Landtagswahl 1971

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Als Spitzenkandidat für die SPD trat Jochen Steffen 1971 zum zweiten Mal nach 1967. Die Wahl fand am 25.04.1971 statt und die SPD verlor: Die CDU holte 51,9% der Stimmen, die SPD nur 41%. Die FDP holte nur 3,8%, der SSW 1,4%.[1].

Ausgangslage

DER SPIEGEL beschreibt die Lage in Schleswig-Holstein 1971 in harten Worten:

"'alle Probleme', so Steffen, 'der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung einer Industriegesellschaft in der Zweiten Industriellen Revolution spiegeln sich in dem kleinen Raum zwischen Elbe und Krusau'.
In der Tat erscheint die Nordregion nach 20 Jahren christdemokratischer Herrschaft als Armenhaus des Landes oder, wie der Kieler Industrie-und-Handelskammer-Präsident Heinz Seibel sagt, als 'Museum der Bundesrepublik'.
Zwischen den Küsten -- wo zwar pro Kopf der Bevölkerung mehr Kohl und mehr Rindvieh als anderswo in der Bundesrepublik produziert werden, aber nur 74 von 1000 Einwohnern (Bundesdurchschnitt: 140) in der Industrie beschäftigt sind -- gilt noch immer ein Wort des früheren SPD-Ministerpräsidenten (1947 bis 1949) Hermann Lüdemann: 'Wirtschaftlich gesehen ist das Land nichts weiter als ein Wurmfortsatz der Hamburger Lombardsbrücke' (über deren Schienen die Züge nach Norden rollen).
Die Pro-Kopf-Verschuldung der Schleswig-Holsteiner lag in den letzten Jahren bis zu 160 Prozent über dem Bundesdurchschnitt: 28 Prozent weniger als im allgemeinen brachten sie auf die Sparkasse. Und das Land bietet 'im Vergleich zum Bundesniveau mit Abstand die schlechteste öffentliche Daseinsfürsorge' (Steffen).
Kaum irgendwo fehlen mehr Krankenhausbetten und Kindergartenplätze, kaum irgendwo sind die kulturellen Einrichtungen so dürftig: Die Schleswig-Holsteiner unterhalten weder Kunst- noch Musikhochschulen noch Bühnen von Bedeutung. Einziges Staatsorchester ist die Polizeikapelle. Festspiele von Rang finden zwischen Kalkfelsen bei Bad Segeberg statt -- zu Ehren Karl Mays.
Bei qualifizierten Arbeitskräften und Akademikern, die laut Erhebungen von Infas-Meinungsforschern Ihre Heimat als 'kalt' und 'kleinlich', 'schwach' und 'rückständig' beurteilen, überwiegt denn auch 'die Bereitschaft fortzuziehen' (Infas) -- eine Neigung, die durch die unsichere wirtschaftliche Situation des Landes noch verstärkt wird: Schon heute arbeitet jeder dritte Industrie-Beschäftigte in Branchen mit abnehmender oder stagnierender Produktion; ein Drittel der rund 50000 Bauernhöfe Ist zum Sterben verurteilt.
Um 'aus dem netten, schönen, aber rückschrittlichen Land' ein 'nettes, ein schönes, aber ein fortschrittliches Land' zu machen, verlangt Steffens SPD seit langem von den regierenden Christdemokraten, die Ansiedlung von Wachstumsindustrien zu forcieren und einen Teil der Landwirte rechtzeitig auf andere Berufe umschulen zu lassen. Steffen vor Bauern: 'Jeder dritte von euch geht kaputt. Ihr seid Sozialfälle.'
Mehr oder weniger planlos ließ das Kieler CDU-Regime Bonner Milliarden auf die Höfe seiner bäuerlichen Stammwähler fließen -- darunter Tausende von Betrieben, deren 'Strukturkrise nicht gelöst, sondern zeitlich verlagert wurde und sich heute für die einzelnen härter als je auswirkt' (Steffen). Im Marschenland an der Westküste, bemerkte die Hamburger 'Zelt', könne man 'fast jedes Wasserloch in Feld und Flur über einen Asphaltweg erreichen. Doch was dort verbaut wurde, fehlt für industriell-gewerbliche Investitionen
Vergebens schlugen die Sozialdemokraten vor, die knappen Geldmittel 'schwerpunktartig auf zentrale Orte' zu verteilen, um so 'in der Provinz industrielle Kristallisationspunkte herauszubilden'. Noch im Februar dieses Jahres lehnte Steffen-Kontrahent Gerhard Stoltenberg die Strukturpläne der SPD mit der schlichten Begründung ab, sie seien 'einseitig auf Bevölkerungsmassierung' angelegt,
'Kaum irgendwo', kommentierte Oppositionschef Steffen solche Politik des 'konservativen Beharrens auf längst überholten Strukturen', hab 'vordergründige Ausrichtung auf traditionelle Wählerstimmen für die Gesamtbevölkerung so negative Konsequenzen gehabt wie hier'."[2]

Jusos

Alleine aus Nordrhein-Westfalen kamen im Laufe des Wahlkampfes über 70 Jusos zu Unterstützung Jochen Steffens.[3]

Springer Presse

Im Wahlkampf kam es zu einer starken Polarisierung. Der politische Gegner und die konservative Presse polemisierten vor allem gegen die Person Jochen Steffen.[4] Eine Woche vor der Wahl schreibt DER SPIEGEL[5]:

"Nie zuvor wurde ein Wahlkampf in der Provinz so verbissen, so lang, so boshaft geführt. Selten auch stand ein Mann so allein im Zentrum politischer Kontroverse: Jochen Steffen, 48, Symbol und Hoffnung der ungeliebten Linken in der SPD und Zielpunkt vehementer Tief schlag-Attacken der Springer-Blätter wie der rechtsgestimmten Heimatpresse, die ihn zum "Ulbricht-Deutschen" ("Die Welt") deformieren möchten."

Unter dem Titel „Kampagne gegen Steffen" berichtete das NDR-Fernsehmagazin „Panorama" am 22. März 1971 über eine Kontroverse zwischen Jochen Steffen und den Publikationen des Springer Verlags.[6]

Wählerinitiative Nord

Unter dem Namen "Wählerinitiative Nord" („Win") unterstützten neben vielen anderen Günter Grass und Siegfried Lenz, die Grafen Wolf von Baudissin und Helmut Kaspar von Moltke den Wahlkampf der SPD. Am Sophienblatt in Kiel richtete sich die „Win" ein Büro ein. [7]

Nach der Wahl

Auf dem Landesparteitag am 20. Juni 1971 drängte die Kieler SPD den Kieler Oberbürgermeister Günther Bantzer zur Kandidatur gegen Jochen Steffen in der Wahl um den Landesvorsitz.[8]

Quellen

  1. "Landtagswahlen Schleswig-Holstein", wahlrecht.de http://www.wahlrecht.de/ergebnisse/schleswig-holstein.htm
  2. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  3. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  4. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  5. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  6. "In Sachen Steffen kontra Springer u. a." DIE ZEIT, 02.04.1971 Nr. 14 http://www.zeit.de/1971/14/In-Sachen-Steffen-kontra-Springer-u-a?page=all
  7. "Weckmittel für Wahlmüde", DIE ZEIT, 15.01.1971 Nr. 03 http://www.zeit.de/1971/03/Weckmittel-fuer-Wahlmuede
  8. "Flaute in der Fronde: Anti-Steffen-Gruppe der SPD in Schleswig-Holstein ist zersplittert", DIE ZEIT, 21.05.1971 Nr. 21 http://www.zeit.de/1971/21/Flaute-in-der-Fronde?page=all