Minderheitenpolitik

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Minderheitenpolitik betrachtet die SPD Schleswig-Holstein als eine Aufgabe von zentraler Bedeutung für Europa. Sie bekennt sich zu den nationalen Minderheiten und Volksgruppen in Schleswig-Holstein. Dänen, Friesen, Sinti und Roma sind für sie selbstverständlicher und bereichernder Bestandteil der Gesellschaft.

Minderheiten

Die dänische Minderheit

Seit dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 gehörte Schleswig zu Preußen. So war eine dänische Minderheit entstanden, die nördlich von Flensburg jedoch die Mehrheit der Bevölkerung bildete. Die Haltung der SPD in Bezug auf sie war widersprüchlich. Laut Friedensvertrag sollte es eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit des Landesteils zu Deutschland oder Dänemark geben. Diese Klausel wurde 1879 von den beiden Vertragsparteien einvernehmlich annulliert. Der SPD-Bezirksparteitag 1902 in Flensburg bezeichnete die Klausel als "widerrechtlich beseitigt" und erklärte, dass es bei Wahlen in Nordschleswig nicht um die Nationalität des Kandidaten gehe. In der Praxis wurden diese Wahlen jedoch immer primär nach der Nationalität des Kandidaten entschieden. Die SPD konnte dort nie gute Wahlergebnisse erringen und keine Kandidaten durchsetzen.

Weimarer Republik - Die Volksabstimmung 1920

Die Volksabstimmung wurde neu angesetzt, nachdem das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verloren hatte: Auf der internationalen Sozialisten-Konferenz in Bern im Februar 1919 trafen sich deutsche Sozialdemokraten von MSPD und USPD mit dänischen Sozialdemokraten und erklärten gemeinsam,

"daß die neue dänisch-deutsche Grenze nicht nach dem Recht der Gewalt, sondern nach dem Recht der Selbstbestimmung der von der Änderung betroffenen Bevölkerung zu lösen ist, also durch eine Volksabstimmung. Diese Abstimmung ist für drei Gebiete gesondert vorzunehmen: 1. für das geschlossene Sprachgebiet Nordschleswigs, 2. für die südlich gelegenen, überwiegend dänischsprechenden, bisher überwiegend deutschgesinnten etwa 8 bis 10 Gemeinden; 3. für die Stadt Flensburg, wenn eine beträchtliche Zahl der wahlfähigen Bevölkerung die Abstimmung fordert. Die unter 2. bezeichneten Gemeinden stimmen eine jede für sich besonders ab. Die Vorbereitungen und die Vornahme der Abstimmung müssen in voller Freiheit erfolgen. Die Abstimmungen sollen, um unbeeinflußt von augenblicklichen Strömungen zu sein, erst nach einer gewissen Zeit vorgenommen werden. Die Grenze ist in einer Weise vorzunehmen, die Enklaven ausschließt. Nationalen Minderheiten werden in beiden Staaten die gleichen nationalen Rechte verbürgt."[1]

Es kam anders. Der Friedensvertrag von Versailles sah ein Abstimmungsverfahren in mehreren Zonen vor. Der Bezirksparteitag im Juli 1919 beschloss dazu einstimmig die Erklärung:

"Die von der siegreichen Entente in Widerspruch mit den Beschlüssen der Berner Konferenz erzwungene Abstimmungsmethode vergewaltigt große Teile der deutschen Bevölkerung. Der Bezirksparteitag protestiert insbesondere dagegen, daß Tausende (sic!) von nordschleswigschen Arbeitern das Stimmrecht geraubt wird. Er protestiert gleichfalls gegen die reaktionäre Forderung der Entente, daß die gesamten Arbeiterräte des Abstimmungsgebietes aufgelöst werden sollen. Der Bezirksparteitag erwartet, daß alle Genossen Nordschleswigs bis zum letzten Augenblick auf ihren Posten ausharren. Er macht ihnen zur Pflicht, auch nach der Abtretung im Sinne des revolutionären Sozialismus zu arbeiten. Der Bezirksparteitag richtet endlich an die dänische Bruderpartei die dringende Aufforderung, während und nach der Abstimmung mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rechte der deutschen Arbeiterschaft dauernd gewahrt bleiben."[1]

Eine Konferenz der SPD Nordschleswigs am 20. Oktober 1919 in Apenrade forderte von ihren deutsch gesinnten Anhängern die Ablehnung der Abtrennung und gab ihren dänisch gesinnten Anhängern die Abstimmung frei.[1]

Die MSPD organisierte eine aufwendige Werbekampagne, die mit vielen Freiwilligen, 3 Millionen Zeitungsexemplaren und 10 Millionen Flyern für den Verbleib bei Deutschland warb.[2] Louise Schroeder aus Altona, spätere Bürgermeisterin von Berlin, berichtete 1921 in Die Gleichheit von ihren Reisen nach Nordschleswig, einmal Anfang 1919, einmal ein halbes Jahr später, um für den Verbleib Nordschleswigs im Deutschen Reich zu werben und ein drittes Mal nach der Volksabstimmung ins "Jung-Dänemark".[3]

Die Abstimmung fand in zwei Zonen statt. Die Mehrheit in der Zone "Nordschleswig", die etwa dem modernen Amt Sønderjylland (Nordschleswig) entspricht, entschied sich am 10. Februar 1920 für Dänemark, die in der Zone "Mittelschleswig" - ganz grob die heutigen Landkreise Schleswig-Flensburg, Nordfriesland und die Stadt Husum - am 14. März für das Deutsche Reich. Diese Abstimmung fiel in die Zeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches, der auch in Schleswig-Holstein zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führte. Wahrscheinlich haben deswegen weniger Menschen an der Abstimmung teilgenommen.[4] Die SPD in Schleswig-Holstein verlor durch diese Entscheidung sieben Ortsvereine und 1296 Mitglieder an die dänische Sozialdemokratie.[2]

Die mit dem Übergang der Staatshoheit in Nordschleswig auf Dänemark entstandenen Fragen wurden vom Deutschen Reich in einem im Mai 1922 verabschiedeten Reichsgesetz geregelt. Es enthielt einen Minderheitenschutz. So erklärte der Abgeordnete Karl Frohme die Zustimmung seiner Fraktion und ergänzte:

"Wir hoffen, dass der Minderheitenschutz baldmöglichst vertraglich festgelegt wird. Wir wünschen das vor allem, um den vorhandenen chauvinistischen Bestrebungen auf beiden Seiten der Grenze die Spitze zu nehmen."

Erhebliche Bedeutung hatte auch die Konferenz der deutschen und dänischen Sozialdemokraten am 25. November 1923 mit ihren Vorsitzenden Otto Wels und Thorvald Stauning im Flensburger Gewerkschaftshaus. Die Anerkennung der neuen Grenze wurde bestätigt und zum Ziel erklärt, "die gegenwärtig noch vermißten, gesetzlichen Bestimmungen zu schaffen, die den berechtigten Ansprüchen der nationalen Minderheiten entsprechen und die beide Minderheiten hinsichtlich kultureller Rechte auf gleichen Fuß stellen."[5] Damit erkannten beide Parteien die Grenze an, wie sie auf Grund der Volksabstimmung von 1920 gezogen worden war.[6] Die Sozialdemokraten auf beiden Seiten der Grenze sollten keine nationalen Minderheitsparteien bilden, sondern der sozialdemokratischen Partei des jeweiligen Staates angegliedert werden.

Anfang 1924 bekräftigte Thorvald Stauning in Schleswig das Abkommen zwischen ihm und Otto Wels:

"Der Stellung der Minderheiten müssen wir (dagegen) ein natürliches Interesse entgegenbringen. Die dänische Sozialdemokratie wird sich in keinerlei Übergriffe gegen die deutsche Minderheit finden. Wir haben zur Sicherstellung des kulturellen Rechtes der Minderheit das unsere beigetragen und werden dieser Angelegenheit unsere fortgesetzte Aufmerksamkeit widmen. Wir fühlen uns überzeugt, daß unsere deutschen Genossen...im Verhältnis zu der dänischen Minderheit ebenso verfahren werden [und] sind miteinander darüber einig, daß den Minderheiten zu beiden Seiten der Grenze die gleichen kulturellen Rechte gesichert werden müssen: die gleiche Freiheit in der Pflege der Muttersprache, und im übrigen alle Rechte, die den Staatsbürgern des betreffenden Landes zukommen."

Hermann Clausen ahnte, dass diese Erklärungen "einen Sturm der Entrüstung in den nationalen und nationalistischen Kreisen" zur Folge haben mussten. Von "Gewaltgrenze" und "Landesverrat" war die Rede. In seinen Memoiren erinnert er sich an die Worte des Dorfschmiedes Philipp in einer Wahlversammlung in Goltoft in Angeln. "Du kannst seggen, wat du willst, Clausen, Dütschland wart ken Demokratie, dat dütsche Volk mutt noch durch en ganz fürchterliche Reaktion dörch." "Sah dieser einfache Mann in die Zukunft?" fragte sich Hermann Clausen.

Bundesrepublik Deutschland

Die Jahre der "fürchterlichen Reaktion", auch mit der Besetzung Dänemarks, haben auf beiden Seiten der Grenze erneut zu Spannungen zwischen Minderheit und Staat geführt. Die Zeit nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 wollten einige, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Vielzahl deutscher Flüchtlinge aus den Ostgebieten sowie mangelnder politisch-kultureller Mitwirkungsrechte, erneut für eine Grenzdiskussion nutzen. Die Sozialdemokratie blieb davon nicht unberührt.

Bereits auf dem ersten, von der britischen Militärbehörde offiziell verbotenen, Bezirksparteitag 1945 in Kiel war dies ein Thema. Die Flensburger SPD machte sich für den Anschluss Flensburgs an Dänemark stark und wurde daraufhin von Kurt Schumacher für aufgelöst erklärt. Sie benannte sich um in Sozialdemokratische Partei Flensburgs (SPF) und bestand - deutlich stärker als der neu gegründete Kreisverband Flensburg - weiter bis zum Wiederanschluss an die SPD einige Jahre später.

Andreas Gayk sagte auf dem Bezirksparteitag 1946:

"Die Sozialdemokraten Deutschlands und Dänemarks halten die durch Volksabstimmung zustandegekommene Grenze für eine gerechte Grenze. Sie ist so gerecht, wie Grenzen überhaupt sein können. Eine restlose Uebereinstimmung von Staats- und Kulturgemeinschaft gibt es auf der Welt nicht. Es sei denn, wir würden uns zu der barbarischen, nationalsozialistischen Methode der Ausweisung der Minderheiten bekennen, die in der Welt leider so sehr Schule gemacht hat. Wir, die wir die Grundsätze einer humanen Staatspolitik nicht nur im Munde führen, wir wollen keine Ausweisung, wir wollen einen Schutz der kulturellen und nationalen Minderheiten, der dänischen Minderheit in Deutschland sowohl wie der deutschen in Dänemark. [...] Wir Sozialdemokraten wollen keinen neuen außenpolitischen Zankapfel. Wir wollen in Frieden und in Freundschaft mit dem dänischen Volk leben. Genau wie unsere dänische Bruderpartei, so bekennen auch wir uns zu dem Geiste des Grenzabkommens von 1923, das von dem Vorsitzenden der dänischen Partei, dem Ministerpräsidenten Stauning, und von dem Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie, von dem Genossen Wels unterzeichnet wurde."[7]

Auch die Regierung Lüdemann setzte sich für einen starken Minderheitenschutz ein. Die Kieler Erklärung von 1949 besagte, dass das Bekenntnis zur dänischen Gesinnung frei sei und weder angezweifelt noch überprüft werden dürfe. Sowohl Dänen als auch Friesen sollten alle Bürgerrechte haben. Dieser Standpunkt wurde 1955 von der Bundesregierung unter Konrad Adenauer mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen bestätigt.

Zur Kommunalwahl 1951 beschloss die SPD auf ihrem Bezirksparteitag in Kiel:

"Die SPD wird überall dort eine eigene Liste aufstellen, wo sie mit einer eigenen Organisation vertreten ist. Die SPD lehnt es ebenfalls ab, sich in den Grenzkreisen an deutschen Einheitslisten zu beteiligen. Sie will keine Verantwortung für eine Politik übernehmen, die eine so deutliche Wendung zum völkertrennenden Nationalismus und Grenzkampf genommen hat."[8]

Am 13. Mai 1972 fand in Flensburg eine gemeinsame Kundgebung dänischer und deutscher Sozialdemokraten mit Dänemarks Ministerpräsidenten Jens Otto Krag und Bundeskanzler Willy Brandt statt. Der SPD-Pressedienst berichtete:

"Für die Vertreter der dänischen Minderheit in Flensburg bildet der vergangene Samstag sicherlich einen Höhepunkt ihrer politischen Arbeit seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs: Der deutsche und der dänische Regierungschef betraten Seiten an Seite den für ihren Empfang hergerichteten Raum im 'Deutschen Haus' zu Flensburg. Jens Otto Krag und Willy Brandt sprachen warmherzige Worte über das nachbarliche Verhältnis der beiden Völker zueinander und über die Europäische Gemeinschaft. Nichts als diese schlichte Tatsachenbeschreibung ist wohl mehr geeignet, die Wandlung des Klimas im europäischen Norden zu beschreiben, die sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten vollzogen hat. So harmonisch wie der Tag begann, verlief er bis zum späten Abend. Die Begegnung mit der dänischen Minderheit in Flensburg war der Auftakt zu einem Treffen deutscher und dänischer Sozialdemokraten auf dem Boden der Bundesrepublik, das sich auf dänischem Boden - in Apenrade - fortsetzte und dort seinen Abschluß fand. Auf dem Programm standen nach einer SPD-Kundgebung in Flensburg mit Krag und Brandt ein Treffen mit dem Bund Deutscher Nordschleswiger in deren, von Herbert Wehner vor einigen Jahren eingeweihten, Büchereizentrale, eine Pressekonferenz und öffentliche Kundgebung sowie am späten Abend ein Mitgliedertreffen der dänischen Sozialdemokraten in Apenrade. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend bildeten die beiden Regierungschefs ein gut gekoppeltes, zugkräftiges Gespann."[9]

1981 verlegte die SPD ihren Landesparteitag nach Harrislee, direkt an der dänischen Grenze, und beschloss dort die Flensburger Erklärung. Die Kernpunkte waren:

  • Wir wollen zur Vertiefung der deutsch-dänischen Beziehungen beitragen.
  • Wir wollen unsere Minderheitenpolitik konsequent fortsetzen.
  • Die Lage im Grenzgebiet weiter zu stabilisieren, ist für uns eine ständige politische Aufgabe.
  • Wir fühlen uns mit der deutschen Minderheit in Dänemark solidarisch.
Flemming Meyer war 2015 der erste SSW-Chef, der offiziell auf einem SPD-Landesparteitag sprach.

1990 bekamen die Minderheiten in Schleswig-Holstein Verfassungsrang. Nur die Roma und Sinti mussten darauf noch bis 2012 warten.

Dass zumindest die politischen Vertretung der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), auch 2013 noch nicht für alle ein "selbstverständlicher und bereichernder Bestandteil der Gesellschaft" war, machte die Junge Union 2012 klar, als das Wahlergebnis dem SSW die Rolle des "Züngleins an der Waage" der Landespolitik zuwies: Der CDU-Nachwuchs erhob gegen den Sonderstatus des SSW Klage vor dem Landesverfassungsgericht.

"Im Moment müssen wir wieder so für unsere Sache argumentieren, wie wir es vor vielen Jahren mussten. Wir dachten, wir wären in der Akzeptanz weiter." erklärte Anke Spoorendonk.[10]

Die deutsche Minderheit

Nach der Volksabstimmung von 1920 verblieb in Nordschleswig eine Gruppe von etwa 30.000 Deutschstämmigen, damals etwa 18 Prozent der Bevölkerung. Sie schufen sich eigene Verbände, Kirchengemeinden, Parteien sowie private und öffentliche Schulen und stellten beharrlich die Forderung nach einer Grenzrevision. 1933 versuchten Angehörige der Minderheit zusammen mit schleswig-holsteinischen Nazis, eine Grenzverschiebung zu erreichen, fand jedoch bei Hitler keine Unterstützung. In den folgenden Jahren ideologisch gleichgeschaltet, begrüßte die Minderheit 1940 die Besetzung Dänemarks durch die Wehrmacht; es kam zu umfassender Kollaboration. Unter anderem dienten rund 1500 Angehörige der Minderheit in der Waffen-SS, weitere 500 in regulären Einheiten. 748 von ihnen fielen im Krieg.[11]

Nach der Befreiung des Landes erklärte die Minderheit ihre Loyalität gegenüber Dänemark und die Anerkennung der Grenze. Sie organisierte sich demokratisch im Bund deutscher Nordschleswiger (BDN) und weiteren Verbänden und setzte sich politisch für ihre Anliegen ein. Einen Abgeordneten ins Folketing (dän. Parlament) konnte sie erst 1953 entsenden. Nach der Kieler Erklärung forderte die deutsche Minderheit eine analoge Erklärung seitens der dänischen Regierung. Diesem Wunsch entsprach die Regierung nur mittelbar: Im Oktober 1949 versicherte der dänische Regierungschef Hans Hedtoft einer Delegation, dass für die Minderheit die gleichen Rechte gälten wie für andere Staatsbürger.[12] Weiterhin bestehende Konfliktbereiche wurden 1955 durch die "Bonn-Kopenhagener Erklärungen" weitgehend geklärt.

Am 17. Mai 1967 weihte Herbert Wehner als Minister für gesamtdeutsche Fragen die neue Büchereizentrale der Nordschleswiger in Apenrade ein.

"Was hier getan wurde, wird einer von den Keimen sein, von denen man einst sagt, dass sie Wesentliches dazu beigetragen haben, dass es in Europa ein demokratisches Volksgruppenrecht gibt und jeder leben kann und keinem weh getan wird", sagte er in seiner Rede. Er sei gerne gekommen, aus "privater Liebe zu Apenrade, diesem Landstrich und seinen Menschen, aber auch aus politischen Gründen".[13]

1975 wurde das "Gremium für Fragen der deutschen Minderheit beim Landtag in Schleswig-Holstein" von SPD und CDU im Landtag beschlossen. Es tagte zum ersten Mal am 26. März 1975 und ist seither für alle Fragen zuständig, die die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig betreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Finanzen, Kultur oder politische Repräsentation. Das Gremium trifft sich zweimal jährlich unter Vorsitz des Landtagspräsidenten oder der Landtagspräsidentin.

Siehe auch: Nordschleswigwiki

Die friesische Volksgruppe

"Die Nordfriesen sind eine Minderheit im eigenen Land. Im 1970 gebildeten Kreis Nordfriesland leben gut 160.000 Menschen. Schätzungsweise knapp ein Drittel von ihnen würde sich wohl als Friesen bezeichnen. Weniger als 10.000 Menschen sprechen Friesisch, ein eigenständiges westgermanisches Idiom. Einen friesischen Nationalstaat hat es nie gegeben. [...] Seit dem Zeitalter der Romantik haben sich immer wieder Nordfriesen für die eigene Sprache und Kultur eingesetzt. Die friesische Bewegung wurde jedoch von Anfang an überschattet durch den deutsch-dänischen Gegensatz im alten Herzogtum Schleswig."[14]

Am 25. Mai 1923 wurde der Friesisch-Schleswigsche Verein (später Friisk Foriining) gegründet - die erste Organisation, die die Friesen als eigenes Volk begriff. Ab 1925 traten die Friesen mit einer eigenen "Liste Friesland" bei Kommunalwahlen an. All diese Bemühungen wurden aber von den Nazis beendet, denen ein zweites germanisches Volk in Deutschland mit eigener Sprache nicht ins politische Konzept passte.[15]

Nach Ende der Nazizeit sagte die Regierung Lüdemann in der Kieler Erklärung auch den Friesen Minderheitenrechte zu:

"Die hier aufgestellten Grundsätze gelten sinngemäß auch für die friesische Bevölkerung in Schleswig-Holstein."

Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen war die Kieler Erklärung allerdings überholt; in denen kamen die Friesen nicht vor.

Das Thema lebte neu auf, als Bundeskanzler Helmut Schmidt als erster deutscher Regierungschef einen offiziellen Besuch bei den Nordfriesen zusagte. Der friesische Minderheitenpolitiker Carsten Boysen soll den Bundeskanzler im Dezember 1978 auf einer Wahlveranstaltung bei der dänischen Minderheit angesprochen und ihm geklagt haben: "Für uns interessiert sich keiner!" Helmut Schmidt sagte spontan: "Doch. Ich!".[16]

"Allerdings war diese Zusage in Unkenntnis der nordfriesischen Verhältnisse gemacht worden; weder die Existenz mehrerer nordfriesischer Gruppen noch deren sehr unterschiedliche politische Position war dem Bundeskanzler zu diesem Zeitpunkt bekannt. Die Besuchszusage wurde denn auch sofort in Schleswig-Holstein kritisch kommentiert. Im Interesse sowohl der Nordfriesen als auch des Bundeskanzlers hat der Verfasser diesen in zwei Memoranden mit der nordfriesischen Problematik vertraut gemacht. So galt der Besuch, der am 23. August 1979 in der Gastwirtschaft Bongsiel stattfand, denn auch allen nordfriesischen Vereinen und Einrichtungen, die Gelegenheit hatten, ihre jeweiligen Positionen und Auffassungen darzulegen."[17]

Seit 1988 gibt es das Gremium für Fragen der friesischen Volksgruppe beim Schleswig-Holsteinischen Landtag. In der neuen Landesverfassung von 1990 wurde der friesischen Volksgruppe "Schutz und Förderung" zugesichert. Am 11. November 2004 beschloss der Landtag das Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum.[14]

Sinti und Roma

Am 14. November 2012 nahm Schleswig-Holstein als erstes Bundesland die deutschen Sinti und Roma als Minderheit in die Verfassung des Landes auf. Ministerpräsident Torsten Albig sagte dazu:

"Die Sinti und Roma leben seit mehr als sechs Jahrhunderten in Schleswig-Holstein und gehören zu diesem Land wie Deutsche, Dänen und Friesen. Es ist ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung, dass sich dies nun endlich auch in unserer Verfassung widerspiegelt." [18]

Minderheitenbeauftragte

Renate Schnack, 2009
Kurt Hamer in den 1970ern

Am 1. November 1988 führte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm das Ehrenamt des/der "Beauftragten des Ministerpräsidenten in Angelegenheiten nationaler Minderheiten und Volksgruppen, Grenzlandarbeit und Niederdeutsch" – ursprünglich: "Beauftragter für Grenzland- und Minderheitenfragen in Schleswig-Holstein" oder kurz "Grenzlandbeauftragter" – ein.[19] Dieses Amt ist bundesweit einmalig.

Im Jahr 2000 benannte Ministerpräsidentin Heide Simonis das Amt um in "Minderheitenbeauftragte/r" und berief Renate Schnack. Der geänderte Titel trägt der aktualisierten Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins Rechnung und profiliert das Amt gegenüber der Bundesebene und den Gremien Europas. Das Amt wurde zu einem wesentlichen Baustein der Minderheitenpolitik des Landes ausgebaut und hat sich national und international hohes Ansehen erworben.

Die Zuständigkeit umfasst die Belange der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe, der Minderheit der deutschen Sinti und Roma in Schleswig-Holstein und der deutschen Minderheit in Dänemark sowie die Belange der deutschen Grenzverbände und der Regionalsprache Niederdeutsch. Die oder der Minderheitenbeauftragte informiert und berät die Landesregierung, beobachtet die kulturelle, soziale, wirtschaftliche und verfassungskonforme Entwicklung im Land hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Minderheiten und Volks- und Sprachgruppen und schaltet sich innerhalb der Landesregierung koordinierend ein.

Am 27. November 2013 fand ein Festakt zum 25-jährigen Jubiläum des Amtes statt. Die minderheitenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Birte Pauls, sagte aus diesem Anlass:

"Die engagierte Arbeit der bisherigen Beauftragten Kurt Hamer, Kurt Schulz und jetzt (wieder) Renate Schnack genießt europaweite Anerkennung; Minderheiten sind heute ein präsentes und nicht mehr zu vernachlässigendes Thema. Nach 25 Jahren Tätigkeit der Minderheitenbeauftragten können wir sagen: Die Mittlerrolle zwischen den nationalen Minderheiten und Volksgruppen, der Mehrheitsbevölkerung und der Politik hat sich bewährt und unterstützt das respektvolle Miteinander von Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung und den Dialog zwischen den Akteuren. Unsere Minderheitenpolitik lenkt den Blick weit über die Region hinaus – nach Europa."[20]

Bisherige Minderheitenbeauftragte der SPD:

Literatur & Links

  • Bauer, Friedrich: Sozialdemokratie und Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ein Beitrag zur Frage der deutsch-dänischen Verständigung, (Flensburg 1921)
  • Beier, Ernst: Der weite Weg - Sozialdemokratie und Nationalitätenfrage in Schleswig. In Grenzfriedenshefte (Husum 1963), Seite 110-144
  • Callesen, Gerd: Die Schleswig-Frage in den Beziehungen zwischen dänischer und deutscher Sozialdemokratie 1912-1924 (Schriftenreihe der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig, Apenrade 1970)
  • Fischer, Karl-Rudolf/Schulz, Kurt: Vom Kanon der Kulturen. Minderheiten- und Volksgruppenpolitik in Schleswig-Holstein als Architektur des Friedens (Bräist/Bredstedt 1998)
  • hp: Für die friesische Kultur. Tragende Säule in der Spracharbeit, Husumer Nachrichten, 19.11.2013
  • Kühl, Jürgen: Ein nachhaltiges Minderheitenmodell, (Bundeszentrale für politische Bildung 2004)
  • Landeszentrale für politische Bildung: 30 Jahre Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Grenzland - Minderheiten - Partnerschaft (Schriftenreihe Gegenwartsfragen Heft 47)(Kiel 1985)
  • schleswig-holstein.de: Geschichte der Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein
  • Vollertsen, Nils: SPD, socialdemokratiet og det danske mindretal (Odense University Studies in History and Social Sciences, Vol. 84, Odense 1984)
  • Vollertsen, Nils: Die SPD, die dänische Sozialdemokratie und die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig zwischen 1945 und 1954 in: Paetau, Rainer / Rüdel, Holger (Hrsg.): Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahrhundert (Neumünster 1987) ISBN 3-529-02913-0, S. 415-441

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 67
  2. 2,0 2,1 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 68
  3. Schroeder, Louise: "Sie töten den Geist nicht, Ihr Brüder!", Die Gleichheit, 1.2.1921
  4. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 69
  5. So berichtet das ehemalige SPD-, spätere SSW-Mitglied Hermann Clausen in seinen Memoiren.
  6. Grenzkampf. Was uns trennt, DER SPIEGEL, 5.3.1952
  7. Siehe: Andreas Gayk: Sozialismus - Sehnsucht und Ziel aller Schaffenden!
  8. zitiert nach: Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 136
  9. Schulz, Jochen: Nicht nur ein Familientreffen. Der Besuch Willy Brandts galt dem größeren Europa SPD-Pressedienst, 15.5.1972, S. 3 f.
  10. Karsten Kammholz: Mit diesen Dänen legt man sich besser nicht an, Die Welt, 3.5.2013
  11. Nach Kühl, Jürgen: Ein nachhaltiges Minderheitenmodell, (Bundeszentrale für politische Bildung 2004)
  12. Nach Kühl, Jürgen: Ein nachhaltiges Minderheitenmodell, (Bundeszentrale für politische Bildung 2004)
  13. Heesch, Volker: 1967 wurde in Apenrade „ein Keim für das Europa von morgen“ gelegt In: Der Nordschleswiger, 16.5.2017
  14. 14,0 14,1 Steensen, Thomas: 50 Jahre Nordfriisk Instituut. Ein Überblick in: TOP - Berichte der Gesellschaft für Volkskunde in Schleswig-Holstein, Band 49 (2015)
  15. Friisk Foriining: Vereinsbeschreibung, abgerufen 28.11.2015
  16. "Soll er sich doch nasse Füße holen", DER SPIEGEL, 27.8.1979
  17. Holander, Reimer Kay: Die 'Niebüller Erklärung' der SPD Nordfriesland, in: Demokratische Geschichte, Band 3(1988)
  18. Zit. in schleswig-holstein.de: Geschichte der Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein
  19. schleswig-holstein.de: Geschichte der Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein, abgerufen 11.12.2013
  20. Minderheitenbeauftragte: Mittler und Lobbyisten seit 25 Jahren, 27.11.2013