Ortsverein Travemünde: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''Ortsverein Travemünde''' wurde [[1907]] gegründet und gehört zum [[Kreisverband Lübeck]].
Der '''Ortsverein Travemünde''' wurde [[1907]] gegründet, das genaue Datum ist leider nicht zu ermitteln. Der Ortsverein und gehört zum [[Kreisverband Lübeck]].
 
Zu dieser Zeit fanden Neuwahlen zum Deutschen Reichstag statt, der am [[13. Dezember]] [[1906]] aufgelöst worden war. Diese wurden notwendig, weil sich in dem Etat-Jahr [[1906]] keine Mehrheit zur Bewilligung von zusätzlichen 29 Millionen Mark für die Niederwerfung des Aufstandes in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika fand.
 
Neuwahlen fanden am [[25. Januar]] [[1907]] statt, bei denen [[Theodor Schwartz]] mit nur 169 Stimmen in dem "Städtchen  Travemünde" gewählt wurde, weil das Wahlrecht nur Männer ab dem 25. Lebensjahr zuließ. Frauen durften überhaupt noch nicht wählen; dieses Recht erhielten sie erst im Jahre 1920.
 
Mit der Gründung des Ortsvereines begann auch die aktive Arbeit. Genossen der ersten Stunde waren Litzendorf, Bock, Bössow, Effinger, Feldmann und Laudorn. Bis [[1933]] führte Litzendorf den Ortsvereinsvorsitz. Die zu bewältigende Arbeit der Bewusstseinsbildung für die Probleme Travemündes im Sinne sozialer Demokratie konnte nur mit viel Zeitaufwand, Idealismus und mit Kenntnis der jeweiligen Situation der Ortverhältnisse geleistet werden. Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind dabei nicht zu übersehen.
 
Für den Frohsinn im Ortsverein und der Partei sorgte der ihm angehörende Gesangsverein "Eiche", dem auch eine Laienspielgruppe angeschlossen war. Ihm nahestehend war die freie Turnerschaft Travemündes, die [[Sozialistische Arbeiterjugend]], die [[Kinderfreunde]] und die [[Rote Falken|Roten Falken]]. Eine ortsvereinseigene  Bibliothek ermunterte diese Interessengruppen zur geistigen Weiterbildung.
 
== Weimarer Republik und Nazi-Zeit ==
 
In der Weimarer Republik war die SPD eine staatstragende Kraft. Bis [[1928]] war sie immer die stärkste oder zweitstärkste Partei. Erst mit den schwierigen Verhältnissen ab [[1929]] war der Nationalsozialismus trotz vielfältiger Anstrengungen aller demokratischen Parteien nicht mehr aufzuhalten. "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Mit diesen Worten erklärte der Fraktionsvorsit­zende [[Otto Wels]] am [[23. März]] [[1933]] die Ablehnung des "[http://de.wikipedia.org/wiki/Ermächtigungsgesetz Ermächtigungsgesetzes]" durch die Reichstagsfraktion der SPD. Das Gesetz setzte die parlamentarische Demo­kratie de facto außer Kraft und eröffnete Adolf Hitler, der am [[30. Januar]] zum Reichskanzler ernannt worden war, die uneingeschränkte Verfügungsgewalt. Die Sozialdemokraten blieben mit ihrem "Nein" alleine. Die Mandate der KPD waren bereits für ungültig erklärt wor­den. Im Parlament fand sich außer 94 Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion niemand, der die Demo­kratie gegen das Machtstreben der Nationalsozialisten verteidigen wollte. Die SPD-Fraktion war zu diesem Zeit­punkt bereits arg dezimiert. 31 Abgeordnete hatten nicht zu der Sitzung erscheinen können.
 
Der Vermerk "krank" im Sitzungsprotokoll war eine Lüge. Vor den Toren des Reichstags war die SA aufmarschiert. Von den 94 ver­bliebenen Sozialdemokraten ging niemand in die Knie. Selbst als honorige Kollegen der Zentrums-Partei in den Fraktionsvorstand gekommen waren, um davor zu war­nen, dass die Nazis ein Blutbad unter den Sozialdemo­kraten planten. Das Ermächtigungsgesetz war der endgültige Todesstoß für die Weimarer Republik und damit der dramatische Schlusspunkt eines Abwehrkampfes gegen eine nationalsozialistische Gewaltherrschaft, den die Sozialdemokratie auf weiter Strecke ziemlich einsam geführt hatte. Das Ende der Weimarer Republik war durch große politische Auseinandersetzungen und Wirren, aber auch von zunehmender Gewalt geprägt, die auch in Travemünde teilweise in tätlicher Form auftrat. Denunziantentum war in dieser Zeit an der Tagesordnung und hat viele Opfer gefordert. Die Nationalsozialisten verboten alle Aktivitäten der SPD: am [[18. März]] [[1933]] den "Volksfreund", die politische Organisation und nach und nach alle SPD-nahen Vereine im Rahmen der Aktion "Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens". Am [[22. Juni]] [[1933]] wurde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands verboten. Die bürgerlichen und konservativen Parteien lösten sich in vorauseilendem Gehorsam selbst auf. Die Demokratie war beseitigt, Deutschland eine Einparteiendiktatur der NSDAP.  Der SPD Ortsverein Travemünde stellte nach dem Verbot der Partei alle offiziellen politischen Tätigkeiten ein. Publikationen konnten nur noch unter Gefahr für Leib und Leben gedruckt und verteilt werden.
 
=== Die schwere Zeit unter den Nazis ===
Denunziantentum war zu jener Zeit an der Tagesordnung und hat viele Opfer gefordert: Im Jahre [[1937]] wurde der Genosse [[Albert Johanns]] inhaftiert und musste während des Krieges an der Front unter Beweis stellen, dass er ein "aufrichtiger Deutscher" ist. Für die Haftzeit wurde [[Albert Johanns]] [[1951]] mit einer Summe von  150 DM entschädigt!
 
Ein anderes Mitglied der SPD, [[Johannes Möller]], [[Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold|Reichsbanner-Fahnenträger]], verlor bereits [[1933]] wie viele andere auch seinen Arbeitsplatz, ohne auch nur die geringste Unterstützung zu bekommen. An dieser Stelle könnten wir noch viele Sozialdemokraten nennen, die unter dem Nationalsozialismus gleiches oder ähnliches erdulden mussten. Mutige Männer und Frauen vollbrachten Leistungen,  von denen vieles in Vergessenheit geraten ist.
 
Unvergessen ist der Travemünder Fischer [[Paul Stooß]]. Er brachte in einer Nacht- und Nebelaktion mit seinem Fischerboot einen Genossen namens [[Willy Brandt|Herbert Frahm]] vor den Nazis in Sicherheit. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welch ein für das demokratische Deutschland und die  Welt wichtiger Mann gerettet wurde: Es war kein geringerer als [[Willy Brandt]], langjähriger Parteivorsitzender und Ehrenbürger der Hansestadt Lübeck.
 
: "Zwei ins Vertrauen gezogene Genossen, [[Emil Peters]] und Herrmann, stellten Kontakte zum Travemünder Fischer und Sozialdemokraten [[Johannes Johannsen]] her. Mit dessen Motorkutter TRA 10 fuhr, kaum kontrolliert, der 36 jährige Stiefsohn [[Paul Stooß]], ebenfalls ein Linker, jede Nacht zum Fang auf die Ostsee hinaus Richtung Dänemark...  Bootseigner Johannsen informiert Stiefsohn Stooß, dass er bei Nacht ‚einen von Lübeck, hinter dem sie her sind’, nach Dänemark bringen soll: ‚Lass niemand in die Kajüte sehen. Mehr brauchst du nicht zu wissen."<ref>Martin Wein: ''Willy Brandt. Das Werden eines Staatsmannes'', Aufbau Verlag (2003) ISBN 978-3746619927</ref>
 
: "Ich fuhr nach Travemünde,  wo der Schwiegersohn eines  Fischers, der uns nahestand, wartete und mich aufnahm. Leichtsinnig, wie man bei aller Vorsicht  noch war, ging ich in den Abendstunden in die Wirtschaft und stieß auf einen Bekannten aus der vorigen Generation der  Arbeiterjugend, der sich mit den Nazis angefreundet hatte, mich aber unbehelligt abziehen ließ. Ich wurde mitsamt meiner Aktentasche an Bord des Kutters TRA 10 gebracht und glaubte mich gut versteckt, bis ein Zöllner erschien; wäre es mehr Kontrolle und weniger Routine gewesen, das Versteck hätte nichts genutzt.  Wir starteten bald nach Mitternacht und gingen frühmorgens im dänischen Rödbyhavn an Land; die Überfahrt schilderte der Fischer später als ruhig, mir ist sie als stürmisch und höchst unangenehm in Erinnerung geblieben."<ref>Willy Brandt: ''Erinnerungen'', List Taschenbuch (2013) ISBN: 978-3548611662</ref>
 
=== Rettung des Ortsvereinsfahne===
Die vor kurzem verstorbene Genossin [[Alma Nickel]] erzählte gern darüber, wie die [[1922]] geweihte Ortsvereinsfahne von [[Albert Johanns]] und [[Willi Nickel]] vor dem Zugriff der Nazis bewahrt wurde. In einer Blechdose verpackt wurde sie in einer Abseite ihrer Wohnung versteckt. Auffällig aufgehängt vor dem Versteck hing die schwarz-rot-goldene Fahne zur Ablenkung. Auch die Wohnung von Nickels wurde von einer Razzia der Nazis heimgesucht. Dabei wurde der hängende Spruch "Wir wollen Frieden, Freiheit und Recht, dass niemand sei des anderen Knecht" konfisziert. Ein ebenfalls dort hängendes Bild von [[August Bebel]] wurde von den SA-Leuten nicht als einer der Gründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung erkannt und blieb deshalb in der Wohnung. Für alle Fälle aber beugte [[Willi Nickel]] mit der Bemerkung vor: "Nun nehmt Ihr mir wohl auch noch das Bild meines Schwiegervaters mit."


== Literatur ==
== Literatur ==
* Schapke, Thomas: ''Wir für Travemünde - 1907-2007 - 100 Jahre SPD Travemünde'' (Travemünde 2007)
* Schapke, Thomas: ''Wir für Travemünde - 1907-2007 - 100 Jahre SPD Travemünde'' (Travemünde 2007)
== Quellen ==
<references />


[[Kategorie:Ortsverein|Travemünde]]
[[Kategorie:Ortsverein|Travemünde]]
[[Kategorie:Kreisverband Lübeck|Travemünde]]
[[Kategorie:Kreisverband Lübeck|Travemünde]]

Version vom 8. Oktober 2014, 23:11 Uhr

Der Ortsverein Travemünde wurde 1907 gegründet, das genaue Datum ist leider nicht zu ermitteln. Der Ortsverein und gehört zum Kreisverband Lübeck.

Zu dieser Zeit fanden Neuwahlen zum Deutschen Reichstag statt, der am 13. Dezember 1906 aufgelöst worden war. Diese wurden notwendig, weil sich in dem Etat-Jahr 1906 keine Mehrheit zur Bewilligung von zusätzlichen 29 Millionen Mark für die Niederwerfung des Aufstandes in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika fand.

Neuwahlen fanden am 25. Januar 1907 statt, bei denen Theodor Schwartz mit nur 169 Stimmen in dem "Städtchen Travemünde" gewählt wurde, weil das Wahlrecht nur Männer ab dem 25. Lebensjahr zuließ. Frauen durften überhaupt noch nicht wählen; dieses Recht erhielten sie erst im Jahre 1920.

Mit der Gründung des Ortsvereines begann auch die aktive Arbeit. Genossen der ersten Stunde waren Litzendorf, Bock, Bössow, Effinger, Feldmann und Laudorn. Bis 1933 führte Litzendorf den Ortsvereinsvorsitz. Die zu bewältigende Arbeit der Bewusstseinsbildung für die Probleme Travemündes im Sinne sozialer Demokratie konnte nur mit viel Zeitaufwand, Idealismus und mit Kenntnis der jeweiligen Situation der Ortverhältnisse geleistet werden. Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind dabei nicht zu übersehen.

Für den Frohsinn im Ortsverein und der Partei sorgte der ihm angehörende Gesangsverein "Eiche", dem auch eine Laienspielgruppe angeschlossen war. Ihm nahestehend war die freie Turnerschaft Travemündes, die Sozialistische Arbeiterjugend, die Kinderfreunde und die Roten Falken. Eine ortsvereinseigene Bibliothek ermunterte diese Interessengruppen zur geistigen Weiterbildung.

Weimarer Republik und Nazi-Zeit

In der Weimarer Republik war die SPD eine staatstragende Kraft. Bis 1928 war sie immer die stärkste oder zweitstärkste Partei. Erst mit den schwierigen Verhältnissen ab 1929 war der Nationalsozialismus trotz vielfältiger Anstrengungen aller demokratischen Parteien nicht mehr aufzuhalten. "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Mit diesen Worten erklärte der Fraktionsvorsit­zende Otto Wels am 23. März 1933 die Ablehnung des "Ermächtigungsgesetzes" durch die Reichstagsfraktion der SPD. Das Gesetz setzte die parlamentarische Demo­kratie de facto außer Kraft und eröffnete Adolf Hitler, der am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt worden war, die uneingeschränkte Verfügungsgewalt. Die Sozialdemokraten blieben mit ihrem "Nein" alleine. Die Mandate der KPD waren bereits für ungültig erklärt wor­den. Im Parlament fand sich außer 94 Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion niemand, der die Demo­kratie gegen das Machtstreben der Nationalsozialisten verteidigen wollte. Die SPD-Fraktion war zu diesem Zeit­punkt bereits arg dezimiert. 31 Abgeordnete hatten nicht zu der Sitzung erscheinen können.

Der Vermerk "krank" im Sitzungsprotokoll war eine Lüge. Vor den Toren des Reichstags war die SA aufmarschiert. Von den 94 ver­bliebenen Sozialdemokraten ging niemand in die Knie. Selbst als honorige Kollegen der Zentrums-Partei in den Fraktionsvorstand gekommen waren, um davor zu war­nen, dass die Nazis ein Blutbad unter den Sozialdemo­kraten planten. Das Ermächtigungsgesetz war der endgültige Todesstoß für die Weimarer Republik und damit der dramatische Schlusspunkt eines Abwehrkampfes gegen eine nationalsozialistische Gewaltherrschaft, den die Sozialdemokratie auf weiter Strecke ziemlich einsam geführt hatte. Das Ende der Weimarer Republik war durch große politische Auseinandersetzungen und Wirren, aber auch von zunehmender Gewalt geprägt, die auch in Travemünde teilweise in tätlicher Form auftrat. Denunziantentum war in dieser Zeit an der Tagesordnung und hat viele Opfer gefordert. Die Nationalsozialisten verboten alle Aktivitäten der SPD: am 18. März 1933 den "Volksfreund", die politische Organisation und nach und nach alle SPD-nahen Vereine im Rahmen der Aktion "Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens". Am 22. Juni 1933 wurde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands verboten. Die bürgerlichen und konservativen Parteien lösten sich in vorauseilendem Gehorsam selbst auf. Die Demokratie war beseitigt, Deutschland eine Einparteiendiktatur der NSDAP. Der SPD Ortsverein Travemünde stellte nach dem Verbot der Partei alle offiziellen politischen Tätigkeiten ein. Publikationen konnten nur noch unter Gefahr für Leib und Leben gedruckt und verteilt werden.

Die schwere Zeit unter den Nazis

Denunziantentum war zu jener Zeit an der Tagesordnung und hat viele Opfer gefordert: Im Jahre 1937 wurde der Genosse Albert Johanns inhaftiert und musste während des Krieges an der Front unter Beweis stellen, dass er ein "aufrichtiger Deutscher" ist. Für die Haftzeit wurde Albert Johanns 1951 mit einer Summe von 150 DM entschädigt!

Ein anderes Mitglied der SPD, Johannes Möller, Reichsbanner-Fahnenträger, verlor bereits 1933 wie viele andere auch seinen Arbeitsplatz, ohne auch nur die geringste Unterstützung zu bekommen. An dieser Stelle könnten wir noch viele Sozialdemokraten nennen, die unter dem Nationalsozialismus gleiches oder ähnliches erdulden mussten. Mutige Männer und Frauen vollbrachten Leistungen, von denen vieles in Vergessenheit geraten ist.

Unvergessen ist der Travemünder Fischer Paul Stooß. Er brachte in einer Nacht- und Nebelaktion mit seinem Fischerboot einen Genossen namens Herbert Frahm vor den Nazis in Sicherheit. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welch ein für das demokratische Deutschland und die Welt wichtiger Mann gerettet wurde: Es war kein geringerer als Willy Brandt, langjähriger Parteivorsitzender und Ehrenbürger der Hansestadt Lübeck.

"Zwei ins Vertrauen gezogene Genossen, Emil Peters und Herrmann, stellten Kontakte zum Travemünder Fischer und Sozialdemokraten Johannes Johannsen her. Mit dessen Motorkutter TRA 10 fuhr, kaum kontrolliert, der 36 jährige Stiefsohn Paul Stooß, ebenfalls ein Linker, jede Nacht zum Fang auf die Ostsee hinaus Richtung Dänemark... Bootseigner Johannsen informiert Stiefsohn Stooß, dass er bei Nacht ‚einen von Lübeck, hinter dem sie her sind’, nach Dänemark bringen soll: ‚Lass niemand in die Kajüte sehen. Mehr brauchst du nicht zu wissen."[1]
"Ich fuhr nach Travemünde, wo der Schwiegersohn eines Fischers, der uns nahestand, wartete und mich aufnahm. Leichtsinnig, wie man bei aller Vorsicht noch war, ging ich in den Abendstunden in die Wirtschaft und stieß auf einen Bekannten aus der vorigen Generation der Arbeiterjugend, der sich mit den Nazis angefreundet hatte, mich aber unbehelligt abziehen ließ. Ich wurde mitsamt meiner Aktentasche an Bord des Kutters TRA 10 gebracht und glaubte mich gut versteckt, bis ein Zöllner erschien; wäre es mehr Kontrolle und weniger Routine gewesen, das Versteck hätte nichts genutzt. Wir starteten bald nach Mitternacht und gingen frühmorgens im dänischen Rödbyhavn an Land; die Überfahrt schilderte der Fischer später als ruhig, mir ist sie als stürmisch und höchst unangenehm in Erinnerung geblieben."[2]

Rettung des Ortsvereinsfahne

Die vor kurzem verstorbene Genossin Alma Nickel erzählte gern darüber, wie die 1922 geweihte Ortsvereinsfahne von Albert Johanns und Willi Nickel vor dem Zugriff der Nazis bewahrt wurde. In einer Blechdose verpackt wurde sie in einer Abseite ihrer Wohnung versteckt. Auffällig aufgehängt vor dem Versteck hing die schwarz-rot-goldene Fahne zur Ablenkung. Auch die Wohnung von Nickels wurde von einer Razzia der Nazis heimgesucht. Dabei wurde der hängende Spruch "Wir wollen Frieden, Freiheit und Recht, dass niemand sei des anderen Knecht" konfisziert. Ein ebenfalls dort hängendes Bild von August Bebel wurde von den SA-Leuten nicht als einer der Gründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung erkannt und blieb deshalb in der Wohnung. Für alle Fälle aber beugte Willi Nickel mit der Bemerkung vor: "Nun nehmt Ihr mir wohl auch noch das Bild meines Schwiegervaters mit."

Literatur

  • Schapke, Thomas: Wir für Travemünde - 1907-2007 - 100 Jahre SPD Travemünde (Travemünde 2007)

Quellen

  1. Martin Wein: Willy Brandt. Das Werden eines Staatsmannes, Aufbau Verlag (2003) ISBN 978-3746619927
  2. Willy Brandt: Erinnerungen, List Taschenbuch (2013) ISBN: 978-3548611662