Fürstentum Lübeck
Das Fürstentum Lübeck (auch: "Landesteil Lübeck" und "Landesteil Eutin") gehörte bis 1937 zum Großherzogtum (ab 1919 Freistaat) Oldenburg, nicht zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Die SPD im Fürstentum schloss sich jedoch der SPD in Schleswig-Holstein an, nicht der im niedersächsischen Landesteil.
Im Kaiserreich bildeten die dortigen Ortsvereine den Zentralverein der sozialdemokratischen Partei für das Fürstentum Lübeck als Pendant zu den Zentralvereinen für die schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreise im Rest des Bezirks.
Das Fürstentum Lübeck bestand in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik aus 19 Gebietskörperschaften: Flecken Ahrensbök, Landgemeinde Ahrensbök, Gemeinde Bosau, Gemeinde Curau, Stadt Eutin, Landgemeinde Eutin, Gemeinde Gleschendorf, Gemeinde Gnissau, Gemeinde Malente, Gemeinde Neukirchen, Gemeinde Obernwohlde, Gemeinde Ost-Ratekau, Gemeinde Redingsdorf, Landgemeinde Rensefeld, Flecken Schwartau (ab 1912 Stadt), Gemeinde Siblin, Gemeinde Süsel, Gemeinde Stockelsdorf, Gemeinde West-Ratekau. 1934 wurde die Gebietsgliederung gestrafft zu neun Gemeinden[1]: Malente, Eutin, Bosau, Süsel, Ahrensbök, Stockelsdorf, Schwartau, Gleschendorf und Ratekau. Diese umfassten auch die heutigen Ostseebäder Haffkrug, Scharbeutz, Timmendorfer Strand und Niendorf.
Die Freie Hansestadt Lübeck selbst war niemals Teil des Fürstentums, sondern ein eigenständiger Gliedstaat innerhalb des Deutschen Reiches.
Kaiserreich
Der Großherzog von Oldenburg hatte schon 1855 die Gründung von Arbeitervereinen verboten. Auch wenn sich dann in den 1860er Jahren der ADAV gründen durfte - bspw. 1869 in Eutin - so herrschte doch in der Region eine Tradition der Unterdrückung der Arbeiterbewegung. Paul Hug, der Parteivorsitzende aus Ostfriesland, erinnerte sich:
"Der Verkehr oder die Verbindung der Parteiorganisation der drei Landesteile [des Großherzogtums Oldenburg] untereinander war vor dem Sozialistengesetz kein reger und die Verbindung keine enge gewesen. Daran hinderte schon die geographische Entfernung und Verschiedenartigkeit der wirtschaftlichen Struktur der Bezirke."[2]
Eher tauschten sich die frühen Genossen mit denen in der Umgebung, in Schleswig-Holstein, Lübeck und Hamburg aus.
1878 trat im ganzen Deutschen Reich das Sozialistengesetz in Kraft, mit dem Otto von Bismarck die Sozialdemokratie in Deutschland zerschlagen wollte. Die politische Arbeit der Sozialdemokraten auch im Fürstentum Lübeck stand unter Strafe.
Ab dem 1. April 1888 erschien in Bant (heute Teil von Wilhelmshaven) im Großherzogtum Oldenburg die sozialdemokratische Zeitung Nordwacht. Herausgeber war Paul Hug. Da Oldenburg nicht zu Preußen gehörte, wurde das Sozialistengesetz dort recht liberal angewandt.[3] Die Nordwacht belieferte allein in Kiel 1 500 Abonnenten.[4]
1890 lief das Sozialistengesetz aus. Danach versuchte die Obrigkeit, sich bei der Verfolgung der Sozialdemokratie wieder auf das alte Oldenburger Verbot zu berufen, und machte ihr auch weiterhin das Leben schwer. Trotzdem lebte das Vereinsleben der Arbeiterbewegung wieder auf. 1892 gründete sich der Ortsverein Stockelsdorf, später auch wieder ein Ortsverein Eutin.[5]
Am 28. September 1902 waren die Schwartau-Rensefelder Sozialdemokraten Gastgeber einer Wahlkreiskonferenz für das Fürstentum Lübeck. Neben den eigenen Genossen nahmen teil Vertreter aus Stockelsdorf und Fissau (heute ein Ortsteil von Eutin) sowie ein Mitglied der Agitationskommission aus Neumünster. Das Fehlen eines Vertreters aus Eutin wurde beklagt. Laut dem hier gegebenen Situationsbericht gab es im Fürstentum vier SPD-Ortsvereine mit insgesamt 472 Mitgliedern.[6]
Am 28. Juli 1907 tagte die Generalversammlung des SPD-Zentralvereins in Sereetz. Dem Bericht des Vorsitzenden Heinrich Fick für das Jahr 1906/07 war zu entnehmen, dass im Fürstentum jetzt 897 Genossinnen und Genossen organisiert waren (im Vorjahr 568!), davon in Schwartau 318, in Stockelsdorf 302. Die Zahl der Ortsvereine im Fürstentum war auf 11 gestiegen, Neugründungen gab es im Berichtsjahr in Neudorf (heute ein Ortsteil von Eutin), Gleschendorf (heute ein Ortsteil von Scharbeutz), Sereetz, Curau (heute ein Ortsteil von Stockelsdorf) und Ahrensbök. Auch in Schwienkuhlen und in Gnissau existierten Ortsvereine.[7]
Für 1910 gab der Zentralverein die Zahl seiner Genossinnen und Genossen mit 1047 an[8], das waren 83,36 % mehr als 1905! 146 Mitglieder waren Frauen. "Einen kleinen Mitgliederverlust" hatte entgegen dem Trend der Ortsverein Ratekau zu berichten. Grund:
„Die Arbeiterschaft scheut sich aus Angst vor den Bauern, für die Partei tätig zu sein.“
Da die Zahl der Ortsvereine bei Paetau[9] sowohl für 1907 als auch für 1910 mit 11 angegeben ist, muss wohl ein anderer Ortsverein in dieser Zeit aufgelöst und der Ortsverein Ratekau neu gegründet worden sein. 1911/12 wurde erneut ein Ortsverein eingestellt, im Krieg dann noch mehrere, sodass es 1917 nur noch 7 waren.
Gemeindewahlen
In Eutin traten 1894 zum ersten Mal mit den Genossen Nehls und Hensch Sozialdemokraten bei der Gemeindewahl an - zunächst erfolglos. Aber sie erhielten 147 bzw. 121 Stimmen und legten damit einen Grundstein.[10]
1902 errang die SPD zahlreiche Sitze bei der Nachwahl in Schwartau. 1905 waren Sozialdemokraten in fünf Gemeinderäten vertreten.
Eine Gemeinderatsergänzungswahl in Schwartau vom 24. November 1908, bei der 6 der 12 Sitze neu vergeben wurden, endete erneut mit einer Niederlage der SPD[11]: Keiner ihrer Kandidaten erreichte genügend Stimmen für ein Mandat.[12]
Oldenburgischer Landtag
Trotz der gesellschaftlichen Unterdrückung war das Wahlrecht im Großherzogtum Oldenburg viel günstiger für die Sozialdemokratie als das preußische Dreiklassenwahlrecht in Schleswig-Holstein. So schrieben die Sozialistischen Monatshefte 1906: "Oldenburg und Coburg-Gotha bilden die einzigen Lichtpünktchen in der gähnenden politischen Finsternis Norddeutschlands"[13], und in der Neuen Zeit stand 1908, dass man "das oldenburgische Wahlrecht mit zu den besten unter den Wahlsystemen aller deutschen Bundesstaaten rechnen" könne.[3] Vier Abgeordnete vertraten das Fürstentum Lübeck.
Es gab keinen Steuerzensus wie im Dreiklassenwahlrecht. Wahlberechtigte mussten männlich sein, über 25, nicht von Armenunterstützung leben und durften nicht "ohne eigene Kochstelle bei anderen in Kost und Lohn stehen". Dies schloss beispielsweise Dienstboten, Handwerksgesellen und Arbeiter aus.[3] Darüber hinaus mussten sie oldenburgische Staatsbürger sein. Das waren natürlich viele nicht, die beispielweise vom preußischen Holstein nach Eutin zogen; sie wurden nicht automatisch Oldenburger und waren damit nicht wahlberechtigt. Vor der Einbürgerung waren "vielerlei Weitläufigkeiten, Scherereien und Unkosten" zu bewältigen,
"namentlich dann, wenn die Behörden wittern, daß es sich um sozialdemokratische Wähler handelt. [...] Die Wahlkreisgeometrie funktioniert in Oldenburg fast ebenso gut wie in Preußen das Dreiklassensystem; denn obwohl wir fast ebenso viele Stimmen aufgebracht haben als unsere Gegner, verfügen wir nur über den neunten Teil der diesen zugefallenen Mandate."[14]
Gleichzeitig hatte der Landtag spätestens mit der Reichsgründung wenig zu sagen. Zudem war die Wahl indirekt: Pro 500 Wahlberechtigte gab es einen Wahlmann. Die Wahlbeteiligung war äußert gering - 1884 nur 4 %. Erst durch die Beteiligung der SPD an den Wahlen stieg die Wahlbeteiligung: 1896 auf 14 %, 1905 auf 39 %.[3]
Ab 1899 durften sich politische Vereine auch überörtlich zusammschließen - das "Verbindungsverbot" wurde aufgehoben. Die Sozialdemokraten im Fürstentum Lübeck schlossen sich der Einfachheit halber dem Bezirk Schleswig-Holstein an - auch aus Kostengründen. Die SPD Oldenburg schloss sich dem Bezirk Weser-Ems an. Das schwächte die sozialdemokratischen Kontakte im Großherzogtum Oldenburg.[15] 1899 war auch das Jahr, in dem mit Paul Hug aus Bant (Wilhelmshaven) der erste Sozialdemokrat in den Landtag von Oldenburg gewählt wurde.
Bei der Wahl zu Oldenburgischen Landtag im Jahr 1902 erkämpften die Sozialdemokraten im Fürstentum Lübeck 20 der 72 Wahlmänner. Für die Mehrheit reichte das noch nicht. Bei der Landtagswahl 1904 einigten sich die Genossen mit den Nationalsozialen darauf, auf einen der vier Sitze des Fürstentums Lübeck einen sozialdemokratischen Kandidaten zu wählen. Weil die Zeit drängte, übernahm das wieder Paul Hug, der dafür auf den Sitz, den er in seinem eigentlichen Wahlkreis schon sicher hatte, verzichtete.
1905 gab es im Fürstentum Lübeck „571 organisierte Genossen“, in fünf Orten waren Sozialdemokraten im Gemeinderat vertreten. Eine Mehrheit hatte die SPD im Gemeinderat von Schwartau. Vor der Landtagswahl im selben Jahr nominierten die Genossen zwei regionale Kandidaten, den Dreher Emil Zeidler aus Schwartau und den Gärtner Johann Bull aus Ravensbusch (heute Stockelsdorf). Es hielten sich nach der Wahl jedoch nicht alle Wahlmänner der Nationalsozialen an die Abmachung, so dass nur Emil Zeidler gewählt wurde. Die neue Zeit kommentierte:
"Hoffentlich ziehen sie aus dem ganzen Vorfall die heilsame Lehre, daß das Kompromisseln überhaupt nichts taugt."[14]
Für die Wahl 1908 stellte die SPD deswegen vier Kandidaten auf und setzte sich das Ziel, mit eigener Mehrheit alle vier wählen zu lassen. Das klappte allerdings nicht - keiner wurde gewählt.[16]
Für die nächste Landtagswahl 1911 wurde das Wahlrecht geändert: Die Wahlmänner wurden abgeschafft, die Kandidaten direkt gewählt. Weil die Konservativen Angst vor dem Durchmarsch der SPD hatten, bekamen Männer über 40 Jahre zwei Stimmen - in der Hoffnung, dass diese konservativer wählen würden. Das Wahlrecht trage deswegen das "Kainszeichen reaktionärer Klassenpolitik", hieß es. Die Konservativen hätten das
"Doppelstimmrecht des Schwabenalters in das Wahlgesetz eingeschmuggelt und eine Wahlkreiseinteilung durchgesetzt, die ein Hohn auf Gerechtigkeit ist."[17]
Außerdem gab es jetzt im Fürstentum Lübeck zwei Wahlkreise: Im Norden den Wahlkreis Eutin-Süsel und im Süden den Wahlkreis Ratekau-Schwartau. Die SPD lehnte die Wahlrechtsreform ab - und profitierte von ihr.[18] Der Lübecker Volksbote beklagte eine Diffamierungskampagne der Konservativen:
"Daß man uns der Antireligiosität, des Antimonarchismus und der Vaterlandslosigkeit zeiht, kann den 'Politikern', die ja mit ernsten Argumenten nicht arbeiten können, weiter nicht übel nehmen. So etwas ist man ja schon gewohnt. Daß aber selbst von liberaler Seite die Wähler damit gruselig gemacht werden, daß man ihnen sagt die Sozialdemokratie wolle die Selbstständigkeit des Fürstentums Lübeck aufheben, ist schon ziemlich stark. Die Sozialdemokratie lehnt es ab, die Frage der Selbstständigkeit zur Wahlparole zu machen. Sie wird das Für und Wider eingehend prüfen und dernach ihre Entscheidung fällen. Die Interessen der Bevölkerung des Fürstentums werden ausschließlich bei der Prüfung dieser Frage ausschlaggebend sein für die Entschließung der Sozialdemokratie."[17]
Im Südkreis gewannen direkt der Maurer Heinrich Fick und der Gärtner Johann Bull. Im Nordkreis bekam kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Man einigte sich mit den Freisinnigen, um "gefährliche agrarische Demagogen" zu verhindern. Der Maurer Gloe aus Nenndorf zog seine Kandidatur zurück, es wurden ein Freisinniger und der sozialdemokratische Fabrikant Johannes Rebenstorf aus Eutin gewählt. Drei der vier Abgeordneten gehörten nun der SPD an.[19]
Die Landtagswahl 1916 stand im Schatten des Ersten Weltkriegs. Die Parteien einigten sich darauf, dass die bisherigen Abgeordneten wiedergewählt werden sollten. Es gab keine Gegenkandidaten. Wahlkampf fand nicht statt.
Reichstag
Das Fürstentum Lübeck gehörte zum Reichstagswahlkreis Großherzogtum Oldenburg 1 (Oldenburg-Eutin-Birkenfeld). Hier kandidierte für die SPD Paul Hug, ab der Reichstagswahl 1907 dann Johannes Stelling[20], der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg. Trotz sehr guter Ergebnisse für die SPD im Landesteil Lübeck (teilweise über 50 %) wurde jedoch keiner von ihnen gewählt. Zu groß war die liberal-konservative Mehrheit in Ostfriesland.[15]
Revolution
Anfang November 1918 begann die Novemberrevolution mit dem Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand, der sich schnell über das ganze Reich ausbreitete und am 9. November 1918 zur Abdankung des Kaisers führte. Vor dem 12. November wurde in Eutin ein Arbeiter- und Soldatenrat für das Fürstentum Lübeck eingerichtet.
"Die Behörden arbeiten weiter wie bisher. Der Regierung sind drei Parteigenossen beigegeben worden."[21]
Auch in Stockelsdorf hatte sich bereits am 9. November ein Arbeiterrat gegründet, dessen Vorsitzender Karl Fick war.[21]
Wie das Fürstentum Lübeck gehörte auch der Reichskriegshafen Wilhelmshafen zum Großherzogtums Oldenburg. Dort bilden ab 6. November die "roten Matrosen" zusammen mit den Arbeitern einen gemeinsamen Arbeiter- und Soldatenrat, setzten am 10. November den Großherzog von Oldenburg ab und riefen die "sozialistische Republik Oldenburg" aus.
"Nach der Novemberrevolution 1918 begann dann die Diskussion darüber, ob das zersplitterte Oldenburg insgesamt als Freistaat erhalten oder nun eine Neuordnung der Landesteile angestrebt werden sollte. Weil sich die Sozialdemokraten aber nicht darauf einigen konnten, wem das ehemalige Fürstentum Lübeck zugeordnet werden sollte (der Norden war für einen Anschluss an die preußische Provinz Schleswig-Holstein, während der Süden für ein Zusammengehen mit der Freien und Hansestadt Lübeck war) und man den Landesteil auf keinen Fall teilen wollte, setzten sich die bürgerlichen Kräfte mit Hilfe der SPD im Oldenburger Kernland durch. Das zersplitterte Oldenburg-Lübeck-Birkenfeld blieb ein eigenständiges Land der Weimarer Republik."[15]
Weimarer Republik
Die SPD gehörte weiter zum Bezirksverband Schleswig-Holstein. Sie bildete einen Teil des 3. Unterbezirks, dessen Parteisekretär (Vorsitzender) zu dieser Zeit Fritz Hansen war.[22][23] Vermutlich bildeten die Ortsvereine auch eine Kreisarbeitsgemeinschaft.
Am 1. Juni 1919 tagte die Generalversammlung des Zentralvereins in Scharbeutz. Die Einladung war unterzeichnet von Heinrich Fick. Ein Diskussionsthema war die Abtrennung der Provinz vom Freistaat Oldenburg.[24] Da die Teilnahme von insgesamt 21 Delegierten aus den Orten Bosau, Buschendorf [sic!][25], Kurau[26], Stadt Eutin, Landgemeinde Eutin, Gnissau, Malente, Ost-Ratekau, Sereetz, Pansdorf, Süsel, Schwartau und Stockelsdorf sowie Vertrauensleuten aus Gleschendorf und Obernwohlde belegt ist, gab es zu diesem Zeitpunkt wohl 16 Ortsvereine. Seit dem letzten Bericht hätten sich die Ortsvereine in Bosau, Buthendorf[sic!][25], Curau, Ost-Ratekau und Pansdorf neu gebildet. 2511 Mitglieder gab es zu diesem Zeitpunkt im Gebiet.[27] Zählt man die Neugründungen zu den sieben von 1917 dazu, wären es Mitte 1919 aber nur 12 Ortsvereine gewesen.[9]
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sah der Vorsitzende ein zentrales kommendes Problem der jungen Republik voraus, nämlich den mangelnden Austausch der alten, monarchischen Eliten in der staatlichen Verwaltung gegen republikanische Kräfte. Auch die "Freikorps" wurden von mehreren Delegierten kritisiert, welche stattdessen eine „Volkswehr“ forderten.
1919 wurde durchgängig diskutiert, ob sich die staatliche Zugehörigkeit ändern solle. Die SPD im betroffenen Gebiet wollte sich dem Freistaat Lübeck anschließen, in Schleswig-Holstein gab es Bestrebungen zum Anschluss an die Provinz.
Als der gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert im Mai 1919 nach Haffkrug reiste, um ein Kinderheim der Hamburger "Pro"-Stiftung zu besichtigen, entstand dabei ein Foto von ihm und Minister Gustav Noske in Badehose, das für die damalige Zeit einen Skandal darstellte und zum Anlass einer "gigantischen Verleumdungskampagne" ab August 1919 wurde.[28]
Im Kapp-Lüttwitz-Putsch versuchte der DNVP-Kreisvorsitzende und Realschulrektor Wilhelm Harders den Umsturz nach Eutin zu bringen. Der liberale Ministerpräsident Theodor Tantzen stellte sich jedoch demonstrativ auf die Seite der Republik, und die SPD organisierte erfolgreich die Abwehr.[29]
Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz wurde der Landesteil Lübeck 1937 als Kreis Eutin vom Freistaat Oldenburg in die preußische Provinz Schleswig-Holstein umgegliedert. Das Gebiet ist heute Teil des Kreises Ostholstein.
Reichstagswahlen
Ab 1919 gehörte der Landesteil Lübeck zum schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis 13.
Landtag
Der gesamte Landesteil Lübeck bildete bei den Wahlen zum Oldenburgischen Landtag ein einziger Wahlkreis. Gewählt wurde nach dem Verhältniswahlrecht. Das bedeutet, dass die Parteien Listen aufstellten und Sitze entsprechend ihrem Wahlanteil bekamen.
"Bei den Landtagswahlen 1919 und 1920 konnten die Sozialdemokraten zwei Abgeordnete durchbringen. Das gelang schon 1923 nicht mehr. Die Deutsch-nationale Volkspartei (DNVP) war stärkste Partei im Landesteil geworden. Nur noch dem Spitzenkandidaten der SPD, Karl Fick aus Stockelsdorf (jüngerer Bruder von Heinrich Fick), gelang es in den Landtag einzuziehen."[15]
Bei den Landtagswahlen 1925 und 1928 konnte sich die SPD wieder zwei Mandate sichern, die Lage wurde aber immer schwieriger. Die Nationalsozialisten (NSDAP) hatten im Landesteil Lübeck eine Hochburg. Sie erhielten bereits 1932 50,4 % der Stimmen, während die SPD nur noch auf 31,9 % kam.[15] 1932 war Oldenburg das erste Land im Deutschen Reich, das eine nationalsozialistische Regierung bekam. Regierungspräsident für den Landesteil Lübeck wurde der Eutiner SA-Standartenführer Heinrich Böhmcker (wegen seiner Brutalität intern auch "Latten-Böhmcker" genannt).
"So begann schon vor 1933 eine schwere Zeit für die Kommunisten und Sozialdemokraten im Landesteil, insbesondere für Karl Fick, der in massiver Auseinandersetzung mit Böhmcker gestanden hatte. Sie wurden verhaftet und in schnell eingerichtete frühe Konzentrationslager im Landesteil gebracht: Erst nach Schwartau und Eutin und dann nach Ahrensbök."[15]
Kommunalwahlen
→ Hauptartikel: Kommunalwahlen im oldenburgischen Landesteil Lübeck 1919-1933
In den Gemeinden und für den Landesausschuss (Kreistag) fanden fünf Kommunalwahlen nach allgemeinem, freiem, gleichem Wahlrecht statt:
"§ 28. Die Gemeinden bilden Unterabteilungen des Staates und dienen als solche seinen Zwecken. Ihre Verfassung soll nach den Grundsätzen der §§ 29 und 30 neu geordnet werden. | § 29. Die Gemeinden sollen von Körperschaften vertreten werden, deren Mitglieder von den gemeindeangehörigen Männern und Frauen auf Grund des allgemeinen, unmittelbaren, gleichen und geheimen Wahlrechts, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden."[30]
Diese verliefen in den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich, insgesamt konnte die SPD im Gebiet aber bis zum Ende der Republik eine Stellung als stärkste Partei beanspruchen.
Literatur
- Franck, Klaus: Wie ein vaterländischer Geometer ins Gefängnis kam. Ein Sozialistengesetz vor Bismarck in Eutin. In: Demokratische Geschichte, Band 3, 1988, S. ?-?
- Hug, Paul: Mein Dienst in der Parteibewegung des ehemaligen Fürstentums Lübeck. In: Rathkamp/Broscho: Geschichtlicher Überblick über die Vereins- und Organisationsbewegung der Eutiner Arbeiterschaft (Eutin, o.J., vermutlich 1929), 5.47
- Hug, Paul: Die Landtagswahlen in Oldenburg. In: Sozialistische Monatshefte - 9 = 11(1905), H. 11, S. 948-950 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2006
- Hug, Paul: Die Notwendigkeit einer Wahlkoalition in Oldenburg. In: Sozialistische Monatshefte - 14 = 16(1910), H. 19/20, S. 1234-1238 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2006
- Hug, Paul: Der Kurs der Politik in Oldenburg. In: Sozialistische Monatshefte - 15 = 17(1911), H. 15, S. 962-965 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2006
- Schulz, Adolf: Die Landtagswahlen in Oldenburg. In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 27.1908-1909, 1. Bd.(1909), H. 1, S. 35-36 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2008
- Stokes, Lawrence D.: Sozialdemokratie contra Nationalsozialismus in Eutin 1925 bis 1933. In: Demokratische Geschichte Band 2 (1987), S. ?-?
- Stokes, Lawrence D.: Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners (1924-1929/30). In: Demokratische Geschichte, Band 3 (1989), S. ?-?
- Vahlenkamp, Werner: Die sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aus dem oldenburgischen Landesteil Lübeck. In: Demokratische Geschichte, Band 6 (1991), S. 143-152
- Wagner, Richard: Die oldenburgischen Landtagswahlen. In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 24.1905-1906, 1. Bd.(1906), H. 5, S. 149-152 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2008
- Wagner, Richard: Antwort auf das Oldenburger Beispiel. In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 26.1907-1908, 2. Bd.(1908), H. 31, S. 152-157 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2008
Links
- Einträge und Fotos zum Fürstentum Lübeck
- Wikipedia: Fürstentum Lübeck
- Wikipedia: Großherzogtum Oldenburg
- Wikipedia: Oldenburgischer Landtag
Einzelnachweise
- ↑ Vorher hießen die Untergliederungen anders und waren verwaltungsmäßig anders zugeordnet. Auch änderte sich das Gebiet mehrfach leicht. Vgl. Wikipedia
- ↑ Hug, Paul: Mein Dienst in der Parteibewegung des ehemaligen Fürstentums Lübeck, in: Rathkamp/Broscho, Geschichtlicher Überblick über die Vereins- und Organisationsbewegung der Eutiner Arbeiterschaft (Eutin, o.J., vermutlich 1929), 5.47
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Vahlenkamp, Werner: Die sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aus dem oldenburgischen Landesteil Lübeck. In: Demokratische Geschichte, Band 6 (1991), S. 146 f.
- ↑ Vgl. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 25
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 27, nennt 1894 als Gründungsjahr.
- ↑ Eine Wahlkreiskonferenz für das Fürstenthum Lübeck, Lübecker Volksbote, 3.10.1902, S. 3
- ↑ Die Generalversammlung des Zentralvereins, Lübecker Volksbote, 29.7.1907, S. 3
- ↑ Willkommen!, Lübecker Volksbote, 30.9.1911, S. 1
- ↑ 9,0 9,1 Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation, S. 494 f. / Tab. 1
- ↑ Aus Schleswig-Holstein, Hamburger Echo, 5.12.1894, Seite 3
- ↑ Schwartau. Gemeinderatswahlen, Lübecker Volksbote, 25.11.1908, S. 3
- ↑ Anzeiger für das Fürstentum Lübeck, 26.11.1908, S. 3, als Digitalisat abrufbar (nach Registrierung) in der Eutiner Landesbibliothek
- ↑ Bruhns, Julius: Wahlrechtsfragen in Süd und Nord. In: Sozialistische Monatshefte. - 10 = 12(1906), H. 3190603, S. 198-208 [Electronic ed.]
- ↑ 14,0 14,1 Wagner, R.: Die oldenburgischen Landtagswahlen. In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 24.1905-1906, 1. Bd.(1906), H. 5, S. 149-152 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2008
- ↑ 15,0 15,1 15,2 15,3 15,4 15,5 Meyenborg, Ulrich: 125 Jahre Sozialdemokratische Partei Deutschlands Ortsverein Stockelsdorf (Lübeck 2017)
- ↑ Hug, Paul: Die Notwendigkeit einer Wahlkoalition in Oldenburg. In: Sozialistische Monatshefte - 14 = 16(1910), H. 19/20, S. 1234-1238 [Electronic ed.]: Bonn : FES Library, 2006
- ↑ 17,0 17,1 ?, Lübecker Volksbote, 22.4.1911, S. 3 (Die Angabe ist offenbar fehlerhaft, die Zitate in dieser Ausgabe nicht auffindbar.)
- ↑ Wikipedia: Oldenburgischer Landtag#Die Wahlrechtsreform von 1909, abgerufen 4.12.2021, 00:53 Uhr
- ↑ Vahlenkamp, Werner: Die sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten aus dem oldenburgischen Landesteil Lübeck. In: Demokratische Geschichte, Band 6 (1991), S. 148 f.
- ↑ Wikipedia: Reichstagswahlkreis Großherzogtum Oldenburg 1, abgerufen 5.9.2024
- ↑ 21,0 21,1 Fürstentum Lübeck, Lübecker Volksbote, 12.11.1918, S. 3
- ↑ Vgl. Einladung zum Parteitag, Lübecker Volksbote, 28.9.1927, S. 7
- ↑ Jacobsen, Jens-Christian: Der Stolz der Gesamtpartei? - Die SPD in Schleswig-Holstein 1918-1933, S. 221 ff.
- ↑ Zentralverein der Sozialdemokrat. Partei der Provinz Lübeck - Einladung, Lübecker Volksbote, 17.5.1919, S. 5
- ↑ 25,0 25,1 Gemeint ist vermutlich Bujendorf in der Gemeinde Süsel.
- ↑ Der Volksbote schreibt über alle Jahre hinweg meist "Kurau". Dies meint aber den Teil des Freistaats Lübeck, der bis zur Gebietsreform Ende der 1930er Jahre direkt neben dem Ort Curau lag.
- ↑ Zentralverein der sozialdemokratischen Partei der Provinz Lübeck, Lübecker Volksbote, 2.6.1919, S. 3
- ↑ Morell, Thomas / Gehm, Eckard: Der Reichsminister in der Badehose, shz.de, 24.8.2009
- ↑ Stokes, Lawrence: Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Eutin während der Weimarer Republik, in: Paetau, Rainer/Rüdel, Holger (Hrsg.): Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahrhundert (Wachholz-Verlag, Neumünster 1987), Seite 373 f.
- ↑ Verfassung für den Freistaat Oldenburg