Provinzialparteitag 1904, Neumünster

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Provinzialparteitag Neumünster 1904
4. September - 5. September 1904
Conventgarten
Gartenallee 9
Neumünster
Siehe auch: Beschlussdatenbank

Der Provinzialparteitag 1904 fand am Sonntag, den 4. und Montag, den 5. September 1904 im Conventgarten statt. Er stellte wichtige Weichen für die Neuorganisation der Landespartei.

Im Skandal-Anzeiger, einer satirischen Begrüßungsschrift für die Delegierten, wurde der langjährige Vorsteher der Agitationskommission, Heinrich Lienau (der nicht wieder antrat), mit respektvoller Ironie zum "auf lebenslänglich gewählten Vorsitzenden Lienau" erhoben.[1]

Um 15 Uhr eröffnet Heinrich Lienau als Vorsitzender der Agitationskommission den Parteitag und zunächst wurde den zahlreichen Verstorbenen gedacht.[2]

Tagesordnung

  1. Bericht der Agitationskommission. Referent: Heinrich Lienau
  2. Bericht über die Presse. Referenten: Karl Korn und Julius Krause
  3. Schleswig-Holsteins Beitrag zur Verbesserung der Organisation der Gesamtpartei. Referent: Eduard Adler
  4. Weitere Anträge und Resolutionen
  5. Wahl der Sitze der Agitations- und der Preßkommission

Als Sitzungsleitung werden Heinrich Lienau und der Genosse Stubbe gewählt.

TOP 1: Bericht der Agitationskommission

Die Agitationskommission hatte bereits vor dem Parteitag einen schriftlichen Geschäftsbericht erstellt, der in zwei Teilen im Hamburger Echo veröffentlicht worden war.[3][4]

Nachdem Heinrich Lienau noch einmal mündlich berichtet hatte, gibt es eine Aussprache. Am Ende der Debatte berichtete die Mandatsprüfungskommission, dass 95 Delegierte anwesend seien. Seit 1902 durften Frauen an politischen Versammlungen teilnehmen. Eigentlich durften sie nur als Zuschauerinnen dabei sein. Hier meldete sich aber Luise Zietz zu Wort - sogar gleich mit einem eigenen Antrag.[2]

Anwesende nach Reichstagswahlkreise, in der Provinz Schleswig-Holstein[2]
Nr. Bezeichnung Delegierte Abgeordneter Weitere
1 Hadersleben, Sonderburg 2
2 Apenrade, Flensburg 3 Heinrich Mahlke
3 Schleswig, Eckernförde 5 Kandidat
4 Tondern, Husum, Eiderstedt 5 Kandidat
5 Norderdithmarschen, Süderdithmarschen, Steinburg 3
6 Pinneberg, Segeberg 13
7 Kiel, Rendsburg 14 Frau Westphal aus Neumünster
8 Altona, Stormarn 11 Karl Frohme Frau Von Hollen aus Altona
9 Oldenburg in Holstein, Plön 5 Kandidat
10 Herzogtum Lauenburg 6 Friedrich Lesche
1 Oldenburg (Fürstentum Lübeck) 4
1 Hamburg 1 Luise Zietz
2 Hamburg 1
3 Hamburg 2

Desweiteren waren die drei Firmenträger der Schleswig-Holsteinische Volkszeitung anwesend: Mähl und Mohr aus Kiel und Koenen aus Hamburg. Die Preßkommission war durch Quist und Hermann Adam aus Kiel vertreten. Außerdem drei Expedienten der VZ. Für die Firma Auer & Co. ist Bérard anwesend und ein Reporter des Hamburger Echos.

TOP 2: Bericht über die Presse

Auch hier lag ein schriftlicher Bericht vor. Julius Krause spricht über den geschäftlichen Teil, Karl Korn über den redaktionellen. Im Anschluss berichtete Quist für die Preßkommission.[2]

Luise Zietz, 1919

In der Aussprache meldet sich Luise Zietz zu Wort und weist darauf hin, dass sich die sozialdemokratische Presse die Arbeiterinnen noch zu wenig anspricht. Zu dem Thema lag auch ein Initiativantrag vor:

"Der Provinzialparteitag in Neumünster empfiehlt den Vertrauensmännern und Organisationsleitern der einzelnen Kreise und Orte, ein größeres Gewicht darauf zu legen, die Agitation in die Reihen der Frauen zu tragen und zum Zweck der planmäßigen Agitation unter dem weiblichen Proletariat möglichst an allen größeren Orten weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die in Gemeinschaft mit den Vertrauensmännern und Agitationsleitern die Propaganda für die Presse und die Organisation zu fördern haben."[2]

Redakteur Eduard Adler wies die Vorwürfe zurück und lud Luise Zietz zu einem Redaktionsbesuch ein. Es gebe einfach bspw. in Kiel wenige Arbeiterinnen, weil es an der entsprechenden Industrie fehle - anders als bspw. in Neumünster. Luise Zietz betrachtete das als Ansporn und riet, die Frauen dann als Hausfrau und Staatsbürgerin anzusprechen.[5]

Auch andere Anträge und Themen wurden debattiert. Um 20:30 Uhr wurde der Parteitag unterbrochen.

Am nächsten Tag ging der Parteitag um 8 Uhr morgens wieder los und die Debatte wurde fortgesetzt. Im Schlusswort wirft Karl Korn Empfindlichkeit vor - sie solle mehr Spott und Hohn vertragen können. Sie verwahrte gegen diesen "irritierenden" Vorwurf. Hermann Adam versprach darauf persönlich, vorsichtiger zu sein. Der Parteitag nahm den Antrag an.[5]

TOP 3: Organisation

Nach dem Ende des Verbindungsverbots 1899 durften sich Vereine auch überörtlich zusammenschließen. In ihrer Anfangszeit und vor allem unter dem Sozialistengesetz hatte sich die SPD über Vertrauenspersonen organisiert, die vor Ort gewählt wurden und dann den Kontakt zur Agitationskommission hielten. Wenn es mehr Mitglieder gab, hat man einen Verein gegründet. Mittlerweile gab es offenbar einen unkoordinierten Mix aus beidem.[6]

Datei:Eduard Adler.jpg
Eduard Adler

Die Organisation war so gewachsen, dass sie sich inzwischen sogar einen hauptamtlichen "Beamten" - einen Parteisekretär - leisten konnte. Auch in anderen Teilen des Reichs probierte die SPD neue Organisationsformen aus. In der Debatte wird als negatives Beispiel Breslau genannt - ohne genauer zu erklären, was dort gescheitert sei. Eduard Adler hatte sich Gedanken zur Reorganisation gemacht und brachte die auf diesem Parteitag ein.[6]

In der Aussprache ging es viel um die Frage, wie strafft organisiert und zentralisiert die Partei zukünftig zu organisieren sein. Am Ende beschloss der Parteitag:[6]

"Der Parteitag erklärt sich im Prinzip für die mögliche Ausgestaltung der Zentralisation und empfiehlt, diese in allen denjenigen Wahlkreisen zu erstreben, wo sie unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse sich als zweckmäßig und durchführbar erweist. Mehrere Parteivereine in einem Ort, der nicht zu mehreren Wahlkreisen gehört, haben jedoch keine Existenzberechtigung.

Die Organisationen sind verpflichtet zur Erhebung eines Minimalbeitrages von 30 Pfennig.

Der jährliche Parteitag setzt die Mindestsumme fest, welche von der gesamten Parteigenossenschaft der Provinz der Agitationskommission zu überweisen ist.

Von diesen Einnahmen ist ein jährlich vom Parteitag zu bestimmender Prozentsatz an die Agitationskommission abzuführen."

Außerdem beschloss der Parteitag:[6]

"1. Die Agitationskommission wird in Zukunft bestehen aus einem besoldeten Beamten als Vorsitzenden, einem Vertreter der Redaktion und drei am Sitze der Kommission wohnenden Genossen.

2. Der Beamte erhält ein Gehalt von 200 Mark.

3. Der Sitz der Agitationskommission für das kommende Jahr 1904/05 ist Neumünster.

4. Der in der Resolution vorgesehene Prozentsatz soll für das Geschäftsjahr 1904/05 20 % sein und quartalsweise am Quartalsschluss abgeführt werden.

5. Die Kommission bittet um ein Mandat des Parteitags, in seinem Namen die Stelle des Beamten ausschreiben und unter den Bewerbern die Wahl vorzunehmen."

Der Parteitag setzte eine Kommission aus sieben Personen ein, die einen geeigneten Genossen für die Besetzung der ersten Stelle eines besoldeten Parteisekretärs auswählen sollte.[7]

Im Ergebnis bedeuteten diese Beschlüsse, dass der Vorsitzende der Agitationskommission zukünftig hauptamtlicher Parteisekretär sein würde. Diese Konstellation gewählter Hauptamtlicher findet man heute noch bspw. bei den Gewerkschaften. In der SPD wurden Haupt- und Ehrenamt 1968 getrennt.

Die Organisation wurde insofern verändert, dass es in jeder Stadt und jeder Gemeinde nur einen einzigen sozialdemokratischen Verein geben durfte - es sei denn der Ort hat mehrere Reichstagswahlkreise.

Das erste betraf Kiel. Dort gab den Sozialdemokratischen Verein Kiel und Umgegend und den Sozialdemokratischen Verein für Gaarden. Beide wurden 1911 zusammengelegt zum Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel. So hatten die kreisfreien Städte bestanden bis in die Zeit der Bundesrepublik nur einen Ortsverein. Der war dann allerdings in mehrere Distrikte unterteilt.

Der zweite Fall betraf Hamburg. Hamburg bestand aus drei Reichstagswahlkreisen. Dort sollte es drei Vereine geben können. Relevant wurde das nicht mehr, denn im nächsten Jahr sollte sich Hamburg aus der gemeinsamen Organisation mit Schleswig-Holstein verabschieden.

TOP 4: Anträge und Resolutionen

Die Beschlüsse zum Parteitag und ein ausführlicher Bericht im Anschluss wurden im Hamburger Echo veröffentlicht.[6]

Der nächste Parteitag sollte in Elmshorn stattfinden. Die Preßkommission behielt ihren Sitz in Kiel.

TOP 5: Sitze der Kommissionen

Am Ende sang der Parteitag stehend die "Arbeiter-Marseillaise" und Heinrich Lienau schloss die Sitzung.

Literatur

  • Danker, Uwe / Schliesky, Utz (Hrsg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute - Eine historische Landeskunde (Husum 2014)

Einzelnachweise

  1. Blitzdrahtmeldung, abgedruckt in Demokratische Geschichte 3(1988), S. 39
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Sozialdemokratischer Parteitag, Hamburger Echo Dienstag, den 6. September 1904, Seite 5
  3. Bericht der Agitationskommission, Hamburger Echo, Donnerstag, den 1. September 1904, Seite 5
  4. Bericht der Agitationskommission, Hamburger Echo, Donnerstag, den 2. September 1904, Seite 5
  5. 5,0 5,1 Sozialdemokratischer Parteitag, Hamburger Echo Dienstag, den 6. September 1904, Seite 6
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 Sozialdemokratischer Parteitag, Hamburger Echo, Dienstag, den 6. September 1904, Seite 2
  7. Lübecker Volksbote, 18. Oktober 1905