Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde''' (RAG) war eine Gliederung innerhalb der [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|Sozialdemokratischen Partei Deutschlands]] (SPD) während der [[Weimarer Republik]].
[[Datei:Kinderrepublik Seekamp Seekamp Gayk Löwenstein.jpg|mini|Andreas Gayk und Kurt Löwenstein bei der Kinderrepublik Seekamp]]
Die '''Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde''' ''(kurz: Kinderfreunde)'' wurde in Schleswig-Holstein [[1922]] gegründet und organisierten Kinderrepubliken in [[Kinderrepublik Seekamp|Kiel]] und [[Kinderrepublik Lübecker Bucht|Lübeck]], sowie kleinere Zeltlager und Treffen.<ref name=":0">{{Osterroth-100-Jahre}}, Seite 84</ref><blockquote>"Kinderfreunde verfolgten eine Pädagogik 'vom Kinde aus': Sie nahmen Kinder als mündig und gleichberechtigt wahr. Als erwachsene 'Helfer' unterstützten sie die Kinder in der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit, statt sie zu bevormunden."<ref name=":1">Danker, Uwe: [https://www.shz.de/528991 Solidarität in der Kinderrepublik] bei: shz.de 3. September 2010, 07:32 Uhr</ref></blockquote>[[Andreas Gayk]] hatte die Idee [[Kurt Löwenstein|Kurt Löwensteins]] von einer Ferienreise aus Österreich mitgebracht und zu Hause in die Tat umgesetzt. Startpunkt war die [[Maifeiertag (1. Mai)|Maifeier]] [[1921]], zu der [[Andreas Gayk]] dafür sorgte, dass die Kinder im Mittelpunkt stehen sollten. Die Eltern waren begeistert. Schleswig-Holstein gründete damit den ersten Bezirksverband der Kinderfreunde in Deutschland.<ref name=":0" />


== Geschichte ==
Von Anfangs drei Gruppen wuchs die Bewegung auf 44 Gruppen mit 3000 Kindern und 300 erwachsenen Helferinnen und Helfern im Jahr [[1931]].<ref name=":0" />
Die Arbeitsgemeinschaft wurde 1923 in [[Berlin]] gegründet und nach der [[Machtübernahme]] im Jahr 1933 verboten. Ihr 1. Vorsitzender war bis zum Verbot [[Kurt Löwenstein]]. Die Kinderfreunde waren Teil der „[[Sozialdemokratie|Sozialdemokratischen]] Familie“ wie z.&nbsp;B. die [[Arbeiterwohlfahrt]] (AWO) und die Frauenorganisation. Trotz der von der Sozialdemokratischen Partei gewährten Entscheidungsfreiheit in ihren eigenen Angelegenheiten war die RAG eine unselbständige Parteigliederung.


Die Geschäftsführung der RAG hatte [[Hans Weinberger]] übernommen, der nach dem Verbot für die Wochenzeitschrift [[Blick in die Zeit]] den Vertrieb leitete. Die parteiinterne Zuständigkeit oblag von 1923 bis 1928 dem Bildungsreferenten der SPD. Die Funktionäre der Kinderfreundeorganisation mussten Mitglieder der SPD oder der [[Sozialistische Arbeiter-Jugend|Sozialistischen Arbeiter-Jugend]] (SAJ) sein, die Mitglieder der Erziehungsvereine durften keiner gegnerischen Partei angehören. Die Organisation der Kinderfreunde gliederte sich in:
[[1926]] veranstalteten die Kinderfreunde den ersten Kindertag zu dem aus ganz Schleswig-Holstein 600 Kinder kamen. "Schleswig-Holstein war es gelungen, den Kindern die volle Gleichberechtigung im leben der sozialistischen Bewegung zu erringen."<ref>{{Osterroth-100-Jahre}}, Seite 85</ref>
* Örtliche Organisation
* Bezirksorganisation und
* Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde.


Der Organisationsaufbau basierte formal auf einer Zusammenarbeit der Kinderfreunde mit anderen Organisationen der [[Arbeiterbewegung]] in der Form einer Arbeitsgemeinschaft. SPD, SAJ, der [[Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund|Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund]] und die Arbeiterwohlfahrt sollten auf allen Organisationsebenen in den Vorständen vertreten sein. Die Kinderfreunde nahmen, wie die SAJ, um 1926 die Ideen und Formen der [[Rote Falken|Roten Falken]] aus Österreich auf und bildeten altersgerechte Falkengruppen.
Im Jahr [[1927]] organisierten die Kinderfreunde die [[Kinderrepublik Seekamp]]. [[1930]] fand in Brodten die [[Kinderrepublik Lübecker Bucht]] statt. "Hier sollte erprobt werden, wo und wie sich die Selbstverwaltung maximal erweitern läßt. Die Kinder erhielten deshalb weitestgehende Selbstverwaltungsrechte. Im Lager traten nun aber einige Diphtheriefälle auf. Gegner der Kinderrepublik nahmen die erkrankten Kinder zum Anlaß, auf die grundsätzliche Gefährlichkeit der Lager aufmerksam zumachen. Mit strengen Hygienevorschriften und Quarantäne des ganzen Lagers konnte eine Schließung verhindert werden. Allerdings beschlossen die pädagogisch Verantwortlichen auch, den Versuch der erweiterten Selbstverwaltung abzubrechen."<ref>Schulte, Rolf: ''[https://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay32.pdf Von Kindern und “Kinderrepubliken” - Zur 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen “Kinderfreundebewegung” in Schleswig-Holstein.]'' in: Demokratische Geschichte, Band 3 (1988)</ref>


1927 organisierte der damalige Journalist [[Andreas Gayk]] aus [[Kiel]] auf dem städtischen Gelände [[Gut Seekamp]] am Westufer der [[Kieler Förde]] eine [[Kinderrepublik]], an der ca. 2.000 Kinder teilnahmen. Die Idee war von der RAG ausgegangen. Eine Dokumentation über die ''rote Kinderrepublik'' erschien 1929.  
[[1932]] war die Zeit der großen Kinderrepubliken vorbei als die preußische Regierung die reduzierten Fahrpreise für Kinderfreizeiten strich. Viele Familien konnten sich die Kosten für die Fahrten nicht mehr leisten. Stattdessen wurden kleinere "rote Zeltlager" veranstaltet, die die Kinder leichter erreichen konnten. In [[Ortsverein Glückstadt|Glückstadt]] fand zum Beispiel [[1932]] das [[Rotes Zeltlage Niederelbe|Rote Zeltlager Niederelbe]] statt. Die Arbeit der Kinderfreunde wurde gefährlicher. In [[Ortsverein Glückstadt|Glückstadt]] demonstrierte die Nazi-Truppe der SA gegen das Zeltlager. Bei einer Kinderrepublik in Namedy (Rheinland-Pfalz) griff die SA die Kinder sogar an.  


Schon vor dem Verbot der Organisation 1933 wurde die Organisation der Kinderfreunde beispielsweise in [[Bayern]] in ihrer Arbeit ab 1930 massiv eingeschränkt und faktisch verboten. Den Kinderfreunden wurde unter anderem die Politisierung von Schulpflichtigen (Erziehung zum [[Sozialismus]], Kritik an Schule, Kirche und Elternhaus) und die [[koedukativ|koedukative]] Erziehung (vor allem in den Zeltlagern) vorgeworfen. In Bayern, insbesondere in der Pfalz, konnte die Organisation nur unter dem Dach der Arbeiterwohlfahrt weiterarbeiten, sie musste aber auf die politische Ausrichtung wie Fahnen, Gruppennamen, öffentliche Umzüge, Unterstützung von Parteiveranstaltungen verzichten.
Ein weiteres Zeltlager fand auf der kleinen Ochseninsel in der Flensburger Förde statt.<ref name=":1" />


Nach dem Verbot von 1933 gingen führende Funktionäre ins [[Exil]]. Es gelang den ehemaligen Kinderfreunden nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] zusammen mit den ehemaligen Mitgliedern der [[Sozialistische Arbeiter-Jugend|Sozialistischen Arbeiter-Jugend]] ab 1946 in den [[Westzonen|westlichen Besatzungszonen]] und [[West-Berlin]] wieder aktiv zu werden und einen gemeinsamen Verband mit dem Namen [[Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken]] zu gründen.
[[1933]] verboten die Nazis die Kinderfreunde.


== Bekannte Mitglieder ==
Ab [[1946]] lebt die Idee der Kinderfreunde in der [[Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken|Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken]] weiter.
* [[Kurt Löwenstein]]
* [[Willy Brandt]]
* [[Andreas Gayk]]
* [[Heinz Kühn]]
* [[Käte Strobel]]
* [[Franz Maget]], MdL
* Helga-Kühn Mengel, MdB
* Wolfgang Altenbernd
* Walter Heckmann
* Ulli Volland
* Wolfgang Stöger


== Literatur ==
== Literatur ==
* Archiv der Arbeiterjugendbewegung (Hrsg.): ''Bilder der Freundschaft - Fotos aus der Geschichte der Arbeiterjugend''. VOTUM Verlag Münster 1988, ISBN 3-926549-07-6 
* Heinrich Eppe: ''Datenchronik der Kinderfreundebewegung in Deutschland 1919–1939''. 2., erw. Auflage. Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Oer-Erkenschwick 2000, ISBN 3-926734-52-3.
* Roland Gröschel (Hrsg.): ''Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung - Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte der sozialdemokratischen "Kinderfreunde" in der Weimarer Republik''. Klartext Verlag, Essen 2006, ISBN 3-89861-650-9.
* Ida Hinz: ''Die Kinderrepublik Seekamp.'' In: Jürgen Jensen und Karl Rickers (Hrsg.): ''Andreas Gayk und seine Zeit. 1893-1954. Erinnerungen an den Kieler Oberbürgermeister.'' Wachholtz, Neumünster 1974, S. 151-152.
* ''Kinder der Solidarität. Die sozialistische Pädagogik der „Kinderfreunde“ in der Weimarer Republik''. [[Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung]], Berlin 2006.
* [[Christoph Spehr]]: ''Zerstörter Fortschritt. Die bayerische Kinderfreundebewegung – ein sozialdemokratisches Lehrstück''. Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Oer-Erkenschwick 1991, ISBN 3-926734-11-6.


* Schulte, Rolf: ''[https://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay32.pdf Von Kindern und “Kinderrepubliken” - Zur 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen “Kinderfreundebewegung” in Schleswig-Holstein.]'' in: Demokratische Geschichte, Band 3 (1988)
*Uellenberg, Wolfgang / Rütz, Günter: ''[http://www.trend.infopartisan.net/trd7802/t087802.html Geschichte unseres Verbandes Kinderfreundebewegung in Deutschland.]'' bei: trend onlinezeitung 7-8/02


[[Kategorie:Politischer Jugendverband]]
== Archive ==
[[Kategorie:Sozialdemokratische Partei Deutschlands]]
[[Kategorie:Organisation (Reformpädagogik)]]
[[Kategorie:Organisation (Berlin)]]
[[Kategorie:Gegründet 1923]]


* Neues Senatsarchiv Lübeck: ''Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Kinderfreunde in Lübeck 1931-1933.'' Signatur: NSA IV 1 K, 4f/24


{{AusWikipedia
== Links ==
|Titel = Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde
 
}}
* {{Wikipedia}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
[[Kategorie:Parteijugend]]
[[Kategorie:Parteinahe Organisation]]

Aktuelle Version vom 16. März 2022, 13:59 Uhr

Andreas Gayk und Kurt Löwenstein bei der Kinderrepublik Seekamp

Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde (kurz: Kinderfreunde) wurde in Schleswig-Holstein 1922 gegründet und organisierten Kinderrepubliken in Kiel und Lübeck, sowie kleinere Zeltlager und Treffen.[1]

"Kinderfreunde verfolgten eine Pädagogik 'vom Kinde aus': Sie nahmen Kinder als mündig und gleichberechtigt wahr. Als erwachsene 'Helfer' unterstützten sie die Kinder in der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit, statt sie zu bevormunden."[2]

Andreas Gayk hatte die Idee Kurt Löwensteins von einer Ferienreise aus Österreich mitgebracht und zu Hause in die Tat umgesetzt. Startpunkt war die Maifeier 1921, zu der Andreas Gayk dafür sorgte, dass die Kinder im Mittelpunkt stehen sollten. Die Eltern waren begeistert. Schleswig-Holstein gründete damit den ersten Bezirksverband der Kinderfreunde in Deutschland.[1]

Von Anfangs drei Gruppen wuchs die Bewegung auf 44 Gruppen mit 3000 Kindern und 300 erwachsenen Helferinnen und Helfern im Jahr 1931.[1]

1926 veranstalteten die Kinderfreunde den ersten Kindertag zu dem aus ganz Schleswig-Holstein 600 Kinder kamen. "Schleswig-Holstein war es gelungen, den Kindern die volle Gleichberechtigung im leben der sozialistischen Bewegung zu erringen."[3]

Im Jahr 1927 organisierten die Kinderfreunde die Kinderrepublik Seekamp. 1930 fand in Brodten die Kinderrepublik Lübecker Bucht statt. "Hier sollte erprobt werden, wo und wie sich die Selbstverwaltung maximal erweitern läßt. Die Kinder erhielten deshalb weitestgehende Selbstverwaltungsrechte. Im Lager traten nun aber einige Diphtheriefälle auf. Gegner der Kinderrepublik nahmen die erkrankten Kinder zum Anlaß, auf die grundsätzliche Gefährlichkeit der Lager aufmerksam zumachen. Mit strengen Hygienevorschriften und Quarantäne des ganzen Lagers konnte eine Schließung verhindert werden. Allerdings beschlossen die pädagogisch Verantwortlichen auch, den Versuch der erweiterten Selbstverwaltung abzubrechen."[4]

1932 war die Zeit der großen Kinderrepubliken vorbei als die preußische Regierung die reduzierten Fahrpreise für Kinderfreizeiten strich. Viele Familien konnten sich die Kosten für die Fahrten nicht mehr leisten. Stattdessen wurden kleinere "rote Zeltlager" veranstaltet, die die Kinder leichter erreichen konnten. In Glückstadt fand zum Beispiel 1932 das Rote Zeltlager Niederelbe statt. Die Arbeit der Kinderfreunde wurde gefährlicher. In Glückstadt demonstrierte die Nazi-Truppe der SA gegen das Zeltlager. Bei einer Kinderrepublik in Namedy (Rheinland-Pfalz) griff die SA die Kinder sogar an.

Ein weiteres Zeltlager fand auf der kleinen Ochseninsel in der Flensburger Förde statt.[2]

1933 verboten die Nazis die Kinderfreunde.

Ab 1946 lebt die Idee der Kinderfreunde in der Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken weiter.

Literatur

Archive

  • Neues Senatsarchiv Lübeck: Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Kinderfreunde in Lübeck 1931-1933. Signatur: NSA IV 1 K, 4f/24

Links

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 84
  2. 2,0 2,1 Danker, Uwe: Solidarität in der Kinderrepublik bei: shz.de 3. September 2010, 07:32 Uhr
  3. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 85
  4. Schulte, Rolf: Von Kindern und “Kinderrepubliken” - Zur 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen “Kinderfreundebewegung” in Schleswig-Holstein. in: Demokratische Geschichte, Band 3 (1988)