Vertrauensperson

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Die Funktion der Vertrauensperson - bis zum Berliner Parteitag[1] von 1882 Vertrauensmann - stammte aus der Zeit der illegalen Arbeit während des "Sozialistengesetzes".

Ursprung

Auf lokaler Ebene durfte die SPD auch während der Zeit des Verbotes (1878-1890) Ortsvereine gründen oder Wahlvereine zu Reichstags- und anderen Wahlen bilden.

Das "Verbindungsverbot" untersagte lokalen Vereinen jedoch bis 1899, sich überregional zusammenzuschließen. Die Partei löste das Problem über Vertrauenspersonen, die nicht zuletzt die wichtige Verbindung zwischen den Ortsvereinen und dem Parteivorstand aufrecht erhielten. Einzelne Personen konnten weder verboten noch aufgelöst werden.

Funktion

Vertrauenspersonen waren aber nicht notwendigerweise politischen Führungskräfte oder meinungsbildend:

"Vertrauenspersonen gab es [in Schleswig-Holstein] auf der Ebene der örtlichen Vereine, der Reichstagswahlkreise und der Region bzw. Provinz. Die örtliche Vertrauensperson wurde von den Parteimitgliedern unabhängig von dem am Ort bestehenden offiziellen SPD-Verein "ernannt", also nicht in der Mitgliederversammlung gewählt [...]. Alle örtlichen Vertrauenspersonen eines Wahlkreises versammelten sich zweimal im Jahr zu Wahlkreiskonferenzen, und in der Regel bestimmten sie aus ihrer Mitte eine Kreis-Vertrauensperson bzw. ein "Agitationskomitee", das aus bis zu drei Personen bestehen konnte und für ein Jahr amtierte. Die örtlichen Vertrauenspersonen hatten dafür zu sorgen, daß die Parteiarbeit so durchgeführt wurde, wie es auf den Wahlkreiskonferenzen beschlossen oder von dem Agitationskomitee angeordnet worden war. Ihre vornehmste Aufgabe bestand darin, regelmäßig über den Stand der Organisation zu berichten, die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Sammlungen zu verwalten und an die Kreisvertrauensperson abzuführen. Die örtlichen Vertrauenspersonen besaßen nicht nur eine Vermittlungs-, sondern im lokalen Verein auch eine Überwachungsfunktion."[2]

Das "Sozialistengesetz" wurde 1890 nach dem Abgang Bismarcks nicht erneuert, durch die "Lex Hohenlohe" wurde 1899 auch das Verbindungsverbot aufgehoben. Die Ortsvereine durften sich von nun an überregional organisieren. Damit wurde die Funktion der Vertrauensperson überflüssig, lebte jedoch noch einige Jahre fort, bis um 1905 dann eine konsolidierte Organisation mit Wahlkreisvereinen und einem Bezirksverband entstand. Über die Frage der „Zentralisation“ gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, so befürworte Carl Legien die Fortführung des bisherigen Systems, da es sich schließlich bewährt habe.[3] Der Historiker Rainer Paetau geht davon aus, dass es in der Debatte auch schlicht um die Machtfrage ging, ob der örtliche Vereinsvorsitzende oder der Vertrauensmann das Sagen habe. Eduard Adler sprach sich dafür aus, dass nur ein Amt ausüben dürfe, wer von der Mitgliederversammlung legitimiert sei.[4]

Vertrauensfrauen

Für die Frauenarbeit überdauerte das Konzept wesentlich länger. Dort wurde das System der Vertrauenspersonen fortgeführt, weil ihnen noch bis 1908 im Deutschen Reich jegliche parteipolitische Betätigung verboten war. Ihre (durchweg weiblichen) Vertrauenspersonen hatten die Aufgabe, unter Berücksichtigung (oder Umgehung) der in der Provinz Schleswig-Holstein geltenden Vereinsgesetze die Verbindung zwischen den der SPD nahestehenden Frauen auf allen Ebenen herzustellen sowie Forderungskataloge zu erarbeiten, die von der Fraktion der SPD im Reichstag eingebracht werden sollten.

Als "Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands" amtierten zum Beispiel Ottilie Gerndt und von 1899 bis 1908 Ottilie Baader.[5] Diese erläuterte in ihren Erinnerungen:

"Der Parteitag in Frankfurt a.M. von 1894 hatte den Beschluß gefaßt, die Frauenagitationskommission aufzulösen und statt dessen einzelne weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die auch die spitzfindigste Polizeibehörde nicht zu einem »politischen Verein« stempeln konnte."[6]

Am 15. September 1900 fand in Mainz die erste SPD-Frauenkonferenz statt. Die Delegierten beschlossen

"den Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen, eine straffere Organisation, stärkere Vernetzung der ­Vertrauenspersonen untereinander, bessere Einbindung in die Partei und eine engere Zusammenarbeit mit den Genossen. Denn nur wenn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam agieren, sehen sie eine Chance, die Sozialdemokratie weiter erfolgreich auszubauen. […]
Tatsächlich gelingt es, die Zahl der Vertrauenspersonen massiv zu steigern. Der Kampf um Verbesserungen in der Lohnfrage, bei Arbeitszeit, Überstundenarbeit sowie bei den sanitären Bedingungen, dem gesetzlichen Schutz, der Gewerkschaftsorganisation, der Kranken­versicherung und für das ­Wahlrecht der Frauen nimmt Fahrt auf. 1908 wird das Vereinsrecht reformiert. Von nun an können Arbeiterinnen offiziell der SPD beitreten."[7]

Langjährige Vertrauensfrauen waren Theodora Niendorf, die Frau des Arbeitersekretärs G. Niendorf, für die Kieler SPD, Linchen Baumann aus Altona ab 1908 für die Provinz. Sie wurde später als erste Frau in den Bezirksvorstand gewählt.[8]

1905 gab es 16 Vertrauensfrauen. 1908 waren es 47.[9]

Spätere Formen

Teil der Ortsvereinsarbeit

Die Ortsvereine bzw. in den großen Vereinen die Distrikte betreuten ihre Mitglieder in einer kleinteiligen Struktur, z.B. auf der Ebene von Wohnblocks, durch Vertrauenspersonen. Dies ist beispielhaft nachvollziehbar durch ein insgesamt 34 Männer und Frauen zeigendes Foto des Vorstands und der Vertrauensleute des Distrikts Ost von 1927. Daraus entstand möglicherweise später die Rolle als Hauskassierer.

Neuanfang 1945

Das Konzept der Vertrauenspersonen lebte 1945 noch einmal auf, als gegen Ende der Nazi-Herrschaft Sozialdemokrat*innen begannen, sich - zunächst in Stubenzirkeln oder ähnlich verdeckten Formen - in den Betrieben und auf lokaler Ebene wieder zu organisieren.

Einzelnachweise

  1. Siehe: Sozialdemokratische Parteitage (1890 - 1899)
  2. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), S. 54 f.
  3. Rainer Paetau: Konfrontation oder Kooperation, S. 56
  4. Ebd. S. 56 u. 58
  5. Kühne, Tobias: "Willst du arm und unfrei bleiben?" Louise Zietz (1865-1922) (SPD-Parteivorstand, Berlin 2015)
  6. Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin (3. Aufl., Bonn 1979), S. 7. ISBN 1483959821. Erstdruck: Stuttgart/Berlin 1921
  7. Horsmann, Thomas: Erste sozialdemokratische Frauenkonferenz - Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten. In: vorwaerts.de, 15.9.2020
  8. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 49
  9. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]) Seite 49