Wilhelm Brecour

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Wilhelm Brecour
Wilhelm Brecour
Wilhelm Brecour
Geboren: 9. Dezember 1866
Gestorben: 11. Januar 1940

Wilhelm Carl Fritz Brecour, * 9. Dezember 1866 in Pritzwalk/Brandenburg, † 11. Januar 1940 in Kiel; Tischler, Geschäftsführer der VZ. Mitglied der SPD spätestens ab ca. 1890.

Werdegang

Wilhelm Brecour war das älteste von zehn Kindern von Wilhelm August Brecour (1841–1908) und Maria Auguste Caroline Grube (keine Lebensdaten).[1] Er war evangelisch, später konfessionslos. Nach dem Besuch der Volksschule lernte er von 1881 bis 1884 das Tischlerhandwerk; danach ging er auf Wanderschaft in Deutschland. Ab 1888 lebte er in Kiel und war u. a. auf der Kaiserlichen Werft tätig - laut Personalakte als Hilfsarbeiter, laut VZ als Tischlergeselle.[2] Von 1893 bis 1895 war er Vorsitzender der Filiale des Holzarbeiterverbands in Kiel und nebenamtlicher Gauleiter für Schleswig-Holstein; für 1899 ist zuerst seine Teilnahme an einem Gewerkschaftskongress belegt.[3]

Am 20. Februar 1890 heirateten er und Anna Langmaack (* 22. März 1870 in Mörel/RD). Anna arbeitete in Kiel als Näherin und lernte Wilhelm kennen, weil er bei ihrer verheirateten Schwester zur Untermiete wohnte.[2] Sie bekamen fünf Kinder: Anna, Wilhelm, Hans, Paula und Richard. Bei Wikipedia heißt es, Wilhelm Brecour sei "wegen eines schweren Augenleidens und fast taub aus dem Berufsleben ausgeschieden. Kurze Zeit später hatte er einen Unfall, der dazu führte, dass er den Rest seines Lebens in seiner Wohnung in der Kleiststraße 21 in Kiel verbrachte", wo die Tochter Paula ihn in seinen letzten Lebensjahren gepflegt habe.[4] Allerdings ist davon in dem angegebenen Beleg[2] nicht die Rede. Paula pflegte jedoch ihre Mutter bis zu deren Tod am 19. November 1961.

Seit ihrer Wiedergründung 1893[5] war Wilhelm Brecour Mitarbeiter der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung (VZ) und blieb dies bis zu seinem Ruhestand 1931. Laut VZ war er ab 1904 Redakteur.[2][6] Laut Unterlagen in seiner Personalakte bei der Stadt Kiel begann er als Expedient, durchlief als Redakteur alle Ressorts und wurde Prokurist und 1904 Schriftleiter [Chefredakteur) der Zeitung.[7]

Unterschrift von Wilhelm Brecour, 1910
Unterschrift von Wilhelm Brecour, 1910

Bis zum 2. Mai 1923 blieb er fest angestellt bei der VZ, wechselte dann jedoch auf eine Stelle im Landesarbeitsamt[8][9]; vermutlich konnte die Zeitung ihn auf Grund der Hyperinflation nicht mehr beschäftigen. Im April 1924 kehrte er in die Redaktion zurück und blieb "ständiger Mitarbeiter", bis er 1931 in den Ruhestand ging.[3]

Im Lebensabriss heißt es, er sei bereits vorher als "Landesrat" tätig gewesen, werde aber schon 1925 als Landesrat a. D. geführt. Hierbei handelte es sich möglicherweise um eine Stelle in der Provinzialverwaltung.[10]

Partei & Politik

1892 wurde Wilhelm Brecour zum Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereins Groß-Kiel gewählt, anschließend war er von 1894 bis 1899 der Vertrauensmann des 7. Schleswig-Holsteinischen Reichstagswahlkreises (Kiel - Rendsburg - Plön), in dem Carl Legien Abgeordneter war.

Wilhelm Brecour muss schon lange vor seiner Wahl zum Vorsitzenden der SPD angehört haben. Es lässt sich davon ausgehen, dass er zumindest bald nach seinem Wechsel nach Kiel eingetreten ist, spätestens aber 1890. Sein Einstieg bei der wiedergegründeten VZ 1893 mag - wie bei Edmund Söhnker - auch darin seine Ursache gehabt haben, dass er aufgrund seiner politischen Funktion ab 1892 seine Arbeit verlor. Dazu liegen jedoch bisher keine Belege vor.

Zwischen 1895 und 1917 nahm er - vermutlich als Delegierter für Kiel oder Schleswig-Holstein - an zehn Reichsparteitagen der SPD teil.[3]

Laut Wikipedia gehörte er Anfang der 1920er Jahre auch dem Bezirksvorstand an und hielt 1925 und 1929 die Hauptreferate auf den Bezirksparteitagen vor den Kommunalwahlen.[11]

Kommunalpolitik

Von 1910 bis 1918 war Wilhelm Brecour Stadtverordneter in Kiel, danach (mit zweimaliger Wiederwahl) bis 1929 unbesoldeter (ehrenamtlicher) Stadtrat, gewählt am 24. Mai 1918, vereidigt am 11. Juni.[12] In seiner ersten Amtsperiode wurde er als Mitglied in die Armenkommission, als stellvertretender Vorsitzender in die Kommission zur Förderung des Wohnungswesens und als Beisitzer in den Stadtausschuss gewählt.[13]

1914 wurde er als Nachfolger von Daniel Rindfleisch zum stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher gewählt.[14]

Drei-Klassen-Wahlrecht

Wilhelm Brecour widmete einen großen Teil seiner politischen Arbeit dem Kampf gegen das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht. Schon 1909 war er maßgeblich daran beteiligt, einen Versuch von Oberbürgermeister Dr. Fuß zu vereiteln, der dieses Wahlrecht auch für die Stadtverordnetenwahlen einführen wollte. Dies hätte die Wahl von Sozialdemokraten auf absehbare Zeit unmöglich gemacht. Brecour selbst berichtet:

"Dr. Fuß hatte sich schon längst wieder mit dem Gedanken beschäftigt, wie der steigenden roten Flut ein Damm entgegenzusetzen sei. [...] Der Minister des Innern sagte ihm: [Wenn] ein Beschluß der Kieler Stadtgremien hier bei mir eingeht, in dem ich ersucht werde, in Anbetracht der besonders gefährdeten kommunalen Zustände in Kiel durch ein Notgesetz das Dreiklassenwahlrecht in Kiel einzuführen, dann läßt sich darüber reden. [In] den letzten Tagen des Februar 1909 ging plötzlich, ohne daß vorher irgendetwas darüber verlautet hatte, den Stadtverordneten eine sehr ausführliche Vorlage des Magistrats zu, [die genau dies erreichen sollte]. Die "Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung" schlug Alarm, die Sozialdemokratische Partei berief Protestversammlungen ein, ganz Kiel war aufgerührt, und bis in die Kreise des liberalen Bürgertums war man gegen das Dreiklassenwahlrecht eingenommen. In den denkwürdigen Sitzungen der städtischen Kollegien [war es] besonders unser Genosse Adler, der in mehrstündigen Reden die Vorlage des Magistrats arg zerzauste. Bei der namentlichen Abstimmung stimmten in der Stadtverordnetenversammlung 13 Stadtverordnete für die Einführung des Dreiklassenwahlrechts, 15 stimmten dagegen. [...] Ein Erfolg der aufrüttelnden Wirkung unserer Opposition."[15]

Provinzial- und Landesebene

Im Januar 1919 wurde Wilhelm Brecour in die verfassunggebende preußische Landesversammlung gewählt, anschließend in den preußischen Landtag, dem er drei Legislaturperioden - bis April 1932 - angehörte.

Viermal kandidierte er im 4. Schleswig-Holsteinischen Reichstagswahlkreis (Tondern - Husum - Eiderstedt) erfolglos für den Reichstag: 1898, 1903, 1907 und 1912.[3]

Chronist der Partei

1932 legte er ein Buch über die Geschichte der Kieler SPD vor. Im Vorwort ging er auf die Schwierigkeiten dieses Unternehmens ein:

"Das was ich von alten Parteigenossen über die Vorgänge aus der Zeit vor dem Sozialistengesetz erfahren konnte, war recht wenig. Dem Genossen Hermann Molkenbuhr verdanke ich immerhin wertvolle Aufschlüsse über einige Genossen aus den ersten Jahren der sozialdemokratischen Bewegung in Kiel, und der Genosse Bérard hat mir eine eindrucksvolle Schilderung über die Verhältnisse der vorsozialistengesetzlichen "Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung" gegeben. Genosse Stephan Heinzel [...] ist schon 1899 gestorben. Irgendwelche Aufzeichnungen hat er nicht hinterlassen. Sonst noch lebende ältere Parteigenossen konnten sich nur einzelner Vorgänge erinnern, und ihre Erinnerungen standen vielfach zueinander im Gegensatz, so daß es gründlicher Prüfung und Vergleiche bedurfte, um das Richtige herauszufinden. Doch verdanke ich den Genossen Wilhelm Schulz, Friedrichsort, Albert Waibel, Kiel, Fritz Busch, Gaarden, und Moritz Pittack, Rendsburg, einem Freunde Stephan Heinzels, die eine oder andere Anregung. Auch der Genosse Johann Mehrens in Neumünster hat sich eifrig um Beschaffung von Material bemüht."[16]

Ehrungen

Im Oktober 1971 sollte der östliche Teil der Alten Lübecker Chaussee nach Wilhelm Brecour benannt werden[17]. Der Vorschlag lag der Ratsversammlung vor. Diese Benennung scheiterte möglicherweise daran, dass der betreffende Straßenabschnitt wenig später im Theodor-Heuss-Ring aufging. Eine Brecourstraße ist im Kieler Straßenlexikon jedenfalls nicht aufgeführt.

Veröffentlichungen

  • Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Chr. Haase & Co, Kiel 1932), wieder abgedruckt in: Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte: Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983)

Literatur & Links

  • Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920)(Kiel 2013) ISBN 978-3-86935-196-4
  • Stadtarchiv Kiel, Akte 32467 (Personalakte des unbesoldeten Stadtrats Wilhelm Brecour)
  • Wikipedia: Wilhelm Brecour
  • GESIS-ParlamentarierPortal: Wilhelm Brecour

Einzelnachweise

  1. Wikipedia: Wilhelm Brecour, abgerufen 2.1.2021, ohne Belege
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Anna Brecour wird heute 90, VZ, 22.3.1960
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Vgl. GESIS-ParlamentarierPortal: Wilhelm Brecour
  4. Wikipedia: Wilhelm Brecour, abgerufen 3.1.2021
  5. Erinnerungen an Wilhelm Brecour, VZ, 9.12.1966. Dort heißt es "ersten Gründung", was aber ein Irrtum sein muss, da diese 1877 erfolgte.
  6. Erinnerungen an Wilhelm Brecour, VZ, 9.12.1966
  7. Tabellarische Kurzübersicht aus der Personalakte im Stadtarchiv Kiel; Lebensabriss aus der Personalakte im Stadtarchiv Kiel
  8. VZ, 2.5.1923
  9. Lebensabriss aus der Personalakte im Stadtarchiv Kiel
  10. Nach Wikipedia ist ein Landesrat "der dem Landeshauptmann (Landesdirektor) in Preußen zugeordnete obere Beamte; er erledigte Geschäfte der Provinzialverwaltung und wurde vom Provinziallandtag gewählt".
  11. Wikipedia: Wilhelm Brecour, abgerufen 3.1.2021, ohne Belege
  12. Lt. Protokollauszug der öff. Sitzung der Stadtkollegien vom selben Datum (Stadtarchiv Kiel, Akte 32467, Bl. 22)
  13. Stadtarchiv Kiel, Akte 32467, Bl. 24
  14. Kiel. Aus dem Stadtverordnetenkollegium, Hamburger Echo, 10.4.1914
  15. Brecour, Wilhelm: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung, S. I-88
  16. Brecour, Wilhelm: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung, S. I-5
  17. Kieler Nachrichten, 25.10.1971