Landtagswahl 1971: Unterschied zwischen den Versionen

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Zum Spitzenkandidaten wird [[Jochen Steffen]] auf dem [[Landesparteitag 1970, Eutin]] gewählt - gegen den Kieler Oberbürgermeister [[Günther Bantzer]]. Auf dem [[Landesparteitag 1971, Flensburg|Landesparteitag]] in Flensburg im Januar 1971 [[Rede von Willy Brandt auf dem Landesparteitag 1971 in Flensburg|sagte]] der damalige SPD Bundeskanzler [[Willy Brandt]] über Jochen Steffen:  


: ''"Hier in Schleswig-Holstein tritt die SPD mit Joachim Steffen an. Ich mag ihn, weil er kämpft, zu seinen Überzeugungen steht und selbst dort, woe andere bierernst werden, nicht den Humor verliert: Ein oft unbequemer, aber niemals die Wahrheit beugender, moderner Politiker. Man nennt ihn den "roten Jochen". Dabei mag es bleiben. Denn wir lassen uns die schöne Farbe "Rot" von niemandem, auch von jenen nicht vermiesen, die sie entweder mißbraucht haben oder aufgrund schlechten Gewissens als schockierend empfinden. Ich bin überzeugt, daß Jochen Steffen als Ministerpräsident dem Land Schleswig-Holstein und seinen Bürgern pragmatisch und zielbewußt die Zukunft erschließen wird. Wir alle sollten ihm helfen. Damit dieses Land nicht weiter hinter der Zeit herhinkt."''
: ''"Hier in Schleswig-Holstein tritt die SPD mit Joachim Steffen an. Ich mag ihn, weil er kämpft, zu seinen Überzeugungen steht und selbst dort, wo andere bierernst werden, nicht den Humor verliert: Ein oft unbequemer, aber niemals die Wahrheit beugender, moderner Politiker. Man nennt ihn den "roten Jochen". Dabei mag es bleiben. Denn wir lassen uns die schöne Farbe "Rot" von niemandem, auch von jenen nicht vermiesen, die sie entweder mißbraucht haben oder aufgrund schlechten Gewissens als schockierend empfinden. Ich bin überzeugt, daß Jochen Steffen als Ministerpräsident dem Land Schleswig-Holstein und seinen Bürgern pragmatisch und zielbewußt die Zukunft erschließen wird. Wir alle sollten ihm helfen. Damit dieses Land nicht weiter hinter der Zeit herhinkt."''


== Programm ==
== Programm ==

Version vom 22. Juni 2015, 10:56 Uhr

Als Spitzenkandidat für die SPD trat Jochen Steffen 1971 zum zweiten Mal nach 1967 an. Die Wahl fand am 25. April 1971 statt und die SPD verlor: Die CDU holte 51,9% der Stimmen, die SPD nur 41%. Die FDP holte nur 3,8%, der SSW 1,4%.[1].


Ausgangslage

DER SPIEGEL beschreibt die Lage in Schleswig-Holstein 1971 in harten Worten:

"'alle Probleme', so Steffen, 'der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung einer Industriegesellschaft in der Zweiten Industriellen Revolution spiegeln sich in dem kleinen Raum zwischen Elbe und Krusau'.
In der Tat erscheint die Nordregion nach 20 Jahren christdemokratischer Herrschaft als Armenhaus des Landes oder, wie der Kieler Industrie-und-Handelskammer-Präsident Heinz Seibel sagt, als 'Museum der Bundesrepublik'.
Zwischen den Küsten -- wo zwar pro Kopf der Bevölkerung mehr Kohl und mehr Rindvieh als anderswo in der Bundesrepublik produziert werden, aber nur 74 von 1000 Einwohnern (Bundesdurchschnitt: 140) in der Industrie beschäftigt sind -- gilt noch immer ein Wort des früheren SPD-Ministerpräsidenten (1947 bis 1949) Hermann Lüdemann: 'Wirtschaftlich gesehen ist das Land nichts weiter als ein Wurmfortsatz der Hamburger Lombardsbrücke' (über deren Schienen die Züge nach Norden rollen).
Die Pro-Kopf-Verschuldung der Schleswig-Holsteiner lag in den letzten Jahren bis zu 160 Prozent über dem Bundesdurchschnitt: 28 Prozent weniger als im allgemeinen brachten sie auf die Sparkasse. Und das Land bietet 'im Vergleich zum Bundesniveau mit Abstand die schlechteste öffentliche Daseinsfürsorge' (Steffen).
Kaum irgendwo fehlen mehr Krankenhausbetten und Kindergartenplätze, kaum irgendwo sind die kulturellen Einrichtungen so dürftig: Die Schleswig-Holsteiner unterhalten weder Kunst- noch Musikhochschulen noch Bühnen von Bedeutung. Einziges Staatsorchester ist die Polizeikapelle. Festspiele von Rang finden zwischen Kalkfelsen bei Bad Segeberg statt -- zu Ehren Karl Mays.
Bei qualifizierten Arbeitskräften und Akademikern, die laut Erhebungen von Infas-Meinungsforschern ihre Heimat als 'kalt' und 'kleinlich', 'schwach' und 'rückständig' beurteilen, überwiegt denn auch 'die Bereitschaft fortzuziehen' (Infas) -- eine Neigung, die durch die unsichere wirtschaftliche Situation des Landes noch verstärkt wird: Schon heute arbeitet jeder dritte Industrie-Beschäftigte in Branchen mit abnehmender oder stagnierender Produktion; ein Drittel der rund 50000 Bauernhöfe ist zum Sterben verurteilt.
Um 'aus dem netten, schönen, aber rückschrittlichen Land' ein 'nettes, ein schönes, aber ein fortschrittliches Land' zu machen, verlangt Steffens SPD seit langem von den regierenden Christdemokraten, die Ansiedlung von Wachstumsindustrien zu forcieren und einen Teil der Landwirte rechtzeitig auf andere Berufe umschulen zu lassen. Steffen vor Bauern: 'Jeder dritte von euch geht kaputt. Ihr seid Sozialfälle.'
Mehr oder weniger planlos ließ das Kieler CDU-Regime Bonner Milliarden auf die Höfe seiner bäuerlichen Stammwähler fließen -- darunter Tausende von Betrieben, deren 'Strukturkrise nicht gelöst, sondern zeitlich verlagert wurde und sich heute für die einzelnen härter als je auswirkt' (Steffen). Im Marschenland an der Westküste, bemerkte die Hamburger 'Zeit', könne man 'fast jedes Wasserloch in Feld und Flur über einen Asphaltweg erreichen. Doch was dort verbaut wurde, fehlt für industriell-gewerbliche Investitionen.'
Vergebens schlugen die Sozialdemokraten vor, die knappen Geldmittel 'schwerpunktartig auf zentrale Orte' zu verteilen, um so 'in der Provinz industrielle Kristallisationspunkte herauszubilden'. Noch im Februar dieses Jahres lehnte Steffen-Kontrahent Gerhard Stoltenberg die Strukturpläne der SPD mit der schlichten Begründung ab, sie seien 'einseitig auf Bevölkerungsmassierung' angelegt,
'Kaum irgendwo', kommentierte Oppositionschef Steffen solche Politik des 'konservativen Beharrens auf längst überholten Strukturen', hab 'vordergründige Ausrichtung auf traditionelle Wählerstimmen für die Gesamtbevölkerung so negative Konsequenzen gehabt wie hier'."[2]

Spitzenkandidatur

Zum Spitzenkandidaten wird Jochen Steffen auf dem Landesparteitag 1970, Eutin gewählt - gegen den Kieler Oberbürgermeister Günther Bantzer. Auf dem Landesparteitag in Flensburg im Januar 1971 sagte der damalige SPD Bundeskanzler Willy Brandt über Jochen Steffen:

"Hier in Schleswig-Holstein tritt die SPD mit Joachim Steffen an. Ich mag ihn, weil er kämpft, zu seinen Überzeugungen steht und selbst dort, wo andere bierernst werden, nicht den Humor verliert: Ein oft unbequemer, aber niemals die Wahrheit beugender, moderner Politiker. Man nennt ihn den "roten Jochen". Dabei mag es bleiben. Denn wir lassen uns die schöne Farbe "Rot" von niemandem, auch von jenen nicht vermiesen, die sie entweder mißbraucht haben oder aufgrund schlechten Gewissens als schockierend empfinden. Ich bin überzeugt, daß Jochen Steffen als Ministerpräsident dem Land Schleswig-Holstein und seinen Bürgern pragmatisch und zielbewußt die Zukunft erschließen wird. Wir alle sollten ihm helfen. Damit dieses Land nicht weiter hinter der Zeit herhinkt."

Programm

Unter dem Motto "Zukunft anpacken" trat die SPD Schleswig-Holstein zum Beispiel für den Schutz vor der Ausübung wirtschaftlicher Macht, da "zur Koordinierung und Durchsetzung des privaten Bedarfs das Selbststeuerungssystem der Marktwirtschaft ein ergänzungsbedürftiges Instrument ist".

Die SPD wollte die voll integrierte Gesamtschule mit Ganztagsunterricht und Fahrtkostenfreiheit für alle Schüler durchsetzen.

Anders als die CDU wollte die SPD keine Zusatzbeiträge für Krankhausleistungen und forderte stattdessen ein "klassenloses Krankenhaus".

Auch in Fragen der Privatisierung war man sich einig: "Grund und Boden, der der öffentlichen Hand gehört, wird grundsätzlich nicht verkauft. Statt dessen werden zeitlich begrenzte Nutzungsrechte vergeben."[3]

Die SPD setzte noch voll auf Atomkraft: Jochen Steffen forderte neben den zwei Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel noch zwei weitere zu bauen. Erst Mitte der 1970er Jahre änderte er seine Meinung.

Jusos

Alleine aus Nordrhein-Westfalen kamen im Laufe des Wahlkampfes über 70 Jusos zu Unterstützung Jochen Steffens.[4]

Anti-Steffen-Kampagnen

Im Wahlkampf kam es zu einer starken Polarisierung. Der politische Gegner und die konservative Presse polemisierten vor allem gegen die Person Jochen Steffen.[5] Eine Woche vor der Wahl schreibt DER SPIEGEL[6]:

"Nie zuvor wurde ein Wahlkampf in der Provinz so verbissen, so lang, so boshaft geführt. Selten auch stand ein Mann so allein im Zentrum politischer Kontroverse: Jochen Steffen, 48, Symbol und Hoffnung der ungeliebten Linken in der SPD und Zielpunkt vehementer Tiefschlag-Attacken der Springer-Blätter wie der rechtsgestimmten Heimatpresse, die ihn zum "Ulbricht-Deutschen" ("Die Welt") deformieren möchten."

Und weiter:

"Vize-Landesvorsitzender [der CDU] Uwe Barschel etwa verbreitet, Steffens Ansichten seien 'identisch mit denen von führenden Vertretern der SED'. Deutlicher wurden die Unions-Christen in Norderstedt bei Hamburg, wo sie auf Flugblättern behaupteten: 'Wer Steffen wählt, sorgt dafür, daß Ulbricht eines Tages Kanzler wird.'"

Die "Bild am Sonntag" schrieb damals über Jochen Steffen:

"Die drüben sagen, was sie wollen, und bei uns trällern rothaarige Minnesänger wie der rote Jochen ihr "Miteinander-Füreinander" gen Osten und nur gen Osten. Jochen Steffen, der Schleswig-Holstein regieren will, kommt aus einem Land, in dem es viele Freiwillige Feuerwehren gibt. Vielleicht hat er einen Löschkomplex. Ich sehe ihn schon in der Eimerkette, Seite an Seite mit der FDJ, um den Brand der amerikanischen Aggressoren zu löschen. Und den letzten Eimer kippt immer ein Russe ins Feuer."

In einem langen Interview mit dem "Flensburger Tageblatt" wird Jochen Steffen sinnentstellt und diffamierend zitiert. In Dutzenden von Reportagen, Kommentaren und Berichten malen Springer-Journalisten am Zerrbild vom kommunistischen Gewalttäter. Mal nennen sie Steffen eine "Kreuzung von Kobra und Chamäleon" ("Welt am Sonntag"), mal heißen sie ihn "wirr", "demagogisch" und "grobschlächtig" ("Welt").[7] Unter dem Titel "Kampagne gegen Steffen" berichtete das NDR-Fernsehmagazin "Panorama" am 22. März 1971 über die Kontroverse zwischen Jochen Steffen und den Publikationen des Springer Verlags. [8]

Wählerinitiative Nord

In der Wählerinitiative Nord engagierten sich Künstler und andere Prominente für einen politischen Wechsel in Schleswig-Holstein.

Ergebnis

Prozent Änderung Sitze
SPD 41,0 % +1,6 32
CDU 51,9 % +5,9 40
SSW 1,4 % -0,5 % 1
Sonstige 5,7 %

Wahlbeteiligung: 79,20 %

  • SSW = Südschleswigscher Wählerverband


Nach der Wahl

Vor dem Landesparteitag am 20. Juni 1971 drängten Genossen aus Kiel und Umlandgemeinden den Kieler Oberbürgermeister Günther Bantzer zur Kandidatur gegen Jochen Steffen in der Wahl um den Landesvorsitz[9] - eine Herausforderung, die Steffen mühelos überstand.

Quellen

  1. "Landtagswahlen Schleswig-Holstein", wahlrecht.de http://www.wahlrecht.de/ergebnisse/schleswig-holstein.htm
  2. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  3. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  4. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  5. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  6. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  7. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  8. "In Sachen Steffen kontra Springer u. a." DIE ZEIT, 02.04.1971 Nr. 14 http://www.zeit.de/1971/14/In-Sachen-Steffen-kontra-Springer-u-a?page=all
  9. "Flaute in der Fronde: Anti-Steffen-Gruppe der SPD in Schleswig-Holstein ist zersplittert", DIE ZEIT, 21.05.1971 Nr. 21 http://www.zeit.de/1971/21/flaute-in-der-fronde

Siehe auch

Links