SPD-Parteitag 1927, Kiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Kieler SPD hatte sich genehmigen lassen, dass der Flaggenschmuck für den Parteitag noch bis Ende Mai hängen durfte. Unmittelbar nach dem Parteitag besuchte Reichspräsident Hindenburg Kiel. Im Kieler Stadtarchiv existiert ein Brief mit der Beschwerde, dass dem Reichspräsidenten der Anblick der noch überall hängenden roten Fahnen nicht zuzumuten sei.<ref>Stadtarchiv Kiel, Akte ?</ref>
Die Kieler SPD hatte sich genehmigen lassen, dass der Flaggenschmuck für den Parteitag noch bis Ende Mai hängen durfte. Unmittelbar nach dem Parteitag besuchte Reichspräsident Hindenburg Kiel. Im Kieler Stadtarchiv existiert ein Brief mit der Beschwerde, dass dem Reichspräsidenten der Anblick der noch überall hängenden roten Fahnen nicht zuzumuten sei.<ref>Stadtarchiv Kiel, Akte ?</ref>
== Grundsatzreferat von Rudolf Hilferding ==
Ein Höhepunkt des Reichsparteitages war das Referat von [[Rudolf Hilferding|Rudolf Hilderding]] zum Thema "Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik", dessen Inhalt die Theorie und Programmatik der SPD zu der damaligen Zeit widerspiegelte. Von deren Selbstverständnis war diese zwar noch marxistisch ausgerichtet, jedoch wurde in ihr die [[Zusammenbruchstheorie|Zusammenbruchstheorie]] verworfen, nach dem das kapitalistische Wirtschaftssystem durch immer häufig auftretende Krisen zusammenbrechen würde und in dieser Phase dann das Proletariat durch eine Revolution die Macht in der Gesellschaft übernehmen und danach eine sozialistische Gesellschaft aufbauen würde. Stattdessen wurde ein demokratischer Weg zum Sozialismus angestrebt, bei dem man sich zum Nutze machen müsse, dass sich das kapitalistische Wirtschaftssystem von einem Konkurrenzkapitalismus  zu einem [[Organisierten Kapitalismus|Organisierten Kapitalismus]] (u. a. durch die Bildung von Aktiengesellschaften, Thrust und Kartellen) entwickelt habe, bei dem immer stärkere Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat entstehen würden. Durch die mittlerweile erreichte Demokratisierung des Staates bestünde für die SPD nun die historische Möglichkeit auch das Wirtschaftssystem zu demokratisieren zu können (Stichwort: [[Wirtschaftsdemokratie|Wirtschaftsdemokratie]]) und somit auf einem friedlichen Wege den Sozialismus zu erreichen zu können. In seiner Rede versuchte Rudolf Hilferding Wege aufzuzeichnen, wie dies konkret erreicht werden könnte. Dabei müsse zunächst einmal vor allem mittels demokratischer Wahlen die Macht im Staate zu errungen werden. Die Arbeiterbewegung müsse dabei - und damit die SPD auch - die Demokratie als ihre Errungenschaft begreifen und nicht durch durch nach seiner Ansicht falschen Begrifflichkeiten, wie formale oder bürgerliche Demokratie abqualifizieren. Es bestünde aus diesem Grunde auch die Notwendigkeit zumindest aus taktischen Gründen sich wieder an Regierungen auf Reichsebene zu beteiligen, um dieses Feld nicht allein den bürgerlichen Parteien zu überlassen. Um die Macht der Sozialdemokratie in der Republik zu stärken, müsse es ferner eine wichtige Aufgabe der Partei sein, die Teile der Arbeiterbewegung für sich zu gewinnen, die bislang entweder aus christlicher Überzeugung das Zentrum oder aus wirtschaftlichen Notgründen KPD oder gar die Deutschnationale Volkspartei gewählt haben. 
Eine auf der Basis dieser Rede formulierte und durch den Parteitag angenommene Resolution gilt als Wegbereiter für die Bildung der sogenannten Großen Koalition unter Führung der SPD ein Jahr später.


== Dank der Partei ==
== Dank der Partei ==

Version vom 15. August 2017, 11:30 Uhr

Ein Reichsparteitag der SPD fand vom 20.-27. Mai 1927 in Kiel statt. Seine Organisation forderte den Verein Groß-Kiel stark, wurde aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet. Wilhelm Brecour schreibt:

"1927 brachte es die Kieler sozialdemokratische Parteiorganisation fertig, ganz Kiel im Banne des Sozialdemokratischen Parteitags zu halten. Der sozialdemokratische Verein Groß-Kiel mit seinen Untergruppen - Frauengruppe, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Beamten, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Lehrer und Lehrerinnen, Sozialistische Elternbeiräte, Verein sozialdemokratischer Studierender, Sozialistisches Jugendkartell, Sozialistische Arbeiterjugend, Kinderfreundebewegung, Arbeiterwohlfahrt, Frauen- und Mütterberatungsstelle und Mieterberatung - verkörpert in sich ein gewaltiges Maß von politischen, sozialen und kulturellen Kräften."[1]

Er hätte dazu etwa die Arbeitersportvereine - in Kiel vor allem die Freie Turnerschaft an der Kieler Förde - und den Konsumverein nennen können. Er hätte auch auf die Kinderrepublik Seekamp verweisen können, die - von Andreas Gayk maßgeblich mit entwickelt und vorwiegend von Kieler Parteimitgliedern organisiert - nur wenige Wochen später stattfand. Für dieses wegweisende Projekt war auf dem Parteitag fleißig geworben und gesammelt worden.

Die Kieler SPD hatte sich genehmigen lassen, dass der Flaggenschmuck für den Parteitag noch bis Ende Mai hängen durfte. Unmittelbar nach dem Parteitag besuchte Reichspräsident Hindenburg Kiel. Im Kieler Stadtarchiv existiert ein Brief mit der Beschwerde, dass dem Reichspräsidenten der Anblick der noch überall hängenden roten Fahnen nicht zuzumuten sei.[2]


Grundsatzreferat von Rudolf Hilferding

Ein Höhepunkt des Reichsparteitages war das Referat von Rudolf Hilderding zum Thema "Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik", dessen Inhalt die Theorie und Programmatik der SPD zu der damaligen Zeit widerspiegelte. Von deren Selbstverständnis war diese zwar noch marxistisch ausgerichtet, jedoch wurde in ihr die Zusammenbruchstheorie verworfen, nach dem das kapitalistische Wirtschaftssystem durch immer häufig auftretende Krisen zusammenbrechen würde und in dieser Phase dann das Proletariat durch eine Revolution die Macht in der Gesellschaft übernehmen und danach eine sozialistische Gesellschaft aufbauen würde. Stattdessen wurde ein demokratischer Weg zum Sozialismus angestrebt, bei dem man sich zum Nutze machen müsse, dass sich das kapitalistische Wirtschaftssystem von einem Konkurrenzkapitalismus zu einem Organisierten Kapitalismus (u. a. durch die Bildung von Aktiengesellschaften, Thrust und Kartellen) entwickelt habe, bei dem immer stärkere Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat entstehen würden. Durch die mittlerweile erreichte Demokratisierung des Staates bestünde für die SPD nun die historische Möglichkeit auch das Wirtschaftssystem zu demokratisieren zu können (Stichwort: Wirtschaftsdemokratie) und somit auf einem friedlichen Wege den Sozialismus zu erreichen zu können. In seiner Rede versuchte Rudolf Hilferding Wege aufzuzeichnen, wie dies konkret erreicht werden könnte. Dabei müsse zunächst einmal vor allem mittels demokratischer Wahlen die Macht im Staate zu errungen werden. Die Arbeiterbewegung müsse dabei - und damit die SPD auch - die Demokratie als ihre Errungenschaft begreifen und nicht durch durch nach seiner Ansicht falschen Begrifflichkeiten, wie formale oder bürgerliche Demokratie abqualifizieren. Es bestünde aus diesem Grunde auch die Notwendigkeit zumindest aus taktischen Gründen sich wieder an Regierungen auf Reichsebene zu beteiligen, um dieses Feld nicht allein den bürgerlichen Parteien zu überlassen. Um die Macht der Sozialdemokratie in der Republik zu stärken, müsse es ferner eine wichtige Aufgabe der Partei sein, die Teile der Arbeiterbewegung für sich zu gewinnen, die bislang entweder aus christlicher Überzeugung das Zentrum oder aus wirtschaftlichen Notgründen KPD oder gar die Deutschnationale Volkspartei gewählt haben.

Eine auf der Basis dieser Rede formulierte und durch den Parteitag angenommene Resolution gilt als Wegbereiter für die Bildung der sogenannten Großen Koalition unter Führung der SPD ein Jahr später.


Dank der Partei

Am 4. Juni sandte der Parteivorstand aus Berlin einen Dank nach Kiel, der hinter der Verpflichtung zum Lob und dem zeitüblichen Pathos deutlich machte, dass man durchaus beeindruckt war:

"Werte Genossen!
Der Parteivorstand sieht sich veranlaßt, noch einmal schriftlich den Kieler Parteigenossen für die aufopferungsvolle Arbeit während des Parteitages und seiner vielen Nebentagungen herzlichst zu danken. Wir sind alle von dem Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen, das wir der Kieler Arbeiterschaft schulden, da sie zum wesentlichen Teile an[3] dem Gelingen des Parteitages beigetragen hat. Es wird kaum einmal einer anderen Parteiorganisation möglich sein, das zu erreichen, was den Delegierten des Kieler Parteitages durch das Zusammenwirken aller Zweige der Arbeiterbewegung in Kiel geboten worden ist. Nicht nur die so stark in Erscheinung tretende Harmonie unter den bei den verschiedenen Festlichkeiten Mitwirkenden war es, die auf uns alle so starken Eindruck machte, sondern vielmehr noch das sich unabweisbar aufdrängende Gefühl, hier wird der Partei aus vollem Herzen das Beste gegeben, was zu geben möglich ist. Dafür bitten wir Sie, allen Mitwirkenden unseren Dank aussprechen zu wollen: der Parteiorganisation wie der Arbeiterjugend, den Kinderfreunden und den prächtigen Roten Falken, den Arbeitersängern ebenso wie den Arbeitersportlern und Arbeitersamaritern[4], den Gewerkschaftsgenossen und den Reichsbannerkameraden. Dank auch der Leitung des Tagungslokals und seinem Personal für die anstrengende Arbeit, die sie während der Tagungszeit auf sich nehmen mußten. Wir wissen, daß sie es gern geleistet haben, weil auch sie sich als Teil des Ganzen fühlten, getragen von dem Gefühl der Verpflichtung, zu einem vollen Gelingen aller Veranstaltungen beizutragen. Die schleswig-holsteinische Organisation hat sich selbst einen Ruhmeskranz in der Kieler Woche gewunden. Dafür nochmals den Dank der ganzen Partei auszusprechen, ist uns Freude und gern erfüllte Pflicht.
Mit Parteigruß!
Der Parteivorstand, gez. Otto Wels, Herm. Müller"[5]

Quellen

  1. Brecour, Wilhelm: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel 1932), neu veröffentlicht in: Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Sonderveröffentlichung 15 der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte (Kiel 1983), S. I-96
  2. Stadtarchiv Kiel, Akte ?
  3. So im abgedruckten Text.
  4. Hier ist vermutlich die von der SPD 1919 gegründete Arbeiterwohlfahrt gemeint, die nach Brecour (s. Zitat oben) beteiligt war.
  5. Abgedruckt in der VZ am 7.6.27. Bemerkenswert erscheint, dass hier nicht das in der SPD übliche "Du" verwendet wird.