Arbeitersport in Kiel

Aus SPD Geschichtswerkstatt

[[Datei:{{#setmainimage:Eduard Adler.jpg}}|thumb|right|180px|Eduard Adler]] Die Geschichte des Arbeitersports in Kiel beginnt im Juni 1893: Mitglieder des Vergnügungsvereins "Arbeiterbund" begannen mit dem Turnen und gründeten dafür eine Abteilung. Aus der Abteilung wurde ein erster eigener Verein: Am 17. September 1894 gründeten die Arbeiterbund-Mitglieder den Arbeiter-Turnverein "Vorwärts" und schlossen sich dem Arbeiter-Turnerbund an. 1899 musste man nach Problemen mit der Obrigkeit den Vereinsnamen in "Kieler Turnverein Jahn von 1893" ändern. Im Kieler Stadtgebiet entstanden schnell weitere Turnvereine, besonders in Stadtteilen mit großem Arbeiteranteil: 1890 der Turnverein "Vorwärts" in Alt-Heikendorf, Anfang Oktober 1893 ein Verein in Neumühlen-Dietrichsdorf, 1899 die Wiker Turnerschaft und 1901 der Gaardener Turnverein.[1]

Freie Turnerschaft an der Kieler Förde

Der Trend zum Kartell kam auch nach Kiel: Eduard Adler organisierte 1901 den Zusammenschluß in der Fördestadt. Die Arbeiterturnvereine

  • Gaardener Turnverein "Jahn" von 1901 in Gaarden,
  • Turnverein "Vorwärts" in Alt-Heikendorf,
  • Kieler Turnverein "Jahn" von 1893 in Kiel,
  • Neumühlener Arbeiterturnverein in Neumühlen und
  • Wiker Turnerschaft von 1899 in der Wik

erklärten sich bereit, sich am 31. Dezember 1901 aufzulösen. Ihre Mitglieder traten der zum 1. Januar 1902 gegründeten "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" bei. Mit 540 Männermitgliedern, 50 Zöglingen und 200 Schülern nahm die "Freie Turnerschaft an der Kieler Förde" ihre Tätigkeit auf. Paul Greß wurde der erste Vorsitzende, die turnerische Oberleitung lag beim Turngenossen Eduard Adler. Die Freie Turnerschaft gliederte sich in Männer-, Frauen-, Zöglings- und Schülerabteilungen. Die erste Fauenabteilung entstand am 6. November 1902. Die Mitgliederzahl stieg bis zum Beginn des ersten Weltkriegs 1914 stetig an: 790 Mitglieder bei der Gründung, 1905 waren es bereits 1.700, 1910 2.075 und 1914 2.372.

Im Mittelpunkt der Vereinsarbeit standen zunächst turnerische Veranstaltungen. Dabei ging es nicht um individuelle, sondern um kollektive Leistungsvergleiche. In einem Beschluss der Freien Turnerschaft aus dem Jahre 1905 heißt es dazu u.a.: "Jedes Turnen um Preise oder materielle Vorteile ist verwerflich. Jedes Turnen, bei dem die Leistungen einzelner Turner für sich verglichen werden, ist verwerflich. Jedes Turnen, mit oder ohne Gerät, sowie jedes Spiel, bei dem die kollektive Arbeit von Gruppen durch Vergleichung mit anderen oder Wertungen von Gruppenleistungen festgestellt wird, wie z.B. bei Musterriegen und Wettspielen, ist nicht allein zulässig, sondern zu fördern." Im Laufe der Zeit kamen Spiele auf dem "grünen Rasen" hinzu: Schlagball, Handball, Faustball, Trommelball und seit 1912 Fußball.

Die Freie Turnerschaft hatte von Anfang an permanent mit Schikanen durch die städtischen Ämter, die Polizei und die Justiz zu kämpfen. So wurde zeitweise die Benutzung der städtischen Turnhallen untersagt und den Turnwarten die Übungslizenz entzogen. Ständig stand der Vorwurf "sozialdemokratischer Umtriebe" im Raum, was ja auch nicht ganz falsch war. Das änderte sich erst mit Kriegsbeginn 1914, als der Kaiser "keine Parteien, sondern nur noch Deutsche" kannte. Der Vereinsbetrieb wurde in den Kriegsjahren aufrecht erhalten, so gut es ging. Viele Turngenossen starben im Krieg. Die Zahl der Vereinsmitglieder ging aber nur leicht zurück, auf 1937 im Jahre 1916. Nach Kriegsende und der Revolution im November 1918 begann die Aufbauarbeit. Trotz aller politischen, insbesondere aber wirschaftlichen Probleme in der neuen Republik, wuchs die Freie Turnerschaft. Der Höhepunkt wurde 1923 mit 4.720 Mitgliedern erreicht. Es kam auch etwas Neues hinzu: [2]

Wassersport

Mitglieder der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" gründeten am 2. Mai 1919 eine Wassersportabteilung, einen Segel- und Ruderverein für Arbeiter. Die Boote kamen, zum Teil leihweise, von der Marine. Sie hießen "Lust" und "Liebe", "Frei", "Stark", "Treu" und "Friedrich Ebert". Die Abteilung hatte prominente Gäste zu Besuch, etwa Reichstagspräsident Paul Löbe und Reichsjustizminister Gustav Radbruch. Am 12. Mai 1929 weihte der Verein sein erstes Klubhaus an der Wiker Bucht, heute Kiellinie, ein. Im oberen Geschoß war die Jugendherberge untergebracht. 1930 bauten die Arbeiter-Wassersportler eine Anlegebrücke für ihre Boote. "Der altbekannte und verdiente Sportler Gustav Garbe hielt die Weihrede und gab der Brücke den Namen Gustav-Garbe-Brücke", so Peter Ebert, der Abteilungs-Fahrwart, in einem Bericht aus dem Juli 1930. Die Ratsversammlung der Landeshauptstadt Kiel beschloss 2015 mit großer Mehrheit, der neuen Brücke des Sportboothafens Wik wieder den Namen Gustav-Garbe-Brücke zu geben.

Die Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft teilte sich. 1930 trennte sich eine Gruppe Segler ab und gründete den Verein "Freie Segler Kiel", FSK.[3]

Mit klingendem Spiel

Mit der Geschichte der Freien Turnerschaft verknüpt sind die Trommler- und Pfeiferchöre. Bereits vor 1914 gab es bei ihr kleinere Spielkorps. Nach dem 1. Weltkrieg fanden sich wieder Turngenossen zusammen, die diese Tradition fortsetzten. Am 21. Juli 1919 wurde die "Musikabteilung der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" gegründet, die sich reger Beteiligung erfreute.[4]

Radsport

1896 gründete sich - als Ortsgruppe des ebenfalls 1896 gegründeten "Arbeiterrad- und Kraftfahrerbundes Solidarität" - der Verein "Frischauf" in Kiel. Gründungsmitglieder waren, soweit heute noch bekannt, Theo Sakmirda, Theo Röstel und Hermann Langfeld. Unter dem Dachverband der "Solidarität" sammelten sich zeitweise etwa 5.000 Ortsgruppen mit bis zu 350.000 Mitgliedern in ganz Deutschland. Dem Verband gehörte in Offenbach die Fahrradfabrik "Frischauf".[5]. Man pflegte das Radwandern, Kunstfahren in den Sälen der Gaststätten, auch Straßenrennen und sogar Rasenradball. Nach dem 1. Weltkrieg nahm der Radsport einen großen Aufschwung. Fast 900 Radsportler gab es zeitweise in Kiel. Es bildeten sich in den Stadtteilen mehrere Abteilungen, so in Dietrichsdorf, Gaarden und Winterbek.

Das Ende 1933

Die Machtübernahme der Nazis 1933 läutete das Ende auch der Arbeitersportbewegung ein. Die "Freie Turnerschaft an der Kieler Förde" wurde, wie auch alle anderen Arbeiterorganisationen der Stadt, aufgelöst. Die Heime und das Vermögen wurden beschlagnahmt. Die Wassersportabteilung konnte unter neuer Führung als "Kieler Wassersportvereinigung", die Freien Segler Kiel als "Kieler Fahrtensegler" weiterbestehen.[6] Wie alle Arbeitersportvereine wurde der Radsportverein "Frischauf" 1933 aufgelöst. Als Radfahrer-Verein von 1934 durfte er unter neuer Leitung weitermachen. Theo Sakmirda, der Sohn des Mitgründers des Radsportvereins "Frischauf", erinnert sich:

"Nach dem Verbot der Arbeitersportvereine durch die Nazi-Diktatur blieben viele Mitglieder miteinander verbunden. In Wrohe, am Westensee, wurde während der Schulferien ein Zeltlager aufgebaut. Die Zelte und weiteres Zubehör wie z.B. Brennhexen zum Essenkochen wurden mit einem Lkw transportiert. Alle anderen kamen mit dem Fahrrad. Mein Vater hatte auf der Stange des Herrenrades zwei Sättel montiert für mich und meine zwei Jahre jüngere Schwester. Die Männer waren ja meist berufstätig und kamen nur zum Wochenende. An drei Namen kann ich mich erinnern: Eichberger, Husemann und Wilrodt. Der Begrüßungsruf, wenn man auf dem Zeltplatz ankam, war "ratatata". Damit konnte man sich identifizieren. Meine Eltern haben nach Beginn des Krieges 1939 nicht mehr gezeltet, aus Sorge, die Engländer könnten die Zelte als Militärlager ansehen."[7]

Neubeginn 1945

Eine eigenständige Organisation der Arbeitersportverbände entstand nach dem Ende der Nazizeit nicht mehr. Die Freie Turnerschaft an der Kieler Förde wurde nicht wiederbegründet, sondern teilte sich in mehrere kleinere Vereine auf, die Teil der bürgerlichen Sportbewegung wurden. Der ehemalige Vorsitzende der Freien Turnerschaft Adler, Kurt Luckau, schrieb dazu 1953: "Die Ideale unserer alten Arbeiterturner haben wir mitgenommen in den Deutschen Turnerbund. Wir sind auch nicht bereit, von diesen erprobten und anerkannten Erfahrungen unserer alten Turnerei abzulassen. In sehr vielen Zusammenkünften und Sitzungen haben die ehemaligen ATUS-Vereine (Arbeiter-Turn- und Sport-Vereine) Diskussionen und Verhandlungen geführt. Bis auf den heutigen Tag gibt es noch sehr viele Punkte im Gesamtturnerleben, sowie darüber hinaus im Sportleben, die sich in keiner Weise mit unseren alten Sportidealen vereinbaren lassen. Aber aus der Entwicklung der ersten Jahre nach 1945 ergab sich nur diese Möglichkeit. Ehrlich wollen wir bekennen, dass wir uns auch unter den gegebenen Verhältnissen zur Mit- und Zusammenarbeit erklärt haben. Im Kreis Kiel und darüber hinaus ist es zu einer guten Zusammenarbeit gekommen." [8]

Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" v. 1893 e.V.

1948 wurde die Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" wiedergegründet. Der Verein schloss sich 1971 mit dem Neumühlen-Dietrichsdorfer Turnverein zur Neumühlen-Diedrichsdorfer Turn- und Sportvereinigung Holsatia v. 1887 e.V -NDTSV- zusammen.

Freie Turnerschaft Ellerbek v. 1905 e.V.

1946 wurde die Freie Turnerschaft Ellerbek wiedergegründet. In den 1970iger Jahren trat sie geschlossen in die Ellerbeker Turnvereinigung von 1868 e.V. über.

Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung v. 1903 e.V.

1945 wurde die Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung wiedergegründet. Sie schloß sich mit dem Sport-Club Friedrichsort v. 1890 und dem Sportverein von 1908 zunächst zum Reichsbund für Leibesübungen und ab 1950 zum Sportverein Friedrichsort zusammen.

Heute, im Jahre 2016, führen noch drei Kieler Vereine das "FT" im Vereinsnamen:

FT Adler von 1893 e.V.

1946 wurde die Freie Turnerschaft Adler v. 1893 wiedergegründet.

Feier zum 75-Jährigen Bestehen, 1968

Auf der Jahreshauptversammlung am 15. Januar 1949 wurde beschlossen, das der Verein zukünftig "Freie Turnerschaft ADLER von 1893" heißen soll. In der Chronik seines Zeltlagers "Adlerhorst" heißt es dazu: "Sein Gesamtwirken für die Öffentlichkeit und vor allem seine großen Verdienste um die Bildung und Erhaltung der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" bewogen uns anlässlich der Wiedergründung 1946, den Verein FT Adler zu nennen. Unser Vereinsname wird uns immer an Eduard Adler und sein Wirken erinnern."[9]




FT Eiche von 1901 e.V.

Vereinsheim des FT Eiche, 1973

1947 wurde die Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 wiedergegründet. 1973 bekam der Verein ein neues Vereinsheim auf der Schwarzlandwiese in Gaarden. Das Gebäude hatte während der Olympischen Spiele in Kiel 1972 an der Kiellinie gestanden.





FT Vorwärts Kiel von 1901 e.V.

Musiker des FT Vorwärts, 1975

Bereits 1945 wurde die Freie Turnerschaft Vorwärts v. 1901 wiedergegründet.


Segler-Vereinigung Kiel e.V. - SVK

1950 schlossen sich die "Kieler Wassersportvereinigung", die ehemalige Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft, und die "Kieler Fahrtensegler" zur "Segler-Vereinigung Kiel e.V SVK" zusammen.[10]

Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V.

Die erste Zusammenkunft überlebender Kieler Arbeiter-Radsportler nach dem 2. Weltkrieg fand am 21. Oktober 1945 in der Gaststätte "Zur neuen Welt" in der Lutherstraße statt. Als Verein "Kieler Radsportgemeinschaft Solidarität" fanden die Radsportler sich wieder zusammen. Es war ein Zusammenschluss der alten Vereine "Frischauf Kiel", "Radsportgemeinschaft Solidarität Eckernförde" und dem "Rendsburger Bicycle-Club". Ziel der Vereinsarbeit sollte das Radwandern, Hallenradsport, Radrennen und Rasensport sein. Die Radsportgemeinschaft sollte nach demokratischen Regeln geführt werden, man wollte frei sein von allen politischen Bindungen. Als Sportgruß wurde das traditionelle "Frisch auf" festgelegt. Die Anrede unter den Vereinsmitgliedern wurde von "Sportgenosse" zu "Sportfreund" geändert. 1949 beschlossen die Kieler Radsportler, dem "Bund Deutscher Radfahrer" (BDR), nicht dem "Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität von 1896" (RKB), beizutreten. Der Vereinsname wurde geändert in "Radsportgemeinschaft Kiel von 1896".

Die Kieler Arbeiter-Turner hatten es sich auch zur Aufgabe gemacht, die Idee zu verbreiten, und unterstützten zum Beispiel den Aufbau der Freien Turnerschaft Neumünster.

Siehe auch

Literatur

Quellen

  1. Heed, Levke: Arbeitersport in Kiel, Demokratische Geschichte 13(2000), S. 147-198
  2. Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde 1902-1926
  3. 75 Jahre Segler-Vereinigung Kiel e.V., Jubiläumsband 1994
  4. Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde 1902-1926
  5. Krüger, Michael: 150 Jahre SPD - 150 Jahre Arbeiterturn- und Sportbewegung. Bundeszentrale für politische Bildung, 16.12.2013
  6. Demokratische Geschichte, Jahrbuch für Schleswig-Holstein Band 13, S. 175
  7. Sakmirda, Theo: Stichworte aus meiner Erinnerung 1933, 20.01.2016
  8. Freie Turnerschaft Adler v. 1893, Festschrift zum 75jährigen Bestehen
  9. Zeltlager Adlerhorst
  10. Geschichte der SVK