Minderheitenpolitik

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Minderheitenpolitik betrachtet die SPD Schleswig-Holstein als eine Aufgabe von zentraler Bedeutung für Europa. Sie bekennt sich zu den nationalen Minderheiten und Volksgruppen in Schleswig-Holstein. Dänen, Friesen, Sinti und Roma sind für sie selbstverständlicher und bereichernder Bestandteil der Gesellschaft.

Minderheiten

Die dänische Minderheit

Seit dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 gehörte Schleswig zu Preußen. So war eine dänische Minderheit entstanden, die in Nordschleswig jedoch eine Mehrheit bildete. Die Haltung der SPD in dieser Frage war widersprüchlich. Laut Friedensvertrag sollte es eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit des Landesteils zu Deutschland oder Dänemark geben. Diese Klausel wurde 1879 von den beiden Vertragsparteien einvernehmlich annulliert. Der Bezirksparteitag 1902 in Flensburg bezeichnete die Klausel als "widerrechtlich beseitigt" und erklärte, dass es bei Wahlen in Nordschleswig nicht um die Nationalität des Kandidaten gehe. In der Praxis wurden die Wahlen in Nordschleswig jedoch immer primär nach der Nationalität des Kandidaten entschieden. Die SPD konnte dort nie gute Wahlergebnisse erringen und keine Kandidaten durchsetzen.

Die Volksabstimmung wurde neu angesetzt, nachdem das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verloren hatte: Eine Konferenz der SPD Nordschleswigs am 20. Oktober 1919 in Apenrade forderte von ihren deutsch gesinnten Anhängern die Ablehnung der Abtrennung und gab ihren dänisch gesinnten Anhängern die Abstimmung frei.

Die Abstimmung fand in zwei Zonen statt. Die Mehrheit in der Zone "Nordschleswig", die etwa dem heutigen Nordschleswig entspricht, entschied sich am 10. Februar 1920 für Dänemark, die in der Zone "Mittelschleswig" - ganz grob die heutigen Landkreise Schleswig-Flensburg, Nordfriesland und die Stadt Husum - am 14. März für das Deutsche Reich.

Nach dem 1. Weltkrieg hatten die Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Deutschland und Dänemark, Otto Wels und Thorvald Stauning, am 25. November 1923 für ihre Parteien ein "Grenzabkommen" unterzeichnet. Damit erkannten beide Parteien die Grenze an, wie sie auf Grund der Volksabstimmung von 1920 gezogen worden war; damals war Flensburg bei Deutschland verblieben.[1] Die Sozialdemokraten auf beiden Seiten der Grenze sollten keine nationalen Minderheitsparteien bilden, sondern der jeweiligen sozialdemokratischen Partei angegliedert werden.

Nach dem Ende der NS-Diktatur flammte in der SPD die Diskussion über die Grenzfrage erneut auf. Bereits auf dem ersten, von der britischen Militärbehörde offiziell verbotenen, Bezirksparteitag 1945 in Kiel war dies ein Thema. Die Flensburger SPD machte sich für den Anschluss Flensburgs an Dänemark stark und wurde daraufhin auf Betreiben von Kurt Schumacher aus der SPD ausgeschlossen.

Andererseits setzte sich die Regierung Lüdemann für einen starken Minderheitenschutz ein. Die Kieler Erklärung von 1949 besagte, dass das Bekenntnis zur dänischen Gesinnung frei sei und weder angezweifelt noch überprüft werden dürfe. Sowohl Dänen als auch Friesen sollten alle Bürgerrechte haben. Dieser Standpunkt wurde 1955 von der Bundesregierung unter Konrad Adenauer mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen bestätigt.

Am 13. Mai 1972 fand in Flensburg eine gemeinsame Kundgebung dänischer und deutscher Sozialdemokraten mit Dänemarks Ministerpräsidenten Jens Otto Krag und Bundeskanzler Willy Brandt statt. Der SPD-Pressedienst berichtete:

"Für die Vertreter der dänischen Minderheit in Flensburg bildet der vergangene Samstag sicherlich einen Höhepunkt ihrer politischen Arbeit seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs: Der deutsche und der dänische Regierungschef betraten Seiten an Seite den für ihren Empfang hergerichteten Raum im 'Deutschen Haus' zu Flensburg. Jens Otto Krag und Willy Brandt sprachen warmherzige Worte über das nachbarliche Verhältnis der beiden Völker zueinander und über die Europäische Gemeinschaft. Nichts als diese schlichte Tatsachenbeschreibung ist wohl mehr geeignet, die Wandlung des Klimas im europäischen Norden zu beschreiben, die sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten vollzogen hat.
So harmonisch wie der Tag begann, verlief er bis zum späten Abend. Die Begegnung mit der dänischen Minderheit in Flensburg war der Auftakt zu einem Treffen deutscher und dänischer Sozialdemokraten auf dem Boden der Bundesrepublik, das sich auf dänischem Boden - in Apenrade - fortsetzte und dort seinen Abschluß fand. Auf dem Programm standen nach einer SPD-Kundgebung in Flensburg mit Krag und Brandt ein Treffen mit dem Bund Deutscher Nordschleswiger in deren, von Herbert Wehner vor einigen Jahren eingeweihten, Büchereizentrale, eine Pressekonferenz und öffentliche Kundgebung sowie am späten Abend ein Mitgliedertreffen der dänischen Sozialdemokraten in Apenrade. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend bildeten die beiden Regierungschefs ein gut gekoppeltes, zugkräftiges Gespann."[2]

1981 verlegte die SPD ihren Landesparteitag nach Harrislee, direkt an der dänischen Grenze, und beschloss dort die Flensburger Erklärung. Die Kernpunkte:

  • Wir wollen zur Vertiefung der deutsch-dänischen Beziehungen beitragen.
  • Wir wollen unsere Minderheitenpolitik konsequent fortsetzen.
  • Die Lage im Grenzgebiet weiter zu stabilisieren, ist für uns eine ständige politische Aufgabe.
  • Wir fühlen uns mit der deutschen Minderheit in Dänemark solidarisch.

1990 bekamen die Minderheiten in Schleswig-Holstein Verfassungsrang. Nur die Roma und Sinti mussten darauf noch bis 2012 warten.

Dass zumindest die politischen Vertretung der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), auch 2013 noch nicht für alle ein "selbstverständlicher und bereichernder Bestandteil der Gesellschaft" ist, machte die Junge Union 2012 klar, als das Wahlergebnis dem SSW die Rolle des "Züngleins an der Waage" der Landespolitik zuwies: Der CDU-Nachwuchs erhob gegen den Sonderstatus des SSW Klage vor dem Landesverfassungsgericht. "Im Moment müssen wir wieder so für unsere Sache argumentieren, wie wir es vor vielen Jahren mussten. Wir dachten, wir wären in der Akzeptanz weiter." erklärteAnke Spoorendonk.[3]

Flemming Meyer war 2015 der erste SSW-Chef, der offiziell auf einem SPD-Landesparteitag sprach.

Die deutsche Minderheit in Nordschleswig

Am 17. Mai 1967 weihte Herbert Wehner als Minister für gesamtdeutsche Fragen die neue Büchereizentrale der Nordschleswiger in Apenrade ein. "Was hier getan wurde, wird einer von den Keimen sein, von denen man einst sagt, dass sie Wesentliches dazu beigetragen haben, dass es in Europa ein demokratisches Volksgruppenrecht gibt und jeder leben kann und keinem weh getan wird", sagte er in seiner Rede. Er sei gerne gekommen, aus "privater Liebe zu Apenrade, diesem Landstrich und seinen Menschen, aber auch aus politischen Gründen".[4]

1975 wurde das "Gremium für Fragen der deutschen Minderheit beim Landtag in Schleswig-Holstein" von SPD und CDU im Landtag beschlossen. Es tagte zum ersten Mal am 26. März 1975 und ist seither für alle Fragen zuständig, die die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig betreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Finanzen, Kultur oder politische Repräsentation. Das Gremium trifft sich zweimal jährlich unter Vorsitz des Landtagspräsidenten oder der Landtagspräsidentin.

Siehe auch: Nordschleswigwiki

Die friesische Volksgruppe

"Die Nordfriesen sind eine Minderheit im eigenen Land. Im 1970 gebildeten Kreis Nordfriesland leben gut 160.000 Menschen. Schätzungsweise knapp ein Drittel von ihnen würde sich wohl als Friesen bezeichnen. Weniger als 10.000 Menschen sprechen Friesisch, ein eigenständiges westgermanisches Idiom. Einen friesischen Nationalstaat hat es nie gegeben. [...] Seit dem Zeitalter der Romantik haben sich immer wieder Nordfriesen für die eigene Sprache und Kultur eingesetzt. Die friesische Bewegung wurde jedoch von Anfang an überschattet durch den deutsch-dänischen Gegensatz im alten Herzogtum Schleswig."[5]

Am 25. Mai 1923 wurde der Friesisch-Schleswigsche Verein (später Friisk Foriining) gegründet - die erste Organisation, die die Friesen als eigenes Volk begriff. Ab 1925 traten die Friesen mit einer eigenen "Liste Friesland" bei Kommunalwahlen an. All diese Bemühungen wurden aber von den Nazis beendet, denen ein zweites germanisches Volk in Deutschland mit eigener Sprache nicht ins politische Konzept passte.[6]

Nach Ende der Nazizeit sagte die Regierung Lüdemann in der Kieler Erklärung zu den Rechten der dänischen Minderheit auch den Friesen Minderheitenrechte zu:

"Die hier aufgestellten Grundsätze gelten sinngemäß auch für die friesische Bevölkerung in Schleswig-Holstein."

Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen war die Kieler Erklärung allerdings überholt; in denen kamen die Friesen nicht vor.

Das Thema lebte neu auf, als Bundeskanzler Helmut Schmidt als erster deutscher Regierungschef einen offiziellen Besuch bei den Nordfriesen zusagte. Der friesische Minderheitenpolitiker Carsten Boysen soll den Bundeskanzler im Dezember 1978 auf einer Wahlveranstaltung bei der dänischen Minderheit angesprochen und ihm geklagt haben: "Für uns interessiert sich keiner!" Helmut Schmidt sagte spontan: "Doch. Ich!".[7]

"Allerdings war diese Zusage in Unkenntnis der nordfriesischen Verhältnisse gemacht worden; weder die Existenz mehrerer nordfriesischer Gruppen noch deren sehr unterschiedliche politische Position war dem Bundeskanzler zu diesem Zeitpunkt bekannt. Die Besuchszusage wurde denn auch sofort in Schleswig-Holstein kritisch kommentiert. Im Interesse sowohl der Nordfriesen als auch des Bundeskanzlers hat der Verfasser diesen in zwei Memoranden mit der nordfriesischen Problematik vertraut gemacht. So galt der Besuch, der am 23. August 1979 in der Gastwirtschaft Bongsiel stattfand, denn auch allen nordfriesischen Vereinen und Einrichtungen, die Gelegenheit hatten, ihre jeweiligen Positionen und Auffassungen darzulegen."[8]

Seit 1988 gibt es das Gremium für Fragen der friesischen Volksgruppe beim Schleswig-Holsteinischen Landtag. In der neuen Landesverfassung von 1990 wurde der friesischen Volksgruppe "Schutz und Förderung" zugesichert. Am 11. November 2004 beschloss der Landtag das Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum.[5]

Sinti und Roma

Am 14. November 2012 nahm Schleswig-Holstein als erstes Bundesland die deutschen Sinti und Roma als Minderheit in die Landesverfassung auf.

Minderheitenbeauftragte

Am 1. November 1988 führte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm das Ehrenamt des/der "Beauftragten des Ministerpräsidenten in Angelegenheiten nationaler Minderheiten und Volksgruppen, Grenzlandarbeit und Niederdeutsch" – ursprünglich: "Beauftragter für Grenzland- und Minderheitenfragen in Schleswig-Holstein" oder kurz "Grenzlandbeauftragter" – ein.[9] Dieses Amt ist bundesweit einmalig.

Im Jahr 2000 benannte Ministerpräsidentin Heide Simonis das Amt um in "Minderheitenbeauftragte/r" und berief Renate Schnack. Der geänderte Titel trägt der aktualisierten Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins Rechnung und profiliert das Amt gegenüber der Bundesebene und den Gremien Europas. Das Amt wurde zu einem wesentlichen Baustein der Minderheitenpolitik des Landes ausgebaut und hat sich national und international hohes Ansehen erworben.

Die Zuständigkeit umfasst die Belange der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe, der Minderheit der deutschen Sinti und Roma in Schleswig-Holstein und der deutschen Minderheit in Dänemark sowie die Belange der deutschen Grenzverbände und der Regionalsprache Niederdeutsch. Die oder der Minderheitenbeauftragte informiert und berät die Landesregierung, beobachtet die kulturelle, soziale, wirtschaftliche und verfassungskonforme Entwicklung im Land hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Minderheiten und Volks- und Sprachgruppen und schaltet sich innerhalb der Landesregierung koordinierend ein.

Am 27. November 2013 fand ein Festakt zum 25-jährigen Jubiläum des Amtes statt. Die minderheitenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Birte Pauls, sagte aus diesem Anlass:

"Die engagierte Arbeit der bisherigen Beauftragten Kurt Hamer, Kurt Schulz und jetzt (wieder) Renate Schnack genießt europaweite Anerkennung; Minderheiten sind heute ein präsentes und nicht mehr zu vernachlässigendes Thema. Nach 25 Jahren Tätigkeit der Minderheitenbeauftragten können wir sagen: Die Mittlerrolle zwischen den nationalen Minderheiten und Volksgruppen, der Mehrheitsbevölkerung und der Politik hat sich bewährt und unterstützt das respektvolle Miteinander von Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung und den Dialog zwischen den Akteuren. Unsere Minderheitenpolitik lenkt den Blick weit über die Region hinaus – nach Europa."[10]

Bisherige Minderheitenbeauftragte der SPD

Renate Schnack, 2009

Literatur

  • Callesen, Gerd: Die Schleswig-Frage in den Beziehungen zwischen dänischer und deutscher Sozialdemokratie 1912-1924 (Schriftenreihe der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig, Apenrade 1970)
  • Fischer, Karl-Rudolf/Schulz, Kurt: Vom Kanon der Kulturen. Minderheiten- und Volksgruppenpolitik in Schleswig-Holstein als Architektur des Friedens (Bräist/Bredstedt 1998)
  • Landeszentrale für politische Bildung: 30 Jahre Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Grenzland - Minderheiten - Partnerschaft (Schriftenreihe Gegenwartsfragen Heft 47)(Kiel 1985)
  • Vollertsen, Nils: SPD, socialdemokratiet og det danske mindretal (Odense University Studies in History and Social Sciences, Vol. 84, Odense 1984)
  • Vollertsen, Nils: Die SPD, die dänische Sozialdemokratie und die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig zwischen 1945 und 1954 in: Paetau, Rainer / Rüdel, Holger (Hrsg.): Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahrhundert (Neumünster 1987) ISBN 3-529-02913-0

Weblinks

Quellen

  1. Grenzkampf. Was uns trennt, DER SPIEGEL, 5.3.1952
  2. Schulz, Jochen: Nicht nur ein Familientreffen. Der Besuch Willy Brandts galt dem größeren Europa SPD-Pressedienst, 15.5.1972, S. 3 f.
  3. Karsten Kammholz: Mit diesen Dänen legt man sich besser nicht an, Die Welt, 3.5.2013
  4. Heesch, Volker: 1967 wurde in Apenrade „ein Keim für das Europa von morgen“ gelegt In: Der Nordschleswiger, 16.5.2017
  5. 5,0 5,1 Steensen, Thomas: 50 Jahre Nordfriisk Instituut. Ein Überblick in: TOP - Berichte der Gesellschaft für Volkskunde in Schleswig-Holstein, Band 49 (2015)
  6. Friisk Foriining: Vereinsbeschreibung, abgerufen 28.11.2015
  7. "Soll er sich doch nasse Füße holen", DER SPIEGEL, 27.8.1979
  8. Holander, Reimer Kay: Die 'Niebüller Erklärung' der SPD Nordfriesland, in: Demokratische Geschichte, Band 3(1988)
  9. schleswig-holstein.de: Geschichte der Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein, abgerufen 11.12.2013
  10. Minderheitenbeauftragte: Mittler und Lobbyisten seit 25 Jahren, 27.11.2013