Ortsverein

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Ein Ortsverein ist in Schleswig-Holstein die kleinste eigenständige Gliederungsebene der SPD.

Organisation

Grundsätzlich sind alle SPD-Mitglieder, die im Einzugsbereich eines Ortsvereins wohnen, Mitglied in diesem Ortsverein. Auf Antrag ist jedoch der Wechsel in einen anderen Ortsverein grundsätzlich möglich.

Es gibt pro Kommune einen Ortsverein. Sie schließen sich auf Ebene der Kreise zu Kreisverbänden zusammen. Nur in den kreisfreien Städten, die wegen der Mitgliederzahl jeweils einen Kreisverband bilden, gibt es mehrere Ortsvereine.

Jeder Ortsverein wählt einen eigenen Vorstand und hat eine eigene Kasse. In Kommunen ohne Ortsverein können benachbarte Ortsvereine Stützpunkte gründen. Die haben keine eigene Kasse.

Hauptartikel: Organisationsaufbau der SPD

Geschichte

Seit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863 gab es eine Doppelstruktur. Einerseits gab es örtlich "Gemeinden". Da die sich nach dem Verbindungsverbot nicht überörtlich zusammenschließen durften, gab es parallel dazu ein System von Vertrauenspersonen, die die Verbindungen herstellten. Auch nach dem Ende des Sozialistengesetzes 1890 blieb diese Struktur lange erhalten und es war riskant Mitglied im Verein zu werden, weil die Vereinsarbeit eng von den Behörden überwacht wurde und bekannten Sozialdemokraten der Verlust der Arbeit drohte.

"Vereinsrechtlich zählten alle beitragszahlenden Mitglieder zur ADAV-Zentrale in Leipzig, ab 1868 Berlin, und durften sich offiziell in keinen Lokal- oder Zweigvereinen politisch betätigen – die zahlreichen Gemeinden mit ihren Bevollmächtigten (als die von der Zentrale ernannten Vorsitzenden), Kassierern, Zensoren, Kontrolleuren und bloß inoffiziellen Schriftführern ‚tarnten‘ sich als Wohltätigkeits-, Geselligkeits- oder Arbeiterbildungsvereine. 1899, erst neun Jahre nach dem Auslaufen des ,Sozialistengesetzes‘, wurde das lokale und regionale Verbindungsverbot für politische Vereine so geändert, dass der Jenaer Parteitag 1905 mit dem neuen SPD-Statut und basierend auf den Reichstagswahlkreisen gleichsam die Unterbezirke beziehungsweise Kreisverbände der Partei erfinden konnte. Diese Einheiten bildeten bis zu den Wahlrechtsreformen der Weimarer Republik die Ortsvereine, während die heutigen Ortsvereine den Sektionen gleichkamen."[1]

Mit der Reform der Organisation 1905 wurde eine feste Struktur vorgegeben. Im Zentrum standen die Reichstagswahlkreise, die so etwas wie die Kreisverbände heute waren und einen eigenen Verein mit Vorstand hatten. Die Wahlkreisvereine taten sich zum Bezirksverband zusammen. Und wenn der Reichtagswahlkreis mehr als einen Ort umfasste, wie in allen Wahlkreisen in Schleswig-Holstein, konnten darunter Ortsvereine gebildet werden bzw. die dort schon bestehenden Sozialdemokratischen Vereine musste sich dem Zentralverein für den Wahlkreis anschließen.

In jedem Ort durfte es nur einen einzigen Ortsverein geben, hatte der Provinzialparteitag 1904 beschlossen (freilich an der Stelle nicht unter Nutzung des Begriffs selbst, sondern unter der Bezeichnung Parteiverein).[2] Daran wurde sich aber nachfolgend trotzdem nicht überall gehalten (z.B. in Kiel mit Gaarden und Altona mit Ottensen).

Der Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel war ab 1911 so ein Ortsverein. In ihm schlossen sich damals die Ortsvereine Kiel, Gaarden, Winterbek-Hassee und Ellerbek-Wellingdorf zusammen. Der Ortsverein wurde in sieben Distrikte untergliedert. Der Historiker Rainer Paetau geht davon aus, dass die Distrikte wiederum in Bezirke und diese in einzelne Häuserblocks oder Straßenzüge unterteilt waren, für die jeweils eine Vertrauensperson zuständig war.[3] Alle 28 Mitglieder der Distriktvorstände und der Parteisekretär, der auch hauptamtlicher Kassierer war, bildeten den Vorstand der Kieler SPD.[4]

Heute sind die Ortsvereine die Basis der Organisation. Die tun sich zu Kreisverbänden zusammen. Die Kreisverbände zum Landesverband und der ist Teil der Gesamtpartei.

Bezeichnung Ortsverein

Die ab 1890 gegründeten Vereine nannten sich in der Regel Sozialdemokratischer Verein von/für …, selten auch noch Wahlverein oder Arbeiterverein, wenn der örtliche Repressionsdruck zu groß war. Sie waren formal völlig unabhängig. Hätten sie sich bis zur „Lex Hohenlohe“ 1899 Ortsverein genannt und damit eine überörtliche Verbundenheit ausgedrückt, wären sie verboten worden. Die Zugehörigkeit zur Gesamtpartei wurde damals noch rein dadurch definiert, dass jemand sich „zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und die Partei dauernd durch Geldmittel unterstützt.“[5]

Wahrscheinlich wurde der Begriff Ortsverein erstmals im 1905 beschlossenen Organisationsstatut als offizielle, parteiweite Bezeichnung eingeführt.[6]

Zumindest im Hamburger Echo taucht der Begriff insbesondere seit dem im August 1904 vom Sozialdemokratischen Verein für Breslau zum SPD-Parteitag in Bremen vorgelegten Alternativentwurf für ein Organisationsstatut auf.[7] In früheren Jahren wurde die Bezeichnung im Hamburger Echo ausschließlich in Berichten über andere Parteien und Organisationen, teils Gewerkschaften, verwendet. Aber schon im April des Jahres taucht der Begriff auf in der Empfehlung, einen Ortsverein in Krempe zu gründen.[8]

Zu prüfen wäre, wann die Bezeichnung erstmal in der Breslauer Volkswacht auftaucht, aber für deren digitalisierte Exemplare gibt es keine Volltextsuche. Der digitalisierte Lübecker Volksbote lässt sich leider auch nicht im Volltext durchsuchen und die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung ist überhaupt nicht digitalisiert, sodass eine entsprechende Begriffssuche dort nur mit erheblichem Aufwand möglich wäre.

Eduard Adler sprach auf dem Provinzialparteitag im September 1904 in einer längeren Rede von der „Entwicklung vom Lokalverein zur Zentralisation“ (i.S. der anlaufenden Gründung der Zentralvereine für die Reichstagswahlkreise), aber auch vom „Wahlverein“ oder schlicht von der „Organisation“; an späterer Stelle kurz vor Ende der Rede nutzte er dann erstmals die Bezeichnung Ortsverein, als er sein Idealbild des Parteiaufbaus zeichnete.[9]

In Schleswig-Holstein, das generell ein Vorreiter bei der Organisationsreform der Partei war, scheint sich der Begriff Ortsverein schnell durchgesetzt zu haben. Im November 1904 wurde er schon bei der Generalversammlung für den „Zentralwahlverein für den 5. Reichstagswahlkreis“ verwendet.[10]

Im Zentralverein für den 8. & 10. Reichstagswahlkreis wurden die Ortsvereine bis 1912 offiziell als Mitgliedschaft bezeichnet.[11]

Zahlen

1902 gab es 41 Ortsvereine, dazu 3 im Fürstentum Lübeck und die drei Hamburger.[12]

1903 gab es 55 Ortsvereine in Schleswig-Holstein, 5 im Fürstentum Lübeck und 3 in Hamburg, welche wiederum in 20 „Zahlstellen“ untergliedert waren. 1904 gab es 57 Ortsvereine in Schleswig-Holstein, 5 im Fürstentum Lübeck und 3 in Hamburg. [13]

Im Sommer 1908 gab es insgesamt 95 Ortsvereine nach 91 im Vorjahr.[14]

1914 hat es in Schleswig-Holstein und dem Fürstentum Lübeck insgesamt 133 Ortsvereine gegeben. In Ersten Weltkrieg, 1917 sank diese Zahl auf 120.[15]

1919 gab es 256 Ortsvereine in Schleswig-Holstein.[16]

1929 hat es 208 Ortsvereine in Schleswig-Holstein gegeben.[17]

1945 wurden viele von ihnen wiedergegründet. Die SPD konnte beim Aufbau der Partei an die Erfahrungen aus der Weimarer Zeit anschließen und hatte dadurch einen Vorteil gegenüber CDU und FDP, die sich erst finden mussten, berichtet Wilhelm Käber.[18] Bereits im Oktober gab es wieder 109 Ortsvereine[19], im März 1946 315. Der Höchststand wurde im Sommer 1949 mit über 780 Ortsvereinen erreicht.[20] Die SPD in Schleswig-Holstein hatte zu dieser Zeit über 90.000 Mitglieder.

Diese Zahl reduzierte sich bis zum 1. Januar 1955 auf gut 40.000 Mitglieder. Das brachte viele Ortsvereine in Existenznot. Ursachen waren vor allem die Gründung einer Partei, die ausdrücklich Flüchtlinge ansprach ("Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" - BHE), sowie der Wegzug vieler Flüchtlinge aus Schleswig-Holstein.

Anfang 1957 gab es 505 Ortsvereine, wobei berücksichtigt werden muss, dass die kreisfreien Städte jeweils nur als ein Ortsverein gezählt wurden.[21]

Anfang 1973 gab es dann 523 Ortsvereine.

2001 hatte die SPD Schleswig-Holstein fast 650 Ortsvereine.

Zur Kommunalwahl 2018 traten laut Bericht des Landesgeschäftsführers 400 von 459 Ortsvereinen mit einer eigenen Liste an.[22] 44 Ortsvereine lagen in den vier kreisfreien Städten. Im Land gab es über 1100 Gemeinden.

2019 hatte die SPD Schleswig-Holstein 451 Ortsvereine.

Mittlerweile zeigt sich eine Entwicklung, vor allem auf dem Land, die alle Parteien betrifft, vor allem aber beide große Volksparteien, nämlich das Vordringen ortsbezogener Initiativen "freier" Wähler*innen gegenüber überörtlich organisierten Parteien. Zur Kommunalwahl 2023 gibt es bereits Rückmeldungen aus mehreren Ortsvereinen, dass sie nicht mehr genügend Interessierte haben, um eine Liste aufzustellen, und daher auf die Teilnahme an der Wahl als SPD verzichten.

Zusammenarbeit

Die Ortsvereine bzw. die Vorsitzenden treffen sich auf Kreisebene, auf Landesebene und gelegentlich auch darüber hinaus. So fand am 28. September 1974 in der Stormarnhalle in Bad Oldesloe eine gemeinsame Arbeitstagung der Ortsvorsitzenden aus Schleswig-Holstein und Hamburg mit etwa 800 Teilnehmenden statt. Dazu reisten nicht nur die Landesvorsitzenden an, sondern auch Bundeskanzler Helmut Schmidt, Parteivorsitzender Willy Brandt, Egon Bahr und Bundesgeschäftsführer Holger Börner.[23]

Oft organisieren sich Ortsvereine in Arbeitsgemeinschaften auf Ämter-Ebene, auch auf Ebene der Landtagswahlkreise, z.B. in die Kreisverbänden Ostholstein und Pinneberg.

Untergliederung

Ortsvereine können auch heute noch ihre Untergliederung in Distrikte beschließen, in Schleswig-Holstein kommt dies aktuell aber nicht vor. Früher gab es auch „Ortsgruppen“, welche wohl in größeren Ortsvereinen das Gebiet einer eigenständigen Gemeinde abdeckten. Wahrscheinlich hatten sie ähnliche Funktionen wie die Distrikte. Große Ortsvereine bzw. große Distrikte waren oft noch in Bezirke aufgeteilt.

In ländlichen Ortsvereinen, die mehrere Gemeinden umfassen, gibt es die Möglichkeit, Stützpunkte einzurichten.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Der Ortsverein. bei: Erinnerungsorte der Sozialdemokratie. abgerufen 11. April 2022 Memento
  2. Lübecker Volksbote 9. September 1904, S. 3
  3. Dafür spricht eine naheliegende Deutung der Lübecker Organisationsgeschichte: 1911 bestand bspw. der 5. Distrikt aus den „Hüxtertorbezirken“, dem „Mühlentorbezirk“.//Lübecker Volksbote 18.9.1911
  4. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988) Seite 64f
  5. Vgl. Entwurf OrgaStatut 1905, Hamburger Echo 12.4.1905
  6. Entwurf im Hamburger Echo am 12.4.1905
  7. Hamburger Echo 4.8.1904, S. 2
  8. Hamburger Echo 6.4.1904, S. 3
  9. Hamburger Echo 6.9.1904, S. 6
  10. Hamburger Echo 2.11.1904, S. 5
  11. Bericht von der Konferenz des Vereins im Hamburger Echo 13.8.1912, S. 9
  12. Jahresbericht der Agitationskommission im Hamburger Echo, 28.8.1902
  13. Lübecker Volksbote, 3. September 1904, S. 5
  14. Lübecker Volksbote 29. August 1908, S. 3
  15. Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 6. November 1917
  16. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 65
  17. Lübecker Volksbote vom 7. Oktober 1929
  18. Lubowitz, Frank: Wilhelm Käber - Regierung und Opposition. (Kiel 1986) ISBN 3-89029-906-7, S. ?
  19. Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998), Bd. 1, S. 56
  20. Schilf, Ulrich / Schulte, Rolf / Weber, Jürgen / Wilke, Uta: Der Wiederaufbau der SPD nach dem Krieg, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 537-558
  21. Organisationsschema des Bezirks
  22. https://www.spd-schleswig-holstein.de/2018/10/22/spd-landesgeschaeftsfuehrer-borchert-beim-8-dagebueller-gespraech/
  23. Kreisarchiv Stormarn: Vorl. Nr.: 32475 I1/36/4/11/1a