Ortsverein Travemünde

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Der Ortsverein Travemünde ist eine Gliederung im Kreisverband Lübeck. Er wurde 1907 gegründet; das genaue Datum ist leider nicht zu ermitteln.

Gründung

Zu dieser Zeit fanden Neuwahlen zum Deutschen Reichstag statt, der am 13. Dezember 1906 aufgelöst worden war. Bei der Wahl am 25. Januar 1907 wurde in dem "Städtchen Travemünde" Theodor Schwartz mit nur 169 Stimmen gewählt, weil das Wahlrecht nur für Männer ab dem 25. Lebensjahr galt. Frauen durften überhaupt noch nicht wählen; dieses Recht erhielten sie erst nach der Novemberrevolution 1918.

Mit der Gründung des Ortsvereins begann auch die aktive Arbeit. Genossen der ersten Stunde waren Litzendorf, Bock, Bössow, Effinger, Feldmann und Laudorn. Bis 1933 führte Litzendorf den Ortsvereinsvorsitz. Die zu bewältigende Arbeit der Bewusstseinsbildung für die Probleme Travemündes im Sinne sozialer Demokratie konnte nur mit viel Zeitaufwand, Idealismus und mit Kenntnis der jeweiligen örtlichen Verhältnisse geleistet werden. Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind dabei nicht zu übersehen.

Für den Frohsinn im Ortsverein sorgte der ihm angehörende Gesangsverein Eiche, dem auch eine Laienspielgruppe angeschlossen war. Auch standen dem Ortsverein die Freie Turnerschaft Travemündes, die Sozialistische Arbeiterjugend, die Kinderfreunde und die Roten Falken nahe. Eine ortsvereinseigene Bibliothek ermunterte diese Interessengruppen zur geistigen Weiterbildung.

Weimarer Republik

In der Weimarer Republik war die SPD eine staatstragende Kraft. Am 7. August 1927 fand in Travemünde eine Kundgebung des Reichsbanners gegen "Schwarzweißrot" mit 1800 Teilnehmern statt. Julius Leber hielt dort die Rede. Bis 1928 war die SPD im Deutschen Reich immer die stärkste oder zweitstärkste Partei. In Travemünde erreicht die SPD 1928, dass Land für die Errichtung von Häusern angekauft wurde, das unentgeltlich an Minderbemittelte gegeben werden sollte.

Erst mit den schwierigen Verhältnissen ab 1929 war der Nationalsozialismus trotz vielfältiger Anstrengungen aller demokratischen Parteien nicht mehr aufzuhalten.

Die schwere Zeit der NS-Herrschaft

Das Ende der Weimarer Republik war durch große politische Auseinandersetzungen und Wirren, aber auch von zunehmender Gewalt geprägt, die auch in Travemünde teilweise zu Tätlichkeiten führte. Am 22. Juni 1933 wurde die SPD von den Nationalsozialisten verboten. Die Demokratie war beseitigt, Deutschland eine Einparteiendiktatur der NSDAP. Der Ortsverein Travemünde stellte nach dem Verbot der Partei alle offiziellen politischen Tätigkeiten ein. Publikationen konnten nur noch unter Gefahr für Leib und Leben gedruckt und verteilt werden.

150 DM Entschädigung

Denunziantentum war zu jener Zeit an der Tagesordnung und forderte viele Opfer: 1937 wurde der Genosse Albert Johanns inhaftiert und musste während des Krieges an der Front unter Beweis stellen, dass er ein "aufrichtiger Deutscher" sei. Für die Haftzeit wurde er 1951 mit einer Summe von 150 DM entschädigt!

Ein anderes Mitglied der SPD, der Reichsbanner-Fahnenträger Johannes Möller, verlor bereits 1933 wie viele andere auch seinen Arbeitsplatz, ohne auch nur die geringste Unterstützung zu bekommen. An dieser Stelle könnten wir noch viele Sozialdemokraten nennen, die unter dem Nationalsozialismus gleiche oder ähnliche Schicksale erdulden mussten. Mutige Männer und Frauen vollbrachten Leistungen, von denen vieles in Vergessenheit geraten ist.

Rettung von Herbert Frahm

Unvergessen ist der Travemünder Fischer Paul Stooß. Er brachte - neben vielen anderen, die fliehen mussten - in einer Nacht- und Nebelaktion mit seinem Fischerboot einen Genossen namens Herbert Frahm vor den Nazis in Sicherheit. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welch ein für das demokratische Deutschland und die Welt wichtiger Mann gerettet wurde: Es war kein Geringerer als Willy Brandt, langjähriger Parteivorsitzender, Bundeskanzler und Ehrenbürger der Hansestadt Lübeck.

"Zwei ins Vertrauen gezogene Genossen, Emil Peters und Herrmann, stellten Kontakte zum Travemünder Fischer und Sozialdemokraten Johannes Johannsen her. Mit dessen Motorkutter TRA 10 fuhr, kaum kontrolliert, der 36jährige Stiefsohn Paul Stooß, ebenfalls ein Linker, jede Nacht zum Fang auf die Ostsee hinaus Richtung Dänemark... Bootseigner Johannsen informiert Stiefsohn Stooß, dass er bei Nacht 'einen von Lübeck, hinter dem sie her sind', nach Dänemark bringen soll: 'Lass niemand in die Kajüte sehen. Mehr brauchst du nicht zu wissen.'"[1]
"Ich fuhr nach Travemünde, wo der Schwiegersohn eines Fischers, der uns nahestand, wartete und mich aufnahm. Leichtsinnig, wie man bei aller Vorsicht noch war, ging ich in den Abendstunden in die Wirtschaft und stieß auf einen Bekannten aus der vorigen Generation der Arbeiterjugend, der sich mit den Nazis angefreundet hatte, mich aber unbehelligt abziehen ließ. Ich wurde mitsamt meiner Aktentasche an Bord des Kutters TRA 10 gebracht und glaubte mich gut versteckt, bis ein Zöllner erschien; wäre es mehr Kontrolle und weniger Routine gewesen, das Versteck hätte nichts genutzt. Wir starteten bald nach Mitternacht und gingen frühmorgens im dänischen Rödbyhavn an Land; die Überfahrt schilderte der Fischer später als ruhig, mir ist sie als stürmisch und höchst unangenehm in Erinnerung geblieben."[2]

Rettung der Traditionsfahne

Die gerettete Fahne

Die verstorbene Genossin Alma Nickel erzählte gern darüber, wie die 1922 geweihte Ortsvereinsfahne von Albert Johanns und Willi Nickel vor dem Zugriff der Nazis bewahrt wurde. In einer Blechdose verpackt wurde sie in einer Abseite ihrer Wohnung versteckt. Auffällig aufgehängt vor dem Versteck hing die schwarz-rot-goldene Fahne zur Ablenkung. Auch die Wohnung von Nickels wurde von einer Razzia der Nazis heimgesucht. Dabei wurde der hängende Spruch "Wir wollen Frieden, Freiheit und Recht, dass niemand sei des anderen Knecht" konfisziert. Ein ebenfalls dort hängendes Bild von August Bebel wurde von den SA-Leuten nicht als einer der Gründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung erkannt und blieb deshalb in der Wohnung. Für alle Fälle aber beugte Willi Nickel mit der Bemerkung vor: "Nun nehmt Ihr mir wohl auch noch das Bild meines Schwiegervaters mit."

Nach NS-Zeit und 2. Weltkrieg

Der Ortsverein Travemünde, der sich schnell wieder zusammengefunden hatte, erlebte einen ungeahnten Mitgliederzuwachs. 826 Mitglieder konnte Willi Stooß, der damalige Ortsvereinsvorsitzende, zählen. Diese hohe Zahl mag u.a. durch viele hinzugekommene Flüchtlinge zustande gekommen sein. Im Laufe der Jahre pendelte sich dann die Mitgliederzahl nach etlichen Schwankungen auf etwa 120 ein.

Die Arbeit der SPD in Travemünde begann von Neuem. Sie richtet sich nach den Bedürfnissen und auf das Wohl aller Bewohner von Travemünde. Am 14. September 1947 fand eine Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus im Stadttheater statt. Der Redner war Max Geißler. Außerdem wurden in Travemünde Kränze an den Gräbern ermordeter Juden niedergelegt.

Literatur

  • Schapke, Thomas: Wir für Travemünde - 1907-2007 - 100 Jahre SPD Travemünde (Travemünde 2007)

Quellen

  1. Martin Wein: Willy Brandt. Das Werden eines Staatsmannes (Berlin 2003), ISBN 978-3746619927
  2. Willy Brandt: Erinnerungen (Berlin 2013), ISBN 978-3548611662