Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform, 1988: Unterschied zwischen den Versionen

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Nach der Wahl von [[Björn Engholm]] zum Ministerpräsidenten beschloss der Landtag am [[29. Juni]] [[1988]]<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-14.pdf Drucksache 12/14: Antrag der Fraktionen SPD, CDU und des Abgeordneten Karl Otto Meyer (SSW), 23.06.1988]</ref> die Einsetzung einer '''Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform'''. Ihr Auftrag war, "Möglichkeiten zur wirksameren Kontrolle der Regierung, zur verstärkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, zur Stärkung des Landtags [...] zu prüfen und Anregungen für entsprechende Änderungen [...] zu geben."<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-14.pdf ebd.], S. 7</ref>
Nach der Wahl von [[Björn Engholm]] zum Ministerpräsidenten beschloss der Landtag am [[29. Juni]] [[1988]]<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-14.pdf Drucksache 12/14: Antrag der Fraktionen SPD, CDU und des Abgeordneten Karl Otto Meyer (SSW), 23.06.1988]</ref> die Einsetzung einer '''Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform'''. Ihr Auftrag war, "Möglichkeiten zur wirksameren Kontrolle der Regierung, zur verstärkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, zur Stärkung des Landtags [...] zu prüfen und Anregungen für entsprechende Änderungen [...] zu geben."<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-14.pdf ebd.], S. 7</ref><blockquote>"Auch die Landesverfassung von [[1990]] ist ein Symbol des Aufbruchs. In Reaktion auf die Barschel-Affäre leitet der Landtag im Juni [[1988]] eine Verfassungsreform ein. Hauptziel ist, Machtmissbrauch von Regierungen auszuschließen. Zunächst in einer „Enquetekommission“, dann in einem parlamentarischen Sonderausschuss unter dem Vorsitz des SPD-Fraktionsvorsitzenden [[Gert Börnsen]], erarbeiten die Abgeordneten die neue Landesverfassung. Die klare Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Justiz soll wieder hergestellt werden, zukünftig das Parlament als 'das vom Volk gewählte oberste Organ der politischen Willensbildung' verankert sein. Rechte von Abgeordneten und Opposition werden ausgebaut, plebiszitäre Elemente eingeführt. Die Landesregierung muss Aktenvorlage gewähren, die Amtszeit der Ministerpräsidenten ist an die Wahlperiode gebunden, der Landtag kann sich selbst auflösen."<ref>Danker, Uwe: [https://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_26/09_Danker.pdf ''Schleswig-Holsteins Sozialdemokratie in der Regierungsverantwortung 1988-2009. Eine erste Analyse anhand ausgewählter Politikfelder.''] in Demokratische Geschichte Band 26 (2016)</ref></blockquote>
 
Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse wurde eine umfangreiche Parlaments- und Verfassungsreform eingeleitet.
* Der Landtag verfügt seitdem über weitreichende Initiativ-, Kontroll-, Frage- und Auskunftsrechte.
* Die Ausschüsse besitzen ein Selbstbefassungsrecht und tagen öffentlich.
* Untersuchungsausschüsse und Eingabenausschuss erhielten starke neue Rechte.
* Die Unabhängigkeit der Justiz ist durch ein transparentes Richterwahlverfahren gesichert.<ref>Schueler, Hans: [http://www.zeit.de/1989/13/abschied-von-der-schwarzen-praxis/komplettansicht ''Richterwahl in Schleswig-Holstein - Abschied von der schwarzen Praxis''], DIE ZEIT, 24.3.1989</ref>
* Elemente direkter Demokratie eröffnen den Bürgerinnen und Bürgern neue Einflussmöglichkeiten.
* Zusätzliche Staatsziele (Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Gleichstellung, Berücksichtigung der Rechte von Minderheiten) wurden festgelegt.


== Enquete-Kommission ==
== Enquete-Kommission ==
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Durch ihre Zusammensetzung wurde für die Enquete-Kommission ein hohes Maß an Unabhängigkeit vorausgesetzt.<ref>''Professoren beraten Politiker'', ''Kieler Nachrichten'', 4.7.1988</ref> Sie legte nach 16 Sitzungen am [[7. Februar]] [[1989]] ihren Schlussbericht dem Landtag vor.<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-180.pdf Drucksache 12/180: ''Bericht Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform''], 7.2.1989 </ref>.  
Durch ihre Zusammensetzung wurde für die Enquete-Kommission ein hohes Maß an Unabhängigkeit vorausgesetzt.<ref>''Professoren beraten Politiker'', ''Kieler Nachrichten'', 4.7.1988</ref> Sie legte nach 16 Sitzungen am [[7. Februar]] [[1989]] ihren Schlussbericht dem Landtag vor.<ref>[http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/QQD12-180.pdf Drucksache 12/180: ''Bericht Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform''], 7.2.1989 </ref>.  
Auf der Grundlage der Ergebnisse der Enquete-Kommission wurde eine umfangreiche Parlaments- und Verfassungsreform eingeleitet.
* Der Landtag verfügt seitdem über weitreichende Initiativ-, Kontroll-, Frage- und Auskunftsrechte.
* Die Ausschüsse besitzen ein Selbstbefassungsrecht und tagen öffentlich.
* Untersuchungsausschüsse und Eingabenausschuss erhielten starke neue Rechte.
* Die Unabhängigkeit der Justiz ist durch ein transparentes Richterwahlverfahren gesichert.<ref>Schueler, Hans: [http://www.zeit.de/1989/13/abschied-von-der-schwarzen-praxis/komplettansicht ''Richterwahl in Schleswig-Holstein - Abschied von der schwarzen Praxis''], DIE ZEIT, 24.3.1989</ref>
* Elemente direkter Demokratie eröffnen den Bürgerinnen und Bürgern neue Einflussmöglichkeiten.
* Zusätzliche Staatsziele (Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Gleichstellung, Berücksichtigung der Rechte von Minderheiten) wurden festgelegt.


== Sonderausschuss "Verfassungs- und Parlamentsreform" ==
== Sonderausschuss "Verfassungs- und Parlamentsreform" ==
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# Änderung der Landeshaushaltsordnung
# Änderung der Landeshaushaltsordnung
# Änderung der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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== Verabschiedung im Landtag ==
<blockquote>"Der [[30. Mai]] [[1990]] gerät zur Sternstunde des Landesparlaments. Einstimmig verabschiedet der Landtag die Landesverfassung. Drei Jahre nach der Erschütterung des politischen Systems ist es eine eindringliche Demonstration von Lernbereitschaft und demokratischer Gemeinsamkeit. Und eine persönliche Leistung [[Gert Börnsens]]. Die Balance zwischen Parlament und Regierung ist wieder hergestellt. Und: Seither sind neben der '[[Frauen- und Gleichstellungspolitik|Gleichstellung von Frauen und Männern]]' die '[[Minderheitenpolitik|Rechte von nationalen Minderheiten und Volksgruppen]]' sowie der '[[Umweltforum|Schutz der natürlichen Grundlagen des Lebens]]' Staatsziele. Diese Verfassung wird für neue Bundesländer zum Vorbild."<ref>Danker, Uwe: [https://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_26/09_Danker.pdf ''Schleswig-Holsteins Sozialdemokratie in der Regierungsverantwortung 1988-2009. Eine erste Analyse anhand ausgewählter Politikfelder.''] in Demokratische Geschichte Band 26 (2016)</ref></blockquote>


== Reaktionen ==
== Reaktionen ==

Version vom 2. Januar 2022, 23:26 Uhr

Nach der Wahl von Björn Engholm zum Ministerpräsidenten beschloss der Landtag am 29. Juni 1988[1] die Einsetzung einer Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform. Ihr Auftrag war, "Möglichkeiten zur wirksameren Kontrolle der Regierung, zur verstärkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, zur Stärkung des Landtags [...] zu prüfen und Anregungen für entsprechende Änderungen [...] zu geben."[2]

"Auch die Landesverfassung von 1990 ist ein Symbol des Aufbruchs. In Reaktion auf die Barschel-Affäre leitet der Landtag im Juni 1988 eine Verfassungsreform ein. Hauptziel ist, Machtmissbrauch von Regierungen auszuschließen. Zunächst in einer „Enquetekommission“, dann in einem parlamentarischen Sonderausschuss unter dem Vorsitz des SPD-Fraktionsvorsitzenden Gert Börnsen, erarbeiten die Abgeordneten die neue Landesverfassung. Die klare Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Justiz soll wieder hergestellt werden, zukünftig das Parlament als 'das vom Volk gewählte oberste Organ der politischen Willensbildung' verankert sein. Rechte von Abgeordneten und Opposition werden ausgebaut, plebiszitäre Elemente eingeführt. Die Landesregierung muss Aktenvorlage gewähren, die Amtszeit der Ministerpräsidenten ist an die Wahlperiode gebunden, der Landtag kann sich selbst auflösen."[3]

Enquete-Kommission

Die Enquete-Kommission tagte zwischen dem 19. August 1988 und dem 21. Januar 1989. Ihre Mitglieder wurden von den Fraktionen benannt:

  • Landtagspräsidentin Lianne Paulina-Mürl (Vorsitz)
  • Prof. Dr. Albert von Mutius, Experte für Öffentliches Recht, Kiel (stellv. Vorsitz)
  • Dr. Helmuth Christensen, ehemaliger Bürgermeister von Flensburg (SSW)
  • Kurt Hamer, ehemaliger Landtagsvizepräsident
  • Prof. Dr. Hans-Peter Schneider, Experte für Staats- und Verwaltungsrecht, Hannover
  • Dr. Brigitte Schubert-Riese, Redakteurin beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) Kiel
  • Dr. Egon Schübeler (CDU), ehemaliger Landtagsvizepräsident
  • Prof. Dr. Jürgen Seifert, Hannover
  • Prof. Dr. Uwe Thaysen, Experte für Parlamentarismus und Regierungslehre, Lüneburg

Durch ihre Zusammensetzung wurde für die Enquete-Kommission ein hohes Maß an Unabhängigkeit vorausgesetzt.[4] Sie legte nach 16 Sitzungen am 7. Februar 1989 ihren Schlussbericht dem Landtag vor.[5].

Auf der Grundlage der Ergebnisse der Enquete-Kommission wurde eine umfangreiche Parlaments- und Verfassungsreform eingeleitet.

  • Der Landtag verfügt seitdem über weitreichende Initiativ-, Kontroll-, Frage- und Auskunftsrechte.
  • Die Ausschüsse besitzen ein Selbstbefassungsrecht und tagen öffentlich.
  • Untersuchungsausschüsse und Eingabenausschuss erhielten starke neue Rechte.
  • Die Unabhängigkeit der Justiz ist durch ein transparentes Richterwahlverfahren gesichert.[6]
  • Elemente direkter Demokratie eröffnen den Bürgerinnen und Bürgern neue Einflussmöglichkeiten.
  • Zusätzliche Staatsziele (Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Gleichstellung, Berücksichtigung der Rechte von Minderheiten) wurden festgelegt.

Sonderausschuss "Verfassungs- und Parlamentsreform"

Der Landtag berief einen Sonderausschuss[7] unter dem Vorsitz von Gert Börnsen, der sich am 27. Februar 1989 konstituierte und am 28. November 1989 seinen Bericht vorlegte. Er diskutierte den Schlussbericht der Enquete-Kommission und gab mit seinen "Vorschlägen und Empfehlungen" dem Landtag Beschlussempfehlungen[8], die die Basis für die erste grundlegende Reform einer Landesverfassung in der BRD bildeten.

SPD-Mitglieder

Heinz-Werner Arens, Holger Astrup, Gert Börnsen, Ursula Kähler, Gabriele Kötschau, Rolf Selzer, Udo Wnuck

Stellvertretende SPD-Mitglieder

Ute Erdsiek-Rave, Jürgen Hinz, Rudolf Johna, Gyde Köster, Heide Moser, Ernst Dieter Rossmann, Manfred Dickmann

Empfehlungen

Der Sonderauschuss empfahl folgende Änderungen[9]:

  1. Änderung der Landessatzung, Einführung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit
  2. Aufhebung des Bannkreisgesetzes
  3. Ergänzung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Landtages (Verhaltensregeln)
  4. Ergänzung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein
  5. Änderung der Landeshaushaltsordnung
  6. Änderung der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Verabschiedung im Landtag

"Der 30. Mai 1990 gerät zur Sternstunde des Landesparlaments. Einstimmig verabschiedet der Landtag die Landesverfassung. Drei Jahre nach der Erschütterung des politischen Systems ist es eine eindringliche Demonstration von Lernbereitschaft und demokratischer Gemeinsamkeit. Und eine persönliche Leistung Gert Börnsens. Die Balance zwischen Parlament und Regierung ist wieder hergestellt. Und: Seither sind neben der 'Gleichstellung von Frauen und Männern' die 'Rechte von nationalen Minderheiten und Volksgruppen' sowie der 'Schutz der natürlichen Grundlagen des Lebens' Staatsziele. Diese Verfassung wird für neue Bundesländer zum Vorbild."[10]

Reaktionen

Der SPIEGEL bezweifelte, ob die Parlamentsreform tatsächlich am richtigen Punkt ansetze:

"Die Parlamentsreform, die vor allem die Rechte der Opposition stärken soll, treibt löblicherweise die Regierungsfraktion voran, gegen die Bedenken der Opposition und des Ministerpräsidenten. Die Reform wird in Kiel als Konsequenz aus der Barschel-Affäre verkauft, eine Verwischung der Lehren. Denn die Zivilcourage der untergebenen Beamten und der umgebenden Minister und Parteifreunde hätte den machtbesessenen Doppeldoktor aufhalten können, nicht aber eine Parlamentsreform."[11]

Die ZEIT schrieb dagegen 1992:

"Insgesamt hat Schleswig-Holstein die demokratische Brise in den Engholm-Jahren gutgetan. Sicherlich, Verfassungsreformen und bürgernahe Politik allein können eine kriminelle Nutzung politischer Macht niemals ausschließen. Aber man muß Engholm zugute halten, den Rahmen geschaffen zu haben, in dem sich ein liberaleres Selbstverständnis der Bürger und Führungszirkel dieses Bundeslandes herausbilden konnte."[12]

Einzelnachweise