierungsprogramm diskutiert und beschlossen und die Liste zur Landtagswahl aufgestellt. Spitzenkandidatin Ministerpräsidentin Heide Simonis wurde auf dem Landesparteitag mit 92,81 % Zustimmung gewählt. Auch auf Platz 2 der Liste stand eine Frau: Ute Erdsiek-Rave. Es folgten mit Hans Wiesen und Heinz-Werner Arens zwei Männer - danach wurde der Reißverschluss bis Platz 35 eingehalten.

Der SPD mit Heide Simonis gelang es, trotz des bekannten CDU-Gegenkandidaten, mit 39,8 % Wahlsiegerin zu bleiben. Sie brauchte aber einen Koalitionspartner.

Ergebnis

Prozent Änderung Sitze
SPD 39,8 % -6,4 33 (26 direkt)
CDU 37,2 % +3,4 30 (19 direkt)
SSW 2,5 % +0,6 2
Grüne 8,1 % +3,13 6
FDP 5,7 % +0,1 4
Sonstige 6,7 %

Wahlbeteiligung: 71,78 %

  • SSW = Südschleswigscher Wählerverband, von der 5%-Klausel befreit.

Uwe Döring, Renate Gröpel, Ulf von Hielmcrone, Helmut Jacobs, Birgit Küstner, Klaus-Dieter Müller, Bernd Schröder und Jürgen Weber wurden neu in den Landtag gewählt.

Koalitionsverhandlungen

Das Rotkielchen nimmt den Wirbel um die rot-grüne Koalition auf die Schippe

Die FDP hatte sich Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung gemacht. Wolfgang Kubicki spekulierte laut SPIEGEL darauf, dass die angeblich "bekennende Grünen-Hasserin" Heide Simonis die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen an die Wand fahren und dann eine Koalition mit der FDP eingehen werde.[3] Da schätzte er Heide Simonis falsch ein. 1997 beschrieb sie die Kieler FDP als "nett gescheitelte Schmuckstücke" eines "neozynischen Männerclubs". Die "Anbetung des Marktes" habe "bei einigen Jüngern dieser Couleur geradezu religiöse Züge angenommen".[4]

"Deswegen habe ich nach den letzten Wahlen in Schleswig-Holstein auch keinen Moment daran gedacht, eine (vom Südschleswigschen Wählerverband tolerierte) Koalition mit der FDP zu bilden. Die politische Schnittmenge zwischen SPD und FDP - auch auf Landesebene - ist einfach zu klein."[5]

Es folgte statt dessen die erste rot-grüne Koalition in Schleswig-Holstein. Die Koalitionsverhandlungen waren erstmals von Frauen dominiert: Auf Seiten der SPD Ministerpräsidentin Heide Simonis und Fraktionsvorsitzende Ute Erdsiek-Rave, auf Seiten der GRÜNEN Angelika Beer und Irene Fröhlich. Heide Simonis schrieb 2003:

"[Die Koalition mit den Grünen] erwies sich erst einmal als recht schwierig, da die Grünen direkt von der Position der außerparlamentarischen Opposition an den Kabinettstisch wechselten. Sie hatten noch all die typischen Kinderkrankheiten einer Partei, die bisher nie in der Regierungsverantwortung gestanden hat."[6]

Auch Eckart Kuhlwein erinnert sich an die Koalitionsverhandlungen:

"Die Grünen waren eine bunte Truppe: vor allem am Anfang gab es Rangeleien über die Sitzordnung. Klaus Gärtner, der die Staatskanzlei für Heide Simonis leitete, nachdem sie ihn schon im Haushaltsausschuss in Bonn gut kennengelernt hatte, sollte am Katzentisch sitzen, weil er Mitglied der FDP war. Schließlich einigten wir uns mit den Grünen, dass Gärtner seinen Tisch ein bisschen zurückschieben musste. Heide Simonis wäre ohne ihn wohl nicht ausreichend und umfassend in allen Fragen informiert gewesen.

Dann gab es aber andere strittige Punkte: die A 20, die quer durch Schleswig Holstein von Lübeck über Bad Segeberg nach Glückstadt führen sollte, war von den Grünen in ihrem Parteiprogramm und in ihren Wahlkampfaussagen ausgeschlossen worden. Als dafür ein Kompromiss gefunden wurde, nachdem das Land ja nur die Auftragsverwaltung für ein Bundesprojekt übernehmen würde, rebellierte die grüne Basis vor allem in Lübeck und Segeberg. Die Schlagzeilen in den Zeitungen prophezeiten bereits das Ende der Verhandlungen.[7] Außerdem ging es den Grünen um einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Aber für die A 20 wurde dann doch ein Kompromiss gefunden, den auch die Grünen auf ihrem Parteitag akzeptierten.

An den Koalitionsverhandlungen nahmen von jeder Seite 12 Funktionäre teil. Die einzelnen Kapitel wurden dann in Unter-Arbeitsgruppen ausgehandelt und formuliert.

Heide Simonis machte besonderen Eindruck, weil sie gelegentlich heftig pokerte. Als der Grüne Steenblock einmal den Verhandlungsraum verließ, sagte sie uns, der werde schon wieder hereinkommen. Heide war Nächte lange Verhandlungen gewöhnt, weil sie mit den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst häufig nächtelang über Lohnerhöhungen und Tarife zu verhandeln hatte."[8]

Koalitionsvertrag

Der ausgehandelte Vertrag wurde für die SPD vom außerordentlichen Landesparteitag in Neumünster angenommen:

Zum strittigen Punkt der A 20 steht dort als Einleitung:

"In der Beurteilung konkreter Straßenbauvorhaben besteht bei den Koalitionspartnern häufig keine Deckungsgleichheit bei der Bewertung. Dies gilt insbesondere für das Vorhaben einer A 20 einschließlich einer Elbquerung. Unbeschadet dessen besteht für die Straßenbauverwaltung des Landes Schleswig-Holstein für die im vordringlichen Bedarf befindlichen Maßnahmen des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen ein durch den Bund erteilter gesetzlicher Planungsauftrag. Bündnis 90/DIE GRÜNEN erkennt die primäre Zuständigkeit des Bundes und die besondere Rolle der Landesverwaltung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung an. Dem durch den Bund erteilten gesetzlichen Planungsauftrag wird nach einer angemessenen Prioritätensetzung nachgekommen, die die Dringlichkeit der Projekte, ihre Finanzierbarkeit und den wirtschaftlichen Einsatz der Planungskapazität berücksichtigt. Die Stellungnahmen des Landes zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes und des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen sowie die Beantragung von zusätzlichen Mitteln für Neubaumaßnahmen beim Bund erfolgen im Einvernehmen der Koalitionspartner."

Heide Simonis bewertete später:

"Ein großer Fehler dieser ersten Regierung mit den Grünen bestand darin, dass wir einen viel zu detaillierten Koalitionsvetrag ausgehandelt hatten (er umfasste genau 84 Seiten; im Jahr 2000 zu Beginn der zweiten gemeinsamen Legislaturperiode schafften wir es dann mit nur 39 Seiten). Nicht nur, dass uns dieser Vertrag selbst unendlich viel Zeit gekostet hat, er machte auch die politischen Alltagsgeschäfte äußerst schwierig und umständlich, da man im Einzelnen immer wieder nachschauen musste, wie in welchem Fall genau vorzugehen sei, was wir - laut Vertrag - durften und wo uns die Hände gebunden waren."[9]

Siehe auch

Quellen

  1. Simonis, Heide: "Unter Männern" C.H.Beck (2003) ISBN 9783406509599
  2. Ministerles spielen, DER SPIEGEL, 18.3.1996
  3. Ministerles spielen, DER SPIEGEL, 18.3.1996
  4. Simonis, Heide: Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft (Hamburg 1997)
  5. Simonis, Heide: Kein Blatt vorm Mund - für eine aktive Bürgergesellschaft (Hamburg 1997)
  6. Simonis, Heide: Unter Männern (München 2003)
  7. Vgl. Koalitionspoker wird zur Zitterpartie, DIE WELT, 8.5.1996
  8. Kuhlwein, Eckart: Die Koalition mit den Grünen 1996 in Kiel, unveröffentlicht
  9. Simonis, Heide: "Unter Männern" (München 2003)