Entnazifizierung in Schleswig-Holstein

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Nach dem Ende der Naziherrschaft startete die britische Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein die Entnazifizierung. Die Schuldigen der Naziverbrechen sollten bestraft werden und die Bevölkerung demilitarisiert und demokratisiert. Die Briten arbeiteten dabei mit einem Skalensystem von 1–5:

  • Hauptschuldige (Kriegsverbrecher)
  • Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)
  • Minderbelastete
  • Mitläufer
  • Entlastete

Die Kategorien 3–5 (leichtere Fälle) werden von Entnazifizierungsausschüssen entschieden, die von den Briten 1946 aus Parteimitgliedern z.B. der SPD vor Ort gebildet werden. Am 1.10.1947 erließen die Briten die Verordnung 110, mit der die Entnazifizierung den Ländern übertragen wurde.

In den Beratungen zum Entnazifizierungsgesetz formulierte Eugen Lechner den Anspruch:

"Wir hab als sozialdemokratische Fraktion an ein Entnazifizierungsgesetz ganz bestimmte und konkrete Forderungen zu stellen, und eine der ersten Forderungen ist, dass die Jugend, wenn sie nicht Verbrechen begangen hat, amnestiert wird. Eine weitere Forderung ist, dass die Ausschaltung und Bestrafung der wirklichen Verbrecher des Dritten Reiches vorgenommen wird. Die dritte Forderung ist die Entfernung der Aktivisten aus Ämtern in Wirtschaft und Politik und in Verbindung damit das Recht auf Überprüfung derjenigen, die von der Militärregierung schon einmal überprüft worden sind. Die weitere Forderung ist, dass den Belastern und Nutznießern und Aktivisten eine Beschränkung auferlegt wird, auch in ihrer Wohnung, und zwar so lange, wie uns das von ihnen auferlegte Unheil dazu zwingt."[1]

Nach Verhandlungen mit der britischen Kontrollkommission wurde als Stichtag für die Jugend-Amnestie der 31.12.1918 festgelegt. [2]

Als Innenminister setzte sich Wilhelm Käber (SPD) dafür ein, dass junge Menschen für den öffentlichen Dienst interessiert wurden, die den neuen, demokratischen Geist in die Verwaltungen tragen sollen. [3]

Ende der Entnazifizierung

Zur Landtagswahl am 9.7.1950 traten CDU, FDP und DP als "Wahlblock" an und strebten gemeinsam eine Ablösung der SPD-Regierung an. Neu gegründet hatte sich der "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE).

"Als „Entrechtete" wurden [beim BHE] dabei nicht nur Kriegsopfer begriffen, sondern vor allem die von Internierung und Entnazifizierung Betroffenen. Bald dominierten ehemalige SS Angehörige in der Organisation des BHE, und an der Spitze standen drei ehemalige Angehörige des NS Regimes […] Nur eine Minderheit unter den BHE Mitgliedern lehnte das NS Regime ab, während die Mehrheit von einer "sozialen Volksgemeinschaft" ohne "Auswüchse und Übertreibungen" in einem neuen „Reich" träumte."[4]

Doch auch die CDU Schleswig Holstein galt dem britischen Nachrichtendienst als "äußerster rechter Flügel der Partei". Die DP war noch weiter rechts. Und sogar die FDP trat mit "Plakaten in den Farben Schwarz Weiß Rot und dem Symbol des Reichsadlers" an.[5]

"Nach der Bildung der ersten Regierungskoalition 1950 geriet Schleswig Holstein erstmals als „Hort der braunen Reaktion" in die Schlagzeilen der internationalen Presse. Die Bildung dieser Koalition gestaltete sich schwierig, weil der BHE weitgehende Forderungen erhob und unter anderem die Beendigung der Entnazifizierung verlangte. Erst Anfang September 1950 konnte der Ministerpräsident Dr. Walter Bartram (CDU) gewählt werden, der vor 1945 als NSDAP Mitglied und Wehrwirtschaftsführer hervorgetreten war. Bis auf Dr. Dr. Pagel hatten alle sechs Kabinettsmitglieder, zu denen auch die BHE Politiker Kraft und Asbach zählten, NS Formationen angehört. Der Neue Vorwärts sprach von einer "Koalition aus SA, SS und NSDAP"."[6]

Im März 1951 kam es daher zur Verabschiedung des "Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung". Bereits mit der Bildung der Regierungskoalition aus CDU, FDP, DP und BHE 1950 hatte der Landtag die Säuberung ausgesetzt. Innenminister Paul Pagel (CDU) erklärte: "Der Gesetzentwurf will den […] endgültigen Schlußstrich unter die Entnazifizierung ziehen." Oskar-Hubert Dennhardt (CDU) ergänzte: "Es ist notwendig, alles das, was im Rahmen der Entnazifizierung an die Oberfläche gespült worden ist, zu beseitigen".[7] Das ehemalige NSDAP-Mitglied Dennhardt war „Sonderbeauftragter für die Entnazifizierung“ des Landes Schleswig-Holstein.[8]

In der konfliktreichen Debatte sagte Wilhelm Käber:

"Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozialismus gegeben hat. Die von 1933 bis 1945 begangenen Untaten gegen Leben und Freiheit von Millionen von Menschen sind eine böswillige Erfindung."[9]

Als erstes Bundesland beendete Schleswig-Holstein damit die Entnazifizierung.

Quellen

  1. Lubowitz, Frank (1986) "Wilhelm Käber - Regierung und Opposition" Neuer Malik Verlag Kiel ISBN: 3-89029-906-7
  2. "Nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Schleswig-Holstein" Große Anfrage Kurt Hamer (SPD) 12.06.1985 Drucksache 10/1029, Antwort Landesregierung, Kultusminister/in 13.03.1986 Drucksache 10/1433, Parlamentsdebatte dazu im Plenarprotokoll 10/73 19.03.1986 S 4503-4566
  3. Lubowitz, Frank (1986) "Wilhelm Käber - Regierung und Opposition" Seite 38, Neuer Malik Verlag Kiel ISBN: 3-89029-906-7
  4. "Das braune Schleswig-Holstein" 26.01.1990, DIE ZEIT
  5. "Das braune Schleswig-Holstein" 26.01.1990, DIE ZEIT
  6. "Das braune Schleswig-Holstein" 26.01.1990, DIE ZEIT
  7. "Alles beseitigen" DER SPIEGEL 21/1969
  8. "Das braune Schleswig-Holstein" 26.01.1990, DIE ZEIT
  9. Christen, Ulf (1991) "Entnazifizierung im Landtag Schleswig-Holsteins" in: Demokratische Geschichte, Bd 6