Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ)

Aus SPD Geschichtswerkstatt
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Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) ist eine Arbeitsgemeinschaft der SPD auf Bundesebene. Wann die Landesarbeitsgemeinschaft gegründet wurde, konnte noch nicht ermittelt werden.

Aktivitäten

Seit den 1970er Jahren entwickelte die ASJ Schleswig-Holstein rege Aktivitäten auf der ganzen Bandbreite der jeweils aktuellen Rechtspolitik. Als Opposition im Lande ging es ihr darum, ein Gegengewicht zur Justizpolitik der CDU-Landesregierung zu setzen. Beispielhaft dafür steht der Beschluss der ASJ-Landeskonferenz am 13. März 1977 in Elmshorn, mit dem - auf Antrag des ASJ-Kreisverbandes Kiel - eine Aufspaltung des juristischen Vorbereitungsdienstes in ein beamtenrechtliches Referendariat und ein öffentlich-rechtliches Rechtspraktikantenverhältnis als Verletzung der Berufsfreiheit abgelehnt wurde. Hintergrund war die auch vom Landesparteitag in Tönning 1977 mit scharfen Formulierungen zurückgewiesene Praxis der Berufsverbote im öffentlichen Dienst Schleswig-Holsteins. Die Landesregierung hatte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1975 derart umgesetzt, dass Bewerber für den Vorbereitungsdienst, denen sie die Verfassungstreue absprach, nur in ein diskriminierendes Rechtspraktikantenverhältnis übernommen werden sollten. In diesen Kontext der Juristenausbildung gehörten auch die Forderung nach einem Ausbildungspersonalrat wie in Hamburg sowie die kritische Stellungnahme des Landesvorstandes vom 5. August 1977, nachdem der damalige CDU-Justizminister Henning Schwarz eine Durchfallquote von 28 % in beiden juristischen Staatsexamen als "erfolgreich" bezeichnet hatte.

In der damals heißen Auseinandersetzung um den Ausbau der Atomenergie in Schleswig-Holstein, die sich vor allem durch den Widerstand gegen das AKW Brokdorf ausdrückte, unterstützte die ASJ auf der Landeskonferenz von 1977 die Position des SPD-Landesvorstands um Günther Jansen mit der Forderung, dass vor Klärung sämtlicher Sicherheits- und Entsorgungsprobleme keine Teilerrichtungsgenehmigungen zum Bau von Atomkraftwerken (AKW) erteilt und alle Bauvorhaben von AKW eingestellt werden sollten. Diese Position war der der Bundes-SPD weit voraus. Auch hatten sich noch kurz zuvor fünf Landtagsabgeordnete auf Betreiben des damaligen ÖTV-Landesvorsitzenden Hans Schwalbach für Atomenergie eingesetzt und die Politik des SPD-Landesvorstandes öffentlich missbilligt. Hans Schwalbach hatte den Vorwurf des "Atomfilzes", den der IG Metall-Gewerkschafter Heinz Brandt ohne Nennung von Namen erhob, auf sich persönlich bezogen und erfolglos Strafanzeige wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch erstattet. Dieser setzt persönliche Betroffenheit voraus.

Darüber hinaus befasste sich die ASJ Schleswig-Holstein intensiv mit bundespolitischen Themen. Auf ASJ-Bundeskonferenzen, Gustav-Radbruch-Foren und im ASJ-Bundesausschuss arbeiteten schleswig-holsteinische Jurist*innen eng mit Vertreter*innen aus Hamburg, Bremen und Niedersachsen zusammen (sog. Nordschiene), was die Kritikfähigkeit auch gegenüber der Bundespolitik erleichterte. Die ASJ-Bundeskonferenz vom 23./24. Juni 1978 in Essen führte zu skurrilen Reaktionen:

"Die Konferenz beschloss, das bescheidene Quentchen von gesetzgeberischen Maßnahmen, das als Reaktion auf den Terrorismus vom Bundestag beschlossen wurde, wieder aufzuheben […]. Übermacht und Übermut des Staates – gewachsen unter einer SPD/FDP-Koalition – sah die Versammlung auch in dem sog. Radikalenerlass. Worte wie 'Gesinnungsschnüffelei' und 'Berufsverbote', also Schlagworte aus dem Arsenal der kommunistischen Kampfvokabeln, wurden ungeniert verwendet […]. Der ASJ-Beschluss [zum Kündigungsschutz] läuft, grob verkürzt, darauf hinaus, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber praktisch unmöglich gemacht wird […]".[1]

Der ASJ-Bericht zum SPD-Landesparteitag am 6./7. Oktober 1979 rügt stellvertretend für zahlreiche andere Stellungnahmen aus dieser Zeit unter dem Stichwort "Verteidigung und Ausbau demokratischer Rechte", dass sozialdemokratische Rechtspolitik auf Bundesebene von eher konservativen Politikern geprägt werde. Insbesondere bei den Anti-Terror-Gesetzen zeige sich ein Mangel an Sensibilität gegenüber den damit verbundenen Beeinträchtigungen von Bürgerrechten. Kritisiert wurden u. a. das Kontaktsperregesetz, die Verteidigerkontrolle und die sog. Flächenrazzia. Weitere Arbeitsfelder waren die offene Abstimmung in parlamentarischen Personalentscheidungen[2], Öffentliche Rechtsauskunftsstellen, Resozialisierung und Strafrechtsreform.

Im Vorfeld des Deutschen Juristentages sorgten zuerst die Landeskonferenz am 12. März 1978 in Kiel, danach die Bundeskonferenz für eine Verbreiterung der ASJ-Kompetenz; sie fassten Beschlüsse für ein besseres Arbeitsrecht, insbesondere Stärkung des Kündigungsschutzes von Arbeitnehmern und Verbot der Aussperrung. Der damit verbundene Schulterschluss mit den Gewerkschaften war für die künftigen Beziehungen von Partei und Gewerkschaften nachhaltiger als der Atomkurs einzelner Gewerkschaftsvertreter. Diese Aktivitäten setzten sich auf Bundesebene fort, so durch eine weitgehende Kooperation zwischen ASJ und Gewerkschaftsjuristen auf dem legendären Juristentag 1978 in Wiesbaden, der Defizite des bundesdeutschen Arbeitsrechts offenlegte. Zwar stimmte dort die Mehrheit der angereisten konservativen Juristen (Helmut Schmidt: "Schneidige Syndici!") alle progressiven Anträge nieder, konnte damit aber notwendige Kritik nicht mehr ersticken.

Der streng rechtstaatliche Kurs der ASJ Schleswig-Holstein kam auch in den 1980er Jahren auf verschiedenen Politikfeldern immer wieder zum Ausdruck. 1980 veranstaltete sie in Malente ein Seminar Rechtsstaat auf dem Prüfstand. Die Landeskonferenz 1981 in Neumünster forderte Landtag und Landesregierung auf, die Kostenerstattungspflicht für Polizeieinsätze bei Demonstrationen abzuschaffen. Sie wandte sich gegen die Einführung sog. Distanzwaffen (Pistolen und Gewehre), die mit Hartgummi- oder Plastikgeschossen munitioniert werden sollten, sowie gegen die Einführung von CS-Gas. Der Bundesgesetzgeber wurde aufgefordert, § 123 Strafgesetzbuch so zu ändern, dass Besetzungen sozialwidrig ungenutzter Wohnungen und Häuser von Strafbarkeit ausgenommen würden.

Die Landeskonferenz 1982 in Molfsee verabschiedete einen umfangreichen Antrag zur Ergänzung des SPD-Landtagswahlprogramms zur Erweiterung des Systems der repräsentativen Demokratie in Form direkter Demokratie. Im Juni desselben Jahres war Kiel auch Gastgeber der ASJ-Bundeskonferenz, auf der der Richter beim Bundesverfassungsgericht Martin Hirsch als Bundesvorsitzender bestätigt und Horst Isola zum Stv. Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Die ASJ-Landeskonferenz 1984 fand in Lübeck statt mit Beiträgen von Erich Küchenhoff (Münster), Heribert Ostendorf und Günther Jansen. Der einstimmig beschlossene Leitantrag stellte fest, dass eine Stationierung amerikanischer Raketen als "Erstschlagwaffen" als Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben verfassungswidrig sei. Günther Jansen sicherte den 35 Lübecker Richtern und Staatsanwälten (darunter Wolfgang Nešković) in der Auseinandersetzung um ihre Anzeigenaktion gegen die Stationierung die Unterstützung der Landespartei zu. In einem weiteren Beschluss wurde den Kommunalparlamenten das Recht zugebilligt, über Friedenspolitik zu debattieren. Im Rahmen der ASJ-Landeskonferenz 1985 in Lübeck fand u.a. eine Podiumsdiskussion zu Die Polizei – im Schatten des Rechts? statt. Teilnehmer waren Otto Schily, Rolf Olderog (CDU), Vertreter der Polizeigewerkschaften und der Publizist und Jurist Rolf Gössner.

Das Winterseminar vom 7.-9. März 1986 in Malente stand unter dem Thema Neues Arbeitsrecht – Klassenkampf von oben? Gerade war das von der CDU/FDP-Mehrheit im Bundestag durchgesetzte berüchtigte Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft getreten[3]. Die ASJ-Landeskonferenz vom 26. Oktober 1986 verabschiedete einen Initiativantrag von Heribert Ostendorf gegen die geplante Verschärfung des politischen Strafrechts sowie gegen die sog. "Kronzeugenregelung". Der Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Jürgen Seifert, referierte zu dem Thema: Auf dem Weg in den Überwachungsstaat – die neuen Sicherheitsgesetze.[4]

Bundesweite Anziehungskraft entwickelte das ASJ-Seminar Furchtbare Juristen vom 19.-21. Februar 1988 in Malente nach Erscheinen des gleichnamigen Buches von Ingo Müller. Neben dem Autor referierte u.a. Ulrich Vultejus, Richter am Amtsgericht Celle, Träger des Fritz-Bauer-Preises, über Der domestizierte Richter; von ihm stammt das Zitat:

"Jede richterliche und staatsanwaltliche Tätigkeit ist eine politische Tätigkeit. Die Chance zur Unabhängigkeit hat gemäß einem unter Juristen kursierenden Satz nur der Richter, der nicht Karriere machen will."[5]

Georg Bönisch sprach über Militär-Justiz im Dritten Reich, Hinrich Rüping über Auf dem Weg zur Historisierung des Nationalsozialismus. Ingo Müllers Buch wurde damals von vielen noch als Provokation empfunden; heute wirkt eher provozierend, dass seine Erkenntnisse nicht schon Jahrzehnte früher öffentlich diskutiert wurden.[4]

Für die Zeit nach 1988 bis 2017 liegen bisher wenig Informationen vor. Erwähnenswert ist die Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 gegen das geplante Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 16/1994) als

"sozial ungerecht und verfassungsrechtlich hoch bedenklich. [...] Zwar ist es in Zeiten knapper Länderhaushalte gerechtfertigt, Personen vom Bezug von Prozesskostenhilfeleistungen auszuschließen, deren Einkommen und Vermögen die eigenständige Finanzierung eines Rechtsstreits noch erlauben. Solche Bestrebungen zur Sanierung der Länderjustizhaushalte dürfen aber nicht zu einer faktischen Verwehrung des Rechtsschutzes für Menschen mit geringem Einkommen führen. Genau dies wäre nach dem derzeit diskutierten Gesetzentwurf aber der Fall, wenn im – praktisch häufigen – Fall des nur teilweise Obsiegens einer Prozesskostenhilfe beziehenden Partei diese verpflichtet wäre, aus dem Erstrittenen vorrangig die eigenen Prozesskosten zu bezahlen – ohne Rücksicht auf unzumutbare Härten oder die anschließende Vermögenssituation des Hilfeempfängers."[6]

Zentrales Thema der Vollversammlung am 5. September 2018 war eine Podiumsdiskussion zum Thema Deutschlands humanitäre Flüchtlingspolitik – Ein Opfer des Populismus. Maren Thomsen, Präsidentin des Oberverwaltungsgerichtes Schleswig, sowie Torsten Döhring, stellv. Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen im schleswig-holsteinischen Landtag, arbeiteten in reger Diskussion mit dem Fachpublikum heraus,

"welche Herausforderungen heute bei der Integration von Geflüchteten und der Bearbeitung von Asylverfahren tatsächlich bestehen und inwieweit die Wahrnehmung dieser Herausforderungen in der Gesellschaft von populistischen Tendenzen bestimmt und überlagert wird".[7]

Landeskonferenzen und Vorsitz

Heribert Ostendorf
Heinrich Wille

Lokal

Kiel

Lübeck

In Lübeck gab es eine ASJ auf Kreisebene unter Vorsitz von Sebastian Oelkers. Sie scheint nicht mehr zu bestehen.[13]

Links

Einzelnachweise

  1. Kommentar von Friedrich Karl Fromme, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 26.6.1978
  2. Vgl. Buschmann, Hans Rudolf/Ostendorf, Heribert: Die geheime Abstimmung im Parlament - Postulat oder Relikt?, Zeitschrift für Rechtspolitik 10 (1977), S. 153-156
  3. Vgl. Buschmann, Hans-Rudolf: Geschichte der Beschäftigungsförderungsgesetze, AuR 2017, G 17-G 20
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Unveröffentlichte Aufzeichnungen von Rudolf Buschmann, Kassel 2021
  5. ÖTV-Magazin, Dezember 1992, S. 9
  6. 6,0 6,1 SPD Schleswig-Holstein: ASJ: Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz verhindert Rechtsschutz für Menschen mit geringem Einkommen!, 12.10.2006
  7. 7,0 7,1 SPD Schleswig-Holstein: Sebastian Oelkers als Vorsitzender bestätigt, Homepage, 10.9.2018, abgerufen 22.11.2020
  8. SPD Schleswig-Holstein: Homepage, abgerufen 9.8.2023
  9. ASJ Schleswig-Holstein: Neuer Landesvorstand und Position gegen VDS, Presseinfo, 17.5.2014
  10. SPD Schleswig-Holstein: Schleswig-Holstein: Neuer Landesvorstand hat sich konstituiert, 17.12.2009
  11. SPD Schleswig-Holstein: ASJ: Falk Stadelmann einstimmig zum Landesvorsitzenden wiedergewählt, 23.6.2003
  12. Lt. Schreiben der Kreisgeschäftsstelle vom 10.12.1984 bzw. 4.6.1986
  13. Vgl. Kreisverband Lübeck - Arbeitsgemeinschaften, abgerufen 9.8.2023