SPD-Parteitag 1927, Kiel

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Ein Reichsparteitag der SPD fand vom 20.-27. Mai 1927 in Kiel statt. Seine Organisation forderte den Verein Groß-Kiel stark, wurde aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet. Wilhelm Brecour schreibt:

"1927 brachte es die Kieler sozialdemokratische Parteiorganisation fertig, ganz Kiel im Banne des Sozialdemokratischen Parteitags zu halten. Der sozialdemokratische Verein Groß-Kiel mit seinen Untergruppen - Frauengruppe, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Beamten, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Lehrer und Lehrerinnen, Sozialistische Elternbeiräte, Verein sozialdemokratischer Studierender, Sozialistisches Jugendkartell, Sozialistische Arbeiterjugend, Kinderfreundebewegung, Arbeiterwohlfahrt, Frauen- und Mütterberatungsstelle und Mieterberatung - verkörpert in sich ein gewaltiges Maß von politischen, sozialen und kulturellen Kräften."[1]

Er hätte dazu etwa die Arbeitersportvereine - in Kiel vor allem die Freie Turnerschaft an der Kieler Förde - und den Konsumverein nennen können. Er hätte auch auf die Kinderrepublik Seekamp verweisen können, die - von Andreas Gayk maßgeblich mit entwickelt und vorwiegend von Kieler Parteimitgliedern organisiert - nur wenige Wochen später stattfand. Für dieses wegweisende Projekt war auf dem Parteitag fleißig geworben und gesammelt worden.

Die Kieler SPD hatte sich genehmigen lassen, dass der Flaggenschmuck für den Parteitag noch bis Ende Mai hängen durfte. Unmittelbar nach dem Parteitag besuchte Reichspräsident Hindenburg Kiel. Im Kieler Stadtarchiv existiert ein Brief mit der Beschwerde, dass dem Reichspräsidenten der Anblick der noch überall hängenden roten Fahnen nicht zuzumuten sei.[2]

Grundsatzreferat von Rudolf Hilferding

Ein Höhepunkt des Reichsparteitages war das Referat von Rudolf Hilferding zum Thema "Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik", dessen Inhalt die Theorie und Programmatik der SPD zur damaligen Zeit widerspiegelte. Von ihrem Selbstverständnis her war sie zwar noch marxistisch ausgerichtet, jedoch wurde in ihr die Zusammenbruchstheorie verworfen, nach der das kapitalistische Wirtschaftssystem durch immer häufiger auftretende Krisen zusammenbrechen, das Proletariat durch eine Revolution die Macht übernehmen und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen würde.

Statt dessen strebte die SPD einen demokratischen Weg zum Sozialismus an. Sie müsse sich laut Hilferding zum Nutze machen, dass sich das kapitalistische Wirtschaftssystem von einem Konkurrenzkapitalismus zu einem Organisierten Kapitalismus entwickelt habe (u. a. durch die Bildung von Aktiengesellschaften, Trusts und Kartellen), bei dem immer stärkere Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat entstehen würden. Durch die mittlerweile erreichte Demokratisierung des Staates bestünde für die SPD nun die historische Möglichkeit, auf dem Wege der Wirtschaftsdemokratie auch das Wirtschaftssystem zu demokratisieren und somit auf einem friedlichen Weg den Sozialismus zu erreichen.

In seiner Rede versuchte Rudolf Hilferding Wege aufzuzeigen, wie dies konkret erreicht werden könne. Zunächst einmal müsse mittels demokratischer Wahlen die Macht im Staate errungen werden. Die Arbeiterbewegung und die SPD müssten die Demokratie als ihre Errungenschaft begreifen und sie nicht durch falsche Begrifflichkeiten wie "formale" oder "bürgerliche Demokratie" abqualifizieren. Er plädierte deswegen auch dafür, sich zumindest aus taktischen Gründen wieder an Regierungen auf Reichsebene zu beteiligen, um dieses Feld nicht allein den bürgerlichen Parteien zu überlassen. Um die Macht der Sozialdemokratie in der Republik zu stärken, müsse die Partei es sich ferner zur wichtigen Aufgabe machen, die Teile der Arbeiterbewegung für sich zu gewinnen, die bislang entweder aus christlicher Überzeugung das Zentrum, aus wirtschaftlichen Notgründen die KPD oder gar die Deutschnationale Volkspartei wählten.

Eine auf der Basis dieser Rede formulierte und durch den Parteitag angenommene Resolution gilt als Wegbereiter für die Bildung der sogenannten Großen Koalition unter Führung der SPD ein Jahr später, 1928.

Dank der Partei

Am 4. Juni sandte der Parteivorstand aus Berlin einen Dank nach Kiel, der hinter der Verpflichtung zum Lob und dem zeitüblichen Pathos deutlich machte, dass man durchaus beeindruckt war:

"Werte Genossen!
Der Parteivorstand sieht sich veranlaßt, noch einmal schriftlich den Kieler Parteigenossen für die aufopferungsvolle Arbeit während des Parteitages und seiner vielen Nebentagungen herzlichst zu danken. Wir sind alle von dem Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen, das wir der Kieler Arbeiterschaft schulden, da sie zum wesentlichen Teile an[3] dem Gelingen des Parteitages beigetragen hat. Es wird kaum einmal einer anderen Parteiorganisation möglich sein, das zu erreichen, was den Delegierten des Kieler Parteitages durch das Zusammenwirken aller Zweige der Arbeiterbewegung in Kiel geboten worden ist. Nicht nur die so stark in Erscheinung tretende Harmonie unter den bei den verschiedenen Festlichkeiten Mitwirkenden war es, die auf uns alle so starken Eindruck machte, sondern vielmehr noch das sich unabweisbar aufdrängende Gefühl, hier wird der Partei aus vollem Herzen das Beste gegeben, was zu geben möglich ist. Dafür bitten wir Sie, allen Mitwirkenden unseren Dank aussprechen zu wollen: der Parteiorganisation wie der Arbeiterjugend, den Kinderfreunden und den prächtigen Roten Falken, den Arbeitersängern ebenso wie den Arbeitersportlern und Arbeitersamaritern[4], den Gewerkschaftsgenossen und den Reichsbannerkameraden. Dank auch der Leitung des Tagungslokals und seinem Personal für die anstrengende Arbeit, die sie während der Tagungszeit auf sich nehmen mußten. Wir wissen, daß sie es gern geleistet haben, weil auch sie sich als Teil des Ganzen fühlten, getragen von dem Gefühl der Verpflichtung, zu einem vollen Gelingen aller Veranstaltungen beizutragen. Die schleswig-holsteinische Organisation hat sich selbst einen Ruhmeskranz in der Kieler Woche gewunden. Dafür nochmals den Dank der ganzen Partei auszusprechen, ist uns Freude und gern erfüllte Pflicht.
Mit Parteigruß!
Der Parteivorstand, gez. Otto Wels, Herm. Müller"[5]

Quellen

  1. Brecour, Wilhelm: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel 1932), neu veröffentlicht in: Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Sonderveröffentlichung 15 der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte (Kiel 1983), S. I-96
  2. Stadtarchiv Kiel, Akte ?
  3. So im abgedruckten Text.
  4. Hier ist vermutlich auch die von der SPD 1919 gegründete Arbeiterwohlfahrt gemeint, die nach Brecour (s. Zitat oben) beteiligt war.
  5. Abgedruckt in der VZ am 7.6.27. Bemerkenswert erscheint, dass hier nicht das in der SPD übliche "Du" verwendet wird.