Schleswig-Holsteinische Volkszeitung

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VZ-Redaktionsgebäude
Schleswig-Holsteinische Volkszeitung
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Bergstraße 11
24103 Kiel

Die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, landläufig auch Kieler Volkszeitung oder kurz VZ genannt, war eine sozialdemokratische Zeitung. Sie erschien - mit Unterbrechungen - von 1877 bis 1968.

Gründung

Den Beschluss zur Gründung der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung fasste ein Parteitag der Sozialistischen Arbeiter-Partei (SAP) am 24. Juni 1877[1]. Die Sozialdemokratie wollte nach der verlorenen Reichstagswahl mit der Zeitung eine eigene publizistische Stimme aufbauen, um der Propaganda der politischen Gegner etwas entgegen zu setzen:

"Die Arbeiterpartei ist wieder als erste auf dem Plan nach der so bewegten Zeit der Wahl. Die allgemeine Niederlage, denn so müssen wir es nennen, obgleich die Stimmenzahl für unsere Candidaten fast dieselbe Höhe von 1874 erreichte, hat uns nicht entmuthigt und mürbe gemacht, wie die Gegner meinen, sondern eine, wenn auch bittere, Lehre gegeben. Die Parteigenossen sind an vielen Orten mit allzu großer Zuversicht auf ihre Stärke in den Wahlkampf gegangen und haben deshalb meistens die schon damals vereinigten Gegner unterschätzt. Außerdem trugen noch andere Umstände zur Niederlage bei. Während der ganzen Wahlperiode stürzten die Liberalen, Fortschrittler u.s.w. mit einer Wuth sondersgleichen über uns her; das ganze Heer ihrer Zeitungsschreiber verleumdete und verdächtigte uns unablässig, nebenher erschienen Flugschriften über Flugschriften, und uns blieb kein weiteres Vertheidigungsmittel als die Versammlungen und einige unserer Parteiblätter, die leider hier nicht so viel belesen werden, um irgendwelchen bedeutende Einfluß auf die Bevölkerung ausüben zu können. Genug, alles Das hat uns gewitzt. Die Parole für die nächsten drei Jahre muß sein: planmäßige Agitation und einheitliches Zusammenwirken aller Kräfte. Die Conferenz, welche am 24. Juni in Neumünster tagte, hat dies anerkannt. - Ferner wird ein neuer und zwar bedeutender Agitator für uns in's Feld geführt: Die vom 1. Oktober d. J. ab in Kiel dreimal wöchentlich erscheinende 'Schleswig-Holsteinische Volkszeitung'."[2]

Das Blatt wurde in Kiel von einer eigens gegründeten Genossenschaft unter dem Vorsitz von Stephan Heinzel herausgegeben. Sein Stellvertreter wurde der Zigarrenfabrikant H. Dieckmann. Die Redaktion übertrug man dem Druckereimitarbeiter Reinhard Bérard aus Altona. Die Zeitung erschien am Dienstag, am Donnerstag und am Sonnabend.[3]

Kaiserreich: Immer wieder Verbote

Die VZ wurde schon 1878, ein Jahr nach ihrer Gründung, unter dem Sozialistengesetz verboten und erst 1893 wiederbegründet.

"Auf dem Provinzialparteitag in Neumünster, am 28. und 29. November 1892 war die Zeitungsfrage aufgerollt worden. Die seit dem 1. Oktober 1890 in Ottensen erscheinende Norddeutsche Volks-Zeitung, ein Kopfblatt des Hamburger Echo, die der Sozialdemokratie Schleswig-Holsteins als Parteiorgan diente, war gewiß trefflich redigiert, aber sie konnte ihres Erscheinungsortes und ihrer Erscheinungshäufigkeit wegen - sie erschien dreimal wöchentlich - den provinziellen und lokalen Verhältnissen nicht gerecht werden. Das kam auf dem Parteitag in Neumünster drastisch zum Ausdruck. Der Parteitag wählte eine Preßkommission, die den Auftrag erhielt, gemeinsam mit der Agitationskommission der Provinzpartei und dem Verleger und Redakteur der Norddeutschen Volks-Zeitung die Zeitungsfrage zu prüfen und dem nächsten Parteitage Vorschläge zu machen. Die Kommission kam nach den Beratungen in vielen Sitzungen im Laufe des Sommers zu dem Beschlusse - der eigentlich über den Auftrag hinausging, den sie von dem Parteitage erhalten hatte -, Sammlungen für einen Pressefonds zu veranstalten, um zu ergründen, ob in der Provinz, besonders aber in Kiel und Umgegend, das Bedürfnis nach einer täglich erscheinenden sozialdemokratischen Zeitung vorhanden sei. Der Beschluß wurde von der Parteigenossenschaft in Stadt und Land mit großer Freude aufgenommen. Schon am Schlusse des Jahres 1892 hatte die Arbeiterschaft einen Pressefonds von 10 000 Mark zusammengebracht. Groschenweise hatten die Arbeiter das Geld aus ihrem schmalen Verdienste zusammengesteuert, was um so mehr anzuerkennen war, als die wirtschaftlichen Verhältnisse um diese Zeit besonders in Kiel äußerst ungünstig waren.
Als der nächste Provinzialparteitag am 11. Dezember 1892 in Kiel zusammentrat, stand er durch die Gründung des Pressefonds vor einer unabänderlichen Tatsache. Die Gründung eines täglich erscheinenden Parteiblattes war nicht mehr zu umgehen. Der Parteitag wählte eine sogenannte Gründerkommission, die in Gemeinschaft mit der Preßkommission die Errichtung einer eigenen Druckerei und die Herausgabe einer Tageszeitung betreiben sollte."[4]

Aufgabe der Pressekommission war die Aufsicht über die Zeitung und ihr Personal; sie legte auch die politische Linie des Blattes fest.[5]

Am 7. März 1893 wurde die "Offene Handelsgesellschaft Chr. Haase & Co." gegründet. Sie sollte die Volkszeitung tragen. Der Neubeginn war jedoch alles andere als einfach:

"Nach dem erfolgreichen Vorlauf von zwei 16seitigen Probenummern mit Auflagen von 20 000 Exemplaren begann das reguläre Erscheinen der "Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung" am 2.4.1893 mit einer Enttäuschung für die Abonnenten und Spender: Die Zeitung hatte am Anfang nur einen Umfang von vier Seiten! Mehr als zwei Redakteure konnten nicht beschäftigt werden. Die technische Ausstattung bestand aus lediglich einer Schnellpresse mit der Kapazität von 1000 Bogen in der Stunde. Insgesamt arbeiteten in dem neuen Betrieb 14 Menschen. Die am Jahresende erreichte Zahl von 7000 Abonnenten reichte nicht zur Deckung der Kosten."[6]

Bis zum 1. Weltkrieg stand die Redaktion zudem unter dem ständigen Druck der preußischen Justiz. Die Mitarbeiter der sozialdemokratischen Presse mussten immer mit Gefängnisstrafen rechnen. Bis 1914 wurden gegen die VZ insgesamt fünf Jahre, sieben Monate und eine Woche Gefängnis verhängt, ca. 50 000 Mark an Prozesskosten und Geldstrafen wurden fällig.[7]

Wilhelm Poller, Redakteur ab 1894, erhielt schon 1895 für einen Artikel vom September neun Monate Zuchthaus wegen "Majestätsbeleidigung", ebenso wie Heinrich Ströbel, der wegen eines im selben Monat erschienenen Artikels zu vier Monaten verurteilt wurde, nachdem man ihn am 12. September vorübergehend verhaftet und die Redaktionsräume durchsucht hatte.[8] Heinrich Ströbel verfügte bereits über Erfahrung: Schon vom 28. März bis 22. Juli 1893 hatte er im Zuchthaus Glückstadt für eine "Pressesünde" fast vier Monate abgesessen.[9] Auch dem Expedienten Daniel Rindfleisch blieben solche Erfahrungen nicht erspart.[6]

Die wirtschaftliche Lage besserte sich erst Mitte der 1890er Jahre. Hauptgrund war die Ausweitung des Flottenbaus und der damit einher gehende Zuzug von Industriearbeitern nach Kiel und Neumünster; die beiden Städte bildeten das Rückgrat des Abonnementgeschäfts. Ab 1. April 1911 erschien die Flensburger Volks-Zeitung, ein "Kind" des Kieler Blattes.[10]

Ab 1900 war Eduard Adler Chefredakteur. Er setzte durch, dass 1909 ein vierter bezahlter Redakteur eingestellt wurde.[6] Das Hinterhaus auf dem Grundstück Bergstraße 11 in Kiel war zunächst gemietet; erst 1902 konnte sich der Verlag leisten, es zu kaufen.[6]

1. Weltkrieg

Nach Beginn des Krieges galt die Militärzensur. Die Redaktion musste vorsichtig sein, sich inhaltlich auf dem schmalen Grad zwischen sozialdemokratischer Meinung und den preußischen Bestimmungen halten, wollte sie nicht ihre Existenz riskieren. Die VZ wurde im Verlauf des Krieges mehrmals für einige Tage verboten.[11]

Andererseits vertrat Eduard Adler seit Beginn des Krieges im Wesentlichen eine nationale Linie, was ihn in Konflikt mit Parteivorstand und Pressekommission brachte. Am deutlichsten wurde dieser Konflikt durch den Rücktritt von Hermann Adam, dem Vorsitzenden der Pressekommission.

"Die Pressekommission war das geschäftliche und politische Aufsichtsorgan der Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung. Sie setzte den Geschäftsführer, den Chefredakteur und die Redakteure ein. In den Sitzungen dieser Kommission wurde auch über die politische Haltung der Zeitung verhandelt. Adler fühlte sich in seiner Auffassung während des Krieges offenbar vom Parteivorstand in Berlin gedeckt; vermutlich auch von einer Mehrheit der Partei in Schleswig-Holstein. Mindestens akzeptierte man die Zwangslage, in der sich die Partei mit Ausbruch des Krieges befand. Hermann Adam jedoch verweigerte sich dieser Politik, und er trat aus diesem Grunde - wie mir der Sohn Dr. Hans Adam aus familiärer Kenntnis versichert - von Vorsitz und Mitgliedschaft in der Pressekommission zurück. Daß Adlers Einstellung der Grund hierfür war, läßt sich auch unschwer aus der Tatsache der Rückkehr Adams in dieses Amt schließen, die 1917 erfolgte, nachdem Adler aus der Chefredaktion ausschied. Als Grund für das Ausscheiden wurde ein Augenleiden Adlers angegeben. Da Adler jedoch auch später ein enormes Pensum an politischer Arbeit leistete, wird man Zweifel an der Begründung haben dürfen."[5]

Weimarer Republik

In den Weimarer Jahren konnte die VZ zumindest von 1918 bis 1932 ungehindert erscheinen. Nach der Weltwirtschaftskrise 1923 wuchs die Zeitung beträchtlich. Zum Sozialdemokratischen Parteitag in Kiel 1927 konnte Wilhelm Brecour stolz schreiben:

"Alles ist modern, praktisch und schön eingerichtet. Eine Rotationsmaschine für 32 Seiten Druck, fünf Schnellpressen, drei Tiegeldruckpressen, zwei Prägepressen, drei Schneidemaschinen und daneben noch zahlreiche Buchbinderei- und sonstige Hilfsmaschinen dienen der Herstellung der Zeitung und sonstiger Drucksachen. In der Zeitungssetzerei stehen sechs Setzmaschinen [...]. Das ganze Betriebsgebäude ist mit Rohrpost versehen. Zwei eigene Kraftwagen dienen der Heranschaffung von Papier und sonstigen Betriebsstoffen und der täglichen Zeitungsbeförderung. [...] Rund 120 Personen sind zusammen in allen Zweigen des Parteigeschäfts tätig.
Das ganze große Grundstück mit dem schönen großen Wohnhause an der Bergstraße, dem neuerbauten neuzeitlichen Wohnhause an der Muhliusstraße [Nr. 43] und dem prächtigen Neubau für die Betriebs- und Geschäftslokalitäten ist Eigentum der Sozialdemokratischen Partei Schleswig-Holsteins."[12]

Unter dem Lokalredakteur Andreas Gayk wurde die Zeitung modernisiert, die lokale Berichterstattung ausgebaut und zu "Spezialthemen" wie Frauen- und Kinderfragen Beilagen produziert.[13]

Hitler-Prozess

1932 strengte Adolf Hitler einen Prozess gegen die VZ und ihren Chefredakteur Kurt Wurbs an. Dieser hatte im März 1932 geschrieben, Hitler bereite den Bürgerkrieg vor. Dagegen wehrte sich die NSDAP, indem sie beim Amtsgericht eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung dieser Behauptung beantragte. Durch eine eidestattliche Erklärung zu seinen "friedlichen Absichten" erreichte Hitler die Aufrechterhaltung dieser Verfügung. Zur folgenden Hauptverhandlung wollte der Anwalt der VZ, Wilhelm Spiegel, ihn persönlich vorladen. An seiner Stelle trat jedoch SA-Chef Ernst Röhm auf und behauptete, von der Vorbereitung eines Bürgerkrieges könne keine Rede sein. Das Gericht folgte dieser Behauptung und ignorierte Spiegels Hinweise auf den zunehmenden, vor allem von der SA ausgehenden Straßenterror. Die Nationalsozialisten gewannen den Prozess, der VZ wurden ihre Warnungen rechtskräftig untersagt.

Verbot unter den Nazis

Ab 1932 wurde die Situation für die VZ schlechter - die Demokratie der Weimarer Republik befand sich im Niedergang:

"Am 20. Juli 1932 hatte Reichskanzler von Papen unter Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung die preußische Regierung abgesetzt und selbst das Amt des Reichskommissars für Preußen übernommen. Die VZ, die diesen Rechtsbruch aufs Schärfste kritisierte, wurde darauf hin am 23. Juli 1932 für vier Tage verboten. Von nun an führte die Zeitung im Kopf drei Pfeile, das Kampfzeichen der Eisernen Front, deren Ziel die Verteidigung der Republik war. Man verzichtete außerdem zum Schutz der Redakteure auf ein Impressum. Bis zum Verbot am 15. Februar 1933 bezog die VZ aber kritisch Stellung zum Untergang der Demokratie und polemisierte gegen die Nationalsozialisten."[13]

Am 15. Februar 1933 verbot der Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein das Erscheinen der Zeitung bis zum 1. März. Der Beschwerde gegen dieses Vorgehen gab das Reichsgericht Leipzig statt. Nach der Ausgabe vom Montag, 27. Februar 1933 - dem Tag, an dem in Berlin der Reichstag brannte - wurde die Zeitung jedoch unbefristet verboten, die Anlagen enteignet.

Neuanfang nach 1945

Titel der VZ vom 21.9.1946

1945 erhielt Karl Ratz von der britischen Militärregierung die Lizenz für die Herausgabe der VZ. Die Zeitung befand sich zu Beginn in einer absurden Situation: Die Nazis hatten im September 1942 Dr. Curt Heinrich, dem Verleger der Kieler Neuesten Nachrichten - des bürgerlich-nationalen Konkurrenzblattes - 51 Prozent an seiner Zeitung abgepresst, um sie zu übernehmen. Als Entschädigung erhielt er neben Geld auch den Druckereibetrieb der 1933 enteigneten VZ in der Bergstraße 11. So musste die neue VZ zunächst mit ihm über einen Pachtvertrag verhandeln. Heinrich war seinerseits an der Rückgabe interessiert, weil er so auf die Wiederherstellung seines ursprünglichen Eigentums dringen konnte. Zu Anfang allerdings erschienen sowohl die Kieler Nachrichten als auch die VZ auf der Basis von Pachtverträgen mit Heinrich.[14]

Am 3. April 1946, kurz nach dem 1. Bezirksparteitag der wiedergegründeten SPD Schleswig-Holstein, erschien sie wieder, getragen von der "Konzentration GmbH", der von Fritz Heine geleiteten Dachorganisation aller SPD-Zeitungen, und vom Landesverband Schleswig-Holstein, vertreten durch Landesgeschäftsführer Gerhard Strack. Vorsitzender der Gesellschafter war zunächst Andreas Gayk, ab 1954 Walter Damm. Zuletzt wurde die VZ in enger Kooperation mit dem Lübecker Morgen produziert.

Die VZ war bis weit in die Nachkriegszeit hinein selbstverständlicher Bestandteil vieler sozialdemokratischer Haushalte, zuletzt unter dem Titel VZ - Kieler Morgenzeitung. Sie verfügte über gute Kontakte in Politik und Kultur. So besuchten im April 1967 Günter Grass und Siegfried Lenz die Redaktion, vermutlich im Rahmen ihrer Aktivitäten mit der Wählerinitiative Nord.


Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Chefredakteure

Name von bis Bemerkung
Reinhard Bérard 1877 1878 aus Altona
Eduard Adler 1900 1917
Bernhard Rausch 1917 1918 Zur Zeit des Matrosenaufstandes[15] Er ging mit Gustav Noske nach Berlin, trat aber 1923 aus der SPD aus.
Karl Böttcher um 1925
Kurt Wurbs 1928 1933
1933 1945 Von den Nazis verboten
Andreas Gayk 1946 faktisch Karl Rickers, ab 1948 Michael Freund
Hans Schimpke vor 1953, wie "ca. ein Dutzend anderer"[16]
Fritz Przytulla 1953 1954 aus Berlin
Karl Rickers 1954 1968

Weitere Beschäftigte

Wilhelm Brecour, erster Chronist der Kieler SPD, war von 1893 bis 1931 bei der Zeitung tätig, nacheinander als Expedient (Vertriebsleiter), Prokurist, Redakteur und "ständiger Mitarbeiter"[17].

Auch Edmund Söhnker wurde schon bald beschäftigt, zunächst als "Kolporteur, das heißt, er warb Leser und beschaffte Anzeigen für die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung und das satirische Blatt Der wahre Jakob. Später wurde er Expedient des Verlags, und schließlich übernahm er als Prokurist die kaufmännische Leitung dieses Unternehmens und wurde Geschäftsführer."[18] Wohl 1930, mit dem 65. Lebensjahr, schied er aus dem Verlag aus.

Von 1894 bis 1907 war Wilhelm Poller dabei, zunächst ebenfalls als Anzeigenakquisiteur, aber offenbar sehr schnell als Redakteur.[19]

Für alle drei war die VZ zunächst ein Rettungsanker: Zumindest Edmund Söhnker und Wilhelm Poller hatten aus politischen Gründen ihre Arbeit verloren. Von Wilhelm Brecour ist dies nicht bekannt, aber er war ab 1893 Leiter der Holzarbeiterverbandes Schleswig-Holstein, was sich mit einer Tätigkeit als Tischler möglicherweise nicht gut hätte vereinbaren lassen. Ähnlich verhielt es sich mit Daniel Rindfleisch, der als Expedient beschäftigt wurde.

Heinrich Ströbel wurde bereits erwähnt; er war Journalist und muss ab 1893 bei der VZ gearbeitet haben. 1900 wechselte er zum Vorwärts, dessen Chefredakteur er 1914 wurde, aber vermutlich nicht direkt von Kiel aus.[20] Von 1896 bis 1908 schrieb auch der Bildungspolitiker Karl Korn als politischer Redakteur für die Zeitung.[21]

Von März 1919 bis Dezember 1921 war der Maler und Grafiker Hans Ralfs freier Mitarbeiter des Feuilletons, das in diesen Jahren zumindest zeitweise von Friedrich Wilhelmsen geleitet wurde. Bis Ende 1920 schrieb Gustav Warburg für die Zeitung; danach wechselte er zum Hamburger Echo.[22] Ab 1926 waren Lokalredakteur Andreas Gayk, der auch die Kinderseite verantwortete, und Karl Rickers dabei. Wie lange und in welchem Ressort Dr. Heinrich Weniger tätig war, ist nicht ermittelt; er wurde 1931 Vorsitzender der Volksbühne, möglicherweise war er also Kulturredakteur. Anfang 1929 übernahm Johannes 'Hanne' Rohwer die Berichterstattung für Neumünster und trat später in die Schriftleitung in Kiel ein.[23]

Außerhalb der Redaktion wurden etwa Karl Ratz (ab 1918, als Kalkulator) und die Brüder Otto Engel (ab 1932, als Werbeleiter) und Willi Engel (1933) beschäftigt.

Nach der NS-Herrschaft übernahm Andreas Gayk die Chefredaktion der wieder gegründeten VZ, um der Leserschaft Kontinuität deutlich zu machen. Faktisch schrieb er aber nach dem Eröffnungsartikel nur noch gelegentlich und in politischen Funktionen. Informeller Chefredakteur war der Lokalchef Karl Rickers.[24] In einen Brief erweckt Andreas Gayk den Eindruck, dass er seine eigentliche Berufung im Journalismus sah, nicht in der Politik: "Das Unglück kann es also wollen, daß ich zunächst in den sauren Apfel der Politik beißen muß [...]".[25]

Zu den Beschäftigten der VZ nach dem Krieg gehörten u. a. als Verlagsleiter zunächst Karl Ratz, später Hein Wulff, der Prokurist Alfred Wind und die Erste Sekretärin Friedel Lühmann (die danach noch einige Jahre das Archiv der Kieler Nachrichten leitete). Lokalchef war seit 1946 Karl Rickers; dazu kamen die Lokalredakteure Günther Martens und Fritz Thiele, Feuilletonchef Alexander Kus und seit 1947 die Feuilletonredakteurin Susanne Materleitner, Wirtschaftsredakteur Walther Girnth, Provinzialredakteur Erich von Lojewski, Glossist Hans Schimpke sowie die Journalisten Werner Wien und Alfons Neukirchen.

Als Berater und Leitartikler, ab Sommer 1948 als informeller Chefredakteur, wirkte einige Jahre der Historiker und Politikwissenschaftler Michael Freund, für dessen Berufung nach Kiel Andreas Gayk sich nicht zuletzt wegen der VZ massiv eingesetzt hatte.[26]

Am 11. Oktober 1949 wies das Impressum aus: "Chef vom Dienst: Karl Rickers; Außenpolitik: Dr. Adolf Krieger; Lokales (Kiel und Land): Erwin Kowalzig, Ernst Lethi, Erich von Lojewski, Friedrich Schwarz; Feuilleton: Alexander Kus; Sport: Gerhard Lindenau".

Gerhard E. Gründler, der später unter anderem Chefredakteur des Vorwärts wurde, machte etwa 1956 bis 1958 ein Volontariat; er sprach von der VZ als der "sozialdemokratischen, gleichwohl nicht allzu provinziellen"[27] Zeitung.

1956 kam auch Karl-Heinz Reischuk zur VZ; nach ihrem Ende ging er nach Hannover, dann zu den Kieler Nachrichten.[28] In den letzten Jahren arbeitete die Journalistin Alice Ohrenschall für die Zeitung; die Fotografin Angela Kroeker und der Fotograf Friedrich 'Fiete' Magnussen[29] waren vermutlich beide freiberuflich und arbeiteten parallel für die Kieler Nachrichten.

Einer der letzten neuen Mitarbeiter war der Leitartikler Jochen Steffen, damals schon Landesvorsitzender, über den Chefredakteur Karl Rickers schreibt:

"Meine Bedenken gegen Jochen als Parteivorsitzenden kollidierten nicht mit der Absicht, ihn als Journalisten zu engagieren. [...] Mir schien es wichtig und nützlich, einen politischen Denker von diesen Graden als Leitartikler zu haben. Jochen Steffen verkörperte eine neue Generation in der Politik, eine Generation, die nicht mehr - wie wir in der Weimarer Republik Aufgewachsenen - bedingungslos auf Reformpolitik und Kompromiß setzte. Steffen und ich kamen in dieser vielleicht nicht einfachen Konstellation gut miteinander zurecht. [...] Seinen rüden Ton aber wußte ihm Susanne Materleitner wegzuredigieren, und Jochen schätzte diese Art Mitarbeit."[30]

Niedergang und Ende

Seit Beginn der 1950er Jahre schrumpfte, wie bei fast allen Zeitungen der SPD, die Abonnentenbasis. Der Parteinachwuchs verlangte andere Formen und Inhalte und fand es nicht mehr selbstverständlich, eine Parteizeitung zu halten.[31] 1961 nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf, weil über längere Zeit gegenüber den Anzeigenkunden die Auflage massiv geschönt worden war.[32] 1962 hatte die VZ noch eine Auflage von 47 000. [33]

Schließlich wurde das Ende unvermeidlich. Anfang Dezember 1968 meldete dpa die bevorstehende Einstellung der VZ zum 1. März 1969, unter Berufung auf den erst im April 1968 eingesetzte Verlagsleiter Emil Bandholz. Als Grund habe er "das Ausbleiben der erforderlichen Zuschüsse von der SPD" genannt.[34] Die SPD hatte die zuletzt 13 000 täglichen Exemplare mit rund 80 000 DM monatlich subventioniert.[13] Um nicht die letzte zu sein, die die eigene Schließung meldete, entschloss sich die VZ zur Veröffentlichung, obwohl eine offizielle Entscheidung der Gesellschafter nicht vorlag. Karl Rickers scheint von einem Missverständnis auf Seiten von Emil Bandholz auszugehen.[35]

Emil Bandholz wurde fristlos gekündigt, mit der Begründung, er habe "widerrechtlich und eigenmächtig die Einstellung der VZ Kiel verkündet. Dadurch sind [...] Pläne über andere Möglichkeiten bezüglich des traditionsreichen Blattes hinfällig geworden, bzw. aufs schwerste gefährdet. Der [...] entstandene Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Als neuer Geschäftsführer wurde Herr Wilhelm Geusendam, Lübeck, berufen."[36]

Die Belegschaft der VZ solidarisierte sich mit Emil Bandholz und streikte ab 18. Dezember 1968. Die öffentliche Mitteilung wurde unterzeichnet von Klaus Holderbaum, Hermann Rügge, Ernst Wolter, Alfred Voigt und Paul Grünig. Die Redaktion, vor allem Chefredakteur Karl Rickers, stand zwischen den Positionen, brachte für beide Seiten Verständnis auf und verhielt sich daher neutral.[37] Landesvorsitzender Jochen Steffen sah sich in einer Betriebsversammlung heftiger Kritik ausgesetzt, weil sich die SPD öffentlich für die Sicherung von Arbeitsplätzen einsetze, hier aber kurzfristig Leute in die Arbeitslosigkeit schicke.[38]

Nach einiger Verwirrung, zahlreichen Solidaritätsbekundungen aus ganz Deutschland - in Stuttgart trat die Belegschaft der sozialdemokratischen Schwäbische Tagwacht GmbH in einen Sympathiestreik [33] - und einigen Krokodilstränen politischer Gegner[39] wurde die VZ bereits zum 31. Dezember 1968 eingestellt. Sie verabschiedete sich von ihren Leserinnen und Lesern mit einer vollen letzten Ausgabe.[40]

1973 schrieb der Kieler Kreisvorsitzende Karl Heinz Luckhardt:

"Ursache des Niedergangs der Zeitung war vor allem, daß in guten Zeiten zuviel Geld aus dem Betrieb herausgenommen und zuwenig zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit investiert wurde. Viele waren der Meinung, daß die Geschäftskommission des SPD-Präsidiums in Bonn, die einen großen Teil der SPD-Zeitung trug, keine angemessene Konzeption verfolgte. Unbestreitbar ist, daß die Auflage der VZ zuletzt in den 'Keller gerutscht' war. Die SPD-Anhänger in Kiel sorgten zwar für große Mehrheiten bei Wahlen, aber nur eine ständig abnehmende Minderheit las noch die 'eigene' Zeitung. Am Ende konnte die Gesamtpartei die Defizite nicht mehr tragen. [..] Heute muß die Kieler SPD mit einer dadurch einseitig gewordenen Presselandschaft fertig werden. Daran ändert auch die Morgenpost nichts. Als SPD-nahestehende Hamburger Boulevard-Zeitung mit kleinem Kieler Lokalteil kann sie nicht die Tradition der VZ fortsetzen."[41]

Nachfolge-Versuche

Ein wenig erfolgreiches Nachfolgeblatt unter dem Titel Nordwoche existierte von 1969 bis 1971. Von 1980 bis 1988 wurde mit der Kieler Rundschau ein neuer Versuch gemacht, zumindest im Großraum Kiel das Meinungsmonopol der Kieler Nachrichten zu durchbrechen. Aufgrund des flächendeckenden Wegfalls einer professionellen SPD-Presse förderte bereits Jochen Steffen in großem Umfang Publikationen der Ortsvereine und Kreisverbände.

Nach dem Ende

1974 richteten Jugendliche mit Unterstützung der Stadtverwaltung im Gebäude der ehemaligen VZ-Druckerei in der Bergstraße 11 das erste selbstverwaltete Jugendzentrum der Stadt ein, die legendäre "Druckerei". Nach vielen Stunden Eigenarbeit konnte sie am 2. März eröffnet werden.[42] 1975 wurde das Gebäude abgerissen, um Platz zu machen für den Erweiterungsbau der Kieler Spar- und Leihkasse. Das Redaktionsgebäude im Innenhof hinter der Sparkasse (vgl. Beitragsfoto oben rechts) steht allerdings bis heute.

Fotos

Literatur

Links

Einzelnachweise

  1. Verdieck, Willy: Die Partei in Schleswig-Holstein. In: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (o.O., o.J.), S. 2
  2. Vorwärts, 11.7.1877, Nummer: 80, Jahrgang: 2
  3. Fischer, Rolf: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir ...". Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Malente 2010), S. 51
  4. Brecour, Wilhelm: Die Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung. In: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (o.O., o.J.), S. 12
  5. 5,0 5,1 Rickers, Karl: Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung. In: Demokratische Geschichte 1(1986), S. 114
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Bigga, Regine / Danker, Uwe: Die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung 1892 bis 1968. Facetten aus ihrer Geschichte. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 428
  7. Brecour, Wilhelm: Die Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung. In: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (o.O., o.J.), S. 14
  8. Brecour, Wilhelm: Die Sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck Kiel 1983), S. I-69
  9. Kiel, Hamburger Echo, 25.7.1894, Seite 3
  10. Brecour, Wilhelm: Die Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung. In: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (o.O., o.J.), S. 13
  11. Bigga, Regine / Danker, Uwe: Die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung 1892 bis 1968. Facetten aus ihrer Geschichte. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 429
  12. Brecour, Wilhelm: Die Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung. In: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (o.O., o.J.), S. 15 f.
  13. 13,0 13,1 13,2 Geckeler, Christa: Kieler Erinnerungstag: 15. Februar 1933, abgerufen 13.10.2013
  14. Vgl. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 234 ff.
  15. Rickers, Karl: Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung. In: Demokratische Geschichte 1(1986), S. 115
  16. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 325 f.
  17. Biographien Sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933
  18. Söhnker, Hans: ... und kein Tag zuviel (Hamburg 1974), S. 16
  19. Fischer, Rolf: Der Kieler Polizeipräsident Wilhelm Poller - eine biografische Skizze. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 90 (2021), Heft 3, Seite 139
  20. Wikipedia: Heinrich Ströbel, abgerufen 18.2.2024
  21. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 51
  22. Witt, Friedrich-Wilhelm: Die Hamburger Sozialdemokratie in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1929/30-1933 (Diss., Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1971), S. 109 Anm. 35. Allerdings enthalten die dortigen biografischen Angaben wohl einen Fehler: Jg. 1900, Studium, zwei Promotionen in Jura und Politikwissenschaft, Tätigkeit bei der VZ und 1920 Wechsel zum Echo erscheint zeitlich kaum machbar.
  23. Johannes Rohwer gestorben, VZ, 10.2.1948
  24. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 248
  25. Vgl. Knelangen, Wilhelm / Meinschien, Birte (Hrsg.): "Lieber Gayk! Lieber Freund!" Der Briefwechsel zwischen Andreas Gayk und Michael Freund von 1944 bis 1954 (Kiel 2015), S. 23
  26. Vgl. Knelangen, Wilhelm / Meinschien, Birte (Hrsg.): "Lieber Gayk! Lieber Freund!" Der Briefwechsel zwischen Andreas Gayk und Michael Freund von 1944 bis 1954 (Kiel 2015), S. 75
  27. Gerhard E. Gründler: Erinnerung an Hans Zehrer, Version vom 12.6.2008
  28. Karl-Heinz Reischuk hört auf und macht weiter, Kieler Nachrichten, 30.11.1991
  29. Friedrich Magnussen, abgerufen 18.2.2024
  30. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 371
  31. Oddey, Markus / Engelhardt, Hannes / von Seeler, Isabelle: "Ich bleibe Optimist - trotz allem". Wilhelm Geusendam – Demokratischer Sozialist und Parteiorganisator. Eine biographische Dokumentation. In: Demokratische Geschichte 17(2006), S. 51, wo die Problematik am Beispiel des Lübecker Morgens erläutert wird.
  32. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 359 ff.
  33. 33,0 33,1 Sauber runter, DER SPIEGEL, 5.1.1969
  34. Kieler Nachrichten, 6.12.1968
  35. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 385 ff. Dort auch die weitere Entwicklung und mögliche Alternativen aus der Sicht des Chefredakteurs.
  36. Kieler Nachrichten, 20.12.1968
  37. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 386
  38. Kieler Nachrichten, 19.12.1968
  39. Dr. Lademann, FDP, Kieler Nachrichten, 21.12.1968; Ministerpräsident Dr. Lemke, CDU, Kieler Nachrichten, 2.1.1969
  40. Rickers, Karl: Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970 (Neumünster 1992), S. 391 f.
  41. SPD-Kreisverband Kiel (Hrsg.): 1863-1978. 115 Jahre Sozialdemokratie. Festschrift der Kieler Sozialdemokraten (Kiel 1978), S. ?
  42. Kieler Nachrichten, 2.3.1974 / 4.3.1974