Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel - Stadtverordnete
Stadtverordnete der SPD gibt es in der Kieler Stadtvertretung - mit Unterbrechungen - seit 1891. Zwischen 1919 und 1932 war der Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel - wie nach 1945 der Kreisverband Kiel der SPD - die dominierende kommunalpolitische Kraft.
1890 - 1918
Als erste sozialdemokratische Stadtverordnete wurden in der Kommunalwahl vom 4. November 1890 Stephan Heinzel und Friedrich Brodthuhn überraschend in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Ursache war wohl die geringe Wahlbeteiligung der bürgerlichen Wähler, wodurch die Stimmen der wahlberechtigten Arbeiter entscheidendes Gewicht erhielten.[1] Am 16. Januar 1891 wurden die beiden Sozialdemokraten als Stadtverordnete verpflichtet. Nach den Initiativen, die sich aus den Protokollen entnehmen lassen, arbeiteten beide engagiert mit und trugen die Sichtweise des "kleinen Mannes" in das Gremium.[2]
Das "Problem" eines weiteren SPD-Wahlerfolgs wurde durch eine willkürliche Erhöhung des Zensus gelöst. Neben ca. 5000 anderen Kielern verlor dadurch auch Friedrich Brodthuhn das Bürgerrecht und damit das aktive und passive Wahlrecht. Gemäß einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts musste er am 10. Februar 1892 aus dem Stadtverordneten-Kollegium ausscheiden. Als Konsequenz verzichteten die Sozialdemokraten in der Folgezeit auf die Beteiligung an Kommunalwahlen, da sie ihre Erfolgschancen als gering einschätzten.
Sie zogen sich verstärkt von der Gesellschaft, die sie politisch ausgrenzte, zurück und isolierten sich in einer Art Parallelgesellschaft. Um die Jahrhundertwende änderte sich diese Haltung jedoch:
- "[Die SPD hat sich] als eine reformorientierte Massenbewegung etabliert. Sie ist keine revolutionäre Partei und ihre Führer sind keine Umstürzler, sondern Realpolitiker. Der politischen Arbeit in den Parlamenten und Ratsversammlungen wächst deshalb eine hohe Bedeutung zu, denn nur wer mitmacht, kann verändern. 1902 beschließt der 'Sozialdemokratische Verein' nach lebhaften Diskussionen, sich wieder an den Kommunalwahlen zu beteiligen."[3]
Bisher konnten als Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung in der Kaiserzeit ermittelt werden:
- 1904 bis 1919 - Eduard Adler, zeitweise Fraktionsvorsitzender und stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher.
- 1906 bis 1916 - Daniel Rindfleisch, am 7. Januar 1913 zum stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher gewählt.[4]
- Zur Kommunalwahl 1907 kandidierten für die SPD Ernst Cappel, Rudolf Grünig, H. Mähl, G. Niendorf, Wilhelm Poller, Fr. Christophersen und Daniel Rindfleisch. In diesem Jahr gelangten Rudolf Grünig (bis 1914) und Ernst Cappel ins Stadtparlament (bis zu seinem Tod am 11. August 1915).
- 1908 hatte die SPD 11 Sitze[5].
- 1909 wurde über die Einführung der Bezirkswahlen erneut versucht, die "rote Flut" einzudämmen; die bürgerlichen Parteien gewannen vier Bezirke zurück, nur in Gaarden wurde Wilhelm Poller für die SPD gewählt.
- 1910 zogen neben Eduard Adler auch Hermann Adam und der Genosse Buttmann ins Stadtparlament ein, dazu für Kiel-Süd bis 11. Juni 1918 Wilhelm Brecour.
- 1911 der Genosse Ribbe sowie Wilhelm Spiegel (bis 1933, unterbrochen durch Kriegsdienst vor 1918).[6]
- Bei den Kommunalwahlen im November 1914 errang die SPD 24 Mandate - ebenso viele wie die bürgerlichen Parteien.
- Bei Nachwahlen im September 1915 wurden Hermann Adam, Wilhelm Poller sowie die Genossen Lange, Reichert und Wolke gewählt.[7] Es wird außerdem ein Stadtverordneter Hahn genannt.[8]
Magistrat
Das Zensuswahlrecht verschloss der SPD bis 1914 die Mitgliedschaft im Magistrat, dem höchsten Gremium der Stadtverwaltung. Er bestand aus dem Oberbürgermeister und den haupt- und ehrenamtlichen Stadträten; alle Mitglieder waren gleichberechtigt und für ihr Ressort allein verantwortlich. In Kiel galt die Magistratsverfassung bis 1997.
Nach Kriegsbeginn hielt man es auf Grund des vereinbarten "Burgfriedens" zwischen den deutschen Parteien wohl für sinnvoll, sich nicht länger gegen die Mitverantwortung von SPD-Politikern zu sperren. 1916 wurde als erster der Stadtverordnete Daniel Rindfleisch als unbesoldeter (ehrenamtlicher) Stadtrat in den Magistrat gewählt[9]. Am 11. Juni 1918 kam Wilhelm Brecour hinzu (bis Dezember 1929), am 3. Dezember des Jahres folgte Wilhelm Poller (bis 3. November 1924) auf den verstorbenen Daniel Rindfleisch.
1919 - 1933
In der ersten Kommunalwahl nach dem Ende des Kaiserreiches, am 2. März 1919, holte die SPD 33 Sitze (44,8 %), die USPD 7 Sitze.
Neben dem bereits im Kaiserreich gewählten Wilhelm Spiegel (1911 bis zu seiner Ermordung am 12.3.1933) kamen jetzt in die Stadtverordnetenversammlung (bisher ermittelt):
- 1918-? Luise Andratschke, Anna Jordan[10]
- 1919-1921 Toni Jensen
- 1919-1924 Otto Eggerstedt, Gustav Garbe
- 1924-1927 Willy Verdieck
- 1924-1933[11] Nanny Kurfürst
- 1925-1933 Richard Hansen
- 1928-1933 Karl Ratz, Gertrud Völcker, Theodor Werner
- 1929-1933 Bruno Diekmann
- 17.11.1929-1933 Andreas Gayk
Magistrat
- 1918-Dezember 1929 Wilhelm Brecour
- 3.12.1918-3.11.1924 Wilhelm Poller
- 11.11.1919-1929 Hermann Adam
- 1927-1933 Willy Verdieck (für Wohnungsbau)
1919 wählte die Stadtverordnetenversammlung Paul Gress zum ersten besoldeten (=hauptamtlichen) Magistratsmitglied. Seine Amtseinführung wurde Ursache für den Rücktritt des konservativen Oberbürgermeisters Lindemann.
Stadtverordnetenvorsteher
Ab 1919 konnte die SPD auf Grund ihrer Mehrheiten auch die Stadtverordnetenvorsteher bestimmen. Dies waren:
1933 - 1945
In der letzten, schon durch Einschüchterung und Repression der Nazis beeinflussten Kommunalwahl vom 12. März 1933 errangen die Sozialdemokraten noch einmal 20 Mandate.[12] Unter den Gewählten war Andreas Gayk. Sie wurde überschattet von der Ermordung von Wilhelm Spiegel durch SA-Leute in der Nacht vor der Wahl.
Danach gab es bis zum Ende der NS-Herrschaft keine Stadtvertretung im demokratischen Sinne mehr. Der Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel war, wie die gesamte SPD und alle Parteien, seit dem 22. Juni 1933 verboten. Die Stadtverordneten der Linksparteien wurden ausgeschlossen, verfolgt und ermordet wie z. B. Wilhelm Spiegel oder Willy Verdieck. Eine offene politische Arbeit war nicht mehr möglich.
Literatur
- Wilhelm Brecour: Die Sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983)
- Rolf Fischer: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir …" Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band I: 1863–1900) (Malente 2010)
- Rolf Fischer: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2: 1900-1920)(Kiel 2013) ISBN 978-3-86935-196-4
- Rolf Fischer: Die dunklen Jahre. Kiels Sozialdemokratie im Nationalsozialismus (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 4: 1930 - 1945)(Kiel 2017) ISBN 978-3-86935-329-6
Quellen
- ↑ Fischer, Bahn, S. 76 f., 87
- ↑ Fischer, Bahn, S. 89
- ↑ Fischer, Zeit, S. 53 f.
- ↑ Todesanzeige der Stadt Kiel für Daniel Rindfleisch, VZ, 15.5.1918
- ↑ Fischer, Zeit, S. 79
- ↑ Fischer, Zeit, S. 80
- ↑ Fischer, Zeit, S. 113
- ↑ Fischer, Zeit, S. 103 f.
- ↑ Todesanzeige der Stadt Kiel für Daniel Rindfleisch, VZ, 15.5.1918
- ↑ Fischer, Zeit, S. 177 f.
- ↑ "1933" heißt, soweit nicht anders angegeben, bis zum Verbot der Parteien durch die Nazis am 22. Juni des Jahres.
- ↑ Kieler Zeitung, 13.3.1933