Provinzialparteitag 1905, Elmshorn

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Provinzialparteitag Elmshorn 1905
15. Oktober - 16. Oktober 1905
Harmonie
Elmshorn
Siehe auch: Beschlussdatenbank


Der Provinzialparteitag 1905 fand am Sonntag, dem 15., und Montag, dem 16. Oktober in der "Harmonie"[1] in Elmshorn statt. Es gab 104 Delegierte, davon vier Frauen - eine von ihnen war Linchen Baumann[2], eine weitere Alma Wartenberg[3].

Auf dem Parteitag wurde der Beschluss gefasst, dass Hamburg und Schleswig-Holstein sich organisatorisch trennen und eigene Bezirksorganiationen gründen. Ein Organisationsstatut wurde beschlossen. Zum ersten Mal wurde ein Etat für das kommende Jahr vorgelegt und behandelt.[4]

Tagesordnung

Der Lübecker Volksbote vom 18. Oktober 1905 führte als Tagesordnung auf[1]:

  1. Konstituierung des Parteitages, Festsetzung der Tagesordnung, Wahl einer Mandats-Prüfungskommission und einer Kommission zur Prüfung des Etats und der Jahresabrechnung.
  2. Bericht der Agitationskommission. Ref. E. Saalfeld
  3. Der Parteitag zu Jena und unsere Provinzorganisation
  4. Etatberatung
  5. Bericht über die Presse
  6. Resolutionen und Anträge
  7. Die Fleischnot und die Grenzsperre unserer Provinz. Ref. Adler
  8. Wahl des Sitzes und des Vorsitzenden der Agitationskommission
  9. Bestimmung des Ortes für den nächsten Parteitag

Themen

E. Saalfeld berichtete über die Tätigkeit der Agitationskommission. Es habe eine Solidaritäts-Sammlung für russische Revolutionäre gegeben. Die Maifeier sei erfreulich verlaufen - mehr Arbeiter hätten sich an der Arbeitsniederlegung beteiligt. Es gebe weniger Versammlungslokale, die von der SPD genutzt werden könnten.[1] Eingehend wurden die verschiedenen Pressepublikationen besprochen. Der Sitz der Pressekommission blieb in Kiel.[3]

Organisation

Der Parteitag in Jena hatte im September 1905 ein Organisationsstatut verabschiedet. Die Grundlage der Organisation war nun der Verein des Reichstagswahlkreises. Für den Fall, dass der Wahlkreis sich über mehrere Orte erstreckte, konnten Ortsvereine gebildet werden. Die Vereine sollten sich zu Bezirksverbänden und Landesorganisationen zusammenschließen, deren selbständige Führung der Geschäfte nicht mit dem Statut der Gesamtpartei in Widerspruch stehen durfte. Mindestens 20 % ihrer Einnahmen waren an die Parteileitung abzuführen. Kein Wahlkreis durfte durch mehr als drei Delegierte auf dem Parteitag vertreten werden.

Der Provinzialparteitag im Vorjahr hatte bereits eine ähnliche Reorganisation und eine Zentralisierung beschlossen. E. Saalfeld berichtet, die Zentralisierung sei in den Reichstagswahlkreisen 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 10 umgesetzt worden.[5]

Der Beschluss, dass es pro Ort nur einen Ortsverein der SPD geben dürfte, wurde im neu nach Kiel eingemeindeten Gaarden nicht beachtet. Ein dortiger Genosse erklärte, dass es unpraktisch sei, mit Kiel einen gemeinsamen Ortsverein zu bilden. Auch Wilhelm Poller meldete sich zu diesem Thema zu Wort. Ein anderer Genosse äußerte Verständnis.[1] Der Parteitag beschloss, dass der Ortsverein Gaarden selbstständig bleiben dürfe.[3]

Dagegen hätten mittlerweile fast alle Ortsvereine den Mindestbetrag von 30 Pfennig eingeführt. Die Beteiligung an Kommunalwahlen sei erfolgreich.[1]

Parteisekretär

Teil der Reorganisation war auch Hamburgs Wunsch nach Loslösung Schleswig-Holsteins und die Anstellung des ersten besoldeten Parteisekretärs in der Provinz. Die Trennung von Hamburg wurde intensiv diskutiert. In der Vergangenheit hatte Hamburg die Provinz immer stark unterstützt. Man befürchtete, dass der Parteivorstand in Berlin diese Unterstützung nicht leisten werde, und hoffte, die Hamburger noch überzeugen zu können, die gemeinsame Agitation beizubehalten. Der Parteitag beschloss, erneut mit den Hamburger Genossen zu verhandeln und zumindest auf eine Abstimmung in Hamburg hinzuwirken.[6]

Ein Genosse Hoffmann aus Hamburg berichtete über die Suche nach einem geeigneten Kandidaten für das Hauptamt. Zehn Bewerbungen habe es gegeben. Der ausgewählte Genosse Stubbe[Anm. 1] habe jedoch abgelehnt; statt seiner sei der Genosse E. Saalfeld angestellt worden. Er bekomme ein Gehalt von 2400 Mark, das alle zwei Jahre um 200 Mark steige bis zu einer Höchstsumme von 3600 Mark. Dafür dürfe er nicht mehr für politische Ämter kandidieren. Als Redner dürfe er nur noch auftreten, wenn es der Arbeit nicht im Wege stünde. Nebentätigkeiten seien verboten. E. Saalfeld war dadurch hauptamtlicher Landesvorsitzender und Geschäftsführer in einem.[1]

Hieran gab es Kritik. Ein Genosse bezeichnete die Ausschreibung als verfrüht - das zeige, dass man zuerst keine geeignete Person gefunden habe. Ein anderer äußerte Enttäuschung. Er hatte auf die Besetzung des Postens mit dem verdienten Heinrich Lienau gehofft. Eduard Adler verteidigte die Entscheidung.[1] Am zweiten Tag des Parteitags teilte E. Saalfeld, der erst seit Januar tätig war, seine Kündigung mit.[6] Einen neuen Parteisekretär und Vorsitzenden sollte einen Kommission suchen, bestehend aus Adolph von Elm, Karl Frohme, Wilhelm Brecour sowie den Genossen von Rosbitzki, Thomas und Buch, ersatzweise die Genossen Lesche und Heinrich.[7]

Sitz der Agitationskommission

Diskutiert wurde auch der Sitz der Agitationskommission. Vorgeschlagen wurden Kiel, Ottensen, Altona und Neumünster.[6] In der Abstimmung gewann Altona (46 Stimmen) vor Kiel (42 Stimmen) und Neumünster (1 Stimme).[3]

Kommunalpolitik

Pinneberg beantragte, dass sich die SPD nur dort an Kommunalwahlen beteiligen solle, wo die Möglichkeit dazu gegeben sei. Altona beantragte, dass die SPD sich nur dort an Kommunalwahlen beteiligen solle, wo es Aussichten auf Erfolg gebe. Beide Anträge wurden diskutiert und abgelehnt.

Frauen- und Gleichstellungpolitik

Alma Wartenberg beantragte, dass alle Wahlkreis-Vereine so organisiert sein sollten wie der Verein des 6. Reichstagswahlkreises Pinneberg, Segeberg. Was dessen Besonderheit war, ist noch nicht geklärt. Sie verwies auf das preußische Vereinsrecht, nach dem Frauen Mitglieder eines Sozialdemokratischen Vereins werden könnten. Der Antrag wurde an die Wahlkreise "zum Studium" überwiesen.[3]

Die Fleischnot und die Grenzsperre unserer Provinz

Eduard Adler verzichtete auf sein Referat. Seine Resolution mit der Forderung nach Rücktritt der verantwortlichen Minister wurde jedoch angenommen.

Der Parteitag endete gegen 20 Uhr mit einem Hoch auf die internationale Sozialdemokratie und Singen der Arbeiter-Marseillaise.[3]

Berichterstattung

Der Lübecker Volksbote berichtete über mehrere Tage und sehr ausführlich über den Verlauf der Diskussionen. Im Vorfeld des Parteitages berichtete der Vorwärts:

"Die Agitationskommission für die Provinz Schleswig-Holstein veröffentlicht ihren Bericht für den Zeitraum vom 1. Juli 1904 bis 31. Juni 1905, der dem zum 15. und 16. Oktober in Elmshorn tagenden Provinzialparteitag als Grundlage für seine geschäftlichen Beratungen dienen soll. Den Beschluß des vorjährigen Provinzialparteitags auf Anstellung eines besoldeten Agitationsleiters für die Provinz, das Fürstentum Lübeck und das Herzogtum Lauenburg ist durch Anstellung des Genossen E. Saalfeld aus Hamburg Rechnung getragen worden, der sein Amt als Vorsitzender der Agitationskommission Anfang Januar diesen Jahres antrat. Um den Arbeiten der Kommission eine sichere finanzielle Grundlage zu geben, wird ein Etat über die voraussichtlichen Ausgaben und die notwendigen Einnahmen aufgestellt, den der Provinzialparteitagg zu prüfen hat. In den beiden letzten Quartalen des vergangenen Geschäftsjahres erhob die Kommission von den ihr unterstellten Wahlkreisen 20 Proz. der eingegangenen Mitgliederbeiträge; den Prozentsatz für das kommende Geschäftsjahr wird der Provinzialparteitag nach dem Etat festsetzen. Eine von der Kommission veranstaltete Agitation für die 'Schleswig-Holsteinische Volkszeitung' hatte nur teilweise Erfolg, die Auflage des Provinzialorgans ist jetzt 16000. Die Zahl der Abonnenten der 'Gleichheit' ist von 228 auf 1415 in die Höhe geschnellt. Für Agitation auf dem Landgebiet wurde eine Flugschrift in Zeitungsformat, der 'Rote Landbote', herausgegeben und bis jetzt in drei Nummern in dänischer und und deutscher Sprache verbreitet. Von der ersten Nummer wurden 155000 Exemplare in deutscher Sprache und 12000 Exemplare als dänischer 'Röde Postbud' verteilt. Die zweite Nummer wurde in kleinerer Auflage durch die Post verschickt, mit der dritten Nummer wurde zurzeit wieder eine allgemeine Verbreitung vorgenommen. Außerdem wurde in der Mehrzahl der Kreise die Broschüre 'Grundsätze und Forderungen' verbreitet. Das wirkungsvollste Agitationsmaterial ist der 'Norddeutsche Volkskalender', der in deutscher Sprache in 150000 Exemplaren, als dänischer 'Sozialdemokratiets nordslesvigske Folke-Almanak' in 10000 Exemplaren seinen Weg bis in die entlegensten Dörfer und Gehöfte der Provinz fand. Ferner wurden noch 305000 Flugblätter, 20000 Maizeitungen und sonstiges Schriftenmaterial verbreitet. Der Maifeiergedanke hat in der Provinz weitere Fortschritte gemacht. Von 55 Orten, in denen der Weltfeiertag der Arbeit festlich begangen wurde, demonstrierten 42 durch Arbeitsruhe. Sogar in so kleinen Orten wie Sonderburg auf der Insel Alsen und Hadersleben wurden 200 bezw. 800 Feiernde gezählt."[8]

Der Vorwärts berichtete am 12. Dezember 1905:

"Loslösung der Hamburg Parteiorganisation von der Organisation der Provinz Schleswig-Holstein. Bislang bildeten Hamburg und Schleswig-Holstein ein Organisations- und Agitationsgebiet, erst in loser, dann in fester Form. Vom Jahre 1891 bis 1904 unterstützte Hamburg die provinzielle Agitation in jeder Weise. Auf dem vorjährigen Parteitage in Neumünster wurde unter hervorragender Mitwirkung der Hamburger Delegierten eine Parteiorganisation geschaffen und die Anstellung eines Parteisekretärs beschlossen, für welchen Posten der Genosse Saalfeld-Hamburg gewonnen wurde. Kurz vor dem diesjährigen Provinzialparteitag in Elmshorn faßte eine kombinierte Parteiversammlung in Hamburg den Beschluß, aus dem Gebiet auszuscheiden. Begründet wurde dieser Antrag damit, daß Hamburg mit seinen besonderen Landes- und Kommunalgesetzen nicht in das Agitationsgebilde hineinpasse, daß auf Grund des allgemeinen Organisationsstatuts neben dem Parteivorstand in Berlin keine Nebenregierung Existenzberechtigung habe und daß sämtliche Gelder an die Hauptkasse abzuführen seien, von wo die schlechter gestellten Landesteile in finanzieller Hinsicht unterstützt werden müßten. Auf Grund dieses Beschlusses hat die Hamburger Parteiversammlung eine Urabstimmung über das Organisationsverhältnis zur Provinz stattgefunden und es wurde mit 1610 zu 640 Stimmen beschlossen, aus der Provinzorganisation auszutreten."[9]

Anmerkungen

  1. Es müsste sich um Heinrich Stubbe gehandelt haben. Der wurde statt in Schleswig-Holstein ab 1906 Parteisekretär für die Landesorganisation Hamburg.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 18. Oktober 1905
  2. Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 19. Oktober 1905
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 21. Oktober 1905
  4. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 35
  5. Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 19. Oktober 1905
  6. 6,0 6,1 6,2 Lübecker Volksbote, 20. Oktober 1905
  7. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988) Seite 61
  8. Vorwärts, Nummer 237, Jahrgang: 22, 10.10.1905
  9. Vorwärts, Nummer 290, Jahrgang 22, 12.12.1905