Bezirksbildungsausschuss

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Der Bezirksbildungsausschuss war ein Unterausschuss des Zentralbildungsausschusses der SPD auf Bezirksebene. Er diente hauptsächlich, aber nicht nur der Fortbildung der politisch Aktiven.

Geschichte

Bildung und Weiterbildung waren ein früher Antrieb für die Sozialdemokratie, nicht zuletzt, weil beide die Voraussetzung für eigenes politisches Handeln und Eingreifen in die politischen Prozesse darstellten, das bisher den gebildeten Klassen vorbehalten gewesen war.

"Die Sozialdemokratie war aus einem Arbeiterbildungsverein entsprungen und blieb auch fürderhin von Bildungsdrang erfüllt. Da öffentliche Bildungseinrichtungen den Arbeitern nicht zu Gebote standen, schuf sie sich eigene, z.B. Bibliotheken wie die 12000 Bände zählende Zentralbibliothek von Gewerkschaften und Partei. Auch auf andere Weise brachte sie gute Literatur und Zeitschriften an die Arbeiterschaft heran. Eine wichtige Gestalt war dabei der Kolporteur. Er brachte die Zeitschriften "In freien Stunden", den "Wahren Jakob", die "Neue Zeit" u.a. in die Wohnungen und bot in jeder Versammlung seine Schriften an. [...]
Die Pressekommission berichtete alljährlich vor Parteitagen nicht nur über die Abonnentenzahl, die Bilanzen, die Gefängnis- und Geldstrafen der Redakteure, sondern auch über die abgedruckten Romane und Novellen. Die sozialistische Presse war stolz auf das Kulturniveau ihres Feuilletons, sie wollte volksbildend sein."[1]

Die 1915 geborene Rosa Wallbaum erinnerte sich gut an diese Bibliothek im Keller des Kieler Gewerkschaftshauses, die sie schon als Kind gern benutzt hatte und die sie als Teil "ihrer Universität" - der Arbeiterbewegung - betrachtete.

"Wir haben Bücher gemeinsam gelesen, reihum vorgelesen, oder einer sagte: „Ich habe mir in der Bücherei ein Buch geliehen, das müßt ihr euch mal holen!“ Dann wurde darüber diskutiert. Das wurde mit zwölf-, dreizehnjährigen Kindern gemacht, Volksschülern! [...] Ich hatte den Eindruck, daß wir Mädchen, die wir bei der Arbeiterjugend waren, unsere Klasse bereichert haben. Wir brachten immer wieder neue Themen mit."[2]

Örtliche Bildungsausschüsse

"Mit der Gründung eines zentralen Bildungsausschusses im Jahre 1907 kamen auch Bildungsausschüsse in den Bezirken in Fahrt. Sie erhielten Vortragende und Wanderlehrer für Kurse angeboten. Bisher hatte man sich allein behelfen müssen und dabei einmal erlebt, daß die Regierung in Schleswig einigen Lehrern, die sich zur Erteilung von Deutschunterricht zur Verfügung gestellt hatten, diese Tätigkeit untersagte.
1911 gab es bereits 20 örtliche Bildungsausschüsse. Sie organisierten Einführungskurse in den Sozialismus (Ref.: Dr. Dunker) in Kiel, Neumünster und Flensburg, "Deutsche Geschichte" (Dr. Maurenbrecher) in Itzehoe, Flensburg und Tönning, "Sozialistische Grundbegriffe" (Fr. Laufkötter), in Schleswig-Rendsburg und Oldesloe. Engelbert Graf behandelte naturwissenschaftliche Themen, Emil Krause (Hamburg) hielt Lichtbildervorträge. Die Themen "Lassalle als Mensch und Sozialist" und "Das Christentum als soziale Erscheinung" fanden besonderes Interesse. Die Agitationskommission veranlaßte auch die Behandlung aktueller politischer Themen, wie "Die Reichsverfassung und das Wahlrecht" und "Die Parteien des Reichstages" (Ed. Adler)."[1]

Gründung

Am 28. April 1912 referierte im Rahmen der 1. Konferenz der Bildungsausschüsse in Schleswig der Geschäftsführer des Zentralbildungsausschusses, Heinrich Schulz. Anschließend wurde ein Bezirksbildungsausschuss für Schleswig-Holstein "aus Vertretern der Partei und der Gewerkschaften" gewählt.[3]

Die Bildungsausschüsse waren zum Teil den regionalen Parteischulen von heute vergleichbar, ihre thematische Bandbreite allerdings deutlich größer. Das erste Winterprogramm umfasste Kurse von jeweils sechs Abenden. An Themen führt Franz Osterroth auf:

  • "Deutsche Geschichte vom Ausgang des Mittelalters" (B. Rausch-Berlin),
  • "Die Entwicklung der Industrieherrschaft" und "Technik und Sozialismus" (R. Woldt-Berlin), *"Der Kampf um den Entwicklungsgedanken in der Naturwissenschaft" und "Neueste Forschungen über die "Stellung des Menschen in der Natur" (E. Graf, Berlin),
  • "Menschenkunde" und "Krankheit und Proletariat" (Dr. S. Drucker),
  • "Deutsche Dichtung im 19. Jahrhundert" (Dr. Pönsgen-Alberty[4]).

"Im Winterhalbjahr 1913/14 sprachen in 31 Orten vor insgesamt 3000 Besuchern Brecour, Adler, Bielenberg, Poller, Michelsen und Billian über 'Sozialistische Grundfragen in Marxschen und Lassalleschen Schriften'. Zahlreiche Lichtbilderabende mit Reiseschilderungen, Kulturgeschichte und Kul´nst wurden ebenso gerne besucht wie Konzerte der Arbeitergesangvereine, Liederabende, Theatervorstellungen und Märchenveranstaltungen für Kinder. In 11 Orten fanden Rezitationsabende mit sozialer Lyrik und moderner Satire Anklang. Jedes Jahr fanden Ausstellungen von guter Jugendlitertur und künstlerischem Wandschmuck statt."[1]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 53
  2. Kalweit, Susanne (Hrsg.): "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin/Hamburg 2010) ISBN 978-3-86850-644-0, S. 28
  3. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 53. Namen nennt er leider nicht.
  4. Vermutlich der spätere Kieler Intendant Max Alberty. Einige Informationen bietet Fischer, Rolf: Kiels Intellektuelle und das Jahr 1918 – Die republikanische Avantgarde Kiels.