Landesverband - Mitgliederentwicklung

Aus SPD Geschichtswerkstatt

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Die Mitgliederzahl der SPD Schleswig-Holstein hat über die Jahre stark geschwankt.

Waren es in der Anfangszeit nur ein paar hundert Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, so wuchs die SPD nach dem Ende des Sozialistengesetzes auf über 80.000 bis zum Beginn der Weimarer Republik.

Während der Nazi-Diktatur war sie komplett verboten.

Nach Nazizeit und 2. Weltkrieg kamen viele Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten nach Schleswig-Holstein. Die SPD wuchs innerhalb weniger Monate auf über 90.000 Mitglieder an. Von den Flüchtlingen zogen dann aber viele weiter. Sie wurden auch ganz offiziell auf andere Bundesländer verteilt. Binnen weniger Jahre schrumpfte die SPD wieder auf 38.000 Mitglieder. Bereits gegen Ende der 1950er Jahre wurde der Mitgliederschwund zum Problem. Der spätere Landesvorsitzende Jochen Steffen analysierte 1956 für den Kreisverband Kiel:

"Die Problematik offenbart sich, wenn man die Zahlen der über 70-jährigen Mitglieder mit denen zwischen 31 und 40 vergleicht (1235:1111). Der geringe Anteil der unter 30-jährigen will nicht allzu viel besagen, da dem heutigen Lebensstil entsprechend man generell nicht vor der Verheiratung mit ernsthafter gewerkschaftlicher oder politischer Arbeit rechnen kann. Einen Schluß lassen die Zahlen jedoch zu, daß nämlich unsere Partei in absehbarer Zeit (selbst wenn man mit einer nochmaligen Verstärkung zwischen 41 und 50 rechnet), mindestens 1/3 des jetzigen numerischen Mitgliederbestandes verlieren wird. Das vorliegende Material läßt in seiner Eindeutigkeit diesen Schluß nicht nur zu, sondern drängt ihn auf."[1]

Im Rechenschaftsbericht 1955-1957 heißt es:

"Während fast alle Parteibezirke im letzten Jahr über Mitgliedergewinne berichten können, muß Schleswig-Holstein einen Verlust melden. Das hängt im wesentlichen damit zusammen, daß aus Schleswig-Holstein, dem industriearmen Land, immer noch Parteimitglieder nach Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern mit Vollbeschäftigung und höheren Löhnen abgesaugt werden. Schleswig-Holstein wirkt dadurch für die Aufnahmebezirke praktisch wie eine Art sozialdemokratischer Rekrutenschule. Ein Vergleich der Zugänge und Abgänge läßt das deutlich erkennen. Während der Verlust der Ortsvereine durch Abwanderung in den beiden Jahren 3350 Mitglieder betrug, wurden nur 1794 Parteimitglieder als zugezogen gemeldet. Die Verlustdifferenz zwischen Fortzug und Zuzug beträgt 1556. Sie entspricht fast genau dem Gesamtverlust von 1553 Mitgliedern im Bezirk. Auch die Zahl der Todesfälle ist im Bezirk Schleswig-Holstein wesentlich höher als im Durchschnitt der anderen Parteibezirke. Zweifellos ist in unserem Bezirk eine gewisse Überalterung in der Mitgliedschaft festzustellen, die nur durch Werbung unter der jungen Generation ausgeglichen werden kann."[2]

Der Leitende Bezirkssekretär Albert Schulz hielt das Problem für "unlösbar". Seine Erklärung von 1972:

"Schleswig-Holstein war das letzte Land in Deutschland gewesen, das frei war von fremden Truppen. Die Zahl der Flüchtlinge, die in das Land einströmten, war deshalb besonders groß, darunter auch viele Genossen aus den Städten Ostdeutschlands. Sie gründeten in ihren neuen Aufenthaltsorten Ortsgruppen der Partei. Niemals zuvor hatte Schleswig-Holstein so viele Ortsvereine der Partei wie in diesen ersten Jahren nach dem Krieg. Dann kam die Umsiedlung. Aber nicht nur die gelenkte Umsiedlung brachte Vertriebene und geflüchtete Industriearbeiter, die jetzt in den Dörfern in Schleswig-Holstein untergebracht waren, in andere Länder. Mancher Arbeiter konnte es einfach nicht mehr aushalten, in einem Dorf zu sitzen und durch Arbeit bei den Bauern kärglich sein Brot zu verdienen. Sie fuhren per Anhalter ins Ruhrgebiet, fanden Arbeit und holten ihre Familien nach. Diese Industriearbeiter waren auf dem Lande meistens die Vorstände der neugegründeten Ortsvereine. Wenn sie fort waren, fingen die Ortsvereine in vielen Fällen an zu kränkeln, und nach einer gewissen Zeit war der Ortsverein still und friedlich entschlafen."[3]

Doch es gab Hoffnung: Die junge Generation wählte unerwartet viel SPD:

"Die häufig anzutreffende Auffassung, als ob jüngere Menschen nur in geringem Umfange zur SPD tendieren, ist übrigens falsch. Das ist leicht zu beweisen. Bei der letzten Landtagswahl im Jahre 1954 wurde in Schleswig-Holstein in einer repräsentativ ausgesuchten Reihe von Wahllokalen nach Altersgruppen gewählt. Das Statistische Landesamt in Kiel hat das Ergebnis dieser Altersgruppen-Wahl [...] veröffentlicht."[4]

Die beigefügte Statistik zeigte, dass Menschen unter 30 stärker SPD gewählt hatten als ältere. Punkten konnte die SPD aber vor allem bei den jungen Männern.

"Daraus ergibt sich, daß sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die jüngeren Jahresklassen in stärkerem Maße sozialdemokratisch wählen als die Männer und Frauen im höheren Lebensalter. Dieselbe Beobachtung wurde übrigens bei den letzten Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern im Herbst 1956 gemacht. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die jüngere Generation, auch wenn sie stark zur Sozialdemokratie tendiert, unter der Nachwirkung des Organisationszwanges im Dritten Reich organisationsscheu geworden ist. Trotzdem kann erfreulicherweise festgestellt werden, daß die in den Jahren 1955 und 1956 neu gewonnenen 4180 Mitglieder in großem Umfange zur jüngeren Generation gehören."[5]

Man sah es als eine Hauptaufgabe an, neue Mitglieder zu werben:

"Im Jahre 1955 wurde eine besondere Werbeaktion durchgeführt. Obgleich sich leider nicht alle Ortsvereine daran beteiligten, war ein erfreulicher Erfolg festzustellen. Die Aktion wurde vom Bezirkssekretariat dadurch unterstützt, daß an ca. 6000 vorher beschaffte Adressen vor der eigentlichen Werbeaktion viermal Material mit der Post versandt wurde. So konnten im Jahre 1955 über 1100 mehr neue Mitglieder gewonnen werden als im Jahre 1956. Neben der besonderen Werbeaktion wirkte sich im Jahre 1955 die Kommunalwahl in erfreulicher Weise auch in Neuaufnahmen aus. Die Bundestagswahl 1957 und besonders ihre Vorbereitung sollte von allen Mitgliedern, besonders aber von allen Funktionären, intensiv auch zur Werbung neuer Parteimitglieder benutzt werden. Werbung als Daueraufgabe sollte die Parole der nächsten Jahre für alle Organisationsgliederungen sein."

Doch dann kam das Godesberger Programm, danach Willy Brandt, und die SPD wurde wieder attraktiv auch für junge Menschen. Rund 40.000 Mitglieder hatte sie 1979. Doch für die Jusos gab es bereits Grund zu klagen:

"Angesichts dieser Situation Jugendliche für ein Engagement innerhalb der Jungsozialisten zu gewinnen, ist häufig nicht einfach. Viele Jugendliche gehen den Weg des "Tu nix", das heißt den Rückzug ins Private, da man ja 'doch nichts machen kann'. Andere suchen eine widerspruchsfreie Art des Arbeitens in Bürgerinitiativen, Alternativen, Grünen etc."[6]

Seither sinkt die Zahl der Mitglieder, zunächst langsam und von einer Eintrittswelle 1990 unterbrochen, nach 2000 mit höherer Geschwindigkeit und zuletzt wieder langsamer. Viele der Mitglieder treten allerdings nicht aus, sondern sie sterben. Die Eintritte machen die Todesfälle und die Austritte zusammen nicht wett.

Zahlen

Jahr Zahl Bemerkungen
2017 (Okt.) 17.387 Quelle: Kay Müller: Abwärtstrend gestoppt. Mitglieder-Boom bei den Parteien in SH, shz.de, 18.10.2017
2016 17.207 Quelle: Rechenschaftsbericht 2015-2017
2015 17.733 Quelle: Rechenschaftsbericht 2013-2015
2013 18.493 Quelle: Rechenschaftsbericht 2011-2013
2011 19.171 Quelle: Rechenschaftsbericht 2009-2011
2009 20.085 Quelle: Rechenschaftsbericht 2007-2009
2007 21.437 Quelle: Rechenschaftsbericht 2005-2007
2005 23.357 Quelle: Rechenschaftsbericht 2003-2005
2003 26.833 Quelle: Rechenschaftsbericht 2001-2003
2000 28.471 Quelle: Rechenschaftsbericht 1999-2001
1999 30.430 Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999
1998 30.337 Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999
1997 31.121 Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999
1996 32.280 Quelle: Rechenschaftsbericht 1995-1997
1995 34.009 Quelle: Rechenschaftsbericht 1995-1997
1994 35.012 Quelle: Rechenschaftsbericht 1993-1995
1993 35.657 Quelle: Rechenschaftsbericht 1993-1995
1992 36.518 Quelle: Rechenschaftsbericht 1991-1993
1991 38.466 Quelle: Rechenschaftsbericht 1989-1991
1990 39.442 Quelle: Rechenschaftsbericht 1989-1991
1989 38.896 Quelle: Rechenschaftsbericht 1987-1989
1987 37.325 Quelle: Politik und Organisation 1985-1987
1985 37.940 Quelle: Politik und Organisation 1983-1985
1983 38.507 Quelle: Politik und Organisation 1981-1983
1979 40.008 Quelle: Politik und Organisation 1977-1979
1978 39.738 Quelle: Politik und Organisation 1977-1979
1977 39.663 Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976
1976 39.682 Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976
1975 39.258 Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976
1974 39.511 Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976
1973 39.265 Quelle: Politik und Organisation 1977-1979
1960 36.955 Quelle: Jahrbuch 1959-1960
1958 36.965 Quelle: Jahrbuch 1957-1958
1957 38.579 Quelle: Jahrbuch 1957-1958
1956 39.344 Quelle: Jahrbuch 1955-1956
1955 40.250 Quelle: Jahrbuch 1955-1956
1947 90.415 Quelle: Jahrbuch der SPD 1947
1947 83.293 31.3.1947. Quelle: 83000 Mitglieder ..., VZ, 11.6.1947
1946 39.700 31.3.1946. Quelle: 83000 Mitglieder ..., VZ, 11.6.1947
Anfang 1930er 55.000
1927 47.000 Quelle: Protokoll des SPD-Parteitags in Kiel 1927
1926 43.795
1920 86.287 MSPD am 1.4.20. Quelle: Schulte/Weber, S. 307
1920 ca. 20.000 USPD. Quelle: Schulte/Weber, S. 307
(1919) 82.064 Quelle: Danker, S. 35
1914 55.037 Quelle: Danker, S. 35
1911 44.527 Quelle: Danker, S. 35
1908 30.381 Quelle: Danker, S. 35
1905 17.744 Quelle: Danker, S. 35
1902 12.211 Quelle: Danker, S. 35
1875 3.293

Quellen

  1. Ulrich Schilf, Rolf Schulte, Jürgen Weber, Uta Wilke: Der Wiederaufbau der SPD nach dem Krieg, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 551
  2. Rechenschaftsbericht 1955-1957
  3. Schulz, Albert: Erinnerungen eines Sozialdemokraten (Oldenburg 2000), ISBN 3814207580, S. 146
  4. Rechenschaftsbericht 1955-1957
  5. Rechenschaftsbericht 1955-1957
  6. Rechenschaftsbericht 1979-1981