1919
SPD-Vorsitzende sind gleichzeitig Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann; sie werden im Juni von Hermann Müller und Otto Wels abgelöst. In Schleswig-Holstein wird Heinrich Kürbis im März kommissarischer Oberpräsident. Sein Amt als Vorsitzender des SPD-Bezirks gibt er im Januar "provisorisch" an Carl F. Alps ab. Diesen löst schon im Juli Rudolf Hackelberg ab, der auch zum Bezirkssekretär gewählt wird.
Im Januar erheben sich im kurzlebigen Spartakusaufstand weit links stehende Kräfte gegen die SPD-geführte Regierung des Rates der Volksbeauftragten. Gleichzeitig fanden die Wahl zur Nationalversammlung und die Wahl zur verfassunggebende preußische Landesversammlung statt. Paul Hirsch (MSPD) wurde zum Ministerpräsidenten des Freistaats Preußen gewählt. Die Provinz Schleswig-Holstein gehörte zu Preußen.
Zusammen mit seinem Innenminister Wolfgang Heine begann Paul Hirsch die konservative Verwaltung langsam zu verändern, indem sie Schlüsselposten sozialdemokratisch besetzten. In Schleswig-Holstein wurde Heinrich Kürbis Oberpräsident, Wilhelm Poller wurde Polizeipräsident in Kiel. Verschiedene Landräte wurde entsprechend neu ernannt - unter anderem Eduard Adler im Kreis Eckernförde.[1]
Nach Jahrzehnten, in denen die konservativen Politiker die SPD fern von der Macht gehalten hat, saß die SPD jetzt an vielen Hebeln der Macht und musste beweisen, dass sie auch ganz praktisch erfolgreich sein kann. Karl Frohme, seit 38 Jahren Reichstagsabgeordneter, sagte auf dem Bezirksparteitag in Kiel:
"Jetzt sind wir in eine Periode eingetreten, wo wir unsere Aufgaben nicht mehr auf die Propaganda beschränken können. Wir haben jetzt eine historische Feuerprobe zu bestehen, eine neue Staats- und Gesellschaftsordnung aufzubauen."
Am 14. August tritt die Weimarer Verfassung in Kraft.
Januar
- Die Ortsgruppe Bad Bramstedt der SPD gründet sich unter dem Vorsitz von Franz Gustav Schatz.
- Die SPD Bredstedt unter Vorsitz von Johannes Feddersen wird aktiv und erringt gute Erfolge bei den Wahlen zur Nationalversammlung und zum Preußischen Landtag.
- Die Eckernförder SPD gedenkt in ihrer Mitgliederversammlung der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
- Der Ortsverein Holtenau der USPD beschließt den Übertritt zur KPD; seine Fahne geht verloren.
- Die SPD Schönberg wird in der Gaststätte "Herberge" in der Großen Mühlenstraße gegründet. Vorsitzender wird der Metallformer Ernst Fuchs.
- 3. Januar - Erste Tagung der KPD in Kiel. Die Abspaltung der USPD hatte sich erst am 30. Dezember 1918 gegründet.
- 11. Januar - Der Arbeiter- und Soldatenrat wählt seinen Vorsitzenden Gustav Garbe als Nachfolger von Gustav Noske zum Gouverneur von Kiel.
- 12. Januar - Wilhelm Poller spricht vor 30.000 Menschen und wettert gegen den "Terror der Spartakisten", die die Nationalversammlung und die Wahl dazu verhindern wollten.[2]
- 19. Januar - Wahl zur Nationalversammlung: Louise Schroeder wird als eins der jüngsten Mitglieder in die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung gewählt. Mit ihr werden aus Schleswig-Holstein gewählt Karl Frohme, Carl Legien und Heinrich Kürbis. Weitere Mitglieder sind Nikolaus Osterroth, der Vater von Franz Osterroth, und Rudolf Wissell.
- 19. Januar - Nikolaus Flath kommt in Kiel zur Welt.
- 26. Januar - Für die Wahlen zur verfassunggebenden preußischen Landesversammlung gilt zum ersten Mal das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht. Die SPD erringt 36,38 Prozent der Stimmen und wird stärkste Kraft; zu ihren Abgeordneten zählen Friedrich Bartels, Wilhelm Brecour und Hermann Lüdemann.
- 29. Januar - Carl F. Alps aus Itzehoe übernimmt provisorisch den Bezirksvorsitz von Heinrich Kürbis, da dieser mit seiner Funktion als Beigeordneter beim Oberpräsidenten stark ausgelastet ist.
Februar
- Dem Kieler Gouverneur Gustav Garbe werden die militärischen Kompetenzen entzogen; er ist "Zivilgouverneur".
- 1. Februar - Die Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) wird als eigenständige Abteilung innerhalb des Instituts eröffnet.
- 9. Februar - Wahlen zur Lübecker Bürgerschaft (Landtagswahl). Unter anderen werden gewählt William Bromme, August Haut, Karl Meyer und Theodor Schwartz, der Alterspräsident der Bürgerschaft wird.
- 13. Februar - Erste Sitzung des Kabinetts Scheidemann, dem Rudolf Wissell als Wirtschaftsminister angehört.
- 23. Februar - Wahl zum Oldenburgischen Landtag und damit im Landesteil Lübeck. Die SPD erreicht 33,44 % und wird damit stärkste Kraft.
März
- Der Maler und Grafiker Hans Ralfs beginnt bei der VZ als Grafiker zu arbeiten.
- 2. März - Gemeinderatswahlen in Schleswig-Holstein. Die Bredstedter SPD erhält in der Wahl zur Stadtvertretung 35 Prozent der Stimmen und stellt ein Drittel der Stadtverordneten. In Kellinghusen entsteht ein Patt: Die SPD erhält 9 von 18 Sitzen; gewählt werden Heinrich Albers, Johannes Homfeldt, Franz Pietzner, August Rose, Friedrich Sell, Claus Stieper, Albin Strobel, Hinrich Strüven und Helene Stüben. In Kiel kommen Otto Eggerstedt, Gustav Garbe, Sophie Hempel und Toni Jensen neu in die Stadtverordnetenversammlung, Wilhelm Spiegel wird erster sozialdemokratischer Stadtverordnetenvorsteher. In Neumünster wird Rudolf Henning zum Stadtverordneten gewählt. In Pinneberg stellt sich Heinrich Boschen zur Wahl, erhält jedoch kein Mandat. Die SPD Russee wird zum ersten Mal stärkste Kraft in der Gemeindevertretung; Otto Rehder wird Gemeindevorsteher von Russee und Amtsvorsteher des Amtes Kronshagen (bis 1930).
- 17. März - Heinrich Kürbis wird zum (zunächst kommissarischen) Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein ernannt; dies entspricht etwa dem Rang des heutigen Ministerpräsidenten.
- 25. März - Eine Koalition aus MSPD, Zentrum und DDP unter Ministerpräsident Paul Hirsch (MSPD) übernimmt die Regierung im Freistaat Preußen, zu dem die Provinz Schleswig-Holstein gehört.
- 31. März - Die Lübecker Bürgerschaft wählt Albert Henze, Paul Hoff, Paul Löwigt und Fritz Mehrlein in den fünfköpfigen Senat der Stadt. Albert Henze gibt sein Amt als hauptamtlicher Geschäftsführer des Lübecker Konsum auf.
April
- 26. April - Die Ortsvereine Neumühlen-Dietrichsdorf, Mönkeberg und Schönkirchen der USPD rufen für den 1. Mai zu einer gemeinsamen Kundgebung im Gasthof "Krug zum grünen Kranze" auf.
Mai
- 1. Mai - Auf dem Marktplatz (später Probsteier Platz) in Dietrichsdorf wird die Fahne des Ortsvereins Neumühlen-Dietrichsdorf der USPD geweiht.
- 1. Mai - In Kiel kommt die Kieler Arbeiter-Jugend zu einer Kundgebung auf dem Alten Markt zusammen.
- 19. Mai - Der gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert reist nach Haffkrug, um ein Kinderheim der Hamburger "Pro"-Stiftung zu besichtigen. Dabei entsteht ein Foto von ihm in Badehose, das einen Skandal darstellte und der Beginn einer "gigantischen Verleumdungskampagne" ab August 1919 war.[3]
Juni
- 10.-15. Juni - Parteitag der SPD in Weimar - der erste nach der Novemberrevolution. "[…] Im Vorstandsbericht wird behauptet, Deutschland sei zum 'freiesten Staat der Welt' geworden, nachdem die Arbeiterklasse in der Novemberrevolution die politische Macht erobert habe. In der Diskussion zum Vorstandsbericht werden die Schuldfrage, Demokratisierung, Vereinigungsfrage und die Stellung zu den Freikorps besprochen sowie G. Noske und W. Heine heftig angegriffen. Ph. Scheidemann bezeichnet den Bruderkampf in der Arbeiterschaft als das schwerste Hindernis auf dem Wege zum Siege des Sozialismus. Es fehle nicht an Zeichen, daß die reaktionären Mächte sich wieder regten. Er möchte das nicht überschätzen. Wenn die Reaktion es doch versuche, sich zu erheben, solle sie für alle Zeiten abgefertigt werden. Der Belagerungszustand werde in dem Augenblick aufgehoben, in dem Spartakus auf den inneren Krieg verzichte. […]"[4]
- 14. Juni - Die Funktion des Zivilgouverneurs wird abgeschafft. Gustav Garbe hat damit keine politische Rolle mehr außer der eines Kieler Stadtverordneten.
- 20. Juni - Berufung des Kabinetts Bauer; Rudolf Wissell bleibt Wirtschaftsminister.
- 30. Juni-5. Juli - Auf dem 10. Kongress der Freien Gewerkschaften wird die Umwandlung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands in die neu gegründete Dachorganisation Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (ADGB) beschlossen. Vorsitzender bleibt Carl Legien.
Juli
- 13.-14. Juli - In Kiel findet der Bezirksparteitag 1919 statt. Unter anderem wird über die künftige Gestaltung der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung diskutiert. Die SPD Kiel-Hassee fordert eine wöchentliche vierseitige Frauenbeilage, "um die Frauen mehr im sozialistischen Sinne zu bilden".
- 15. Juli - Rudolf Wissell scheidet aus dem Kabinett Bauer aus.
August
- 23. August - Lisa Böhm wird in Kiel geboren.
September
- Der Ortsverein Eckernförde fordert laut Chronik den Genossen Scharfenberg auf, das für die USPD erworbene Reichstagsmandat zurückzugeben, da er jetzt Kommunist sei. Ein Abgeordneter dieses Namens ist allerdings für den Reichstag nicht aufgeführt.
Oktober
- Rudolf Lüdemann gibt seinen Beruf als Tischler auf und übernimmt die Leitung der neuen Ämter für Arbeit und Wohnen des Kreises Stormarn.
- 7. Oktober - In Leipzig kommt Annemarie Wildung zur Welt.
- 7. Oktober - In Kellinghusen müssen neue unbesoldete Magistratsmitglieder gewählt werden. Darunter sind nach dem Wahlerfolg vom März auch Sozialdemokraten: Albin Strobel, der Beigeordneter, d.h. Stellvertreter des Bürgermeisters wird, und August Rose, möglicherweise auch Karl Kucharzowski und Hermann Klauser.
- 13. Oktober - Auf seiner Mitgliederversammlung verkündet der vermutlich in diesem Jahr gegründete Sozialdemokratische Verein Neumühlen-Dietrichsdorf die Bildung eines Fahnenfonds zur Anschaffung einer Parteifahne.
- 20. Oktober - Karl-Heinz Ramm kommt in Suchsdorf bei Kiel zur Welt.
- 20. Oktober - Eine Konferenz der SPD Nordschleswigs in Apenrade fordert für die kommende Volksabstimmung von ihren deutsch gesinnten Anhängern die Ablehnung der Abtrennung und gibt ihren dänisch gesinnten Anhängern die Abstimmung frei.
November
- 9. November - Der Ortsverein Kaltenkirchen gründet sich genau ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der Novemberrevolution.
- 11. November - Hermann Adam wird in den Magistrat der Stadt Kiel gewählt.
- 22. November - Die Büdelsdorfer Gemeindevertretung beschließt die Gründung einer Gemeindesparkasse.
- 30. November-6. Dezember - Außerordentlicher Reichsparteitag der USPD in Leipzig.
Dezember
- 13. Dezember - Die Arbeiterwohlfahrt wird auf Initiative von Marie Juchacz gegründet. Zu den Gründerinnen gehört Louise Schroeder, die danach elf Jahre den Landesvorsitz in Schleswig-Holstein inne hat.
- Emma Schmidt schließt sich der Arbeiterwohlfahrt Kiel an.
Nicht datiert
- Friedrich Bartels, bisher Sekretär beim zentralen Parteivorstand in Berlin, wird Mitglied des Parteivorstandes und Kassierer.
- Willi Baumann, Hermann Clausen, Bruno Diekmann, Heinz Kock, Max Kukielczynski, Dora Möller, Karl Oesterle, Kurt Pohle und Max Schmidt treten in die SPD ein, Bernhard Ahrens, Otto Gramcko und Hans Schröder in die sozialistische Jugendbewegung.
- Paul Bugdahn übernimmt den Vorsitz der Altonaer SPD.
- Otto Eggerstedt wird zum Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereins Groß-Kiel gewählt.
- Otto Friedrich übernimmt erneut die Chefredaktion des Lübecker Volksboten; Theodor Schwartz geht als Geschäftsführer in den Ruhestand, Johannes Stelling scheidet als Redakteur aus.
- Andreas Gayk wird Mitglied im Kieler Arbeiter- und Soldatenrat.
- Die Kieler Stadtverordnetenversammlung wählt Paul Gress zum ersten besoldeten (=hauptamtlichen) Stadtrat. Seine Amtseinführung wird Ursache für den Rücktritt des konservativen Oberbürgermeisters Lindemann.
- 'Jack' Meitmann wird vom Regierungspräsidenten zum Sekretariat des Abstimmungskommissars für Nordschleswig abgeordnet, wo er für die deutsche Seite den Abstimmungskampf organisiert.
- Andreas Nielsen gründet die Sylter Arbeiterwohlfahrt und beteiligt sich am Aufbau des Konsum auf Sylt.
- Karl Peters wird Vorsitzender der SPD Westerland.
- Gehrt Rickers aus Kiel übernimmt den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft republikanischer Lehrer und Lehrerinnen.
- Auf dem Bezirksparteitag wird die Neuorganisation des Bezirksverbandes beschlossen. Der Bezirksvorstand wird von Altona nach Kiel verlegt, der Bezirk in fünf hauptamtlich geleitete Unterbezirke eingeteilt.
- In Quickborn gründet sich der Arbeiter-Gesangverein "Lied hoch".
- Die SPD Schacht-Audorf wird gegründet.
Einzelnachweise
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 65
- ↑ Fischer, Rolf: Der Kieler Polizeipräsident Wilhelm Poller - eine biografische Skizze In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 90, Heft 3, Seite 128ff (2021)
- ↑ Morell, Thomas / Gehm, Eckard: "Der Reichsminister in der Badehose" bei SHZ.de 24. August 2009
- ↑ Osterroth, Franz / Schuster, Dieter: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Band 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975. Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001